Mischbesatz, Leerstandsmanagement, Verkehrswende: Deutsche Innenstädte und mit ihnen der Handel vor Ort ringen um Attraktivität. In Karlsruhe gibt es einen Aktionsplan für die City. Der taugt auch gut als Fallbeispiel, weil er zeigt, wie schwierig es ist, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Denn: Die Ansätze der Stadt gefallen nicht allen.
Wer Gerhard Schuhmacher auf die Karlsruher Innenstadt anspricht, bekommt eine differenzierte Lagebeschreibung. Seine Buchhandlung am Kronenplatz ist seit 36 Jahren am Ort, eines der ältesten Geschäfte in der Nachbarschaft, die direkt an die Kaiserstraße grenzt. Auf dieser erstreckt sich zwischen dem Kronenplatz im Osten und dem Europaplatz im Westen die Fußgängerzone und Einkaufsmeile der Innenstadt. Schuhmacher beobachtet, wie sich das Stadtbild verändert, für ihn läuft es derzeit insgesamt eher schlechter, zumal seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine Kundenfrequenz und Kauflaune deutlich nachgelassen haben.
In der Pandemie hat sich, wie überall, auch in Karlsruhe das Einkaufsverhalten gewandelt, der Strukturwandel vom Stationär- zum Onlinegeschäft wurde in kürzester Zeit massiv beschleunigt. Der in den Fußgängerzonen dominierende Modehandel litt besonders, sodass Filialnetze ausgedünnt oder gleich ganz abgehakt wurden.
Auch in Karlsruhe gab es zuletzt reichlich Fluktuation, und nicht für jede Immobilie werden Nachmieter gefunden. „Leerstand ist ein großes Thema in unserer Nachbarschaft, in der östlichen Kaiserstraße wird es schon heftiger“, meint Gerhard Schuhmacher. Zwar gebe es Ansätze, Start-ups für kleines Geld Flächen zur Verfügung zu stellen, oder Zwischennutzungen für Kunstprojekte, das sei nett, erfülle aber nicht den Zweck einer Handels-Innenstadt.
Dennis Fischer, der bei KME (Karlsruhe Marketing und Event) den Bereich Citymarketing leitet, sieht das anders: Solche Ansiedlungen neuer Konzepte gehören zum Plan der Stadt, um Leerstände zu beseitigen und um auszutesten, wie mittelfristig mehr Durchmischung und Vielfalt in der City gelingen kann. Aktuell hat die Stadt 4,2 Mio Euro aus dem Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ bewilligt bekommen, u.a. für die Anmietung und Verwaltung von Immobilien, um sie neu, auch nicht- oder teil-kommerziell zu nutzen.
„Die große Schwäche auch der Karlsruher Innenstadt ist ihre Monostruktur“, sagt Fischer. „Wir haben über Jahrzehnte unsere Innenstädte auf Handel getrimmt. Diese Monostruktur war schon vor der Pandemie angegriffen und hat jetzt noch einmal einen argen Schlag bekommen.“ Die Stadt rechnet damit, dass der Kaufkraftabfluss dauerhaft ist, auch wenn sich die Wachstumsdynamik des E-Commerce zuletzt etwas abgeschwächt hat. Für Karlsruhe heißt das: Die Innenstadt kann nicht länger allein auf den Handel setzen, sie muss insgesamt neu bewertet werden in ihrer Funktion und Bedeutung.
Für wen ist die Innenstadt da?
Und genau da wird es kritisch: Die Stadtoberen, der Einzelhandel und die anderen Beteiligten aus Immobilienwirtschaft, Gastronomie, Kultur und Bevölkerung ringen vielerorts um zukunftsfähige Konzepte für „ihre“ Stadt – mit unterschiedlichen, mitunter gegensätzlichen Interessen und ohne Patentrezept, welche Lösung für den eigenen Standort funktioniert.
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