Sportwetten Das fragwürdige Geschäft mit dem Amateurfußball
Wetten auf Amateursport sind in Deutschland verboten, angeboten werden sie trotzdem: auf Wettseiten im Ausland. BR-Recherchen zeigen, wer Daten von Amateurspielen an die Wettindustrie liefert und Live-Wetten ermöglicht.
Wer schießt das nächste Tor, wie viele Tore fallen bis zur Halbzeit, mit wie vielen Toren Abstand gewinnt eine Mannschaft? Darauf kann auch bei Amateurspielen in der vierten und fünften Liga gewettet werden, und das sogar live während eines Spiels.
Dabei sind Wetten auf Amateursport in Deutschland verboten. Dennoch wurden in der vergangenen Saison zahlreiche Fußballspiele aus der Ober- und Regionalliga auf dem globalen Wettmarkt angeboten.
Ein Reporterteam des BR hatte Einblick in den Datenverkehr zwischen Wettanbietern und einem der größten Händler von Sportdaten: Sportradar. Das Schweizer Unternehmen beliefert zahlreiche Buchmacher mit Echtzeit-Daten von Amateurspielen und ermöglicht dadurch Live-Wetten.
Mindestens 2.700 Amateurspiele betroffen
Die Auswertung der Daten zeigt: In der Saison 2023/24 schickte Sportradar zu mindestens 2.700 Amateurspielen in Deutschland sogenannte Datenscouts. Diese Datenscouts erfassen mit Smartphones die Geschehnisse auf dem Platz und übermitteln sie live. Über Sportradar gelangen die Informationen zu zahlreichen Wettanbietern.
Insgesamt waren solche Datenscouts in der vergangenen Saison laut Datenauswertung bei mehr als 4.000 deutschen Ligaspielen für Sportradar im Einsatz. Bei zwei Drittel handelte es sich um Amateurspiele, also um Partien unterhalb der dritten Liga. In zahlreichen Ländern der Welt waren Datenscouts von Sportradar bei mehr als 13.000 Amateurspielen vor Ort, zeigt die Auswertung von BR Data.
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"Verpflichtung für den sauberen Sport"
Der Tech-Konzern Sportradar ist seit 2021 an der US-Börse Nasdaq notiert und mittlerweile ein Milliardenunternehmen. Ein prominenter Investor ist Basketball-Legende Michael Jordan.
Neben dem Verkauf von Sportdaten bietet Sportradar mit seiner Abteilung "Integrity Services" eine besondere Dienstleistung für Sportverbände an: eine kostenlose Überwachung des Wettmarkts, um Spielmanipulation aufzudecken.
"Eine Verpflichtung für den sauberen Sport", sagt der Deutsche Andreas Krannich, der die Abteilung leitet. Dafür arbeitet das Unternehmen unter anderem mit der Deutschen Fußball-Liga DFL sowie mit dem europäischen Fußballverband UEFA zusammen.
Betrug mit Sportwetten strafbar
2018 wurde Sportwettbetrug als Straftatbestand eingeführt. Seitdem gab es mehrere Verdachtsfälle und Ermittlungsverfahren wegen Spielmanipulation im Amateurfußball, wie BR-Anfragen bei unterschiedlichen Ermittlungsbehörden ergeben. "Je geringer die Entgelte, umso anfälliger sind Spieler möglicherweise für Manipulation", sagt Ronald Benter, Vorstand der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL).
Ausgerechnet Sportradar, dessen "Integrity Services" den Fußball vor Wettbetrug schützen möchte, bietet im großen Stil Live-Daten für Wetten auf Amateurspiele an, die besonders anfällig für Spielmanipulation sind.
Als BR-Reporter den Integrity-Verantwortlichen bei Sportradar, Andreas Krannich, nach Datenscouts bei deutschen Amateurspielen fragten, brach dieser das Interview ab. Schriftlich teilte Sportradar mit: Das Unternehmen biete Daten an und verpflichte die Wettanbieter vertraglich, sich an die Gesetze der jeweiligen Länder zu halten.
Suchtforscher warnt vor Live-Wetten
Der Psychologe und Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen warnt vor einem besonders hohen Suchtpotenzial von Live-Wetten: "Innerhalb von einer Minute wissen Sie, ob Sie gewonnen oder verloren haben - verbunden mit den entsprechenden Highs and Downs."
Laut Glücksspielatlas 2023 gelten 1,3 Millionen Menschen in Deutschland als glücksspielsüchtig. Studien zeigen, dass Amateurfußballer selbst zur Risikogruppe für Sportwettsucht gehören: Knapp zehn Prozent aller Mitglieder von Sportvereinen haben glücksspielbezogene Probleme, berichtet Suchtforscher Hayer.
Große Wettanbieter bieten Amateurspiele im Ausland
Deutsche Amateurspiele finden sich auf den Webseiten Dutzender Wettanbieter. Darunter sind zahlreiche Buchmacher ohne staatliche Erlaubnis in Deutschland, aber auch Wettanbieter mit Erlaubnis wie Interwetten, bet365, Bet-at-Home und Betano. Sie bieten Fußballspiele unterhalb der dritten Liga allerdings nur im Ausland an. In ihrem deutschen Wettangebot finden sich diese Spiele nicht.
Zwei Wettanbieter antworteten auf BR-Anfragen: Hierzulande würden nur von der Glücksspielbehörde erlaubte Wetten angeboten. Es gebe Sicherheitsmaßnahmen, um zu verhindern, dass Spieler aus Deutschland auf das internationale Wettangebot zugreifen.
Behörde sieht keinen Handlungsbedarf
Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) ist für die Kontrolle des Online-Wettmarkts zuständig. Vorstand Ronald Benter betonte, das internationale Angebot von Wetten auf deutsche Amateurspiele sei für die Behörde nur relevant, "wenn eine Wettteilnahme von Deutschland aus möglich ist". Nach GGL-Angaben ist das Wetten auf Amateurspiele bei Anbietern mit deutscher Erlaubnis nicht möglich.
Tatsächlich ist es aber mit etwas technischem Aufwand möglich, das internationale Wettangebot auch hierzulande zu erreichen. BR-Reporter konnten beobachten, wie bei mindestens einem lizenzierten Wettanbieter auf ein Bayernliga-Spiel gewettet wurde. Zudem kann über Drittparteien, sogenannte "Broker", auf deutsche Amateurspiele gewettet werden.
Zimmermann: "Ich finde das legitim"
Laut Glücksspielstaatsvertrag von 2021 soll das Verbot von Wetten im Amateurbereich die Integrität des Sports schützen. Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist Vize-Präsident Ronny Zimmermann für den Amateurfußball verantwortlich. Zimmermann sagt, er wisse nichts von dem internationalen Wettangebot auf deutsche Amateurspiele. Dabei finden sich auch zwei DFB-Sponsoren unter den hierzulande lizenzierten Wettanbietern, die auf ihren internationalen Seiten deutsche Amateurspiele anbieten.
"Ich finde das legitim, solange ein Partner auf einem anderen Markt die dortigen Regelungen anwendet", sagt Zimmermann. Die DFB-Pressestelle teilte nach dem Interview mit: "Nach unserer Kenntnis werden keine Live-Daten im Amateurfußball erhoben." Die BR-Recherchen aber zeigen: Datenscouts übermitteln genau diese Daten von Amateurspielen. Reporter trafen solche Scouts mehrmals auf Fußballplätzen an.
In der aktuellen Saison bieten internationale Unternehmen weiterhin Live-Wetten auf deutsche Amateurspiele an.
Die Dokumentation "Angriff auf den Amateurfußball - Die Gier der Wettindustrie” in der Mediathek abrufbar und am 19.08. im Anschluss an die Übertragung der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals im Ersten zu sehen.