[go: up one dir, main page]

Academia.eduAcademia.edu
Einleitung Von Astrid Meier, Johannes Pahlitzsch, Lucian Reiffindt Stiftungen (arabisch waqfi gelten als wichtiges Elernent religiöser und sozialer Ordnung in islamisch geprägten Gesellschaften.r Stiftungsähnliche Formen von frommen Caben gehörten, soweit bekannt, von Anfung an zur Praxis der muslirnischen Gemeinden. Aber auch in aktuellen Diskussionen sind Stiftungen ein wichtiges Thema, wenn es darum geht, islamische Authentizität zu entdecken und vermeintlich wiederzubeleben. Selbst wenn sich die heutigen Stiftungen in Norm und Form beträchtlich von den ,,klassischen" Ausprägungen unterscheiden, so spielen sie eine unübersehbare Rolle in der Wirtschaft und in verschiedenen karitativen und philanthropischen Zusammenhängen, sowohl im Nahen und Mittleren Osten wie auch der muslimischen Diaspora in den Amerikas, Westeuropa und anderswo.2 Islamische Stiftungen werden oft definiert als die endgültige und immerwährende Immobilisierung privaten Eigentums, woraus dauerhaft und gemäß den Bestimmungen Hier wic im Folgenden wird für dic islamische Stiftung allgcmein der arabische Begriff wuqL Pluwqdf'verwendet, wie er vor allem im östlichen Mittelmeerraum üblich ist. Er steht stellvertretend tür in anderen Regionen gebräuchliche Bezeichnungen wie luhsftuhs, vaktJ, habous etc., auf welche in einzelnen Beiträgen des Bandes Bezug genommen wird. So etwa Murat Qizakqu, Waqf in History and Its Implications for Modern Islamic Economies, in: Islamic Economic Studies 6, 1998, 43-73; Ibrahrm ut-Bu1yümi Günim (Hrsg.), Nizäm al-waqf wa-l-multama' al-madani fi l-watan al-'arabi. Beirut 2004; Franz Kogelmunn, Die rechtlichen Grundlagen und die gesellschaftliche Verankerung des islamischen und anderen Stiftungswesens, in: Sigrid Faath (Hrsg.), Islamische Stiftungen und wohltätige Einrichtungen mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen in arabischen Staaten. Hamburg 2003, l5-26; Jan-Peter Hartung,Die fromme Stiftung (wuql). Eine islamische Analogie zur Körperschaft?, in: Hans G. Kippenberg/Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Die verrechtlichte Religion. Dcr Öffentlichkeitsstatus von Religionsgemeinschaften. Tübingen 2004, 287-314:, Randi Deguilhem/Abdelhamid Hönia (Hrsg.), Les fondations pieuses (waq/) en M6diterrannde. Enjeux de soci6t6, enjeux de pouvoir. Kuwait 2004. Astrid Meier, Johannes Pahlitzsch, Lucian Reinfandt t2 des Stifters oder der Stifterin ein gottgeldlliger Zweck finanziert wird. Auch wenn die meisten Definitionsversuche von solchen juristischen Normsetzungen ausgehen, bleibt festzuhalten, dass es gerade itn islamischen Recht keine allgenrein gültige Definition gibt. Es ist deshalb kaum möglich, die wesentlichen Charakteristika islamischer Stifnlngen zu beschreiben und zugleich der Vielfalt gültiger Fornren und Funktionen wirklich gerecht zu werden. Deswegen stellen alle Definitionen nur mehr oder weniger gelungene Annäherungen an weit komplexere Stiftungswirklichkeiten dar. Die komplizierten Verfügungen des islamischen Stiftungsrechts scheinen die Wahl- freiheit der Stiftenden begünstigt und die Handlungsspiekdume nachfolgender Cenerationen wie eine schwer lastende ,,Tote Hand" empfindlich eingeschränkt zu haben. So sahen es jedenfalls spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Reformanhänger und Modemisierer in der islamischen Welt wie auch eine Mehrheit der internationalen Forschungsgemeinschaft. Damals war in Nordafrika und Westasien ein erheblicher Teil des Agrarlandes und des städtischen Inrmobilienbesitzes in Stiftungen angelegt, was immer wieder als ein entscheidendes Hindemis auf dem Weg zu einem kapitalistischen Wirtschaftssystem angeführt wurde. Diese Kreise kritisierten insbesondere Familienstiftungen als eine Perversion der ursprünglichen gemeinnützigen Grundidee des waq/. Seit dieser Zeit beurteilt ein kulturübergreifender Diskurs die Performanz des in dieser Sicht ,,traditionalen" Stiftungswesens vorwiegend negativ.s Neben Missmanagement und Betrug werden dabei oft die rigiden Normen des Stiftungsrechts als Faktor genannt, warunr einmal angelegte Stiftungen sich nicht an veränderte Rahmenbedingungen anpassen konnten.a Betrachtet man allerdings die Stiftungspraxis über längere Zeiträume, so stand die normativ gesetzte Unveränderlichkeit des Stifterwillens in einem Spannungsverhältnis zu den Möglichkeiten, diese Kontinuität auch tatsächlich zu gewährleisten.s Stiftungswirklichkeiten sind bedeutend komplexer, als selbst konffovers geflihrte Diskussionen über Stiftungsnormen unter Juristen glauben machen wollen. Die Spannungen zwischen Stiftungsrecht und Stiftungspraxis sind ein besonders vielversprechender Ansatzpunkt, wenn es gilt, islamische Stiftungen in vergleichender Duvid S. Powers, Orientalism, Colonialism, and Legal History. The Attack on Muslim Family Endowments in Algeria and lndia, in: CSSH 3l, 1989, 535-571. S. etwa Wilhelm Hellening, Art. Wakt, in: EIt. Bd.4. Leiden/I'eipzig 1934, l187-1 194, hier I 190. Miriam Hoexter, Adaptation to Changing Circumstances. Perpetual Leases and Exchange Deals in Waqf Property in Ottoman Algiers, unveröffentlichter Vortrag Joseph Schacht Conference, Leiden/Amsterdam, Oktober 1994i Leonor Fernandes, Istibdal. The Game of Exchange and its Impact on the Urbanization of Mamluk Cairo, in: Doris Behrens-Abouseif, (Hrsg.), The Cairo Heritage. Essays in Honor of Laila Ati lbrahim. Kairo 2000, 203-222. Für intcrcssante Ansätze zu einem Vergleich s. John Philip Thomus, In Perpetuum. Social and Political Consequences of Byzantine Patrons' Aspiration for Permanence for their Foundations, in: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, .Tudentum und Islam vor der Modeme. Auf der Suche nach ihrcn Gemeinsamkeiten und Unterschietlen in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen. (Stiftungsgcschichten, Bd. 4.) Berlin 2005, 123-135. t3 Einleitung Perspektive über Raum und Zeit zu betrachten. Die Vielfalt der Formen und Ausprägungen hat die Beschäftigung mit dieser Institution des islamischen Rechts zu einem wichtigen internationalen Forschungsfeld werden lassen, in demjetzt neben rechtshistorischen Aspekten vermehrt auch sozial- und kulturwissenschaftliche Problemstellungen verfolgt werden.6 Stiftungen, nicht nur islamische, haben sich wiederholt als vielversprechende Ansatzpunkte für Studien aus gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive erwiesen. Sie sind unter ihren religiösen, rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und karitativ-philanthropischen Aspekten in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert und werden deshalb von Michael Borgolte als ,,totales soziales Phänomen" inr Mauss'schen Sinne verstanden.? Die Beschäftigung mit Stiftungen hat sich der methodischen Herausforderung zu stellen, ihre verschiedenen Dimensionen ange- messen zu berücksichtigen, auch wenn der Anspruch nicht immer eingelöst werden kann, historische Prozesse in einer die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche integrierenden Sichtweise darzustellen. Darüber hinaus kann es wa4FStudien gelingen, das Spannungsverhältnis zwischen sozial- und kulturwissenschaftlicher Herangehensweise produktiv einzusetzen, wenn neben sozialgeschichtlich geprä5er Analyse von Gruppenbildung und sozialer Ungleichheit srirker auch anthropologische und kulturwissenschaftliche Ansätze des Deutens und Verstehens kultureller und religiöser Normen und Praktiken verfolgt werden. ln diesem Band werden islamische Stiftungen aus einer weit gefassten gesellschafts- geschichtlichen Perspektive betrachtet. Sowohl öffentliche Stiftungen (arab. waqf [uvri) wie auch die sogenannten Familienstiftungen (waql ahli, waqf'/urn) übetnahmen in vormodemen islamischen Gesellschaften eine Vielzahl von sozialen Aufgaben, die von der Armen- und Krankenfürsorge, über die Finanzierung eines breiten Spektrums an religiösen und Bildungseinrichtungen bis zu allgemeinen Infrastrukluraufgaben reichten. Besonders wichtig ist dabei, dass Stiftungen in verschiedenen Formen die Konstituierung sozialer Gruppen unterstützten und zu ihrer sozialen Reproduktion und Kontinuität beitrugen. Dazu gehören nicht nur Berufsgilden und ethnisch oder religiös geprägte Gemeinschaften, sondem auch Familien- oder familienähnliche Verbände, etwa im Fall von Mamluken, Eunuchen oder Freigelassenen.t Der Funktion von Stiftungen, die memoric des Stifters sowohl im Diesseits bei den Menschen wie Für einen Überblick zu einzelnen Bereichen der Stiftungsforschung s. Rudolph Peters et al., Art. Wakf, in: EI2. Bd. I t . Leiden 2002, 59-99; un<l Astrid Meier, Art. Wakf It. In the Arab Lands. 2. In Syria up to 1914, in: EI2. Supplcment. Leiden 2004, 823-82tt; Miriom Hoexter, Waqf Studies in the Twentieth Century. The State r-rf Art, in: JESHO 41, 1998,474-495; Suraiyu Farutqhi, Pious Foundations in the Ottoman Society of Anatolia and Rumelia. A Report on Current Research, in: Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Modeme (wie Anm. 5),223-256. Michue! Borgolte,,,Totale Geschichte" des Mittelalters? Das Beispiel dcr Stiftungen (HumboldtUniversität zu Berlin. Öffentliche Vorlesungen, Heft 4.) Berlin I 993. S. etwa die klassische Studie von Gabriel Baer, The Waqf as a Prop fbr thc Social System (Sixteenth-Twentieth Centuries), in: ILS 4, 1997,264-297. t4 Astrid Meier, Johannes Pahlitzsch, Lucian Reinfandt auch im Jenseits bei Gott zu bewahren, kommt hierbei große Bedeutung zu. Danrit erlangt dieser ursprünglich rbligiöse Aspekt auch eine soziale Dimension.e Dabei ist es wichtig, sich von allzu stark auf Strukturen ausgerichteten, statischen Sichtweisen auf islamische Stiftungen und islamisch geprägte Cesellschaften zu lösen. Den Geschichten einzelner Stiftungen und Stiftungsformen nachzugehen, heißt auch, die Frage nach dem Umgang mit Stiftungen in den Vordergrund zu stellen. So verstehen wir die in den verschiedenen Phasen eines waql involvierten Personen als Handelnde, die innerhalb eines Rahmens überkommener Regeln und Formen sowie im Spannungsverhältnis zum dokumentierten Stifterwillen ihre eigenen Interessen verfolgten und so die Konstellationen im sozialen Feld der Stiftungen mit prägten. In diesem Zusammenhang leisten w-aq/:g1v6i.t innovative Beiträge gerade in Bereichen, die erst seit kurzem srärker in den Blick islamwissenschaftlicher Forschung geraten sind wie die Gender-Forschung oder die Beschäftigung mit der materiellen Kultur, vom Essen über Kleidung bis zur gebauten Unrwelt.r(' Der eingehenden Betrachtung von Stiftungswirklichkeiten vor der unmittelbaren Gegenwart stellen sich in vielen Bereichen Quellenprobleme entgegen. Dies gilt ganz besonders flir die vorosmanische Zeit, fur die oft nur die Stiftungsurkunden selbst zur Verfügung stehen. Gerade sie sind aber in erster Linie als Konstruktion eines ldealzustands entsprechend den Absichten des Stifters und den Vorschriften des islamischen Rechts zu interpretieren. Über diese Momentaufnahmen hinaus zu umfasserenden Stiftungsgeschichten zu gelangen, stellt ein wesentliches Desiderat der waqlf-Forschung für diese Periode dar. So könnten auch verlässlichere Grundlagen flir vergleichende historische Ansätze erarbeitet werden, als dies bis heute der Fall ist. Deshalb gilt es gerade in diesem Bereich, neue Quellenbestände zu erschließen und altbekannte neu zu lesen. Dieser Band ist das Resultat einer Tagung deutschsprachiger watlf-Forscher, die 2004 in Berlin stattgefi.rnden hat. Die zeitliche Spannweite der Beiträge ermöglichte es, nicht nur die Veränderungen des Stiftungsrechts nachzuvollziehen, sondem auch den Umgang rnit Stiftungen in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld in ein historische Perspektive einzuordnen. Die deutschsprachige wdq/:Forschung zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Breite und Aktivität aus, die irn internationalen Kontext ihren Platz längst gefunden hat. Hingegen fehlte es bislang an einer Diskussion über enge fachspezifische Grenzen hinweg. Dieser Band ist ein Schritt in diese Richtung. Er ist deshalb gekennzeichnet von Heterogenilät, von sehr unterschiedlichen Herangehens- l0 Johannes Pahlitzsch, Memoria und Stiftung im Islam. Die Entrvicklung des Totengedächtnrsses bis zu den Mamluken, in Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Modeme (wic Anm. 5),'11-94. IJ.a. Mary Ann Fay, Women and Waqf. Toward a Rcconsideration of Women's Place in the Mamluk Household, in: IJMES 29, 1997, 33-51; Richunl vun Leeuwen, Waqfs and Urban Structures. The Ciuc of Ottoman Damascus. (Studies in Islamic Law and Society, Bd. ll.) Leidcn !999: Birgill Hofmann, Waqf im mongolischen Iran. Raüduddins Sorge um Nachruhm und Seelenheil. (Freiburger Islamstudien, Bd. 20.) Stuttgart 2000. Einleituns t5 weisen und Fragestellungen, die nicht zuletzt der jeweiligen Quellengrundlage geschuldet sind. Diese Vielfalt war und ist Herausforderung und Bereicherung zugleich, denn sie eröffnet neue Perspektiven und methodische Z'tgänge. Ein erster Block des Bandes thematisiert unter dem Blickwinkel der Interkulturalität einige Aspekte des gesellschaftlichen Umfelds, in denr die Entstehung der islamischen Stiftung anzusiedeln wäre. Muriu Mucuch stellt einer idealtypisch geschilderten islamischen Stiftung, wie sie sich erst im 2. und 3. Jahrhundert islamischer Zeitrechnung ausgebildet hat, die sasanidische fromme Stiftung gegenüber und fragt nach möglichen Beeinflussungen. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten beleuchtet sie die wenig bekannten Rechtszeugnisse dieser Periode und kommt zum Schluss, dass die sasanidische Jurisprudenz die Institution der frommen Stiftung in einer Form kannte, die bemerkenswerte Ahnlichkeiten mit dem islamischen waq/'aufweist, gerade int Hinblick auf ihre Funktion als Instrument der Versorgung der Familie und als Mittel zur Umgehung des Erbrechts. Johannes Pahlitzsch fragt mit einen'r regionalen Schwerpunkt auf Syrien und dem Irak nach dem gesellschaftlichen Kontext, in dem sich die islamische Stiftung im 7.und 8. Jahrhundert herausbildete. Aus den äußerst fragmentarisch überlieferten Quellen ergibt sich das Bild eines auch unter islamischer Herrschaft fortbestehenden christlichen Stiftungswesens, vor allem im Bereich von Kirchen- und Klosterstiftungen. Auch wenn bisher keine konkreten Belege für einen christlichen Einfluss auf die Entstehung des wur4f'bekannt sind, lassen sich doch Anzeichen eines transkulturellen Kontaktes und Austausches zwischen Muslimen und Christen im Bereich des Stiftungswesens ausmachen. Beide Beiträge basieren auf ganz unterschiedlichen Quellen: der eine auf einem ohne historischen Kontext überlieferten und daher schwer zu interpretierenden Rechtstext; der andere auf einer Sammlung von Einzelinformationen zu kirchlichen Stiftungen, mühsam aus narrativen Texten und archäologischen Funden zusammengetragen. Trotzdem bilden sie eine neue, bis jetzt nicht aufgearbeitete Grundlage, um das kulturelle Umfeld, in dem sich das islamische Recht entwickelte, näher zu bestimmen. Doris Behrens-AbouseiJ'plädiert in ihrem Beitrag dafür, entgegen Schachts Verdikt, das islamische Recht kenne keine ,juristischen Personen", Stiftungen unter gewissen Aspekten de facto als solche zu verstehen. Dieser aus dem deutschen Naturrecht stammende Begriff bezeichnet im Unterschied zu nati.irlichen Personen vom Recht anerkannte Körperschaften, die mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet sind. Gemäß Behrens-Abouseifs Argumentation gleichen islamische Stiftungen in diesem einen Aspekt kirchlichen Stiftungen Qtiue causae), wie sie in Teilen des Codex Ju.sliniunus beschrieben werden. Allerdings ist auch hier zwischen der Normativität der Zuschreibung, die wie bei der islamischen Stiftung im Rechtsdenken nicht gegeben ist, und den faktischen Ausprägungen dieser Rechtsfigur genau zu unterscheiden. Die beiden folgenden Beiträge widmen sich der Entwicklung des Stiftungswesens in Syrien und im Irak im 12. Jahrhundert: Stelan Heidenrann behandelt in seinem Beitrag die Weiterentwicklung der Finanzierungsinstrumente staatlicher Politik durch Nür adD1n b. Zangl. So trugen neu eingerichtete Stiftungen wesentlich zur Umgestaltung der r- l6 Astrid Meier, Johannes Pahlitzsch, Lucian Reinfandt Städte in Nordsyrien und Nordmesopotamien bei. Daneben wurde durch die Umwidmung von Erträgen bereits bestehender Stiftungen eine neue Einnahmequelle zur Deckung staatlicher Ausgaben eingeführt. Inwieweit diese Neuerungen dauerhaft dazu führten, dass Stiftungen zur Finanzierung staatlicher Infrastruktur und schließlich des Staates selber beitrugen, wäre in Zukunft genauer zu untersuchen. Gerhard Wedel be' fasst sich auf der Grundlage von biographischen Lexika mit Stifterpersönlichkeiten der ayyubidischen Zeit. Anhand dieser äußerst umfangreichen Textsammlungen erläutert Wedel die Möglichkeiten computergestützter philologischer Verfahren und die technischen Voraussetzungen für eine sinnvolle Recherche in digitalisierten Textausgaben. Konkret demonstriert er dieses Verfahren an der Biographie und der Stiftungstätigkeit eines Lokalherrschers, des Ayyubiden Muzaffar ad-Din Kükubnri (154-1232/33). Zwei weitere Beitiäge behandeln Stiftungen aus der Zeit des ägyptisch-syrischen Mamlukensultanats (1250-1517). Renate Jacobi unterstreicht die prominente Rolle von Frauen irn mamlukischen Stiftungswesen. Auf der Grundlage einer Untersuchung des .,Frauenlexikons" von as-Sa!äwi (15. Jahrhundert) stellt sie die verschiedenen Funltionen vor, die Frauen mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Hintergrund (mamlukische Elite, arabische Gelehnenfamilien) im Umfeld von Stiftungen ausüben konnten. Allerdings erschwert die in den narrativen Texten oft unklar gebrauchte Terminologie eine exakte Würdigung der Rolle von Frauen. Lucian Reidandt stellt die Stifrungsurkunde eines hohen Mamlukenofflziers und seiner Frau vor, auf deren Rändem auch später weitere rechtliche Verfligungen zur Stiftung eingetragen wurden. Dieses umfangreiche Dokument ist ein typisches Beispiel einer in mamlukischer Zeit häufiger anzutreffenden Urkundenpraxis. Mit ihm lässt sich die Geschichte der Stiftung über die in der eigentlichen Stiftungsurkunde festgehaltene ideale Form hinaus weiter verfolgen. Der historischen Auswertung der Urkunde folgt eine Edition des arabischen Textes, die aufzeigt, wie die venchiedenen Schritte der rechtlichen Transaktionen ihre Nieder- schrift auf der Urkundenrolle fanden. Drei weitere Beiträge widmen sich Fallbeispielen osmanischer und persischer Stiftungen aus dem Bereich der frühen Neuzeit. Astrid Meier stellt die Frage, ob es auch in osmanischer Zeit nicht ein Bedürfnis nach zeitlich befristeten Stiftungen gab, wie sie heute verstdrkt diskutiert werden. Sie argumentiert anhand von zwei Gerichtsfällen aus Damaskus, dass gerade die Auflösung einer Stiftung die Konstellationen von Beteiligten und ihre Motivationen offenlegt, die die Geschichte eines wuqf'entscheidend prägen. Dazu ist allerdings die Dokumentation, die wir dem rechtlichen Sonderstatus von Stiftungen und den Sanktionen verdanken, die mit ihrer Aufhebung verbunden sind, genau - und oft gegen den Strich - zu lesen. Wissenschaftliches Neuland betitt Stelän Knost tnit seinem Beitrag zu einem bisher kaum erforschten Stiftungstyp: Die Aleppiner Stadtviertelstiftungen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts sind bisher die einzigen ihrer Art, fär die Details ihrer Einnahrnen- und Ausgabenstruktur bekannt werden. Die Forschung war davon ausgegangen, die Solidargemeinschaft der Bewohner eines Viertels habe von diesen Stiftungen profitiert, indem sie die Steuerlast der Armen ab- Einleitung t7 deckten. Doch zeigt sich jetzt, dass aus diesen Stiftungen ein viel weiteres Spektrum von munizipalen Aufgaben finanziert wurde, das sich überdies in seiner Zusammensetzung irn Laufe der untersuchten Jahrzehnte stark veränderte. Aufdie Verwaltung und den Alltagsbetrieb einer Stiftung fokussiert Chri.skryh ll/enrer in seinem Artikel zum Schrein des Imam Reza in Mashhad. Auf der Basis eines Katalogs, der Ende des 19. Jahrhunderts von der Stiftungsverwaltung zusammengestellt wurde, geht er in einer Langzeitperspektive dem Wandel der Bereiche nach, in die Stifter und Verwalter bevorzugt investieden. Die Stiftungsverwaltung spielte hierbei insofern eine große Rolle, als sie die Attraktivilät der Stiftung mit verschiedenen Mitteln zu steigern beabsichtigte. So versuchte man einerseits, durch verschiedene außenwirksame Maßnahmen eine höhere Zahl von Pilgem anzuziehen, anderseits aber auch den Beschäftigten ein attraktives Arbeitsumfeld zu bieten. Mit dem abschließenden Beitrag von Fntnz Kogelnrunn reicht der Blick bis in das 20. Jahrhundert. Kogelmann leuchtet anhand der Beispiele Agypten, Algerien und Marokko das Verhältnis von Staat und Stiftung unter postkolonialen Vorzeichen aus. Dabei interessieren ihn besonders die Kontexte staatlicher Stiftungspolitik, die dazu führen, dass die Geschichte des Stiftungswesens im 20. Jahrhundert stark von ,,nationalen Besonderheiten" geprägt war. Trotzdem sind in allen drei Staaten bezeichnende Übereinstimmungen festzustellen, unter anderem die Unterordnung des Religiösen und vormals religiös kontrollierter gesellschaftlicher Bereiche unter die Politik, die Kogelmann als Prozesse der Säkularisierung interpretiett. Jede dieser Einzelstudien leistet einen spezifischen Beitrag zu einer Geschichte des islamischen Stiftungswesens, auch wenn wir auf eine übergreifende Synthese wegen fehlender Grundlagen auf absehbare Zeit noch verzichten müssen.lr Indem die hier versammelten Detailuntersuchungen dem Phänomen der islamischen Stiftungen gerade in ihrer Vielfalt die für einen substantiellen Vergleich nötige Tiefenschärfe verleihen, versucht dieser Band einen Beitrag zur interdisziplinären und transkulturellen Perspektive zu leisten, die die Reihe ,,Stiftungsgeschichten" von Anfang ihres Erscheinens her prägt. Komparative Studien müssen auf konkreten Formen und Typen von Stiftungen oder auf einzelnen Aspekten aufbauen wie, zum Beispiel im vierten Band der ,,Stiftungsgeschichten" vorgeschlagen, dem Totengedenken (memoria), der Wohlrätigkeit (caritus) oder dem Mäzenatentum, um im interkulturellen Vergleich zu tragfähigen Resultaten und einer differenzierten Wahrnehmung des vermeintlich Vertrauten zu führen.12 Charakteristische Differenzen von Stiftungen im transkulturellen Vergleich ll l2 Ein erster Versuch, der dem selbst gesetzten Anspruch nur ansatzweise gerccht wird, ist vor kurzem vorgelegt worden, s. Mural Qizukqa, A History of Philanthropic Foundations. The Islamic World from the Seventh Century to the Present. Istanbul 2000. In diesem Sinne ist Gabriel Baers sehr allgerneiner Ansatz, durch den transkulturellen Vergleich ,,to lind out the particular characteristics of the Muslim waqll and to derive from these findings somc more general conclusions", ders., The Muslim llhql and Similar lnstitutions in Other Civi- Astrid Meier, Johannes Pahlitzsch, Lucian Reinfandt l8 sollten nicht auf der Basis von zeitlich oder räumlich allzu eingeschränkten Befunden behauptet werden, zumal gerade in solchen Zusammenhängen genau zwischen Norm und Praxis unterschieden werden muss. Viele der Grundfragen, die die intemationale Stiftungsforschung leiten, sind von kulturübergreifender Geltung. Sie werden die Beschäftigung rnit Stiftungen unterschiedlicher regionaler Ausprägung - nicht nur der islamischen - auch frir die überblickbare Zukunft prägen. So ermöglichen es Ansätze der Erforschung interkultureller erlcounters, transf'ers rtnd entanglemenls sowie eine mittlerweile deutlich erweiterte Quellenbasis, die Diskussion der Entstehungskontexte der islamischen Stiftung neu anzugehen. Hierbei wäre neben der alt-arabischen unbedingt auch die jüdische Tradition einzubeziehen. Ein besseres Verständnis dafür, wie eine neue Rechtsnorm im Umfeld vielfältiger Stiftungspraktiken konfiguriert wird, könnte allgemein der Debatte urn Stiftungsnorm und Stiftungspraxis neue Impulse verleihen. So ließen sich jetzt oft getrennte Forschungslinien in übergreifende Ansätze integrieren, die der Komplexität von Stiftungswirklichkeiten eher gerecht werden. Gerade fi.ir den islamisch geprägten Bereich verspricht die Beschäftigung mit dem Stiftungsrecht weiterhin ergiebige Resultate, da sich in Rechtstexten der Wandel der sozialen Praxis bis zu einem gewissen Crad verfolgen lässt. Doch benötigen wir in stärkerem Maße auch detaillierte Geschichten einzelner Stiftungen und Stiftungsarten, um die gesellschaftlichen Kontexte und Funktionen von Stiftungen besser zu verstehen. In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch eingehender mit dern Verhältnis zwischen Stiftungswesen und Staat und den Wechselfällen seiner Geschichte befassen. Für das Stiftungswesen wie für andere Bereiche islamischer Geschichte gilt: Noch längst sind nicht alle relevanten Texte in den Archiven und Bibliotheken ,,entdeckt", geschweige denn untersucht worden. Auch materielle Zeugnisse warten in großer Zahl auf ihre wissenschaftliche Erforschung und Dokumentation. Wenn dieser Band einige Anregungen im Umgang mit dieser Vielfalt geben kann, hat er eine wichtige Aufgabe erfüllt. lizations. Hrsg. v. Miriam Hoexter, in: Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und lslam vor der Modeme (wie Anm. 5'),257-280, hier 258, nur bedingt zielführend.