Den Pionieren österreichischer
Chinaliteratur Walter und Regina Fehlinger
in Dankbarkeit gewidmet
Der Herausgeber
Nr. 83 der Berichte des Österreichischen Institutes für China- und Südostasienforschung
1
Danksagung
Der Autor dankt allen, die Beiträge geschrieben haben, Frau Theresa Hombrebueno für redaktionelle
Mitarbeit, seiner Frau Hongbin, daß sie bei der Herausgabe opfermütig personelle Corona-Defizite
ausgeglichen hat, Frau Sarah Laimer für Korrekturlesen und insbesondere Walter Fehlinger für die
Idee zum Thema und die Aufnahme in seine Reihe.
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Inhalt
Vorwort ………………………………………………………………………….
Arthur von Rosthorn
Abenteuer im alten China
Aus den Memoiren des k.u.k. Gesandten Arthur von Rosthorn …………………
Paula von Rosthorn
Audienz bei der Kaiserin-Witwe ……………………………………………………
Wilhelm S. Neyer
Weihe von Mönchen in Hangzhou ………………………………………………….
Hans H. Hajek
Eine Besteigung des Mount Omei, Szetschuan in den dreißiger Jahren …………
Friedrich Schiff
„Will man das Porträt dieser Stadt malen ….“…………………………….………
Emma Bormann
Shanghai Hymne …………………………………………………………………….
Herbert Tichy
China erlebt und erahnt …………………………………………………………….
Wilhelm Deman
„Shanghai 1939-1949“: Nach der Ankunft
Aus dem Manuskript des österreichischen Shanghai-Emigranten ………………..
Dr. Alfred W. Kneucker
Arthur hatte eine Vision
Aus dem Manuskript des autobiographischen Romans
„Die Stadt über dem Meere“………………………………………………………….
Wilhelm Deman
Der erste Muttertag in Hongkew
Mai 1940 ……………………………………………………………………………….
Franziska Tausig
Neujahr 1949 in Shanghai …………………………………………………………….
Heinrich Jettmar
„Mao verhielt sich mir und meinen
Intentionen gegenüber sehr gönnerhaft“
Aus dem China Tagebuch eines österreichischen Pestarztes ……………………….
3
Jakob Rosenfeld
Für alle Eventualitäten hatte man mir ein Hakenkreuz gekauft
Aus d. Kriegstagebuch d. chinesischen Generals Dr. Jakob Rosenfeld ……………
Walter Freudmann
Als hätten lang und sehnlich sie auf mich gewartet
Erinnerung an China ………………………………………………………………….
Gustav Meng
Ich war Barfußarzt auf der Leizhou-Halbinsel, China ………………………………….
Hans Thalberg
Als erster österreichischer Botschafter in der VR China …………………………
Ilse Leitenberger
Das chinesische Zeitalter bricht an:
Beobachtungen und Schlussfolgerungen nach
einem ersten chinesischen „Lokalaugenschein“ …………………………………….
Kurt Seinitz
25-jähriger Langnase mit Kopfsprung in das Reich der Mitte ……………………
Heinz Nussbaumer
„Wir sind ja fast Nachbarn!“
Als Österreicher auf Spurensuche in der Volksrepublik China…………………………
Gerd Kaminski
„Du isst Rindfleisch und bist doch alt und krank“
Erinnerungen an China und die Bedeutung des Essens ……………………………
Hugo Portisch
Dreimal China …………………………………………………………………………
Gerhard Amanshauser
Was mich an den Chinesen angenehm berührte war
die überlieferte Dezenz und Zurückhaltung
Auszug aus dem Tagebuch China 1983 ………………………………………………
Rudolf Kirchschläger
Erinnerungen an ein Gespräch mit Ministerpräsident Zhou Enlai ………………..
Heinz Fischer
Österreichisch-chinesische diplomatische Beziehungen ………………………..….
Margit Fischer
Einmal sehen ist besser als 100 mal hören ……………………………………………
4
Fritz Moravec
Zum Kailash, dem heiligsten Berg der Welt ………………………………………….
Gertrude und Karl Ölmüller
Mit dem Fahrrad von Kathmandu nach Lhasa ………………………………………
Gerd Kaminski
André Heller, der chinesische Zirkus und ein Suppenhuhn ………………………
Helmut Sohmen
China: Eine persönliche Odyssee ……………………………………………………
Martin Glatz
Flug CA 911 …………………………………………………………………………..
Peter Corrieri
Das Österreichische Bundesheer und die
chinesische Volksbefreiungsarmee …………………………………………………
Hannes u. Helmuth Fellner
Streiflichter aus Beijing ……………………………………………………………...
Nikolai Herold
Meine Eindrücke in Peking
It does not matter how slowly you go as long as you do not stop……………....
Gerd Kaminski
„Diese Ausländer sind anders als wir“
Episoden einer Liebesgeschichte ……………………………………………………
Wolfgang Kubin
Gedichte ………………………………………………………………………………
Doris Distelmaier-Haas
Gedichte ………………………………………………………………………………
Barbara Frischmuth
Mein chinesischer Sommer ………………………………………………………….
Gerd Kaminski
Geschenke für China und das Leben der Eskimos ………………………………..
Ulrich Bergmann
Kafka in Qingdao ……………………………………………………………………
5
Friedrich Zettl
Rund um die Akademie der Bildenden Künste in Beijing ………………………..
Tonia Kos
Sternstunden in China ………………………………………………………………
Wulf Noll
Neujahr entlang der Seidenstraße ………………………………………………….
René Schneider
Von Muttermilch und Hüten ……………………………………………………….
Martin Sörös
Olympiagold für Beijing 2008 –
Der Vergleich macht mich sicher …………………………………………………
Niko Resch
Zweitausendsieben
Wir fühlten uns sehr sicher im olympischen Qingdao……………………….......
Florian Ploberger
Willkommen
Mit weichen Knien und zitternden Händen ergriff ich die Nadel………………
Walter Fehlinger
Erfüllt war der Raum vom Duft von Jasminblüten
Es war einmal in China in den Jahren 1978 und 1989/1990 ……………………..
Patrick Horvath
Freundschaft verbindet die Kontinente
Persönliche Erfahrungen mit Chinesinnen und Chinesen ………………………..
Theo Kaminski
Einmal „Ruhm und Rampenlicht“ in China kosten ………………………………
Hat Xi Jinping mir zugewunken? ………………………………………………….
Hans Sauseng
Zu Besuch bei Kasachen und Mongolen …………………………………………
Gerd Kaminski
Wie aus Zikaden und Magnolien Affen wurden …………………………………..
6
Fr. Dr. Richard Reinisch
Wahre Freundschaft ………………………………………………………………..
Margit Meng
Hochzeit in China …………………………………………………………………..
Wolf-Dieter Rausch
Meine chinesische Schwiegermutter ……………………………………………….
Judith Suchanek
Mein China
Jingshen, die Essenz des Übens, hat mir mein Leben zum zweiten Mal geschenkt…
Karl Muchitsch
Ein steirischer Seeman in China …...........................................................................
Tamara Otounbaeva
Unvergessliche Zeit in China ……………………………………………………….
Markus Bencsits und Bernhard Gerstl
Wo immer wir ankamen, konnten wir auf die lokale Gastfreundschaft zählen....
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Vorwort des Herausgebers
Es war die Idee des Verlegers Walter Fehlinger anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der österreichischchinesischen diplomatischen Beziehungen einen Sammelband herauszubringen. Das ist ein weiterer
Schritt in einer Richtung, wohin Walter Fehlinger und seine Frau Regina schon lange unterwegs sind.
Unermüdlich, in guten wie in schlechten Zeiten und sogar jetzt im Zeichen von Corona, sind sie
bestrebt, literarische Brücken zwischen dem deutschsprachigen Raum und China zu schlagen. Mir
scheint, dass sie sich das chinesische Sprichwort zur Lebensaufgabe erkoren haben: „Ein Buch öffnen
ist wertvoller als ein Maß Jade“. So öffnen wir zu unserem Vorteil die von ihnen verlegten Bücher von
österreichischen, deutschen und chinesischen AutorInnen. Wir öffnen sie in Bewunderung der
bemerkenswerten Großzügigkeit mit welcher Walter und Regina Fehlinger den Druck von Büchern
ermöglichen ohne, wie in der Branche üblich, nach dem möglichen Profit zu fragen. So hoffe ich, dass
dieses mit Sorgfalt zusammengestellte Werk genug Aufmerksamkeit bei aufgeschlossenen LeserInnen
erhalten wird und dass das Vertrauen der Verleger in dieses Projekt hierzulande seine Rechtfertigung
findet. Ich hoffe auch, dass die gemeinsame mit der Gesellschaft des chinesischen Volkes für
Freundschaft mit dem Ausland auf Chinesisch erscheinende Ausgabe die Aufmerksamkeit von Chinas
LeserInnen bekommen und ihnen zeigen wird, dass es trotz der weiten Entfernung Menschen gibt,
welche sich China und seinen Menschen verbunden fühlen und besondere Erlebnisse, die sie dort
erleben durften, gerne in ihrem Gedächtnis bewahrt haben.
Die AutorInnen dieses Sammelbandes kommen aus verschiedenen Zeiten, beruflichem und sozialen
Hintergrund. Das Kaleidoskop, das in diesen Seiten zusammenfügt, zeugt von der Vielfalt der Wege,
auf denen man sich China nähern kann. Es sind wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens,
der Diplomatie, der Wirtschaft, anerkannte SchriftstellerInnen und JournalistInnen bedeutende
Persönlichkeiten der Wissenschaft und großartige KünstlerInnen, aber auch Menschen, deren Namen
man nicht aus den Medien kennt, welche dankenswerter Weise diesem Kaleidoskop Farbe und
Leuchtkraft verleihen. Sie alle haben dazu beigetragen, dass sich nach Lektüre des Werkes hoffentlich
die alte chinesische Weisheit bestätigt:
“Shu ji hao bi he liu, shi ren si tong ba da “
“Bücher sind wie Flüsse, welche den Leser in alle Richtungen bringen können.“
Möge „Es war einmal in China“ Sympathie und Freundschaft von Österreich nach China und von
China nach Österreich bringen!
Gerd Kaminski
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Arthur von Rosthorn
Abenteuer im alten China
Aus den Memoiren des k.u.k. Gesandten Arthur von Rosthorn
Im Jahre 1888 wurde ich nach Hankau geschickt. Nun ging es den mächtigen Jangtse hinauf ins Innere
Chinas, 4 Tagreisen per Schiff.
In Hankau trat ich wieder in eine Messe ein und hatte nette Kollegen. Da ich einen ausgezeichneten
Lehrer fand – den alten hatte ich entlassen, weil er durch Opiumgenuss ganz verblödet war – fand ich
Freude an der Lektüre der altchinesischen Literatur. Ich hielt mir wieder ein Pferd und ging mit
Kollegen über Sonntag im Hausboot auf die Jagd. Kleine Rehe, Hasen und Fasane belebten das
Gräberfeld in der Nähe der Stadt. Zweier Begebenheiten sei gedacht, die sich in den 2 Jahren meines
Aufenthaltes in Hankau abspielten. Die eine war der Besuch des Prinzen Henry de Bourbon, Grafen
Bardi und Gemahlin. Als einziger Österreicher bot ich mich ihnen als Cicerone an. Sie frühstückten in
unserer Messe und ich und mein italienischer Kollege Volpicelli, Generalkonsul in Hongkong bei
Beginn des Weltkrieges, zeigten ihnen die Sehenswürdigkeiten. Zu diesen gehörten die Fabriken, in
welchen die Russen Teeziegel machten. Gräfin Bardi, eine Braganza und Schwester der Erzherzogin
Maria Theresia, war eine der entzückendsten Frauengestalten. Die zweite Begebenheit war die
Ankunft des russischen Thronfolgers, des späteren Zaren Nikolaus, an Bord eines Kriegsschiffes. Die
zahlreiche russische Kolonie, die hauptsächlich vom Teehandel lebt und grösstenteils aus Sibirioten
bestand, gab dem Zarewitsch ein Bankett im Club, dem ich zugezogen wurde. Da ereignete sich etwas
Sonderbares. Gegen Ende des Soupers, da schon eine recht angeheiterte Stimmung herrschte, wurde
am unteren Ende der Tafel ein revolutionäres Lied angestimmt. Der Generalkonsul wurde totenblass
und sprang vom Stuhl auf, aber der Zarewitsch drückte ihn nieder und beruhigte ihn. Gu-Hung-ming,
der Sekretär des Generalgouverneurs Tschang Tschitung war, erzählte mir von dessen überaus
herzlicher Begegnung mit dem Thronfolger, in dem er einen Friedensapostel sah, was er, wie mich der
russische Gesandte Lessar versicherte, tatsächlich war.
Ich war inzwischen in der Sprache soweit fortgeschritten, dass ich einen Handelsvertrag englisch und
chinesisch frei niederschreiben und die Korrespondenz mit den Behörden führen konnte. Diese war
wohl der Grund, weshalb mich der Commissioner Hobson auswählte, um ihn nach Ichang zu begleiten,
und ein Jahr später nach dem neu zu eröffnenden Hafen Chungking mitnahm.
Während meines Aufenthaltes in Ichang wurde ich von einem Freunde in Hankau gebeten, bei den
Herbstrennen seine Pferde zu reiten. Da kein Dampfer in Sicht war, beschloss ich, die Reise zu Pferd
zu machen. Ich charterte also einen Mietgaul und trottete gemächlich durch die Reisfelder, während
der Pferdeknecht neben mir herlief. Gegen Abend erreichte ich ein Dorf, in dem gerade ein
Wochenmarkt abgehalten wurde und die Leute anscheinend aufgeregt und angeheitert waren. Ich hielt
bei einem Teehaus, um Ross und Pferdewärter verschnaufen zu lassen. Alsbald war die Herberge von
Menschen erfüllt, die zudringlich wurden und eine drohende Haltung annahmen. Der Gastwirt flüsterte
mir zu, ich solle durch die Hintertür ins Freie entschlüpfen. Ich ließ mich überreden, kam aber vom
Regen in die Traufe. Ein schreiender Haufen folgte mir. Ich hörte die Rufe: „Tötet den fremden
Teufel!“ und bald flogen Ziegel und Steine. Mehrmals drehte ich mich um und rief: „Wer wagt es
Steine zu werfen? Er soll sich melden!“. Sofort trat Stille ein und die Vordersten wichen etwas zurück.
Doch kaum hatte ich mich umgewendet, so fing das Geheul und der Hagel wieder an. Das Gässchen
mündete in einen offenen Platz am Ende des Dorfes. Hier war ich gleich umringt, die Rufe „Scha!
Scha!“ (tötet ihn!) mehrten sich und man begann an meinem Rock zu zerren. Da rief ich laut: „Hört
mich an!“. Einer sagte: „Hört! Er spricht chinesisch!“ Ich fuhr fort: „Hört! Ich bin ein Courier und
trage Depeschen für den Taut'ai (Kreisbeamten) in Wuchang. Wenn ich bis morgen abends nicht dort
bin, wird man mich suchen und ihr wisst, was dann geschieht!“ Während die Menge weiter tobte,
spürte ich, wie mich ein älterer Mann, mich scheinbar stoßend, an den Rand des Platzes schob, wo ein
schmaler Damm sich über den tiefen, schlammigen Reisfeldern erhebt. Mit einem Satz war ich auf
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dem Damm, drehte mich um und zog meinen Revolver. Hätte ich dies früher getan, wäre ich zerrissen
worden. So aber konnte ich rückwärtsgehend das Weite suchen und der Gefahr entrinnen. Ich erreichte
am selben Abend den Han-Fluss und mietete ein Boot, das mich nach Hankau brachte. Von Pferd und
Knecht sah und hörte ich nichts mehr. Als ich in Hankau mein Abenteuer erzählte, sagte man mir
Folgendes: Der Ort ist uns wohlbekannt. Vor einigen Jahren fuhr der französische Konsul mit Gästen
im Hausboot dahin, um Fasane zu jagen. Einige Dorfhunde kamen ihnen ins Gehege und die erbosten
Jäger erschossen sie. Hierauf wurden die Dorfbewohner so bedrohlich, dass die Schützen abziehen
mussten. Der Konsul beschwerte sich bei den Behörden und dem Dorfe wurde eine schwere Geldstrafe
auferlegt, an der es jahrelang zu zahlen hatte. Die Kollektivverantwortung ist ein großer Schutz gegen
Verbrechen jeder Art. In jedem Dorf, in jeder Gasse wird ein Bürger für Ruhe und Ordnung
verantwortlich gemacht und der Mann, der mich durch sein Stoßen vor dem Pöbel gerettet hatte, war
sicherlich einer der Verantwortlichen. Übrigens habe ich die Erfahrung gemacht, dass wo immer das
Volk sich feindselig zeigte, irgendein Konflikt mit Ausländern vorausgegangen war. Wo noch kein
Europäer gewesen war, waren die Leute zwar neugierig, aber nicht feindlich gesinnt.
Ichang ist ein kleines Nest. Wir waren, von den Missionaren abgesehen 5 Europäer im Zolldienst, der
englische Konsul und ein Arzt. Der Ort hatte eine gewisse Bedeutung als Endpunkt der Flussschifffahrt
und Umladeplatz der für die Provinz Ssech'uan bestimmten Waren. Am Eingang zu den
Stromschnellen des oberen Yangtse und zu den hier von den Bergen eingeschnürten Canons hatte er
einige landschaftliche Reize, die für gute Fußgänger erreichbar waren. Im übrigen war das Leben
überaus eintönig und die Hitze zeitweise unerträglich.
Im folgenden Jahr brach die Kommission nach Chungking auf: der Commissioner, ich und der
Hafenmeister. Die zwei alten Herren machten die Reise per Boot, ich wählte den Überlandweg. Dieser
führte durch eine fast unbekannte Gegend. Ich hatte eine Sänfte mit 5 Trägern, einen Diener und einen
Coolie, der das Gepäck trug. Da die Straße meist steil bergauf oder bergab ging, legte ich sie
größtenteils zu Fuß zurück und benützte die Sänfte nur beim Einzug in größere Ortschaften. Die Reise
dauerte 3 Wochen. Ich hatte ein Feldbett mit und lebte von einheimischen Reis, gemischt mit
Condensmilch oder Fleischextrakt. Zum Rauchen bediente ich mich getrockneter Tabakblätter, die ich
zu Zigarren drehte und in eine Messingpfeife stopfte. Der Tabak wird in Buden feilgeboten, deren
Besitzer ihn durch einen Sprühregen aus dem Munde feucht erhält. Die Hygiene gewöhnt man sich als
Pionier ab. Ich habe mir eine Praxis des Reisens in diesen Gebieten gebildet, die sich auch später
bewährt hat. In Orten, so noch kein Europäer war, ist es begreiflich, dass die Bevölkerung
zusammenläuft, wenn ein Fremder erscheint. Die Missionare tragen chinesische Kleidung, was hier
Misstrauen erregt, umso grösser ist die Neugierde, wenn jemand unverkleidet erscheint. Wenn ich also
in einem Gasthof abstieg und die Menge sich im Hof sammelte und selbst in das Zimmer eindrang,
war es das Erste, eine Wanne heißen Wassers zu bestellen und sich zu entkleiden. Da ergriffen die
Frauen mit den Kindern die Flucht. Die Männer sahen eine Weile zu, dann hörte ich sie sagen: „Es ist
nichts zu sehen, er ist ja ganz so wie wir.“ Damit zogen sie nach einander ab. War aber ein weißbärtiger
Mann darunter so lud ich ihn ein Platz zu nehmen und bot ihm meine Pfeife und Tee an. Damit war
das Herz der Leute gewonnen. Ich schrieb einen Bericht über diese Reise, der in den Sonderheften der
Maritime Customs gedruckt wurde.
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Paula von Rosthorn
Audienz bei der Kaiserin-Witwe
Die am chinesischen Hof akkredierten Gesandten gingen zur gemeinsamen Audienz, und kurz darauf
äußerte die Kaiserin den Wunsch, auch die Frauen der Diplomaten zu empfangen. Es kam eine in
allgemeinen Ausdrücken gehaltene Einladung für die Damen. Dadurch entstand eine große Aufregung
in den Gesandtschaften. Es wurde die Frage erörtert, ob die Einladung nur für die Frauen der
Gesandten oder auch für die Sekretäre und Dolmetscher gelte. Ein lebhaftes Intrigenspiel begann:
Einige Legationssekretäre luden die unverheirateten Gesandten zum Diner, und ihre Frauen
bearbeiteten sie, um ihnen das Versprechen abzunehmen, bei der anberaumten Sitzung der Gesandten
dafür zu stimmen, dass alle Damen des Diplomatischen Corps bei Audienz erscheinen dürfen. Nach
langen Verhandlungen wurde nun beschlossen, dass die Frauen der Gesandten und auch die der Ersten
Sekretäre teilnehmen sollten.
Der große Tag nahte heran. Unsere Doyenne, die amerikanische Gesandtin, lud uns alle den Tag vor
der Audienz zu sich, um eine Art Generalprobe vorzunehmen. Sie setzte sich in einen Lehnstuhl,
markierte die Kaiserin und verlangte, dass jede von uns vor ihr einen Hofknicks zu machen habe, was
aber von den meisten entrüstet verweigert wurde. Dann wurde noch genau die Rangordnung
besprochen, die nach der Anciennität der Gesandten ging, und tausend weitere ganz unwichtige
Einzelheiten.
Am Audienztag wurden vormittags alle Damen abgeholt. Vor unserer Tür standen eine große, ganz
mit gelbem Atlas ausgeschlagene Sänfte und acht Kulis in schäbiger kaiserlicher Livree; daneben ein
Beamter des Auswärtigen Amtes, der die Sänfte eskortieren sollte.
Ich stieg ein; die Träger packten die Stangen, und es ging los; im schnellsten Trott bis zu den Toren
der Kaiserstadt, dann durch viele Höfe hindurch bis zum See mit der großen Marmorbrücke.
Nun war an diesem Tag, wie so oft um diese Jahreszeit, ein heftiger Staubsturm, ein wahrer Orkan, so
dass die armen Träger beim Passieren der Brücke sich kaum auf den Beinen halten konnten. Eine von
den vielen Sänften, die der Frau des portugiesischen Gesandten, Mme. de Almeida, wurde tatsächlich
umgerissen, und Mme. de Almeida fiel zu Boden, wobei ein langer Riss in ihrem Kleid entstand und
sie selbst eine blutige Schramme bekam. Endlich kamen wir ans Ziel. Wir versammelten uns in einem
Vorraum des Audienzsaales. Nun aber mussten wir lange warten, weil die Toilette von Mme. de
Almeida erst repariert und sie selbst etwas restauriert werden musste.
Endlich kam das Signal zum Beginn der Audienzzeremonie. Wir ordneten uns nach unserem Range
und zogen hinter unserer Doyenne her.
Die Audienzhalle hatte, wie alle chinesischen Säle, drei Türen. Die mittlere wurde geöffnet und vor
uns war eine Estrade, zu der drei Treppen mit einigen Stufen hinaufführten. Oben stand ein großer
Wandschirm aus geschnitztem rotem chinesischem Lack, sehr alt und kostbar. Vor ihm der
Thronsessel der Kaiserin, mit gelben Polstern belegt, und davor ein Tisch, auf dem mehrere Vasen und
Schalen standen, die mit künstlichen Blumen und Zweigen aus Edelsteinen gefüllt waren. Im Saale
standen noch allerlei große Vasen aus Cloisonné, auch ein Phönix und ein Drache aus dem gleichen
Material. Was mir aber am meisten auffiel und in die Augen sprang, waren rechts und links vom
Thronsessel zwei dreiteilige Rasierspiegel auf vernickeltem Gestell, die den Chinesen offenbar als eine
besondere Kostbarkeit erschienen. Irgendein hoher chinesischer Beamter hatte sie jedenfalls in dem
einzigen europäischen Store in Peking gekauft und der Kaiserin zum Geschenk gemacht.*
* Anmerkung des Herausgebers:
Möglicherweise hatten diese aufgestellten europäischen Spiegel eine andere Bedeutung, als wie von Paula von
Rosthorn vermutet. Spiegel hatten und haben bei den geistergläubigen Chinesen eine besondere Abwehrwirkung.
Daher gehört etwa heute noch in China ein Spiegel zur Brautausstattung, um böse Geister fernzuhalten.
Möglicherweise glaubte man bei der Audienz, dass ausländische Spiegel am besten die schlechten Einflüsse der
ausländischen fremden Teufel abwehren könnten.
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Auf dem Thronsessel saß die alte Kaiserin, ganz steif wie ein Buddha – im Volksmund hieß sie auch
der „Alte Buddha“, was aber nicht ein Spott-, sondern ein Ehrentitel war. Sie trug ein herrliches
Gewand aus gelber Seide, das ganz mit Glycinienranken überstickt war, um den Hals ein kragenartiges
Netz aus schönen Perlen und den breiten Mandschukopfputz mit Edelsteinblumen und
Schmetterlingen.
Mrs. Conger, unsere Doyenne, bestieg die Stufen zur Estrade und hielt eine lange Ansprache in
englischer Sprache, die der amerikanische Dolmetsch zu übersetzen hatte. Dieser war aber sehr
aufgeregt, und als er nicht mehr weiter wusste, holte er einen Zettel aus seiner Tasche und versuchte
ihn auf seiner Handfläche abzulesen. Die Kaiserin schien das zu langweilen, sie sprach ein Wort zu
einem der neben ihr stehenden Prinzen, der dann zu dem Dolmetsch trat, ihm abwinkte und `Can do!´
sagte, was für den armen Mann recht beschämend war.
Mrs. Conger stellte darauf alle Damen vor, die der Reihe nach von links die Treppen hinaufstiegen
und ihren Knicks vor der Herrscherin machten. Die Kaiserin gab jeder die Hand nickte freundlich,
worauf die Damen die Treppen auf der rechten Seite wieder hinabstiegen. Oben, auf dem obersten
Absatz der Treppe, saß auf einem niederen Tabouret der arme junge Kaiser. Als ich an ihm vorbeiging,
bemerkte ich erst nachträglich, dass er mir auch die Hand geben wollte und sie dann wie ein gekränktes
Kind zurückzog. Das war natürlich eine große Unachtsamkeit von mir gewesen, die mir
wahrscheinlich von meinen Kolleginnen recht übel vermerkt wurde.
Nachdem alle Damen vorgestellt waren, versammelten sie sich in einem Saal, wo man einige Zeit
warten musste, bis es zur Mittagstafel ging. Diese war in einem neuen Pavillon gedeckt, der kürzlich
gebaut worden war. Es war dies ein sogenanntes europäisches Haus, aus grauen Ziegeln, mit Wellblech
gedeckt, ein langer Saal mit vier großen Bogenfenstern. Für die lange Tafel hatte die Kaiserin
europäisches Geschirr, Glas und Bestecke kaufen lassen, und auch ein weißes Tischtuch war
vorhanden. Damit dieses aber nicht beschmutzt würde, war darüber eine Wichsleinwand gebreitet, die
grün, gelb und lila großkariert war. Auch die Servietten waren ganz bunt bedruckte Baumwolltücher
– auf meiner klebte noch ein Zettel `Made in Germany, Krefeld´ -, und wenn sich eine Dame
unvorsichtig den Mund damit wischte, hatte sie grüne und rote Flecken im Gesicht.
Das Essen dauerte mehrere Stunden und bestand aus den raffiniertesten Gerichten der chinesischen
Küche. Es gab Suppen, Fleisch, Geflügel und Gemüse jeder Art und Form, alles auf kleinen
Schüsselchen, für jede Person schon klein vorgeschnitten; natürlich auch die berühmten
Schwalbennester – ein nicht unappetitliches Gericht, das wie weißliche Gelatine aussieht -,
Haifischflossen und Seegurken, aber auch ein Ragout, das nur aus Entenzungen bestand; für jede der
Damen – und wir waren über vierzig bei Tisch – wurde ein Schüsselchen hingestellt, das ungefähr
zwanzig Entenzungen enthielt; man kann sich da vorstellen, welches Massaker unter dem armen
Entenvolk angerichtet worden war. Es waren vielleicht hundert Speisen, die nacheinander aufgetragen
wurden; vieles schmeckte recht gut, anderes, besonders in Rizinusöl gebackene Mehlspeisen, musste
man vermeiden; bei der Reichhaltigkeit des Menus konnte man ohnedies nicht alles kosten.
Während der Tafel war es mit der Unterhaltung nicht gut bestellt, denn es waren nur zwei
Dolmetscherinnen vorhanden und keine der Damen konnte Chinesisch. Meine paar Brocken KuliChinesisch, die ich im Haushalt verwendete, kamen mir sehr zugute, so dass ich mit den beiden
Prinzessinnen, die neben mir saßen, doch eine kümmerliche Konversation führen konnte. Die fiel der
Kaiserin auf, die gegen Schluss des Essens aufgestanden war und einige Damen angesprochen hatte.
Sie setzte sich neben mich und legte mir selbst von Speisen vor. Dabei zog sie ihre eigenen Essstäbchen
durch die Lippen, um mir zu zeigen, dass sie rein seien, und steckte mir damit höchstpersönlich einige
Bissen in den Mund.
Sie sprach mir ihr Bedauern über die Boxerunruhen aus, versicherte mir, dass alles gegen ihren Willen
geschehen sei, und betonte, sie hoffe, dass uns kein Schaden daraus entstanden sei.*
* Das entsprach nicht der Realität. Siehe dazu: Gerd Kaminski, Der Boxeraufstand – entlarvter Mythkos, Wien 2000
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Ich hatte für diese Audienz meine Orden und die Kriegsmedaille angelegt, was die Kaiserin sehr
interessierte.
Mitten im Diner gab es einen lustigen Zwischenfall: Der Sturm, der den ganzen Morgen anhielt, riss
plötzlich einige der Fenster auf, und da die schlechte Bauart dieses neuen Pavillons ein genügendes
Festmachen der Fenster ausschloss, so wurden kurzerhand für jedes Fenster zwei Eunuchen bestellt,
die bis zum Schluss der Tafel sich dagegenstemmen und dauernd die Fensterflügel mit beiden Händen
zudrücken mussten.
Nach dem Essen wurden uns die Räume des Palais gezeigt, die Galerie der kaiserlichen Vorfahren,
verschiedene Thronsäle und Bibliotheken, die Wohnräume der Kaiserin und der Frauen des jungen
Kaisers usw. Dann wurden wir auf Barken über den See gefahren; durch die weitläufigen
Gartenanlagen zogen uns Eunuchen an gelben, seidenen Seilen in einer Art pferdeloser Pferdebahn.
Es war die Zeit der Päonienblüte, und überall waren herrliche Gruppen dieser Blumen zu sehen. Für
mich war dies nichts Neues, weil ich die Gartenanlagen des Sommerpalastes in Wan-chau-shan kannte,
die noch viel weitläufiger und abwechslungsreicher waren.
Nach dieser Besichtigung gingen wir alle in einen großen Hof, und es hieß, die Kaiserin werde Cercle
halten. Sie kam auch wirklich und sprach viele Damen an, während wir alle herumstanden.
Ununterbrochen wurde uns Tee in kleinen Tassen gereicht.
Als ich einmal nicht recht wusste, was ich mit meiner Tasse anfangen sollte, gab ich sie einem jungen,
neben mir stehenden Mann in die Hand, den ich für einen Diener hielt. Der nahm sie und blickte
erschrocken und hilfesuchend um sich. Da stürzten mehrere Eunuchen auf ihn zu, nahmen ihm die
Tasse ab, warfen sich vor ihm auf den Boden und machten Kotau. Da sah ich zu meinem größten
Schrecken, dass ich dem Kaiser von China meine Tasse zum Wegstellen gegeben hatte – der zweite
schwere Fauxpas an einem Tage!!
Bestürzt zog ich mich in einen entfernteren Teil des Hofes zurück und mischte mich in eine Gruppe
von chinesischen Prinzessinnen. Nachdem wir uns gemeinsam eine Weile unterhalten hatten, rief die
eine der Prinzessinnen einen Diener herbei und gab ihm einen Befehl. Zu meinem nicht geringen
Erstaunen warf sich der Diener vor ihr auf die Erde, griff unter ihren Rock und zog ihr die rotseidenen,
wattierten Hosen aus! Ganz ungeniert, in Gegenwart des Kaisers, des `Alten Buddha´ und der fremden
Damen, entledigte sich die Prinzessin dieses Kleidungsstückes, weil ihr zu warm geworden war! Und
niemand außer mir schien sich darüber zu wundern.
Daheim erwarteten uns schon von der Kaiserin übersandte Geschenke. Unter den Geschenken waren
viele reizende, blühende Sträucher und künstlich verkrüppelte Bäumchen in schönen, bunt bemalten
Porzellantöpfen auf schwarzen, hübsch geschnitzten Holzgestellen, allerlei Süßigkeiten, seidene
Taschentücher, gestickte Täschchen mit parfümierter Watte, kleine, billige Spiegel zum Anhängen
und – last not least – eine Schachtel mit einem Sortiment chinesischer, aus Bambus geschnitzter
Kämme! Wir hörten nachträglich, die Kaiserin hätte diese eigens ausgesucht, damit wir armen Frauen
uns doch auch einmal die Haare glattkämmen könnten – die damals modernen welligen Haarschöpfe
haben ihr offenbar gar nicht gefallen.
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Wilhelm S. Neyer
Weihe von Mönchen in Hangzhou
Anmerkungen des Herausgebers:
Bei den Österreichern, welche in China tätig wurden, handelte es sich in erster Linie um
Wasserbauingenieure. Der prominenteste unter ihnen war der ehemalige Leiter der
Donauregulierungskommission. Ministerialrat Ing. Ludwig Brandl, welcher lange Zeit hindurch als
inoffizieller Vertreter Österreichs in China fungierte. Ihm standen fünf österreichische Ingenieure zur
Seite, von denen außer Brandl Dl Alfred Tritthart am längsten in chinesischen Diensten stand.1 1929
bis 1931 befand sich darunter auch der 1902 geborene Diplomingenieur Wilhelm S. Neyer. welcher
wie die anderen vom Wasserbauamt der Provinz Zhejiang angestellt wurde. Das vom Wasserbauamt
1932 ausgestellte Dienstzeugnis bescheinigt ihm, dass er beim Bau der Eisenbahnbrücke über den
Qiantang Fluss tätig war, sowie Wasserstands- und Wassergeschwindigkeitsmessungen durchgeführt
hat und Arbeiten an der elektrischen Wasserpumpe in Hangzhou. All das mit einer guten
Arbeitsleistung.
Neyer war Mitglied einer kleinen österreichischen Kolonie in Hangzhou, in welcher er auch seine
Frau fand. Es handelt sich dabei um Steffi Muck, die Tochter von Regierungsrat Dr. Rudolf Muck,
welcher die Provinzregierung im Bereich des Polizeiwesens beriet. Die Ehe wurde am 28.5.1930 in
der Apostolischen Vikariatskirche zur unbefleckten Empfängnis Marias in Hangzhou geschlossen.
Doch 1931 erwies sich, dass die österreichische Kolonie in Hangzhou von der Funktion Zhu Jiahuas
in der Provinzregierung von Zhejiang abhängig war. Mit Brief vom 12.2.1931 ließ Zhu Jiahua den
österreichischen Vizekanzler und Außenminister Dr. Johannes Schober wissen, dass er aus politischen
Gründen die Leitung des Ressorts für Inneres der Provinz Zhejiang zurückgelegt habe. Daher könnten
verschiedene Berufungen aus Österreich aufgrund von Einsparungen der Provinzregierung nicht
durchgeführt werden. Manchen österreichischen Experten verschaffte Zhu Anstellungen bei der
Zentralregierung. Andere wie Wilhelm Neyer suchten selbst neue Aufgaben. Er fand ab 1.12.1931
Beschäftigung im Büro des Architekten LE. Hudec in Shanghai und bekam dort interessante Aufgaben
übertragen Die spannendste war wohl die Leitung beim Bau des ersten Wolkenkratzers in Shanghai.
Es war das 22 Stockwerke hohe Gebäude der Joint-Savings-Society, Ecke Bubbling-Well- Road und
Park-Road Corner, welches ab August 1932 errichtet und im November 1934 eröffnet wurde. Es
handelte sich dabei um die erste Stahlskelettkonstruktion im Fernen Osten mit Chromium-CopperSteel, welche Leichtigkeit mit hoher Belastbarkeit verband.2 Wie Neyer in seiner Einführung zu dem
neuen Bauwerk betonte, betrug die Belastbarkeit 35,5 bis 40 Tonnen pro Quadratzoll.3
Neyer berichtete auch über die Nutzung von Shanghais erstem Wolkenkratzer: Keller und Parterre
durch die Joint Savings Society, 1. Stock durch eine Kohlemienengesellschaft, bis zum 14. Stock
befanden sich die Räume des Park Hotels, zwischen 15. und 19. Stock Privatwohnungen. Im 20. Stock
waren Wassertanks und Maschinenräume, im 21. eine Besuchergalerie und im 22. Stock die
Feuerwache mit einem Ausblick bis 20 Meilen. Neyer betonte, es handle sich nicht nur um das höchste
Gebäude im Fernen Osten, sondern sogar zwischen London und Tokyo. Abgesehen von dieser
Bauführung war Neyer an anderen Pionierprojekten in Shanghai tätig. So zum Beispiel an der
Errichtung des Grand Theater, welches den größten Betonträger im Fernen Osten aufwies, am Bau des
Lafayette Kinos, von Privathäusern und anderen Gebäuden.4
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Gerd Kaminski, Else Unterrieder: Von Österreichern und Chinesen, Wien 1980, S. 614ff.
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F.L. King, Past Constructions in The Memorial Supplement for the Construction of 22 storied Building for the Joint
Savino' Society Shanghai, Shanghai 19334, S.5.
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Ebendort S.7
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Arbeitsbestätigung des Architekten LE. Hudec für Wilhelm Neyer vom 15.3.1935
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Neben der Dokumentation seiner Tätigkeit als Ingenieur verfolgte Neyer auch mit wachen Augen das
chinesische Leben, welches sich vor ihm abspielte und verfasste zu verschiedenen Themen
Aufzeichnungen, welche er später in Vorträgen in Österreich und auch in Beiträgen für das Wiener
Tagblatt, die Volkszeitung, die Reichspost, die Grazer Tagespost sowie für deutsche Zeitungen in
Shanghai einfließen ließ. Von besonderem Interesse sind seine Augenzeugenberichte über die
Ordinierung buddhistischer Mönche, das chinesische Theater und das Mondneujahr. Ende 1932 war
es ihm möglich an einer Zeremonie im berühmten Lingyin Kloster in Hangzhou teilzunehmen.5
„Unvergesslich wird mir jenes Schauspiel bleiben, das ich auf Fürbitte meiner chinesischen Freunde
mitansehen durfte! Es war die Priesterweihe im großen Ling-Yin-Tempel zu Hangzhou.
Fünfundzwanzig Novizen, unter ihnen fünfzehn weiblichen Geschlechtes, sollten buddhistische
Priester werden.
Seit vielen Jahrhunderten war es jedem Fremden strengstens untersagt, diesem Zeremoniell
beizuwohnen. Erst in allerjüngster Zeit, als auch einige Weiße, wie Trebitsch-Lincoln6, F.J. Hutcheson
und noch andere in die buddhistische Kirche eingetreten waren, hatte man es ganz ausnahmsweise
gestattet, dass Europäer zusehen dürfen.
Unter den mehr als viertausend Tempeln der südchinesischen Provinz Chekiang, ist der Ling-YinTempel in Hangchow einer der bedeutendsten, zu dem alljährlich viele Tausende der Gläubigen aus
allen Gegenden des Großen Reiches der Mitte wallfahren. Gleich wie bei uns überwiegt auch hier in
China das weibliche Geschlecht unter den Wallfahrern. Eine gelbe Kopfbinde und ein über die linke
Schulter gebundenes Säckchen, ebenfalls aus gelbem Stoff, in dem sich Opfergeld, Räucherstäbchen
und derlei befinden, machen die frommen Pilger schon von weiten kenntlich.
Wir passieren das Haupttor des Tempels, an dessen beiden Seiten gewaltige Wächtergestalten aus
Stein, überlebensgroß und bunt bemalen, die bösen Geister abwehren. Nun kommen wir in den
schmalen Vorhof. Breite Stufen führen zu einer grauen Steinterrasse. Auf ihr steht die erste Halle. Aus
dem verschlossenen Innern tönen dumpfe Gongschläge, helles Schellengeklingel dazwischen und leise
scharfe Triangelschläge. Dann in wundersam feierlichen Fluten die leicht näselnden Stimmen der
buddhistischen Mönche. — Wenige Schritte hinter der ersten Halle ragt eine ungefähr drei Meter hohe
Stützmauer auf. In der Mitte lagert feierlich und auf feierliches Schreiten berechnet eine breite
Freitreppe, etwas zurück die Haupthalle, rechts und links lugen fein geschwungene Dächer über die
weißen Umfassungsmauern. Seitlich an der Haupthalle gibt es Tempel, die zu Andachtszwecken
tagsüber geöffnet sind; sie umschließen einen großen rechteckigen Hof vor der Haupthalle, in dem
Tempeltänze, Massenversammlungen und alljährlich auch die Feuerprobe der buddhistischen
Priesterweihe abgehalten werden.
Die Feier ist für neun Uhr abends angesetzt. Uns Zuschauern wurde ein Zimmer im ersten Stock des
westlichen Seitentempels zugewiesen, von wo aus wir einen guten Ausblick auf den ganzen Schauplatz
hatten. In der tiefen Dunkelheit der pechschwarzen Nacht regte sich auf einmal etwas: Die großen Tore
der Haupthalle wurden geöffnet und eine lange Prozession buddhistischer Priester erschien
gemessenen Schrittes, brennende Pechfackeln in beiden Händen, die ein fahles, eigenartiges Licht über
den großen Platz verbreiteten. Sie stellten sich in gleichmäßigen Abständen voneinander auf und
empfingen dann die höchsten Würdenträger des Ling- Yin- Tempels, die in kostbare und seltsame
Gewänder gehüllt sich an der einen Längsseite postierten.
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Bericht in der Grazer Tagespost vom 11.12.1932
Zur Biographie Trebitsch-Lincoln, der in chinesischen buddhistischen Klöstern einem Waffenhandel aufzog, siehe Gerd
Kaminski, Else Unterrieder. Von Österreichern und Chinesen, Wien 1980, S. 604--605
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Nach einer Pause von einigen Minuten, die uns Zuschauern unendlich lang dünkte, kamen endlich die
Novizen in ihren gelblichen, kuttenähnlichen Gewändern. Beide Hände über der Brust gefaltet, den
Kopf gesenkt, betraten sie feierlichen Schrittes den Hof. Ihre Lippen murmelten leise Gebete.
Fünfundzwanzig Personen im Alter von sechzehn bis sechzig Jahren sollen in dieser Nacht als Priester
in die buddhistische Kirche aufgenommen werden, wenn sie die rituellen Zeremonien bestehen.
Dreimal umschreiten die Novizen in doppelter Reihe den großen Hof; sie sinken stets vor den hohen
Priestern andächtig in die Knie. Alles schweigt. Die gespensterhafte Ruhe wird durch einige schwere,
nachhallende Gongschläge unterbrochen. Die Novizen stellen sich wie auf ein Kommando in
vierfachen Reihen auf. Aus dem Haupttempel kommen die Zeremonienmeister, sie tragen groteske
Kleider und scheußliche Gesichtsmasken. Ihnen folgen die Musikanten mit Trommeln und Gongs.
Ein kurzer, heftiger Gongschlag! Die Novizen sinken auf die Knie, beugen ihre glattrasierten Köpfe
nach vorn, stützen ihre Hände flach auf die Erde. Die Zeremonienmeister gehen die Reihen ab und
malen mit Holzkohle einige kleine Kreise auf die Köpfe der Novizen. Gewöhnlich sechs oder acht
Kreise. Je mehr Kreise, desto größer später - nach bestandener Weihe — das Ansehen. Denn in jedem
dieser Kreise wird eine ungefähr zehn Zentimeter lange Kerze mit einer harzigen Masse festgeklebt
und - angezündet! In wenigen Minuten ist Arbeit beendet, die Zeremonienmeister treten ab, die
Novizen erheben sich unter eintönigem Gesang, Mut und Ausdauer erbittend.
Im Schein der auf den glattrasierten Köpfen brennenden Kerzen sind die Gesichter der Priesterschüler
deutlich erkennbar. Mit der dem Asiaten eigenartigen Ergebenheit und meist mit halbgeschlossenen
Augen, ziehen sie singend an uns vorüber. Die hohen Priester verfolgen aufmerksam jeden einzelnen
ihrer Prüflinge, während die Musikanten in eintönigem Takt den Gong anschlagen.
Die Kerzen sind auf den Köpfen schon erheblich heruntergebrannt. Das herabtropfende Wachs ist zu
grotesken Formen geronnen, hat aber bisher noch eine schützende Decke gegen die Kerzenflammen
gebildet. Doch plötzlich ein angsterfüllter Aufschrei! Die erste Kerze hat sich auf nackte Kopfhaut
durchgefressen. Das umgefallene Dochtende flammt heftig, alles Umliegende versengend. Eine
Novize krümmt und windet sich ... Im nächsten Augenblick Röcheln und Stöhnen. Ja, von allen Seiten
dringen markerschütternde Klagelaute. Die Musikanten versuchen durch lautes Spiel das Jammern zu
übertönen. Die Schädel der Novizen sind jetzt mit einer einzigen dickflüssigen Masse von
geschmolzenem Wachs bedeckt, in dem sich die Flammen der einzelnen Dochte zu einem Feuerbündel
vereinigt haben. Aus den vor Schmerz zusammengeschnürten Kehlen ist nur mehr schwacher Gesang
hörbar.
Da, ein Gebrüll! Man sieht einen Mann aus den noch immer im Rechteck herum Marschierenden
heraustreten. Mit beiden Händen zugleich hämmert er auf seine Schädeldecke, um die Flammen zu
ersticken. Aber in der nächsten Sekunde fällt er leblos zu Boden ... Noch zwei andere Männer haben
inzwischen Kampf gegen diese furchtbaren Qualen aufgegeben und noch sieben Novizen sinken
ohnmächtig um.
Der letzte Docht ist erloschen. Mit einem schmerzdurchklungenen Freudengeschrei stürzen Prüflinge
auf die Hohepriester zu, deren Amt sie von nun ab als Brüder teilen dürfen. Vorsichtig schwenkt der
Zeremonienmeister eine Schale kühlenden Öls über der versengten Kopfhaut der neuen Priester, die
zitternd in die Knie sinken.“
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Aus den Aufzeichnungen von Hans H. Hajek
Eine Besteigung des Mount Omei, Szetschuan in den dreißiger Jahren
Der Mount Omei (die Übersetzung des Namens ist - the lady with the moth eyebrows) ist einer der
fünf heiligen Berge in China, liegt in der Provinz Szetschuan und ist 3097m hoch.
Diese Expedition, man muss es schon so nennen, war durch Wochen geplant gewesen. Von Chengtu
bis zum Ort am Fuß des Berges ist es nur ca. 160 km, aber die Transportverhältnisse sind hier wie
überall in China, außerordentlich schwierig. Viele Freunde haben geholfen, diese Reise zu
ermöglichen und endlich war es so weit. Am 31. Juli brachen wir auf. Unsere Gesellschaft bestand
außer uns aus einem jungen chinesischen Augenarzt, der als Dolmetscher mitkam und auch als
Assistent, denn wir wollten auch in dieser entlegenen Gegend bestimmte besondere Augenkrankheiten
studieren; außerdem kommt das Ärzteehepaar aus Chengtu, bei denen wir seit zwei Monaten äußerst
angenehm und behaglich in ihrem schönen Haus am Campus der West China Union University gelebt
haben. Außerdem ein Koch und ein Kuli.
Wie immer, dauert es endlos, bis wir, im Autobus sitzend, endlich abfahren. Wir haben viel Gepäck,
unsere eigenen Betten, Kochgeschirr und verschiedenen Proviant. Die Klöster auf dem Berg sind
buddhistische und es gibt kein Fleisch. Die Fahrt geht lange durch die Ebene mit den reifenden
Reisfeldern. Nach 2 1/2 Stunden kommen wir zu einem großen Fluss. Hier beginnt die Schwierigkeit;
man muss mit einer Fähre übersetzt werden und es geht so langsam, dass wir viel Zeit verlieren und
unser Programm für diesen Tag ändern müssen. Außerdem beginnt es in Strömen zu regnen, wie ja so
oft hier, und die Fährleute wollen warten. Endlich kommen wir wieder weiter. Es regnet natürlich
durch das Dach des Autobusses durch. Die Chinesen tragen es wie immer mit Humor, es werden viele
Witze gemacht, sie sind das alles gewöhnt. Die Landschaft ändert sich langsam. Man sieht die weißen
Reiher, für die Szetschuan bekannt ist und viele Arten von Vögeln, die wir nicht kennen, Die ganze
Gegend ist von Kanälen durchzogen und ein ideales Nistgebiet für durchziehende Vogelschwärme.
Expeditionen, die Blumen und Vögel sammeln, sind ja immer nach Westchina gegangen. Hier beginnt
auch eine kleine Baumwollkultur, es blüht rosa und weiß und natürlich Maulbeerbäume für die Seide.
Die Reise wird recht mühsam, die Sitze sind eng, die Chinesen sind ja viel kleiner und schmäler wie
wir. Nach 12stündiger Fahrt kommen wir in Kiating an. Bei herrlichem Vollmond fahren wir entlang
dem Fluss durch die ganze Stadt zu einem Missionar, der uns für heute Nacht aufnehmen wird. Unser
Gepäck wurde ziemlich nass, leider auch die Betten.
1.8. Wir haben heute mit Rikschas ca. 35km nach Bau Kwei Ssi zu fahren, am Fuß des Mount Omei.
In der Nacht hat es stark geregnet, aber es ist jetzt kühl. Noch sind wir recht müde vom Autobus und
die Rikscha ist auch nicht gerade erholend. Das Gelände ist recht hügelig und es ist noch immer für
uns schrecklich zu sehen, wie sich die Leute plagen, um uns zu führen. Hier sehen wir auch die ersten
Trupps der kleinen Entchen. In den ersten Sommerwochen werden in den Dörfern hier, auf eine höchst
primitive weise, aber genial, Tausende von Enteneiern ausgebrütet und die noch mit Flaum bedeckten
kleinen Tiere werden langsam über die ganze Ebene, bis nach Chengtu getrieben. Ein weiter Weg.
Jetzt wird hier schon der Reis geerntet und sie finden Futter in Hülle und Fülle. Auf den vielen Kanälen
schwimmen sie dahin und es ist reizend, sie so in kleinen Flottillen zu sehen. In der Nacht werden Sie
auf eine ausgebreitete Matte aus Bambus getrieben, dann wird ein kleines Gitter um sie gestellt; meist
werden sie von einem alten Mann und einem Buben begleitet, auch sie schlafen auf einer Matte, breiten
eine andere über sich und das Hotel ist fertig.
Westchina ist auch der Platz, wo man den schönen Bambus sieht. Die Chinesen nennen ihn „einen
ihrer drei großen Freunde", Bambus, die Föhre, die Mei-Hua, eine Art Pflaumenblüte, die mitten im
Winter, in großer Kälte, blüht und die chinesische Nationalblume ist. Sie machen einfach alles aus
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Bambus: Gefäße, Häuser, Boote, Matten, Papier die Sprossen werden gegessen und sind ein
wunderbares Gemüse. Hier steht er, oft in ganzen Wäldern oder großen Bosketts, und man versteht,
warum die Maler, auch die Modernen, immer wieder den Bambus malen. Wir essen unterwegs in
kleinen Dörfern und sofort, wenn wir uns niedersetzen, stehen 40-50 Leute um uns herum. Es kommen
nicht viele Fremde hierher und so sind wir sehr interessant. Um vier Uhr sind wir endlich in Bau Kwei
Ssi. Hier warten schon, mit großem Lärm und Getue, unsere Träger. Wir haben 8; 4 für das Gepäck
und 4 für den „Hwoggan". Das ist ein Tragesessel, bestehend aus zwei Bambusstangen und dazwischen
einem Sitz. Zwei Männer tragen ihn auf den Schultern und er wird uns gute Dienste leisten. Wir gehen
in einem herrlichen, schattigen Wald aus riesigen Bäumen. Wie sie heißen, wissen wir nicht; es gibt
so unendlich viele verschiedene. Natürlich wieder Bambus. Die Zikaden machen einem richtige
Urwaldmusik, die Frösche beginnen und man muss laut reden, um sich hörbar zu machen. Der Weg
ist immer mit breiten, flachen Steinen belegt und nicht steil im Anfang. Es beginnen die Tempel; es
gibt Hunderte von heiligen Stätten hier, Schreine, Grotten, Tablets etc. Zu unserer Enttäuschung blüht
nur mehr wenig. Die Lilien sind schon vorbei, wir sehen nur mehr die Blätter. Der Weg wird steiler;
wo nicht Wald ist, ist alles mit Mais bepflanzt, bis hoch hinauf. Alles ist anders als bei uns. Der Berg
hat nicht ein Stückchen Wiese. Die Hänge sind fast senkrecht, mit üppigster Vegetation bedeckt,
Felsen sind recht wenig zu sehen. Der Weg, der steil hinaufführt, geht ebenso steil, zu unserem Ärger,
wieder hinunter. Wir vergessen, dass wir auf einem Berg sind, der eine berühmte Pilgerfahrt sein soll
und der Weg soll nicht direkt auf den Gipfel führen, sondern an vielen Tempeln und heiligen Stätten
vorbei, wo die Pilger Andacht halten können. Und es liegt auch im chinesischen Wesen, sie lieben den
direkten, geraden Weg nicht. Die Tempel haben nichts Besonderes an schönen Geräten, nur ihre Lage
ist immer wunderschön; auf einem Kamm, auf einem kleinen Gipfel, in einer tiefen Schlucht gelegen,
haben sie einen wundervollen Ausblick. Wir erreichen den „großen Bergtempel", wo wir übernachten
wollen. Wir bekommen Zimmer angewiesen in einem ganz neu gebauten Teil, es sieht erstaunlich
reinlich aus. Der Hof, oder besser die verschiedenen Höfe, sind reizend. Man wird in China in den
Tempeln oft an die kleinen Klostergärten in Italien erinnert. Hier stehen mächtige Musa, noch blühen
einige herrliche Lilien, die wir nie gesehen haben und in den Bäumen aufgehängt in Körben, Orchideen.
In der Dunkelheit beginnen die Leuchtkäfer zu fliegen, der Gong wird angeschlagen und man fühlt,
dass man weit weg von Europa ist. Der alte Name dieses Tempels ist „der Schrei von Glück und
langem Leben”. Überhaupt die Namen! Da ist das Kloster des „gezähmten Tigers”, der „Purpurblüte”,
der „himmlischen Mädchen”, der „ehrenwerten Bäume” usw. Viele Legenden gibt es um diesen Berg;
eine sagt, dass schon 2697 v. Chr. der „Gelbe Kaiser" ihn bestiegen habe. Jedenfalls gehen Pilger seit
undenklichen Zeiten hierher. Man sieht sehr wenige unterwegs; die Mönche sagen, durch das
Ansteigen der Preise können die Leute nicht mehr reisen und wir glauben es gerne.
2.8. Heute geht es wieder steil bergauf. Noch immer sehen wir auf den gerodeten Stellen den Mais
hoch hinaufsteigen; wie die Leute ihn ernten? In den Feldern sieht man auch hie und da Teesträucher
und einen besonderen Baum, eine Art Esche. Aus der Provinz Yunnan werden besondere Parasiten,
wahrscheinlich Läuse, hierhergebracht und auf den Zweigen ausgesetzt. Sie überziehen diese mit einer
wachsartigen Substanz. In früheren Jahren war das ein großer Export nach Frankreich; man verwendet
es für das Herstellen von Devotionalien. Jetzt kaufen es die buddhistischen Klöster zu demselben
Zweck. Wir steigen durch Schluchten auf Grate und wieder in Schluchten; es gibt wundervolle Bäche
und Wasser hier, aber wir wagen noch nicht zu trinken. Der Berg selbst ist nicht zu sehen, es sind
Wolken und wir sehen die klassischen Bilder der chinesischen Landschaft, die uns immer übertrieben
erschienen. Aber die Hänge sind wirklich steil. Die Halden sind bedeckt mit einer Art stark riechender
Sträucher, Glorianthus, sehen wir und eine große weiße Klematis. Myrthen Stechpalmen, wilde
Kirschen, alle Arten von exotischen Nadelbäumen und bald auch riesige Rhododendren. Wie schön
muss es hier im Frühjahr sein! Wir essen Mittag im Kloster „zu den wilden Wassern und ehrenwerten
Bäumen”. Auf einer Terrasse, hoch über einer tiefen Schlucht sitzend, schauen wir in die Landschaft.
Der Mönch sagt uns, dass sie oft auf den gegenüberliegenden Hängen Tiger und Affen sehen. Die
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riesigen alten Bäume sind Gingko und wahrscheinlich Eichen. Hunderte und Tausende von steilsten
Stufen haben wir zu steigen und ich nehme gerne den Tragesessel. Jetzt ist es köstlich. Man wird durch
die herrliche Landschaft getragen, kann alles mit Muße betrachten und man versteht, dass die
chinesischen Maler und Dichter, so reisend, ihre Werke komponierten. Man kann recht gut schreiben,
ich versuchte es auch. Abends kommen wir zum Kloster „der 9 Weisen in der Grotte”. Bis jetzt war
das Wetter bedeckt, aber langsam beginnt es zu regnen. Vor dem großen Kloster ist eine Terrasse.
Bedeckt mit blauen Hortensien, wie wir sie kennen, roten Stockrosen und vielen feurigen Nelken. Mit
den grauen Steinen der Terrasse gibt es ein wunderschönes Bild. Bald regnet es in Strömen und es
bilden sich auf den gegenüberliegenden Wänden herrliche Wasserfälle.
3.8. Es ist trüb, aber kühl. Das Steigen, bergauf und bergauf, wieder wie gestern. Zu Mittag kommen
wir zum „Bad der Elefanten”. Die Legende sagt, dass Buddha aus Indien, auf einem weißen Elefanten
fliegend, hierher kam und hier das erste Kloster erbaute. Man zeigt uns auch das angebliche Bad; es
ist eine kleine Zisterne, etwas ungenügend für einen Elefanten. In jedem Kloster werden wir natürlich
gefragt, wer wir sind und sofort haben die Ärzte zu ordinieren. Augen- und Hautkrankheiten sind ja in
China außerordentlich häufig. Im Kloster gibt es schöne alte und moderne Bilder. Besonders eines, 7
spielende Affen über einer Schlucht mit einem Fluss, begeistert uns. Der Maler ist augenblicklich in
Paris. Auf unserem weiteren Weg sehen wir ein paar Enziane, ganz anders wie bei uns; wie viele
Veilchen, blühen sie in Ranken. Sehr viele wilde weiße und rosa Begonien können wir sehen. Das
Dickicht zu beiden Seiten des Weges scheint undurchdringlich, aber die Träger sagen, sie können
leicht durchgehen, wenn sie wilde Schafe jagen. Nach einer letzten wahren „Himmelsleiter” von
steilsten, hohen Stufen kommen wir zum „Goldenen Gipfel". Der Ausblick ist herrlich. Wir sehen weit
in die Berge Tibets. Noch immer begleitet uns üppige Vegetation, kein Felsen ist zu sehen. Wilder
Rittersporn, alle Arten von Anemonen, noch nicht blühend und Büschel von Edelweiß wachsen neben
den Tempeln. Große herrliche Blautannen, denen man leider die untersten Äste abgehackt hat, stehen
hier. Anstatt der Wiese ist alles bedeckt mit einem Zwergbambus; es soll 18 verschiedene Arten geben.
Ein amerikanischer Arzt, der vor uns hier war und Farnkräuter sammelt, erzählte uns, dass er 80
verschiedene Sorten auf dem Omei finden konnte. Nach Osten geht der Blick in die Täler, viele
Hunderte Meter. Unmittelbar daneben steht das Kloster „des auf den Wolken ruhenden Schreines”,
wo wir schlafen werden. Es ist sehr kalt. Unsere feuchten Betten sind nicht gerade einladend zum
Schlafen. Der Haupttempel hat schöne Holzschnitte, einen herrlichen Schrein und Stickereien.
4.8. Wir wollen heute noch nach Bau Kwei Ssi kommen und haben einen weiten Weg. Immer Stufen.
Immer Stufen. Es ist recht anstrengend. Das Wetter ist prachtvoll, wir haben wirklich Glück. Hier
begegnen wir auch manchen Pilgern. Es sind alles alte Leute, die Frauen noch mit ihren kleinen,
gebundenen Füßen. Wir essen Mittag, in einem schönen Tempel mit Aussicht auf den „Tempel der 9
Weisen”. Riesige Schmetterlinge und Wasserjungfern fliegen herum. Die letzten Stunden sind
mühsam. Es ist sehr heiß und die vielen steilen Stufen! Das letzte Stück führt uns entlang einem Fluss,
in einer tiefen Schlucht und endlich erreichen wir, sehr müde, unser Ziel. Es ist ein sehr großer Tempel,
ziemlich verfallen und schmutzig. Die Anlage selbst aber ist immer großartig. Wir können längere Zeit
nicht schlafen, da die Priester ihre Abendandacht halten und Gebet und Gong und Trommel noch lange
zu hören sind.
5.8. Heute haben wir den langen Weg mit der Rikscha nach Kiating. Wieder sehen wir die vielen
weißen Reiher, die kleinen Entchen. Wir wohnen heute bei einer Kanadierin, die uns wie eine Freundin
aufnimmt. Das Haus, am Fluss gelegen, ist kühl und der Garten duftet von blühenden Orchideen,
Cympidien. Alle unsere Sommerblumen, Zinnien, Dahlien etc. blühen auch neben Palmen und
Bambus, ein reizender Anblick. Über dem Fluss sehen wir ein paar felsige Inseln, die wir morgen
anschauen wollen.
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6.8. Die Ärzte sind im Spital und ich ruhe mich aus. Nachmittag fahren wir über den Fluss und landen
auf einer der Inseln. Im Vorbeifahren sehen wir einen viele meterhohen Buddha, der aus dem roten
Sandstein gemeißelt ist; leider hat man vor zwei Jahren sein Gesicht, das stark verwittert war, mit
Zement renoviert, aber von Weitem sieht er noch immer sehr eindrucksvoll aus. Die Farben sind hier
köstlich. Flache rote Sandsteinstufen, grüne Bambusbosketts, der blaue Fluss geben ein wundervolles
Bild. Hier ist das China, das wir lieben. Die Landschaft hat eine unbegreifliche Harmonie. Auf der
Spitze des Hügels, vorbei an kleinen Kiosken und Gedenksteinen, kommen wir zu dem schönsten
Tempel, den wir bis jetzt in China sahen. Schon in der Han-Dynastie haben hier Mönche und Dichter
gewohnt. Der Tempel hat viele größere und kleinere Höfe, uralte Bäume und das Dach ist mit
hellgrünen glacierten Ziegeln gedeckt. Die Tore sind reich geschnitzt und vergoldet; in der großen
Haupthalle sind die 500 Lohans zu sehen, manche in Gruppen komponiert. Sie erinnern uns oft an die
Apostelgruppen Riemenschneiders. Der Blick geht über die Stadt und die unter uns sich vereinigenden
zwei Flüsse, Ming und Tung. Wir sehen Gräber in den Felsen aus der Han-Dynastie; es ist nicht viel
zu sehen, aber man spürt, dass in diesem Lande alles sehr alt ist. Auf einem solchen Platz vergisst man
Vieles, was so oft irritiert und unverständlich ist in China und man liebt diese Seite ihres Lebens sehr.“
Anmerkungen des Herausgebers:
Neyer, Hajek und ihre Erinnerungen sind im Zusammenhang mit der damaligen Situation Chinas zu
sehen. Der Ausländer war privilegiert und dies schien ihm ebenso selbstverständlich zu sein, wie die
Art, sich von der Bevölkerung des durch Bürgerkriege zerrissenen und von Großmächten
ausgebeuteten China bedienen zu lassen. Dennoch enthalten die Texte interessante Momentaufnahmen
chinesischer Kultur, Landschaft, Lebensweise und letztlich auch die von den privilegierten Betrachtern
gezollte Bewunderung.
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