[go: up one dir, main page]

Academia.eduAcademia.edu

E-Assessment

2009, Wirtschaftsinformatik / Angewandte Informatik

WI – SCHLAGWORT E-Assessment DOI 10.1007/s11576-009-0169-7 Die Autoren Dipl.-Wirtsch. Inf. Sven Laumer Dipl.-Wirtsch. Inf. (FH) Alexander von Stetten M.Sc. Otto-Friedrich-Universität Bamberg Centre of Human Resources Information Systems Feldkirchenstraße 21 96052 Bamberg Deutschland {sven.laumer | alexander. von-stetten}@uni-bamberg.de Dipl.-Kfm. Andreas Eckhardt Goethe-Universität Frankfurt am Main Centre of Human Resources Information Systems Grüneburgplatz 1 60325 Frankfurt am Main Deutschland eckhardt@wiwi.uni-frankfurt.de Eingegangen: 2008-12-06 Angenommen: 2009-03-13 Angenommen nach zwei Überarbeitungen durch Prof. Dr. Sinz. This article is also available in English via http://www.springerlink.com and http://www.bise-journal.org: Laumer S, von Stetten A, Eckhardt A (2009) E-Assessment. Bus Inf Syst Eng. doi: 10.1007/s12599-009-0051-6. 1 IT-gestützte Personalauswahl Bereits seit mehr als 40 Jahren werden Computer zur Eignungsdiagnose von Bewerbern im Personalbeschaffungsprozess eingesetzt. Die Motivation für eine computergestützte Bewerberauswahl lag dabei zunächst in der Realisierung von Zeiteinsparungen sowie in der qualitativen Verbesserung der Bewerberselektion, die durch eine Kombination von computerbasierten Auswahlverfahren und klassischen Vorgehensweisen, wie beispielsweise Jobinterviews, erreicht werden sollte. Typische Nutzergruppen in dieser frühen Phase 306 computergestützter Eignungsdiagnostik waren staatliche Arbeitsmarktinstitutionen und das Militär (Bartram 2000; Konradt u. Sarges 2003). Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets in den späteren 1990er-Jahren erhöhte sich die Attraktivität dieses Mediums auch im Hinblick auf die Personalbeschaffung (Arbeitgeberseite) und die Stellensuche (Arbeitnehmerseite). Der enorme Anstieg der Nutzerzahlen führte in vielen Unternehmen zu der Erkenntnis, dass das Internet im Bereich der Rekrutierung eine neue Ressource für die Suche nach geeigneten Kandidaten darstellt. Zudem hatte die verstärkte Internetnutzung durch Unternehmen zur Folge, dass auch Stellensuchende das Potenzial des Webs erkannten (Bartram 2000; Konradt u. Sarges 2003). Diese Umstände führten in Kombination mit der großen Reichweite des Internets zu einem starken Anstieg der Bewerberzahlen. Von Seiten der rekrutierenden Organisationen bestand folglich die Problematik, aus dieser angewachsenen Menge an Bewerbern die passenden herauszufiltern. Herkömmliche Auswahlverfahren mit oder ohne Computerunterstützung waren hierfür nur bedingt geeignet, da ihre Durchführung orts- und zeitgebunden war. Den angesprochenen Vorteilen (Zeiteinsparungen und eine qualitative Verbesserung der Bewerberselektion) stand ein hoher Kosten- und Organisationsaufwand gegenüber, da jeder Bewerber zu einem festgelegten Zeitpunkt an einem festgelegten Ort an einem derartigen Selektionsverfahren hätte teilnehmen müssen. Folglich entstand die Idee, Auswahlverfahren, die normalerweise im persönlichen Kontakt ablaufen (Kupka 2008), auch online und somit zeit- und ortsunabhängig durchzuführen. Dieses „computerized ‚enhanced‘ testing“ (Konradt u. Sarges 2003) begründet das heutige E-Assessment im Kontext der Personalbeschaffung. 2 E-Assessment zur Personalvorauswahl 2.1 Begriff und Formen der Umsetzung Internetgestützte Verfahren zur Beurteilung und Vorhersage beruflich relevanter biografischer und psychologischer Variablen zur Abschätzung der Eignung eines Kandidaten für eine ausgeschriebene Stelle lassen sich im Kontext der Personalbeschaffung unter dem Überbegriff EAssessment1 zusammenfassen (Konradt u. Sarges 2003; Kupka 2008). Das grundsätzliche Ziel von E-Assessment im Rahmen der Personalvorauswahl ist es, durch den internetbasierten Abgleich der Bewerberfähigkeiten und -fertigkeiten mit den Anforderungen eines Stellenprofils eine möglichst kurze Auswahlliste passender Kandidaten zu generieren (Bartram 2000; Buzzetto-More u. Alade 2006). Eignungsdiagnostische Instrumente, zu denen auch E-Assessment-Verfahren zählen, können entsprechend ihrer Methodik klassifiziert werden. Dabei wird zwischen dem Eigenschaftsansatz, dem Simulationsansatz und dem biografischen Ansatz unterschieden. Über den Eigenschaftsansatz werden Personenmerkmale erfasst, die als relativ stabil angenommen werden (z. B. sprachgebundene Intelligenz, Interessen, Gewissenhaftigkeit). Mithilfe des Simulationsansatzes soll das situationsgebundene Verhalten einer Person festgehalten werden, das in vergleichbarer Form am Arbeitsplatz zu erwarten ist. Die Erfassung der biografischen Daten einer Person erfolgt über den gleichnamigen methodischen Ansatz (Schuler u. Höft 2006). Abb. 1 illustriert die drei genannten eignungsdiagnostischen Ansätze im speziellen Kontext des E-Assessment. Typische Messverfahren im Rahmen des Eigenschaftsansatzes sind psychologische Tests, wie beispielsweise Persönlichkeits-, Einstellungs- oder Motivationstests. Diese Verfahren wurden ursprünglich als Papier-und-Bleistift-Tests entwickelt und später auch computertechnisch (offline) 1 Die Begriffe E-Assessment und Online-Assessment werden im vorliegenden Artikel analog zu Hertel und Konradt (2004) synonym verwendet. WIRTSCHAFTSINFORMATIK 3 | 2009 WI – SCHLAGWORT unterstützt. Die Übertragung derartiger Tests ins Internet in der jüngeren Vergangenheit stellt eine Facette des heutigen EAssessment dar. Eine Arbeitsprobe, in der situationsgebundene Aufgaben zu lösen sind, ist eine klassische Erhebungsform des Simulationsansatzes. Dabei werden typische berufsbezogene Szenarien simuliert, die von Bewerberseite bearbeitet werden. Auch solche Verfahren wurden anfangs ohne den Einsatz technischer Hilfsmittel vollzogen, bevor eine internetgestützte Durchführung folgte. Hinsichtlich typischer Erfassungsmethoden des biografischen Ansatzes lässt sich zunächst zwischen fragebogen- und intervieworientierten Verfahren unterscheiden. Im Rahmen fragebogenorientierter Verfahren werden klassische biografische Daten wie Schulbildung oder Arbeitserfahrung mit Hilfe eines standardisierten Webformulars abgefragt. Intervieworientierte EAssessment-Methoden sind beispielsweise Videokonferenzen oder internetgestützte Interviews, die eine Alternative zu Telefonkonferenzen oder persönlichen Interviews darstellen. Die Identifikation der besten Kandidaten aus allen eingegangenen Bewerbungen kann durch eine systematische Kombination der einzelnen eignungsdiagnostischen Ansätze erreicht werden, wodurch alle maßgeblichen Facetten einer Person abgedeckt werden (Hertel u. Konradt 2004; Kupka 2008; Schuler u. Höft 2006). 2.2 Vor- und Nachteile E-Assessment-Methoden zur Vorselektion im Rahmen des Rekrutierungsprozesses besitzen gegenüber Offline-Verfahren wie dem klassischen Assessment-Center eine Reihe von Vorteilen, von denen die wichtigsten nachfolgend vorgestellt werden (Konradt u. Sarges 2003; Kupka 2008). Zeit- und Ortsunabhängigkeit Die Teilnahme an Online-Simulationen oder Online-Tests wie auch das Ausfüllen eines Webformulars erfolgen in der Regel zeit- und ortsunabhängig. Eine Einschränkung in temporärer Hinsicht ergibt sich lediglich durch die von Unternehmen vorgegebene Frist, binnen derer das E-Assessment durchgeführt werden muss. Innerhalb dieses Zeitraums können Bewerber jedoch an derartigen E-Assessment-Verfahren partizipieren, wann immer sie wollen. Eine Ausnahme WIRTSCHAFTSINFORMATIK 3 | 2009 Abb. 1 E-Assessment – Ansätze der Eignungsdiagnostik (in Anlehnung an Schuler u. Höft 2006 sowie Kupka 2008) bilden in diesem Fall internetgestützte Interviews, deren Durchführung eine zeitliche Abstimmung der beteiligten Parteien erfordert. Neben der infolge von Zeit- und Ortsunabhängigkeit erhöhten Flexibilität auf Bewerberseite, ergibt sich für Unternehmen vor allem eine vereinfachte und f lexiblere Administration. So muss ein Online-Test beispielsweise nur einmal zu Beginn des gewährten Testzeitraums implementiert werden, und weitere administrative Aufgaben können von einer einzigen Person ortsunabhängig online durchgeführt werden. Potenziale für Einsparungen E-Assessment-Verfahren besitzen gegenüber eignungsdiagnostischen OfflineVerfahren Einsparpotenziale. So führen Online-Simulationen oder Online-Tests auf Unternehmensseite zu zeitlichen Einsparungen gegenüber der Durchführung der vergleichbaren Offline-Methoden, da der Aufwand für die Organisation einer Präsenzveranstaltung entfällt. Durch diesen Umstand ergeben sich infolge der Ortsunabhängigkeit weiterhin Potenziale für Raum-, Material- und Personaleinsparungen. Bewerber sparen sich zudem die Anreise zu einer Präsenzveranstaltung. Viel diskutierte Nachteile von E-Assessment-Verfahren gegenüber Auswahlmethoden, deren Durchführung nicht an das Internet gebunden ist, sind unter anderem die folgenden (Hertel u. Konradt 2004; Kupka 2008). Manipulation von Testergebnissen Die Tatsache, dass E-Assessments wie Online-Simulationen oder -Tests keine Präsenz der Bewerber vor Ort erfordern, lässt Raum für Täuschung und Irreführung. So ist es möglich, dass eine teilnehmende Person Hilfestellung von dritter Seite entgegennimmt oder dass gar nicht die Person an den AssessmentMaßnahmen partizipiert, die sie vorgibt zu sein. Die negativen Auswirkungen derartiger Manipulationen sind jedoch überschaubar, da in der Regel vor der endgültigen Einstellungsentscheidung weiterhin persönliche Interviews mit den Kandidaten abgehalten werden. Technische Faktoren Werden bei einer Bewerbervorauswahl E-Assessment-Maßnahmen gefordert, muss gewährleistet sein, dass alle Bewerber Zugang zu einem Computer mit den entsprechenden Systemvoraussetzungen sowie eine ausreichend leistungsfähige Internetverbindung besitzen. Weiterhin muss klar geregelt sein, wie im Falle von Verbindungsabbrüchen zu verfahren ist, so dass Bewerber möglichst nicht das gesamte E-Assessment erneut durchlaufen müssen und auf Seite der Organisationen 307 WI – SCHLAGWORT Abb. 2 E-Assessment – Nutzungszahlen und Potenziale im Jahr 2008 zum Schluss keine redundanten Ergebnisse vorliegen. Ressourcenaufwand Die Einführung von E-AssessmentMaßnahmen ist in der Regel mit einem verhältnismäßig hohem Ressourcenaufwand verbunden (z. B. Implementierung und Einführung einer Online-Simulation oder systemtechnische Realisierung der Bewerbungsmöglichkeit per Webformular auf der eigenen Unternehmenswebseite). Vor diesem Hintergrund ist die Frage entscheidend, ob sich einzelne E-AssessmentVerfahren für ein Unternehmen lohnen. Die Beantwortung dieser Frage ist in hohem Maße vom Bewerberaufkommen abhängig. 2.3 Status Quo in deutschen Unternehmen Nach der Betrachtung der Vor- und Nachteile von E-Assessment ist die tatsächliche Nutzung von E-Assessment auf Unternehmens- und Bewerberseite Gegenstand dieses Kapitels. Insgesamt zeigt sich, dass die Entwicklung von IT-gestützten Selektionsverfahren im Rahmen von Simulationen noch am Anfang steht. So gaben für das Jahr 2008 erst 7,6 Prozent der 1.000 größten Unternehmen in Deutschland an, ein E-Assessment bereits einzusetzen und weitere 7,6 Prozent planen dies zu tun (siehe Abb. 2). Eine Analyse der erwarteten Potenziale von E-Assessment ergab, dass vor allem Verbesserungen hinsichtlich 308 Kosten, Zeit und Qualität erwartet werden (Laumer et al. 2009). So prognostizieren 44,3 Prozent eine verkürzte Time-to-Hire, 47,4 Prozent eine gesteigerte Effektivität der Bewerberselektion und 22,1 Prozent sinkende Kosten (siehe Abb. 2). Als ein weiterer Vorteil wird von den Personalverantwortlichen der 1.000 größten Unternehmen in Deutschland angegeben, dass E-Assessment hilft, bereits früh im Selektionsprozess Softskills (Kommunikationsfähigkeit, Persönlichkeit, soziale Kompatibilität) zu erfassen und zu beurteilen (Eckhardt et al. 2008). 3 Ausblick Wie die empirischen Ergebnisse des vorangegangenen Abschnitts gezeigt haben, steht die Nutzung von E-Assessment noch am Anfang und die Nutzerzahlen sind vergleichsweise gering. Dass E-Assessment aber grundsätzlich ein großes Potenzial für den Personalbeschaffungsprozess besitzt, untermauern zwei zusätzliche Vorteile der Nutzung. Zum einen lässt sich ein E-Assessment als Prozessstufe praktikabel in ein ganzheitliches E-RecruitingSystem integrieren, um in Verbindung mit Recommender-Systemen eine wirksame Vorselektion hoher Bewerberquantitäten zu ermöglichen (Buzzetto-More u. Alade 2006), oder es kann als Grundlage für das Zusammenstellen von Arbeitsgruppen dienen (Malinowski et al. 2008). Weiterhin kann E-Assessment den Aufbau einer positiven Arbeitgebermarke unterstützen (Phillips 1998). Dies zeigt der Fall eines der größten europäischen Verlagshäuser, das durch das Angebot eines E-Assessments in Form einer Online-Simulation nicht nur die Passgenauigkeit der Kandidaten auf die zu besetzenden Stellen erhöhen, sondern auch die Gesamtzahl der Zugriffe auf die eigene Webseite und auf das dazugehörige Karriereportal steigern konnte (Laumer et al. 2009). Dieser erhöhte Zugriff trat auf, da Nutzer der Onlinesimulation ihren Freunden, Bekannten oder sonstigen Personen ihres persönlichen Netzwerkes die Teilnahme als spannend und informativ empfohlen hatten. E-Assessment sollte im Rahmen zukünftiger Forschung nicht nur als virtuelles Selektionsinstrument, sondern auch als eine wirkungsvolle Maßnahme für Employer Branding diskutiert werden. Literatur Bartram D (2000) Internet recruitment and selection: kissing frogs to find princes. International Journal of Selection and Assessment 8(4):261– 274 Buzzetto-More N, Alade AJ (2006) Best practices in e-assessment. Journal of Information Technology Education 5(1):251–269 Hertel G, Konradt U (2004) Human Resource Management im Inter- und Intranet. Hogrefe, Göttingen Eckhardt A, Laumer S, Weitzel T, König W (2008) Recruiting Trends 2008 – Eine empirische Untersuchung mit den Top-1.000-Unternehmen in Deutschland sowie den Top-300-Unternehmen aus den Branchen Energieversorgung, Gesundheit und Wellness sowie Informationstechnologie. Bamberg und Frankfurt am Main Konradt U, Sarges W (2003) E-recruitment und eassessment. Hogrefe, Göttingen Kupka K (2008) E-Assessment. Cuvillier, Göttingen Laumer S, von Stetten A, Eckhardt A, Weitzel T (2009) Online gaming to apply for jobs the impact of self- and e-assessment on staff recruitment. In: Proceedings of the 42th Hawaiian international conference on system sciences (HICSS-42), Big Island, Hawaii Malinowski J, Weitzel T, Keim T (2008) Decision support for team staffing: An automated relational recommendation approach. Decision Support Systems 45(3):429–447 Phillips JM (1998) Effects of realistic job previews on multiple organizational outcomes: a metaanalysis. Academy of Management Journal 41(6):673–690 Schuler H, Höft S (2006) Konstruktorientierte Verfahren der Personalauswahl. In: Schuler H (Hrsg) Lehrbuch der Personalpsychologie, 2. Aufl. Hogrefe, Göttingen, S 101–144 WIRTSCHAFTSINFORMATIK 3 | 2009