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Psychiatrie, Psychotherapie, Public Mental Health und Sozialpsychiatrie Postvertriebsstück – Entgelt bezahlt – B 20695 F – Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle – Bajuwarenring 4 – D-82041 Deisenhofen – Oberhaching Wissenschaftliches Organ der pro mente austria, ÖAG, ÖGBE, ÖGKJP, ÖSG This journal is indexed in Current Contents / Science Citation Index / MEDLINE / Clinical Practice and EMBASE/Excerpta Medical Abstract Journals and PSYNDEX Alzheimer Demenz – Geschlechtsunterschiede Antidepressiva – Suizidrisiko Affektive Störungen – Serotonerge Funktion Unterbringungsgesetz Alzheimer Demenz – Wissen & Einstellungen Sotos Syndrom Male Depression ISSN 0948-6259 22/1 Band 22 Nummer 1 – 2008 Übersicht Gechlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz R. Schmidt, E. Assem-Hilger, Th. Benke, P. Dal-Bianco, M. Delazer, G. Ladurner, K. Jellinger, J. Marksteiner, G. Ransmayr, H. Schmidt, E. Stögmann, J. Wancata, Ch. Wehringer Erhöht die Therapie mit Antidepressiva das Suizidrisiko bei Kindern und Jugendlichen? – Eine Stellungnahme W. Aichhorn, R. Fartacek, L. Thun-Hohenstein Volume 22 Number 1 – 2008 1 16 Review Sex differences in Alzheimer disease R. Schmidt, E. Assem-Hilger, Th. Benke, P. Dal-Bianco, M. Delazer, G. Ladurner, K. Jellinger, J. Marksteiner, G. Ransmayr, H. Schmidt, E. Stögmann, J. Wancata, Ch. Wehringer Psychiatrie, Psychotherapie, Public Mental Health und Sozialpsychiatrie Does antidepressant therapy increase suicide risk in children ad adolescents? – A comment W. Aichhorn, R. Fartacek, L. Thun-Hohenstein Zeitungsgründer Originalarbeit Einblicke in die zentrale seroto­ nerge Funktion bei Patienten mit affektiven Störungen W. Kawohl, U. Hegerl, B. MüllerOerlinghausen, G. Juckel 23 Original Insights in the central serotonergic function in patients with affective disorders W. Kawohl, U. Hegerl, B. MüllerOerlinghausen, G. Juckel 1 08 Franz Gestenbrand, Innsbruck Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Kornelius Kryspin-Exner † Redaktion Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Herkunft psychiatrischer Patienten im UbG-Bereich einer städtischen Region H. Rittmannsberger, H. Lindner, Th. Zaunmüller Kurze Originalarbeit Sechs Fragen zur Alzheimer Demenz: Wissen und Einstellung in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe S. Schwalen, H. Förstl Fallbericht Neuropsychiatrische Symptome bei Sotos-Syndrom Kasuistik und Litera­turübersicht H. Kessler, S. Kraft Kritisches Essay Frauen suchen Hilfe – Männer sterben! Ist die Depression wirklich weiblich? A. Hausmann, W. Rutz, U. Meise Bericht Sexualität und Antipsychotika J. Kinzl 28 35 38 43 49 Origin of patients admitted involuntarily from an urban catchment area H. Rittmannsberger, H. Lindner, Th. Zaunmüller Short Original Alzheimer’s disease: Knowledge and attitudes in a representative survey S. Schwalen, H. Förstl Case Report Ullrich Meise, Innsbruck Wissenschaftliches Organ • pro mente austria Dachverband der Sozialpsychiatrischen Gesellschaften • Österreichische Alzheimer Gesellschaft • Österreichische Gesellschaft für Bipolare Erkrankungen • Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie • Österreichische Schizophrenie­gesellschaft Neuropsychiatric symptoms in Sotos syndrome. Case report and review of the literature H. Kessler, S. Kraft Critical Essay Women seek for help – Men die! Is depression really a female disease? A. Hausmann, W. Rutz, U. Meise Report Sexuality and Antipsychotics J. Kinzl Dustri-Verlag Dr. Dustri-Verlag Dr. Karl Karl Feistle Feistle http://www.durstri.de http//:www.dustri.de ISSN 0948-6259 0948-6259 ISSN I Zeitungsgründer Franz Gerstenbrand, Innsbruck Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Kornelius Kryspin-Exner † Herausgeber Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Ullrich Meise, Innsbruck (geschäftsführend) Johannes Wancata, Wien Wissenschaftlicher Beirat Alex H. Bullinger, Basel Hans Förstl, München Andreas Heinz, Berlin Wulf Rössler, Zürich Christian Bancher, Horn Ernst Berger, Wien Karl Dantendorfer, Wien Max Friedrich, Wien Armand Hausmann, Innsbruck Hans Rittmannsberger, Linz Christian Simhandl, Neunkirchen Reinhold Schmidt, Graz Werner Schöny, Linz Erweiterter wissenschaftlicher Beirat Josef Aldenhoff, Kiel Jules Angst, Zürich Wilfried Biebl, Innsbruck Peter Falkai, Göttingen Wolfgang Gaebel, Düsseldorf Verena Günther, Innsbruck Reinhard Haller, Frastanz Ulrich Hegerl, Leipzig Isabella Heuser, Berlin Florian Holsboer, München Christian Humpel, Innsbruck Kurt Jellinger, Wien Hans Peter Kapfhammer, Graz Siegfried Kasper, Wien Heinz Katschnig, Wien Ilse Kryspin-Exner, Wien Wolfgang Maier, Bonn Karl Mann, Mannheim Josef Marksteiner, Innsbruck Hans-Jürgen Möller, München Heidi Möller, Kassel Franz Müller-Spahn, Basel Thomas Penzel, Berlin Walter Pieringer, Graz Anita Riecher-Rössler, Basel Peter Riederer, Würzburg Wolfgang Rutz, Uppsala Hans-Joachim Salize, Mannheim Alois Saria, Innsbruck Norman Sartorius, Genf Heinrich Sauer, Jena Gerhard Schüssler, Innsbruck Gernot Sonneck, Wien Marianne Springer-Kremser, Wien Thomas Stompe, Wien Gabriela Stoppe, Basel Hubert Sulzenbacher, Innsbruck Hans Georg Zapotoczky, Graz Redaktionsadresse Univ.-Prof. Dr. Ullrich Meise, Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Telefon: +43-512-504-236 68, Fax: +43-512-504-23628, Email: ullrich.meise@uki.at Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle, Postfach 1351, © 2007 Jörg Feistle. D-82032 München-Deisenhofen, Verlag: Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle. Tel. +49 (0) 89 61 38 61-0, Telefax +49 (0) 89 6 13 54 12 ISSN 0948-6259 Email: info@dustri.de Psychiatrie, Psychotherapie, Public Mental Health und Sozialpsychiatrie Zeitungsgründer Franz Gestenbrand, Innsbruck Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Kornelius Kryspin-Exner † Redaktion Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Ullrich Meise, Innsbruck Wissenschaftliches Organ • pro mente austria Dachverband der Sozialpsychiatrischen Gesellschaften • Österreichische Alzheimer Gesellschaft • Österreichische Gesellschaft für Bipolare Erkrankungen • Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie • Österreichische Schizophrenie­gesellschaft Regulary indexed in Current Contents/Science Citation Index/MEDLINE/Clinical Practice and EMBASE/Excerpta Medical Abstract Journals and PSYNDEX Mit der Annahme des Manuskriptes und seiner Veröffentlichung durch den Verlag geht das Ver­lagsrecht für alle Sprachen und Länder einschließlich des Rechts der photomechanischen Wiedergabe oder einer sonstigen Vervielfäl­ tigung an den Verlag über. benutzt werden dürften. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen wird vom Verlag keine Gewähr übernommen. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Die Neuro­ psychiatrie erscheint vierteljährlich. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Zeitschrift berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß sol­che Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be­trachten wären und daher von jedermann Bezugspreis jährlich € 76,–. Preis des Einzelheftes € 21,– zusätzlich Versandgebühr, inkl. Mehrwertsteuer. Einbanddecken sind lieferbar. Bezug durch jede Buchhandlung oder direkt beim Verlag. Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils um 1 Jahr, wenn nicht eine Abbestellung bis 4 Wochen vor Jahresende erfolgt. Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle http//:www.dustri.de ISSN 0948-6259 III Hinweise für AutorInnen: Sämtliche Manuskripte unterliegen der wissenschaftlichen und redaktionellen Begutachtung durch Schriftleitung und Reviewer. Allgemeines: Bitte die Texte unformatiert im Flattersatz (Ausnahme: Überschrift und Zwischenüberschriften, Hervorhebungen) und keine Trennungen verwenden! Manuskripte – verfasst im Word – sind am besten per Email an die Redaktion (Adresse ­siehe ­unten) zu übermitteln. Sie können auch elektronisch auf CD oder Diskette an die Redaktions­adresse ­gesandt werden. Die Zahl der Abbildungen und Tabellen sollte sich auf maximal 5 beschränken. Manuskriptgestaltung: Psychiatrie, Psychotherapie, Public Mental Health und Sozialpsychiatrie • Länge der Arbeiten: - Übersichtsarbeiten: bis ca. 50.000 Zeichen inkl. Leerzeichen - Originalarbeiten: bis ca. 35.000 Zeichen inkl. Leerzeichen - Kasuistiken, Berichte, Editorials: bis ca. 12.000 Zeichen inkl. Leerzeichen • Titelseite: (erste Manuskriptseite) - Titel der Arbeit: - Namen der Autoren (vollständiger Vorname vorangestellt) - Klinik(en) oder Institution(en), an denen die Autoren tätig sind - Anschrift des federführenden Autors (inkl. Email-Adresse) • Zusammenfassung: (zweite Manuskriptseite) - Sollte 15 Schreibmaschinenzeilen nicht übersteigen - Gliederung nach: Anliegen; Methode; Ergebnisse; Schlussfolgerungen; - Schlüsselwörter (mindestens 3) gesondert angeben • Titel und Abstract in englischer Sprache (3. Manuskriptseite) - Kann ausführlicher als die deutsche Zusammenfassung sein - Gliederung nach: Objective; Methods; Results; Conclusions - Keywords: (mindestens 3) gesondert angeben • Text: (ab 4. Manuskriptseite) Für wissenschaftliche Texte Gliederung wenn möglich in Einleitung, Material und Methode, Ergebnisse, Diskussion, evtl. Schlussfolgerungen, evtl. Danksagung, evtl. Interessenskonflikt • Literaturverzeichnis: (mit eigener Manuskriptseite beginnen) - Literaturangaben sollen auf etwas 20 grundlegende Werke und Übersichtsarbeiten beschränkt werden. Das Literaturverzeichnis soll nach Autoren alphabetisch geordnet werden und fortlaufend mit arabischen Zahlen, die in [eckige Klammern] gestellt sind, nummeriert sein. - Im Text die Verweiszahlen in [eckiger Klammer] an der entsprechenden Stelle einfügen. Beispiele: Arbeiten, die in Zeitschriften erschienen sind: [1] Rittmannsberger H., Sonnleitner W., Kölbl J., Schöny W.: Plan und Wirklichkeit in der ­psychiatrischen Versorgung. Ergebnisse der Linzer Wohnplatzerhebung. Neuropsychiatr 15, 5-9 (2001). (Abkürzung Neuropsychiatr) Bücher: [2] Hinterhuber H., Fleischhacker W.: Lehrbuch der Psychiatrie. Thieme, Stuttgart 1997. Beiträge in Büchern: [3] Albers M.: Kosten und Nutzen der tagesklinischen Behandlung. In: Eikelmann B., Reker T., Albers M.: Die psychiatrische Tagesklinik. Thieme, Stuttgart 1999. • Abbildungen und Tabellen: (jeweils auf eigener Manuskriptseite - Jede Abbildung und jede Tabelle sollte mit einer kurzen Legende versehen sein. - Verwendete Abkürzungen und Zeichen sollten erklärt werden. - Die Platzierung von Abbildungen und Tabellen sollte im Text durch eine Anmerkung markiert werden („etwa hier Abbildung 1 einfügen“). - Abbildungen und Grafiken sollten als separate Dateien gespeichert werden und nicht in den Text eingebunden werden! - Folgende Dateiformate können verwendet werden: Für Farb-/Graustufenabbildungen: .tiff, .jpg, (Auflösung: 300 dpi); für Grafiken/Strichabbildungen (Auflösung: 800 dpi) Zeitungsgründer Franz Gestenbrand, Innsbruck Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Kornelius Kryspin-Exner † Redaktion Hartmann Hinterhuber, Innsbruck Ullrich Meise, Innsbruck Wissenschaftliches Organ • pro mente austria Dachverband der Sozialpsychiatrischen Gesellschaften • Österreichische Alzheimer Gesellschaft • Österreichische Gesellschaft für Bipolare Erkrankungen • Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie • Österreichische Schizophrenie­gesellschaft Ethische Aspekte: Vergewissern Sie sich bitte, dass bei allen Untersuchungen, in die Patienten involviert sind, die Grundsätze der zuständigen Ethikkommissionen oder der Deklarationen von Helsinki 1975 (1983) beachtet worden sind. Besteht ein Interessenskonflikt gemäß den Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors, muss dieser gesondert am Ende des Artikels ausgewiesen werden. Korrekturabzüge: Nach Anfertigung des Satzes erhält der verantwortliche Autor einen Fahnenabzug des Artikels elektronisch als pdf-Datei übermittelt. Die auf Druckfehler und sachliche Fehler durchgesehenen Korrekturfahnen sollten auf dem Postweg an die Verlagsadresse zurückgesandt werden. Manuskript-Einreichung: Redaktion: Univ.-Prof. Dr. Ullrich Meise, Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Telefon: +43-512-504-236 68, Fax: +43-512-504-23628, Email: ullrich.meise@uki.at Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle http//:www.dustri.de ISSN 0948-6259 IV Übersicht Review Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 1/2008, S. 1–15 Geschlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz Reinhold Schmidt1, Eva Assem-Hilger2, Thomas Benke3, Peter Dal-Bianco2, Margarete Delazer3, Gunther Ladurner4, Kurt Jellinger5, Josef Marksteiner6, Gerhard Ransmayr7, Helena Schmidt8, Elisabeth Stögmann2, Johannes Wancata9 und Christina Wehringer10 Gemeinsam mit folgenden BetreiberInnen von Gedächtnisambulanzen in Österreich: Christian Bancher11, Klaus Berek12, Christian Eggers13, Peter Fischer14, Bernhard Iglseder15, Christian Lampl16 , Peter Kapeller17, Friedrich Leblhuber18, Georg Psota19 und Margarete Uranüs20 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Univ.-Klinik für Neurologie, Medizinische Universitätsklinik Graz Univ.-Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien Univ.-Klinik für Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Univ.-Klinik für Neurologie, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg Institut für Klinische Neurobiologie, Wien Univ.-Klinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck Abteilung Neurologie und Psychiatrie, Allgemeines Krankenhaus, Linz Institut für Medizinische Molekularbiologie und Medizinische Biochemie, Medizinische Universität Graz Univ.-Klinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Wien Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz, Wien Abteilung für Neurologie Landeskrankenhaus Waldviertel, Horn Abteilung für Neurologie am Bezirkskrankenhaus Kufstein Abteilung für Neurologie, Barmherzige Brüder, Linz Psychiatrische Abteilung, Sozialmedizinisches Zentrum Ost, Wien Univ.-Klinik für Geriatrie, Christian Doppler Klinik, Salzburg Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin, Kooperationsspital Barmherzige Schwestern und Barmherzige Brüder, Linz Abteilung für Neurologie, Landeskrankenhaus Villach Neurologisch-Psychiatrische Gerontologie, Nervenklinik Linz Gerontopsychiatrisches Zentrum, Psychosoziale Dienste, Wien Gerontopsychiatrische Abteilung, Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz Schlüsselwörter: Demenz – Alzheimer Demenz – Geschlechtsunterschiede – Epidemiologie Dieses Projekt wurde durch einen Unrestricted Grant von Pfizer Austria unterstützt – Behandlung – Pflege Keywords: Dementia – Alzheimer dementia – sex differences – epidemiology – treatment – care © 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 Geschlechtsspezifische Unter­schie­ de der Alzheimer Demenz Frauen haben eine höhere Prävalenz der Alzheimer Erkrankung. Sind in der Altersgruppe 65-69 Jahre etwa 0.7% der Frauen und 0.6% der Männer betroffen, so steigen diese Frequenzen bei 85-89-jährigen auf 14.2% und 8.8%. Die Inzidenz ist ebenfalls in allen Altersgruppen bei Frauen höher. In Österreich sind AlzheimerKranke >60 Jahre in 74.1% Frauen. Mehrere Studien beschreiben mehr sprachliche, mnestische, semantische und Orientierungsdefizite bei Frauen mit Demenz, wobei methodische Mängel als Ursache dieses Befundes möglich sind. Ähnliches gilt für Ergebnisse die rascheren Verlauf des kognitiven Abbaues bei AlzheimerPatientinnen beschreiben. Frauen zeigen in allen Untersuchungen ein Schmidt et al  breiteres Spektrum von demenzassoziierten Verhaltensauffälligkeiten mit einer besonderen Häufung von Depressionen, während Män­ ner häufiger aggressives Ver­hal­ ten zeigen. Es gibt eine Reihe biologischer Erklärungen für ge­ schlechts-spezifische Unterschiede in der klinischen Präsentation der Alzheimer-Demenz. Sie reichen von unterschiedlicher Hirnmorphologie und Funktion mit höherer Sus­ zeptibilität für Alzheimer-Pathologie bei Frauen und größerer kognitiver Reserve bei Männern, bis zu Geschlechtsunterschieden in der Expression antioxidativer Enzyme und postmenopausaler hormoneller Veränderungen. Wenn eine Inter­ aktion zwischen Geschlecht und Therapieresponse besteht, so ist sie gering und individuell variabel. Zwei Drittel der Pflegegeldbezieher in Österreich sind Frauen. Pflege und Betreuung erfolgt zu 80% im familiären Kontext und wird zu 78% von Frauen erbracht. Bei den mobilen Diensten liegt der Frauenanteil der Bediensteten bei 91% in teilstationären und bei 84% in stationären Einrichtungen. Alter Sex differences in Alzheimer disease The prevalence of Alzheimer disease is higher in women than in men. In the age group 65-69 years 0.7% of women and 0.6% of men suffer from the disease with increasing frequencies of 14.2% and 8.8% in individuals aged 85-89 years. The incidence is also higher in demented women. In Austria 74.1% of Alzheimer patients older than 60 years are women. Several studies report more pronounced language, mnestic, semantic and orientation deficits in women, but methodological shortcomings might be responsible for this finding. The validity of results reporting a more rapid cognitive decline in women can also be questioned. Women have a broader spectrum of dementiarelated behavioural symptoms with a predominance of depression, while aggression is more frequent in men than in women. Biological explana­ tions for gender-specific differences in the phenotype of Alzheimer´s disease include different brain morphology and function with higher susceptibility for pathological lesions in women and greater cognitive reserve in men. Sex differences were also reported for expression of antioxidative enzymes Alle Demenzen Hofman et al. [1] and post-menopausal hormonal changes. Interactions between gender and response to treatment, if any, are subtle and have large intra-individual variability. In Austria, two thirds of patients receiving attendance allowance are women. Care takes place in 80% by the families and is provided by women in 78%. The rate of female care-givers in partly institutionalized care units is 91% in nursing homes it is 84%. Epidemiologie Prävalenz bei Frauen und Män­ nern Um mögliche Fehlereinflüsse zu minimieren, werden im Folgenden überwiegend Daten verwendet, die aus Meta-Analysen bzw. gepoolten Re-Analysen von Einzelstudien stammen. In Tabelle 1 sind zwei Meta-Analysen zur Prävalenz von Demenzen, gepoolt und für Alzheimer Demenz und vaskuläre Demenz getrennt, dargestellt. [14]. Hofman et al. [1] berichten bei den unter 75-Jährigen eine höhere Prävalenz für Männer und bei Vaskuläre Demenz Alzheimer-Demenz Lobo et al. [2] W M W M 60-64 0,5 1,6 -- -- 65-69 1,1 2,2 1,0 1,6 70-74 3,9 4,6 3,1 2,9 75-79 6,7 5,0 6,0 5,6 80-84 13,5 12,1 12,6 11,0 85-89 22,8 18,5 20,2 12,8 90-94 32,2 32,1 95+ 36,0 31,6 30,8 22,1 Rocca et al. [3] W M 0,4 0,3 3,6 2,5 11,2 10,0 24,7 40,9 Lobo et al. [2] Hy et al. [4] Lobo et al. [2] W M W M W M -- -- -- -- -- -- 0,7 0,6 1,0 0,7 0,1 0,5 2,3 1,5 2,1 1,5 0,6 0,8 4,3 1,8 4,5 3,1 0,9 1,9 8,4 6,3 9,0 6,4 2,3 2,4 14,2 8,8 17,4 12,8 3,5 2,4 23,6 17,6 31,0 23,7 48,9 39,8 5,8 3,6 Tabelle 1: Punkt-Prävalenz-Raten (%) von Demenzerkrankungen nach Meta-Analysen (M = Raten für Männer, W = Raten für Frauen) Geschlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz den über 75-Jährigen eine höhere Prävalenz für Frauen. Lobo et al. [2] berichtet ähnliche Resultate. Bei den 65-69-Jährigen bestand ebenfalls eine höhere Prävalenz für Männer, bei allen älteren Studienteilnehmern hatten aber Frauen eine höhere Prävalenz. Alzheimer-Demenz ist in allen Altersgruppen bei Frauen häufiger [2,4], während eine andere Meta-Analyse nur bis zum Alter von 90 Jahren eine höhere Prävalenz für Frauen berichtet. Bei den über 90Jährigen wird in dieser Studie eine deutlich höhere Prävalenz für Männer berichtet [3]. Die Studie von Lobo et al [2] berichtet als einzige Untersuchung geschlechtsabhängige Prävalenzraten für vaskuläre Demenzen. Bis zum Alter von 84 Jahren besteht eine höhere Prävalenz für Männer und bei den über 85-Jährigen eine höhere Prävalenz für Frauen. Einige Autoren weisen darauf hin, dass die hier beschriebenen Ergebnisse bezüglich der Geschlechtsverteilung von Alzheimer und vaskulärer Demenz nur für Europa und Nord­ amerika als einigermaßen be­legt gelten können. Studien, die in an­ deren Weltregionen wie Asien oder Afrika durchgeführt wurden, finden bezüglich der Geschlechtsverteilung von Alzheimer und vaskulärer Demenz teilweise unterschiedliche Ergebnisse [5,6]. Da sich die Prävalenz aus Inzidenz und Krankheitsdauer, die bei den Demenzen vor allem durch die Sterblichkeit bestimmt ist, ergibt, wollen wir im Folgenden diese beiden Parameter genauer betrachten. Alter  Alle Demenzen Alzheimer Demenz Vaskuläre Demenz W M W M W M 60-64 -- -- -- -- -- -- 65-69 0,25 0,24 0,22 0,09 0,03 0,12 70-74 0,47 0,64 0,38 0,30 0,08 0,16 75-79 1,75 1,37 1,03 0,69 0,32 0,39 80-84 3,41 2,76 2,73 1,48 0,45 0,83 85-89 5,38 3,88 4,15 2,42 0,61 0,62 8,17 4,01 6,97 2,00 0,70 1,09 90-94 95+ Tabelle 2: Ein-Jahres-Inzidenz-Raten (%) in EURODEM [8] (M = Raten für Männer, W = Raten für Frauen) Inzidenz bei Frauen und Männern und über dem 80. Lebensjahr bei den Frauen höher. Unter den "jüngeren" alten Männern war die Inzidenz für vaskuläre Demenzen etwas höher als bei den gleichaltrigen Frauen, während Frauen in allen Altersstufen ein etwas höheres Risiko für eine Demenz vom Alzheimer-Typ hatten. Die EURODEM-Studie berichtet für alle Demenzen in den Altersgruppen über 75 Jahren eine höhere Inzidenz für Frauen als für Männer [8]. Bei 6569-Jährigen fanden sich nahezu idente Inzidenzraten für beide Geschlechter, bei 70-74-Jährigen höhere Inzidenz­ raten bei den Männern. Die Inzidenz für die vaskuläre Demenz war in allen Altersgruppen bei den Männern höher als bei den Frauen, während bei der Alzheimer Demenz die Inzidenz in allen Altersgruppen bei den Frauen höher als bei den Männern war. Eine der ersten Übersichtsarbeiten, die sich mit Geschlechtsunterschieden der Inzidenz beschäftigt hat, berichtete anhand von zehn Einzelstudien aus Europa, den USA und Japan ein einheitliches Ergebnis [7]. Bis zum 80. Lebensjahr war die Inzidenz für alle Demenzen bei den Männern Das Lebenszeitrisiko an einer Demenz zu erkranken ist vor allem durch die höhere Lebenserwartung von Frauen bedingt. Ott et al [9] beziffern die Wahrscheinlichkeit, im weiteren Lebensverlauf an einer Demenz zu erkranken, für Frauen im Alter von 65 Jahren mit 34,5% und für gleichaltrige Männer aufgrund ihrer geringeren Lebenserwartung mit nur 16%. Absolute Zahlen in Öster­ reich Die Geschlechtsverteilung der öster­ reichischen Bevölkerung im Al­ ter über 60 Jahren ist in Tabelle 3 dargestellt. Da Frauen insgesamt ein höheres Lebensalter als Männer erreichen, ist in allen Altergruppen der Anteil an Frauen größer, wobei bei den über 90-Jährigen bereits mehr als drei Viertel Frauen und weniger als ein Viertel Männer sind. Auch wenn bei den jüngeren Al­ters­ gruppen die Inzidenz und die Prä­ va­lenz bei den Männern teilweise höher als bei den Frau­en ist, führt die er­wähnte Ge­schlechts­zusammen­set­ zung der älte­ren Bevölkerung dazu, dass in Absolutzahlen deutlich mehr Frauen als Männer unter De­menz­ erkrankungen leiden (Tabel­le 4). Dies trifft sowohl für die Alzheimer als auch für die vaskuläre Demenz zu. Schmidt et al  Altersgruppen Frauen (%) Männer (%) 60-64 Jahre 51,6 48,4 65-69 Jahre 53,9 46,1 70-74 Jahre 58,1 41,9 75-79 Jahre 66,4 33,6 80-84 Jahre 69,1 30,9 85-89 Jahre 72,5 27,5 90-94-Jahre 76,6 23,4 95-99 Jahre 78,8 21,2 100 + Jahre 83,9 16,1 60 + Jahre 59,3 Krankenbestände Frauen Männer Frauen Männer Alle Demenzen 68,0 32,0 68,1 31,9 Alzheimer Demenz 74,1 25,9 70,5 29,5 Vaskuläre Demenz 62,7 37,3 56,4 43,6 Tabelle 4: Krankenbestände (prävalente Fälle) und jährliche Neuer­krankungen an Demenz bei den über 60-Jährigen in Österreich im Jahr 2000: prozentuelle Verteilung der Geschlechter (United Nations Population Division 2004, 10) Männer Frauen Keine Demenz Demenz Keine Demenz Demenz 60-64 Jahre 33,87 80,75 19,88 47,70 65-69 Jahre 34,92 83,26 20,50 48,87 70-74 Jahre 44,75 106,70 26,27 62,63 75-79 Jahre 77,63 185,09 45,56 108,64 80-84 Jahre 125,07 298,20 73,41 175,02 85+ Jahre 185,96 443,40 109,15 260,24 40,7 Tabelle 3: Österreichische Bevöl­ke­ rung über 60 Jahren im Jahr 2000: prozentuelle Verteilung der Geschlechter pro Altersgruppe (United Nations Population Divi­ sion 2004) Jährliche Neuerkrankungen Tabelle 5: Sterblichkeitsraten (pro 1000 Personenjahre) innerhalb von 4 Jahren [11] und Geschlechtsunterschiede in Kognition und Verhalten In der EURODEM-Studie wurde aus sechs europäischen Feldstudien eine Meta-Analyse zur Sterblichkeit durchgeführt (Tabelle 5; 11). Kognitive Leistungsunterschiede zwi­ schen gesunden Frauen und Männern sind ein vielbeachtetes Thema. Viele Studienresultate der letzten De­­kade lassen eine Dichotomie frauen- und männerspezifischer kog­­ nitiver Leistungen vermuten [14-15]. Demnach kann zwi­schen Testresultaten mit hypo­the­tischem Frauen(z.B. Wahrnehmungs­ge­­schwindigkeit, ver-bale Fähig­kei­ten) und solchen mit Männer­vorteil (z.B. Raumkog­ nition, mathe­matisches Problemlö­sen, Zahlen­verarbeitung) unterschieden wer­den. Es ist anzumerken, dass die Gruppenunterschiede meist ge­ring und die Streuung innerhalb der Geschlechtergruppen groß ist. Gleiches gilt für die Abhängigkeit vom angewandten Testverfahren. Sterblichkeit Männern bei Frauen In allen Altersgruppen war die Sterblichkeit der demenzkranken Männer deutlich höher als jene der demenzkranken Frauen. Ähnliche Ergebnisse kommen auch aus einer prospektiven Bevölkerungsstudie an 85-Jährigen [12]. Frauen im Alter von 65 Jahren haben eine um etwa 25% höhere verbleibende Lebenserwartung als Männer. So durchleben sie im Mittel auch eine deutlich längere Lebensspanne mit einer Demenz [13]. Die Darstellung von kognitiven Do­ minanzmustern für einzelne Per­s­onen ist daher schwierig, ebenso wie die Vorhersage einer geschlechterspezifischen Prävalenz bei der Entwicklung von kognitiven und Verhaltensstörungen im Alter, nicht zuletzt deshalb, weil die meisten Studien junge ProbandInnen untersuchten. Ein Vergleich alter, überwiegend nicht dementer Frauen und Männer zeigte bei weiblichen Probanden einen Leistungsvorteil gegenüber männlichen Probanden bei Gedächtnis und kognitiver Geschwindigkeit, obwohl die Frauen dieser Stichprobe eine geringere formale Schulbildung hatten und mehr Frauen institutionalisiert und verwitwet waren [16]. Auch andere Studien kognitiv gesunder älterer Menschen [17-19] fanden signifikant bessere Gedächtnisleistungen bei Frauen, zum Teil auch erwar­tungs­gemäß bessere räumliche Geschlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz Ver­arbeitung bei Männern; einige dieser Befunde blieben über die Jahre stabil [20]. Die Frage nach geschlechtstypischen kognitiven Defiziten im Alter und bei dementiellen Syndromen ist vor allem in der neuropsychologischen Beurteilung von Bedeutung. Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über Studien, in denen geschlechtstypische kognitive Defizite und Verhaltensstörungen bei Demenzpatienten untersucht wurden und diskutiert Zusammenhänge zwischen geschlechtstypischen kog­ nitiven Defiziten, klinischen und demographischen Variablen. Screenings und Standard-Unter­ suchungsbatterien, in denen ein Gesamtscore für kognitive Leis­tun­gen erstellt wird, sind für geschlechtstypische kognitive Defizite im allgemeikognitive und Verhaltensdomäne Sprache Gedächtnis nen nicht sensitiv [21-24]. In diesen Untersuchungen, die Gesamtscores über mehrere kognitive Leistungen bilden, konnten keine geschlechtsabhängigen Unter­schiede festgestellt werden. In einigen Vergleichsstudien mit genauerer Erfassung einzelner kognitiver Teil­bereiche wurden jedoch signifikante Gruppenunterschiede zwischen männ­­lichen und weiblichen Demenz­patienten, meist bei Patienten mit Alzheimerkrankung berichtet (Ta­belle 6). Diese Studien zeigen eine höhere Prävalenzrate für sprachliche, mnestische, semantische und Orien­tierungsdefizite bei Frauen mit Demenz. Vor allem in den Bereichen Sprache und verbales Gedächtnis überraschen die Resultate wegen des bereits genannten Leistungsvorteils von gesunden älteren Frauen ge­gen­über Männern in allgemeiner Kognition, Sprache und verbalem Gedächtnis [16,17,20]. Dazu muss kritisch angemerkt werden, dass kognitive Funktionen außer von der Grunderkrankung von vielen weiteren Faktoren beeinträchtigt werden können. Dazu sind bei der Demenz vor allem Schweregrad und Abbaurate [25], demographische und psychosoziale Merkmale (z.B. Schuljahre, Beruf, soziale Um­gebung), sowie körperliche Begleiterkrankungen und Risiko­faktoren zu nennen. Nur wenige Studien zu geschlechtstypischen kognitiven Defiziten bei der Demenz haben mehrere dieser wichtigen Ko­variablen berücksichtigt [26,27]. Bayles et al. [30] fand ein Verschwinden von Unterschieden bei Sprachleistungen wenn der De­menz­schweregrad berücksichtigt wurde. Andere Schwächen der Un­ Leistung(en) Geschlechtsabhängigkeit Autoren Benennen, Wortfindung F<M McPherson [25] Ripich [26] sprachgenerative Leistungen F<M Henderson [27], Marra 2007[28], Rogalski [29] Sprachproduktion, Sprachverständnis F<M McPherson [25] Sprachproduktion, Sprachverständnis F=M Bayles [30] episodisches G. F<M McPherson [25] Henderson [27] semantisches G. F<M Buckwalter 1996 [31 fehlt] Orientierungsleistungen F<M Buckwalter [21] F=M Henderson [27] Buckwalter [31] sozialer Rückzug, emotionale Labilität, Affektkontrolle, Depression, Wahn, psychot. Symptome bei F häufiger Ott [32] Cohen [33] Aggression, Apathie, Ess-, Schlafstörung bei M häufiger Eustace 2001[34], Ott [32] Orientierung Verhaltenskontrolle  Tabelle 6: Geschlechtsabhängigkeit kognitiver Defizite bei Demenzpatienten Schmidt et al ter­suchungen sind das Fehlen longitudinaler Erhebungen, die Nicht­ berücksichtigung psy­chia­­tri­scher Komorbidität und das Fehlen pathologischer Kor­rela­tio­nen. Es bleibt also unklar, wie ge­schlechterspezifische Ausprä­gun­­gen und Verteilungsmuster der Neurodegeneration mit den er­hobenen geschlechtstypischen kog­ nitiven Defiziten korrelieren [36]. Interessante Aspekte ergeben sich in einer Studie mit Alltagsbezug, die nicht nur quantitative sondern auch qualitative Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern bei Na­vi­gationsaufgaben (Wegfindung im Krankenhaus) erfasste [37]. Das Ausmaß des kognitiven Abbaus war bei Männern und Frauen mit Alzheimer-Erkrankung in diesem Test vergleichbar, es fanden sich jedoch Hinweise auf geschlechtsspezifische Strategien bei der Aufgabenlösung (Männer benützten visuell-räumliche, Frauen verbale Kapazitäten). In der Zusammenschau ist festzuhalten, dass mehrere Vergleichsstudien ge­ schlechtstypische kognitive De­fizite in den Bereichen Sprache, Orientiertheit und Gedächtnis er­fas­sen, jedoch wichtige Kovariaten häufig nicht berücksichtigt haben. Diesen Befunden stehen andere Studien gegenüber, bei denen keine geschlechtstypischen kognitiven Defi­zite beobachtet wurden [35]. Verlauf der Alzheimer Demenz bei Frauen und Männern Bei der Interpretation von Studien­ ergebnissen zu geschlechts­spe­zi­ fischen Unterschieden im Ver­lauf der Alzheimer Demenz sind eine Reihe limitierender Faktoren zu berücksichtigen. Vor­ allem die Heterogenität der untersuchten Populationen hin­sicht­lich Alter, Bildungsgrad und Demenzschweregrad ist zu nennen. Zudem sind die Daten aufgrund von Unterschieden im Studiendesign (retrospektiv/ prospektiv, Dauer des Follow-Up Zeitraumes, Art und Umfang der neuropsychologischen  Untersuchungen etc.) nur bedingt vergleichbar. Damit ergibt sich eine insgesamt inkonsistente Datenlage. Eine Reihe von Autoren beschreiben eine raschere Progredienz des klinischen Verlaufes bei Frauen [38-40]. Einen Überblick von Studien zum Verlauf von kognitiven Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten bei Alzheimerkranken in Abhängigkeit vom Geschlecht gibt Tabelle 7. Die Studie von Brayne et al. [42] fand ausgeprägtere Verschlechterungen im MMSE-Wert bei Frauen im Vergleich zu Männern. Andere Autoren führen die beschriebenen Geschlechtsdifferenzen in erster Linie auf die höhere Lebenserwartung bei Frauen und Unterschiede im Ausbildungsgrad zurück [47]. Eine qualitative hochwertige Studie mit homogener und repräsentativer Stichprobe und einem bis zu 8 Jahre langen Beobachtungszeitraum ist besonders hervorzuheben, da sie auch pathologische Korrelationen durchführte und den prämorbiden kognitiven Status berücksichtigte [35]. In dieser Untersuchung konn­ten keine signifikanten Geschlechts­unterschiede gefunden werden, weder im zeitlichen Verlauf des kognitiven Abbaus, noch im Risiko für die Entwicklung einer Demenz. Wie ebenfalls aus Tabelle 7 ersichtlich besteht eine relativ eindeutige Studienlage für geschlechtsspezifische Unterschiede der Demenzassozi­ierten Verhaltensauffälligkeiten (Be­ha­vioural and Psychological Symp­toms of Dementia, BPSD). Frauen zeigen ein breiteres Spektrum an unterschiedlichen BPSD-Symptomen bei deutlich höherer Prävalenz depressiver Symptome [48,49]. Es muss jedoch erwähnt werden, dass eine große Studie an mehr als 28.000 institutionalisierten PatientInnen mit Alzheimer De­menz über keine entsprechenden Ge­schlechtsunterschiede berichtete [46]. Männer zeigen häufiger aggressive Tendenzen [43,46, 50-52]. Der Unterschied bleibt auch nach der Kor- rektur für den Demenzschweregrad bestehen. Biologische Grundlagen ge­ schlechts­­­spezifischer Unter­schie­ de bei Alzheimer Demenz Morphologie und Funktion Unterschiede in den kognitiven Funk­tionen zwischen Männern und Frauen ergeben sich möglicherweise aus funktionellen und strukturellen Unterschieden im Aufbau des Gehirns. Es besteht ein geschlechtsbedingter Dimorphismus im Hypothalamus mit zweifach höherer Zahl von Neuronen bei Männern, das Planum temporale/vordere Sylvische Furche ist links bei Männern grösser als bei Frauen. Frauen haben einen voluminöseren hinteren Balken und zytoarchitektonische Untersuchungen weisen auf niedrigere Dichte und Anzahl von Neuronen in der Hirnrinde und reziproker Zunahme von Neuropil/ Neuronen- fortsätzen im weiblichen Kortex bei gleicher Kortexdichte hin [53]. Männliche Feten verlieren weniger überproduzierte Neurone als weibliche, ein Unterschied der die stärkere Anfälligkeit von Knaben auf frühe Hirnschäden und die höhere Frequenz der Demenz bei Frauen zumindest teilweise erklären könnte. Wegen der größeren Ausdehnung des kortikalen Neuropils (Neuronenfortsätze) bei der Frau kann jeder schädigende Prozess stärkere funktionelle Defizite infolge des Verlustes von mehr dendritischen Verbindungen pro Neuron verursachen. Auch daraus können sich geschlechtsspezifische Vor- aber auch Nachteile für kognitive Funktionen ergeben. Das größere Neuropilvolumen bei Frauen geht ohne Unterschiede der Neuronengröße und des Astro­ zytenvolumens einher. Männer haben dagegen höhere Neuronendichte ohne Unterschiede in der Kortexdicke. Dies weist darauf hin, dass Männer kleinere Neuroneneinheiten besitzen, wogegen die Neuroneneinheiten Geschlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz  Autoren Studiendesign Ergebnisse Barnes [35] Prospektiv N=848 (Angehörige eines Ordens) Kognitive Verschlechterung über 5-8 Jahre: F = M Buchanan [41] Retrospektiv (Datenbank: MDS) N=49.607 (PflegeheimbewohnerInnen mit AD) Brayne [42] Prospektiv N=1111 (Kohorte > 75 Jahre) Kognitive Verschlechterung innerhalb eines 2-jährigen Zeitraumes: F > M Cohen [33] Prospektiv N=514 (ambulante PatientInnen mit AD) Depressive Symptome: F > M Eastley [43] Retrospektiv N=262 (ambulante PatientInnen mit AD) Physische Aggressivität: F < M Fernandez [44] Retrospektiv (Datenbank: SAGE) N=400.000 (PflegeheimbewohnerInnen mit M. Parkinson) Physische und verbale Aggressivität, Umherwandern, sozial inadäquates Verhalten: F < M Halluzinationen, Wahnsymptome: F = M Depressive Symptome: F > M Gambassi [45] Retrospektiv (Datenbank: SAGE) N=1.492 (PflegeheimbewohnerInnen mit AD) Kognitiver Status: F < M Ott [46] Retrospektiv (Datenbank: SAGE) N=28.367 (PflegeheimbewohnerInnen mit AD) Physische Aggressivität, Umherwandern, sozial inadäquates Verhalten: F < M Depressive Symptome, Halluzinationen, Wahnsymptome: F =M Ott [32] Prospektiv N=125 (ambulante PatientInnen mit AD) Depressive Symptome: F = M Emotionale Labilität: F > M Biorhythmusstörungen F < M BPSD allgemein: F < M Tabelle 7: Geschlechtsdifferenzen im klinischen Verlauf der Alzheimer Demenz F: Frauen: M: Männer; AD: Alzheimer Demenz; BPSD: Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia; MDS: Minimum Data Set; SAGE: Systematic Assessment of Geriatric Drug Use via Epidemiology der Frau zahlenmäßig geringer aber größer sind. Lateralitätsunterschiede zeigen größere neuronale Somata in der linken Hemisphäre bei Frauen, Unterschiede die die Rechtshändigkeit der Frau, Sprachvorteile, und ihre Tendenz zu beidhändiger Aktivität erklären können [54]. Voxel-basierende morphometrische Untersuchungen des Hirnvolumens bei gesunden Menschen ergaben zwischen 58 und 95 Jahren eine altersabhängige Abnahme des Volumens der grauen Substanz um 2,4 cm3 (-0,18 %) pro Jahr und Erweiterun­ gen der Liquorräume um 2,5 cm3 (0,20 %) pro Jahr. Die Abnahme des kortikalen Volumens zeigt sich vorwiegend im Frontal-, Parietal- und Temporalkortex, nicht aber im hin- teren Gyrus cinguli und im mediobasalen Schläfenlappen. Hier bestehen keine Geschlechtsunterschiede [55]. Neuere MRT-Messungen ergaben eine ubiquitäre Hirnatrophie in der 7. und 8. Dekade, vorwiegend in primären Rindenanteilen, Gyrus angularis, Gyrus parietalis superior und im Hippokampus, gleichfalls ohne sichere Geschlechtsunterschiede [56]. Schmidt et al In Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede der Hirnfunktion zeigen Männer in funktionellen MRI Studien stärkere Aktivierung im rechten oberen Parietalkortex und im linken unteren Parietallappen als Frauen, bei qualitativ gleicher Leistung. Solche Daten weisen auf geschlechtsspezifische Unter­ schiede in der Hirnaktivierung bei kognitiven Anforderungen hin [57]. Funktionelle Unterschiede wurden auch im limbischen System bei Alzheimerkranken beschrieben. Wäh­ rend bei gesunden Kontrollen keine Unterschiede im Volumen und in der Perfusion des limbischen Systems bestehen, finden sich bei Morbus Alzheimer, trotz signifikanten Befalles bei beiden Geschlechtern, spezifische Unterschiede: nur Männer zeigen eine Atrophie im orbitofrontalen Kortex, mittleren und dorsalen Cingulum, Hypothalamus, Corpus mamillare und eine relative Hypoperfusion im vorderen und mittleren Cingulum, während Frauen ausschliesslich eine Atrophie des vorderen Thalamus aufweisen [58]. Rezente funktionelle Untersuchun-gen heben die Bedeutung geschlechtsab­ hängiger kompensatorischer Mecha­­ nismen als Ursache klinischer Unter­ schiede hervor. In diesen Studien haben Männer mit Alzheimer-Demenz oder frontotemporaler Demenz bei deutlich niedrigerem Metabolismus gleiche kognitive Leistungen wie betroffene Frauen [59,60]. Eine mögliche Interpretation dieses Befundes ist eine höhere kognitive Reserve bei Männern ohne dass das neuroanatomische oder neuro­chemische Substrat dafür bekannt ist. In diesem Kontext sind die klinisch-pathologischen Be­ funde der Catholic Clergy Study interessant, weisen sie doch darauf hin, dass eine gleichermaßen ausgeprägte Alzheimer-Pathologie sich bei Frauen klinisch eher als Demenz manifestiert als bei Männern [36].  Metabolismus und hormonelle Fak­ toren Geschlechterspezifische Unterschiede bestehen in der Aufregulierung antioxidativer Abwehrmechanismen in Form einer Erhöhung der Superoxid Dismutase und Glutathion- Peroxi­ dase-Aktivitäten sowie jener von 4Hydroxynonenal, einem Marker für oxidativen Schaden bei Alzheimer Demenz. Studien weisen darauf hin, dass diese Mechanismen bei Frauen geringer ausgeprägt sind als bei Männern und sehen darin eine mögliche Ursache für die höhere Prävalenz der Alzheimer-Demenz beim weiblichen Geschlecht [61]. Andere Untersuchungen zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede in der mitochondrialen Toxizität von Aβ-Peptid auf, wobei junge Frauen durch Östrogene vermutlich infolge Aufregulierung antioxidativer Enzyme besser geschützt scheinen [62]. Das Absinken des Östrogenspiegels bei Frauen in der Menopause wurde wiederholt mit kognitivem Abbau und Alzheimer-Demenz in Verbindung gebracht. Die positive Wirkung von Östrogen wird in zahlreichen Unter­ suchungen beschrieben und unterschiedliche Mechanismen werden dafür verantwortlich gemacht. Diese beinhalten die Aufregulierung der Acetycholin-Aktivität [63]. Östro­ gen stimuliert aber auch axonales Sprouting in CA1 Neuronen der erwachsenen Ratte, ein anderer Faktor der für geschlechts-spezifische Unterschiede von AlzheimerPatienten von Bedeutung sein mag, vor allem wenn man bedenkt, dass Neuronenverlust in dieser Region des Hippokampus bei Patienten mit Alzheimer-Demenz und raschem kognitivem Abbau beschrieben wurde [64]. Östrogen reduziert nicht nur die Aß-Toxizität [62], sondern vermindert auch die Aß-Produktion in Neuronen [65]. Es muss erwähnt werden, dass rezente Arbeiten darauf hinweisen, dass auch ein anderes Hormon der Hypothalamus-Hypophysen-Gona­ den-Achse, nämlich das luteinisie- rende Hormon, von entscheidender Bedeutung in der Pathogenese der Alzheimer- Krankheit ist. Es wird vermutet, dass die Zunahme dieses Hormons und nicht die Abnahme des Östrogens in der Menopause den primär kausalen Faktor für kognitiven Abbau darstellt [66]. Dieser Befund ist von besonderem Interesse, wenn es um die Interpretation der Women Health Initiative geht, in der das Risiko für Demenz bei postmenopausalen Frauen durch Hormonersatztherpie in Form von Östrogen plus Progesteron nicht vermindert, sondern sogar erhöht wurde [67]. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Gabe von Östrogen und Progesteron bei diesen älteren Frauen nicht nur nicht in der Lage war, ein adäquates Funktionieren der HypothalamusHypophysen-Gonaden-Achse zu ge­währleisten, sondern dass die Ga­be exogener Hormone den Krank­ heitsprozess sogar noch verschlechterte. Der reine Blick auf Östrogen ohne Berücksichtigung der anderen Hormone der HypothalamusHypophysen-Gonaden-Achse kann augenscheinlich in die Irre führen. Geschlechtsunterschiede bei medikamentöser Be­ handlung der Alzheimer Er­ krankung Antidementiva Cholinesteraseinhibitoren und der NMDA-Antagonist Memantine sind die effektivsten und weitest­ver­brei­ teten Medikamente für die Behandlung der Alzheimer-Demenz [68-70]. Daten bezüglich möglicher differentieller Wirksamkeit bei den Geschlechtern existieren nur für Cholinesterasehemmer. Evidenz für etwaig unterschiedliches Ansprechen kommt von tierexperimentellen Stu­dien [7173] und einigen kli­nischen Studien welche sich der Frage der Interaktion von Geschlecht und Behandlungsantwort widmeten [74-79]. Tabel- Geschlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz Author Buccafusco [71] Monbaliu [72] Wang [73] Farlow [76] MacGowan [79] CHE  Methodik Ergebnisse 6 weibliche und 6 männliche Rhesusaffen (>20 Jahre) wurden mit 4 Dosen von Donepezil über 5 Wochen therapiert Männchen zeigten Verbesserung in der Testdurchführung in den 3 höheren Dosen während diese bei Weibchen erst bei höchster Dosis erfolgte. Galantamin Einzelne iv und einzelne und multiple orale Gabe bei Ratten, Mäusen, Hasen und Hunden Bei Ratten war der Plasmaspiegel bei Weibchen niedriger. Bei Mäusen hatten Weibchen höhere Spiegel und bei Hunden bestand keine Abhängig vom Geschlecht Rivastigmin Vergleich der Enzymaktivität und kognitiven Leistung in unterschiedlichen Hirnregionen, Herz –und Skelettmuskel und Plasma in alters-gemachten männlichen und weiblichen Ratten Signifikant größerer Effekt im zerebralen Kortex, Striatum und Hippokampus zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Dosierungen Tacrin 460 Alzheimer Patienten aus kontrollierter randomisierter Studie mit ApoE Genotypisierung ApoE4 war ein Prädiktor für negative Therapieresponse, wobei diese Assoziation vor allem bei Frauen bestand 107 Alzheimer Patienten einer Memory Klinik aus einer offenen doppel-blinden Therapie Studie Nach 3 Monaten Therapie hatten Männer eine 73% höhere Wahrscheinlichkeit für Therapieresponse als Frauen, aber der anfängliche Vorteil der Männer blieb nicht über den gesamten Studienverlauf erhalten. Donepezil Tacrin oder Galantamin Tabelle 8: Tierexperimentelle und klinische Studien zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Therapieantwort auf im Handel befindliche Cholinesterasehemmer le 8 gibt ein Zusammenfassung der Unter­suchungen mit den Cholineste­ rasehemmern Donepezil, Galantamin und Rivastigmin. Tierexperimentelle Studien Eine Reihe von Studien weist auf Geschlechtunterschiede in der Behand- lungsantwort auf Cholinesterasehemmer hin. Eine Studie bei älteren Rhesusaffen zeigte eine höhere Sensitivität für kognitionsverstärkende Effekte bei Männchen [71]. In einer anderen Untersuchung zeigte sich eine stärkere cholinerge Hemmung im zerebralen Kortex, Hippocampus und Striatum bei weiblichen Ratten, ohne dass ähnliche Effekte im peripheren Nervensystem be­standen [73]. Obwohl somit einige Studien vorliegen welche für Unterschiede in der Therapieantwort auf Cholinesteraseinhibitoren spre­chen, bleibt unklar wo sich diese Effekte manifestieren. Sie können auf Enzymebene oder anderen Kom­ponenten des choliner- Schmidt et al gen Systems oder auch im Metabolismus der Substanzen evident werden. Letztlich ist festzuhalten, dass die Ergebnisse auf Studien an Tieren beruhen, welche normalerweise nicht den klinischen oder neuropathologischen Phänotyp der Alzheimer-Demenz entwickeln. Klinische Studien Die Ergebnisse bezüglich Be­ hand­lungsantwort auf Choli­neste­ raseinhibitoren bei Alz­heimer­ patienten in Abhängigkeit vom Geschlecht sind inkonsistent. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass Frauen besser auf Therapie ansprechen als Männer [74-76]. Andere Autoren berichten über eine dreifache Interaktion zwischen Ge­schlecht, Apolipoprotein E- Genotyp und Behandlungsantwort [76,79]. Die Studie von Farlow [76] berichtet über eine moderate Behandlungsantwort auf Tacrin bei männlichen ApoE4-Trägern, während ApoE4- Trägerinnen kaum auf Tacrin ansprachen. Im Gegensatz dazu hatten Frauen mit dem ApoE 2 oder 3 Genotyp die stärkste Behandlungsantwort aller analysierten Subgruppen. Die Studie von MacGowan [79] ist die Auswertung einer offenen Therapiestudie zu Tacrin und Galantamin. Die Therapieantwort wurde mittels MMSE bestimmt und ein gleichbleibender oder besserer Score im Beobachtungszeitraum wurde als positive Therapieantwort gewertet. Nach 3 Monaten bestand bei 76% der Männer aber nur 52% der Frauen eine positive Therapieantwort auf Tacrin und ähnliche Ergebnisse bestanden für Galantamin. Es bestand eine Interaktion mit dem ApoE4 Genotyp. Männliche Trä­ger zeigten eine geringere Therapieantwort, Trägerinnen eine bessere Therapie­antwort. Unserer Meinung nach sind die bisherigen Daten zur geschlechts­ abhängigen Therapie­antwort auf Cholinesterasehemmer inkonklusiv. Wenn überhaupt eine Interaktion zwischen Geschlecht und Therapie­ 10 response besteht, wie sie in einzelnen Untersuchungen berichtet wird, so ist sie sehr gering und zeigt große individuelle Variabilität. Die berichteten Effekte sind jedenfalls nicht konsistent und können nicht in spezifischen Therapieempfehlungen münden. Trotz des weitgehenden Fehlens von geschlechtsspezifischen Unter­ schieden in der Therapieantwort gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass Frauen mehr Nebenwirkungen auf Cholinesteraseinhibitoren ha­ben als Männer [80]. Aufgrund bis­her bestehender Ergebnisse scheint dieser Befund aber nicht geschlechtsspezifisch zu sein, son­dern durch generell geringeres Ge­wicht von Frauen und daraus resultierende geringere Clearence von Cholinestersehemmern verursacht zu sein [81]. Neuere Antipsychotika Patienten, die an einer Demenz erkrankt sind, leiden zu 60 bis 90% auch an anderen neuropsychiatrischen Symptomen. Zur Behandlung einer psychotischen Symptomatik bei Demenz finden Antipsychotika An­wendung. Es ist hervorzuheben, dass in Österreich nur Risperidon in dieser Indikation zugelassen ist. Für Olanzapin und Risperidon [82-85] liegen mehrere Placebo-kontrollierte Studien vor. Auch für Quetiapin [86] und Ariprizaol [87] gibt es zumindest eine Placebo-kontrollierte Studie, die die Wirksamkeit in der Behandlung von Agitiertheit/Psychose bei Demenz dokumentiert [88]. Keine dieser Studien hatte jedoch die geschlechtsspezifische Wirkung und Nebenwirkung als Hauptzielparameter. Generell unterscheidet sich die Pharmakokinetik von Antipsychotika bei Frauen und Männern [89]. Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Plamaspiegel wurden für Frauen bisher nur für Clozapin und Olanzapin nachgewiesen, während für Risperidon, Ziprasidon, Quetiapin und Aripiprazol bisher kein direkter Einfluss des Geschlechts auf Plasmaspiegel nachgewiesen wurden [90-92]. Hyperprolaktinämie, wie sie besonders unter Risperidon und Amisulprid gefunden wird, ist bei Frauen im Vergleich zu Männern stärker ausgeprägt. Die meisten Studien zeigen, dass Clozapin und Olanzapin mit der stärksten Gewichtszunahme, insbesondere bei Frauen einhergehen. Die wenigen vorliegenden Studien zu diesem Thema berichten auch über eine höhere Prävalenz des metabolische Syndroms bei Frauen. Es gibt keine sichere Evidenz, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Häufigkeit und Schwere von akuter Dystonie oder anderen Bewegungsstörungen gibt. Frauen besitzen hingegen ein erhöhtes Risiko für QT-Verlängerung mit der Gefahr von Torsades de Pointes- Arrhythmien. Trotz der Hinweise für geschlechts­ spezifische Unterschiede im Ne­ben­ wirkungsprofil der neueren Antipsy- Prolaktinerhöhung Gewichtszunahme Inzidenz des metabolischen Syndroms Inzidenz von Torsade de pointes-Arrhytmien Osteoporoserisiko Tabelle 9: Geschlechtsspezifische Unterschiede für die neueren Antipsychotika (bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern) Geschlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz chotika bleibt die Beurteilung etwaiger klinischer Konsequenzen derzeit noch spekulativ (Tabelle 9). Antidepressiva Wie für die Antipsychotika gibt es auch für die Antidepressiva keine prospektiven Studien über geschlechtsspezifische Unterschiede in Wirkung und Nebenwirkungsrate bei Patienten, die an einer Demenz leiden. In einer Vergleichsstudie bei depressiven Patienten zeigte sich, dass Frauen Sertralin, Män­ner dagegen Imipramin besser vertragen. Schwindel und Übelkeit sind die Symptome, die bei Frauen zum Abbruch einer Imipramin-Therapie führen. Dyspepsie, ge­störte Sexualfunktion und Miktions­störungen lassen Männer die Sertralin-Therapie abbrechen [93]. Geschlechtsspezifische Unter­schiede der sozialen Ver­sorgung dementer Per­ so­nen Ungeachtet der Brisanz der de­ mografischen Entwicklung gibt es nur unzureichende Daten zur sozialen Versorgung dementer Per­sonen. Die Darstellung der Ver­sorgungssituation dementer Personen in Österreich stützt sich auf Datenmaterial aus der Pflegevorsorge Österreich. Die Pflegevorsorge in Österreich [94] umfasst im We­sentlichen eine zweckgebundene Geldleistung zur (teilweisen) Ab­deckung des pflegebedingten Mehraufwandes, Maßnahmen zur Unterstützung pflegender Ange­hö­ riger und den Ausbau der sozialen Dienste. Der Aufwand für die Pflegevorsorge betrug 2003 2,91 Mrd. Euro [95]. Das entspricht 1,3% des Bruttoinlandsproduktes. Davon entfallen 1,74 Mrd. Euro auf Pflegegelder der Länder und des Bundes, 0,67 Mrd. Euro auf Alten- und Pflegeheime, 0,33 Mrd. Euro auf Behindertenheime und 0,17 Mrd. Euro auf ambulante Be­ 11 treuungseinrichtungen. Die Er­fahrung der letzten Jahre zeigt, dass die Einstufungskriterien dem tatsächlichen Betreuungsbedarf leicht und mittelschwer dementer Personen nicht ausreichend gerecht werden, jedoch der Zugang in das System gewährleistet ist. Daher treffen Rückschlüsse aus dem Daten­­material der Pflegevorsorge, ausgenommen der Stufenzuordnung nach den Pflegegeldgesetzen, auch für die Gruppe der dementen Personen zu. Geschätzt ist der Anteil dementer Personen unter den PflegegeldbezieherInnen mit rund 20% anzunehmen [95]. Die Einführung des Pflegegeldes hat vielfältige Anreize im sozialen Versorgungsbereich gesetzt. Erstmals wurden das Angebot, die Kosten und der Bedarf analysiert. Die Themen Alter, Hilfe, 24-Stunden Betreuung, die Pflegesituation generell und zunehmend auch das Thema Demenz werden öffentlich diskutiert. Das Pflegegeld verbesserte die finanzielle Situation der älteren Generation, insbesondere der Frauen (41% geringere Durchschnittspension als Männer), ermöglicht den Zukauf an Hilfe zur Eigenpflege und bei der Betreuung naher Angehöriger. Der vermehrte Bedarf an professioneller Pflege hat die Zahl der Beschäftigten seit Einführung der Pflegevorsorge in stationären Einrichtungen um rund 45% und im ambulanten Bereich um rund 80% erhöht [96]. Das Durchschnittsalter der Pflege­ geldbezieherInnen liegt bei 78 Jahren und knapp 2/3 davon sind Frauen. Der Frauenanteil steigt mit zunehmendem Alter an und beträgt ab der Alterskategorie 80 plus rund ¾ aller Pflegegeldbezieher [97]. Im Schnitt leben 1/3 der PflegegeldbezieherInnen alleine. Kor­relierend mit der Zunahme des Betreuungsbedarfes sinkt die Zahl derer, die alleine leben sukzessive auf 12% [95]. Das monatliche Einkommen, korrelierend mit der unterschiedlichen Pensionshöhe von Frauen und Männern, liegt entsprechend der Stichprobe 2004 der Pensionsneuzugänge des Sozialministeriums in knapp 60% der Fälle unter 860 Euro und nur 7% haben mehr als 1790 Euro monatlich zur Verfügung. Die entsprechenden Absolutzahlen von PflegegeldbezieherInnen können Tabelle 11 entnommen werden. Die Pflege und Betreuung erfolgt vorrangig (zu 80%) im familiären Kontext und wird zu 78% von Frauen erbracht. Bei Ausfall der Ehepartnerinnen übernehmen im Regelfall die Töchter die Pflege. Die räumliche Nähe ist ein wesentlicher Aspekt. Rund 80% erreichen die Angehörigen binnen 30 Minuten [95]. Die Alter Männliche PGB Weibliche PGB Männliche und weibliche PGB 0 – 20 0,7% 0,5% 0,6% 21 – 40 0,8% 0,7% 0,7% 41 – 60 2,0% 2,0% 2,0% 61 – 80 7,0% 10% 9.0% 81 + 43,0% 61,0% 57,0% Gesamt 3,0% 6,0% 4,0% Tabelle 10: Anteil der PflegegeldbezieherInnen (PGB) in der Bevölkerung in Ab­hängig­keit vom Alter. [AK-Bericht Pflegevorsorge 2003, Bevölkerung 2001 (Statistik Austria)] Schmidt et al 12 Alter Frauen Männer 0 – 20 5.034 6.932 21 – 40 7.894 10.413 41 – 60 18.044 19.843 61 – 80 83.243 47.318 81 + 138.903 36.592 Summe 253.118 121.098 Tabelle 11: Altersstruktur der PflegegeldbezieherInnen Stichtag 31.12.2005 (Arbeitskreisbericht 2005) ergänzende Unterstützung bei der Betreuung durch Freunde, Nachbarn etc. steigt, vom Gesundheitszustand abhängig, von 6 Stunden bis auf 30 Stunden wöchentlich an [98]. Der Zeitaufwand zur Pflege verwirrt/des­ orientierter und psychisch kran­ker PensionsbezieherInnen liegt im Vergleich zu körper­lich be­einträchtigten Pensions­be­zieherInnen deutlich höher und rund 1/3 dieser Personen erhält eine 24 Stunden Betreuung [95]. Professionelle Unterstützung durch mobile Dienste wird in rund 33% der Fälle genutzt. Trotz des Aus­ baus des mobilen Sektors um 18% seit 1999 in Österreich ist, mit Ausnahme Vorarlbergs, das Angebot im Vergleich zu skandinavischen Ländern unterentwickelt (Ludwig Boltzmann Institut). Der schwarz­ graue Pflegemarkt spielt mit geschätzt rund 1000 bis 6000 Vollbeschäftigten eine wichtige Rolle. Diese Schätzung bezieht illegale Pflegevereine mit ein. Es gibt 57.412 Plätze in Alten- und Pflegeheimen, wobei das Verhältnis Wohnplatz zu Pflegeplatz 3:1 beträgt. Seit 1997 gab es eine Zunahme um 18,8% an Plätzen (Arbeitskreisbericht Pflegevorsorge 2005 – Seite 109, Vorarlberg 2005). Rund 7% der PflegegeldbezieherInnen leben in Alten- oder Pflegeheimen, alle übrigen zu Hause. Etwa 60% aller in Pflegeheimen lebenden Älteren sind dement. Bezogen auf diesen hohen Anteil dementer Personen ist das demenzorientierte Angebot bei der Pflege und Betreuung gering. Lediglich einzelne, kleine Einheiten haben sich auf die Betreuung dementer Personen spezialisiert. Es fehlen generell strukturelle Angebote, wissenschaftlich fun­dierte Pflegekonzepte und Ausbil­ dungsprogramme für das Personal. Diese Mängel zeichnen sich in einer hohen Fluktuation des Personals ab. Eine Studienarbeit der Hochschule für angewandte Psychologie Zürich stellt Therapieansätze und Modelle zur praktischen Umsetzung dar und liefert Anregungen zur Diskussion mit Verantwortlichen [99]. Das Angebot anderer betreuter Wohnformen ist auf den Kreis der geistigoder mehrfachbehinderten Menschen fokussiert. Das Ange­bot für demente Personen ist vernachlässigbar und nicht erfasst. Das Angebot an Tagesseniorenzentren, geriatrischen Tageszentren und Tagesheimen ist in einzelnen Re­ gionen unterschiedlich ausgebaut. Schwerpunkte finden sich in Wien mit rund 100.000 Besuchen pro Jahr und einem flächendeckenden gemischten Angebot in Vorarlberg. Einzigartig in Österreich gibt es in Vorarlberg einen örtlich regio­nalen Mix aus Laiendiensten, Krankenpflegevereinen und Trägerorganisationen. 74 % der pflegenden Angehörigen dementer Personen leisten Pfle­ge rund um die Uhr [100]. Chro­nischer Schlafentzug, Angst­zu­stände, soziale Isolation, kör­per­liche Belastung, vermehrter Beruhigungsmittelkonsum, finan­ziel­le und innerfamiliäre Probleme charakterisieren die Situa­ tion. Hinzu kommt, dass Frauen zu­nehmend erwerbstätig und daher nicht mehr in der Lage sind, Betreuungsrollen uneingeschränkt zu übernehmen. Ein Entlastungsangebot für pflegende Angehörige dementer Personen muss ausgebaut und erweitert werden [95,98]. Interessante Ansätze zeigt ein Projekt zur Neuorientierung der kommunalen Seniorenpolitik auf [101]. In sechs deutschen Kommunen wurde gemeinsam mit SeniorInnen ein umfassendes Betreuungskonzept entwickelt. Eckpunkte sind eine Einbeziehung der noch aktiven SeniorInnen im niederschwelligen Bereich, Kooperationsstrukturen pro­fes­sioneller und informeller Pfle­ gerInnen und eine Ausrichtung hin zur aktiven Mitverantwortung der BürgerInnen. Untersuchungen der Belastungs­situa­ tion pflegender Angehöriger zeigen, dass sich BetreuerInnen dementer Personen häufig bis fast immer überlastet fühlen. Als Gründe werden der enorme zeitlichen Aufwand, die „ständige Anwesenheit“, Isola­tion, mangelnde Anerkennung, insbe­sondere bei Frauen, und ungeteilte Verantwortung angeführt [95,98]. Entsprechend diesen Analysen sind die Entlastungsangebote aus­ge­richtet. Das Angebot reicht von Beratung – Pflegetelefon, Pflege­ scheck, Qualitätssicherung, Hilfsmitteldatenbank – über Urlaub mit Pflegegeldbeziehern oder Ersatzpflege zur Erholung von der Pflege bis hin zu finanziellen Unterstützungen bei der Pflege (www.pflegedaheim.at). In Österreich fehlt, ausgenommen Vorarlberg, ein niederschwelliges Angebot an sowohl örtlich als auch zeitlich unmittelbar verfügbarer „Er­ satzpflege“. Die Situation der professionellen PflegerInnen stellt sich folgendermaßen dar: Bei den mobilen Diensten liegt der Frauenanteil am Personals bei 91%. Es besteht ein Trend hin zur Qualifizierung mit extrem hohen Zuwächsen beim niedrig ausgebildeten Pflegeund Betreuungspersonal, überwiegend in Teilzeitbeschäftigung (25 Wochenstunden). Geschlechtsspezifische Unterschiede der Alzheimer Demenz In teilstationären und stationären Einrichtungen liegt der Anteil der weiblichen Beschäftigten bei durchschnittlich 84%. Der im Vergleich relativ hohe Anteil männ­licher Beschäftigter erklärt sich aus dem ärzt­lichen Personal (46% Männer) und den subsummierten Zivildienern (100% Männer) im weiteren Personal. Gegenüber 1999 zeigt sich auch hier ein deutlicher Trend zur Qualifizierung als Resultat der verbesserten Ausbildung, wobei Vollzeitbeschäftigung überwiegt. Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] Hofman, A, Rocca WA, Brayne C, Breteler MMB, Clarke M, Cooper B, et al. The prevalence of dementia in Europe: A collaborative study of 1980-1990 findings. Intern J Epidemiol 1991; 20: 736-48 Lobo A, Launer L, Fratiglioni L, Andersen K, Di Carlo A, Breteler M, et al. Prevalence of dementia and major subtypes in Europe: a collaborative study of populationbased cohorts. Neurology 2000; 54 (Suppl. 5): S4-S9 Rocca WA, Hofman A, Brayne C, Breteler MMB, Clarke M, Copeland JRM, et al. Frequency and distribution of Alzheimer's disease in Europe: a collaborative study of 1980-1990 prevalence findings. Ann Neurology 1991; 30: 381-90 Hy L, Keller D. Prevalence of AD among whites: a summary by levels of severity. Neurology 2000; 55: 198-204 Jorm AF, Korten AE, Henderson AS. 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Als Reaktion auf die Warnhinweise der europäischen und amerikani­ schen Arzneimittelbehörden, dass Antidepressiva Suizidalität bei depres­ siven Kindern verursachen oder ver­ stärken können, sinken die Zahlen von diagnostizierten und behandelten de­ pressiven Kindern und Jugendlichen. Die Intention der Warnungen von EMEA und FDA war sicherlich nicht depressive Kinder und Jugendliche unbehandelt zu lassen und dies mit all den Folgen für die psychosoziale © 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 Entwicklung junger Menschen und ihrer Familien. Erschreckend ist, dass der Rückgang psychopharmakologi­ scher Behandlungsstrategien nicht im selben Umfang zu einer Steigerung anderer Behandlungsformen, wie z.B. psychotherapeutischer Therapien ge­ führt hat. Da die Raten von Rezidiven bei depressiven Kindern sehr hoch sind, benötigt diese Risikogruppe aber eine besondere Aufmerksamkeit und die bestmögliche Behandlung. Die rezenten Jugendsuiziddaten in Österreich zeigen diesen ansteigenden Trend, wie er in den USA, England und Holland zur Zeit sichtbar wird, nicht oder - noch nicht? Es bedarf daher unserer erhöhten Wachsamkeit, ähnliche Entwicklungen sehr frühzei­ tig zu erkennen und bei aller notwen­ digen Vorsicht dürfen wir depressi­ ven Kindern und Jugendlichen eine moderne multimodale Therapie, auch unter Einschluss einer psychophar­ makologischen Behandlung, nicht vorenthalten. Does antidepressant therapy increase suicide risk in children and adolescents? – A comment Recent data indicate increasing sui­ cide rates for children and adolescents in the United States, Great Britain and the Netherlands. These facts call for a critical discussion of prescription rates of antidepressants for pediatric use. Obviously the U.S. and European regulators issued public warnings about a possible association between antidepressants and suicidal think­ ing and behaviour have discouraged physicians to use antidepressants in this age group. Untreated depression means impairment of psychosocial development of children and their families. Alarmingly there is no evi­ dence of a significant increase in the use of treatment alternatives as for example psychotherapy. High relapse rate with early onset of depressions are common and therefore children with depression need all our attention and best treatment available. Current Austrian suicidal statistics do not yet demonstrate increasing suicid­ al rates in adolescents as seen in the U.S., the U.K. and the Netherlands. Thus all our alertness is needed to avoid any analogical progress in suicide rates and despite regulatory warnings and certainly after a careful risk-benefit analyses physicians have to consider pharmacological treat­ ment options in depressive children and adolescents. Einleitung Seit bereits 30 Jahren gibt es kontro­ verse Diskussionen über Diagnose und Behandlung von Depressionen im Kindes- und Jugendalter, die sich neben Fragen der Prävalenz insbesondere der Zweckmäßigkeit Erhöht die Therapie mit Antidepressiva das Suizidrisiko bei Kindern und Jugendlichen? – Eine Stellungnahme einer psychopharmakologischen Be­handlung im Kindesalter widme­ ten [1]. Aktuelle Leitlinien wie z.B. die der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie [2] sehen primär eine psychotherapeu­ tische Behandlung von depressiven Episoden im Kindesalter vor. Erst bei schweren und/oder therapierefraktä­ ren Verläufen wird die Kombination mit einem Antidepressivum emp­ fohlen. Leider werden auch hier im­ mer noch trizyklische Antidepressiva (TCA), neben selektiven SerotoninWiederaufnahmehemmern (SSRI) als Mittel der Wahl vorgeschlagen. Mit Beginn der 90er Jahre erfolgte aber, nicht unbedingt im Einklang mit den gängigen Empfehlungen, eine mas­ sive Zunahme der Antidepressiva (AD)-Verschreibungen an Kinder und Jugendliche mit Schwerpunkt in den USA. Gleichzeitig erhärteten immer mehr epidemiologische Studien den Zusammenhang des ansteigenden Einsatzes von AD mit dem Rückgang von Suizidraten bei Erwachsenen und wie letzte Daten auch zeigen bei Kindern und Jugendlichen [3;4] (für einen Überblick siehe Aichhorn und Geretsegger [5]). Diese durchaus erfreuliche Tendenz förderte zusätz­ lich die Verschreibungshäufigkeit von AD an Kinder und Jugendliche. Dabei handelt es sich aber um eine Medikamentengruppe die, mit Aus­ nahme von Fluoxetin (in Europa zugelassen ab dem 8. Lebensjahr in Kombination mit Psychotherapie [6]), nicht in dieser Altersgruppe zugelassen und nur im „off-label use“ zu verordnen ist. Das heißt in jedem Einzelfall muss eine vorsich­ tige Nutzen-Risiko Abwägung einer Verordnung voraus gehen. Besonders erschwert wurde die Einschätzung der Wirksamkeit von AD bei Kindern und Jugendlichen durch den Mangel an kontrollierten Studien. Erst durch Unterstützung des National Institut of Mental Health konnte Emslie 1997 erst­ mals in einer placebo-kontrollier­ ten Studie eine statistisch signifi­ kante Wirksamkeit von Fluoxetin in der Depressionsbehandlung bei Kindern und Jugendlichen nach­ weisen [7]. Ermutigt durch dieses positive Ergebnis wurden in den darauffolgenden Jahren einige kon­ trollierte Studien, zum Teil auch mit Unterstützung der pharmazeu­ tischen Industrie, an Kindern und Jugendlichen mit Depressionen [8;9] und Angststörungen [10] durchge­ führt. Seit dem Jahr 2000 mehrten sich aber Hinweise, dass AD bei Kindern und Jugendlichen zu einer gesteiger­ ten und eventuell sogar neu aufgetre­ ten Suizidalität führen könnten und damit eine potentielle Gefährdung durch die pharmakologische Be­ hand­lung nicht mehr ausgeschlossen werden konnte. Diese Befunde ku­ mulierten in einer Warnung der eu­ ropäischen [11] und amerikanischen [12] Arzneimittelbehörden die in ih­ rer letzten Fassung nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch junge Erwachsene im Alter von 18–24 mit einschließt. Es wird dabei ausdrück­ lich darauf hingewiesen, dass die antidepressive Medikation Ursache einer erhöhten Suizidalität sein kann. Diese Warnhinweise führten in der Folge zu einer großen Verunsicherung der behandelnden Ärzte und natür­ lich der betroffenen Kinder und deren Angehörigen. Im folgenden wird mit Blick auf die gegenwärtige Entwicklung ein kurzer Überblick aktueller Behandlungskonzepte bei depres­ siven Störungen im Kindes- und Jugendalter gegeben. Prävalenz und Verlauf depressiver Störungen im Kindes- und Jugendalter Die Prävalenzzahlen nehmen mit dem Alter zu: präpubertär 1-2%, pubertär 3-6% und postpubertär nähern sich die Zahlen mit 10-14% rasch den Werten bei Erwachsenen an [13]. In einer rezenten Studie in Deutschland wurden im Schnitt 5.4% depressive Kinder und Jugendliche 17 (Mädchen 5.3%, Knaben 5.4%) in der Altersgruppe 7-17 Jahre gefunden [14]. In der Geschlechterverteilung findet sich präpubertär noch kein Unterschied, erst ab der Pubertät kommt es zu einer deutlichen Zunahme der Mädchen, im Verhältnis w : m = 3 :1. Die Dauer einer unbehandelten Episode beträgt im Schnitt 3-6 Monate. Nach 2 Jahren wird aber nur in 43% eine volle Remission und in 47% eine partielle Remission erreicht. Um die 10% der Verläufe sind primär chronisch und zeigen eine besonders schlechte Prognose. Die Rezidivraten depressiver Störungen mit Beginn in der Kindheit oder Jugendzeit liegen um die 50% nach 3 Jahren [15] und um die 70% nach 7 Jahren [16], sind also erschreckend hoch. Symptomatik, Komor­bidi­ tät und Diagnostik Die Symptomatik einer depressi­ ven Episode verändert sich mit dem Le­bensalter des Heranwachsenden, erst ab der Pubertät gleichen sich die Symptome denen eines Erwachsenen an. Für einen altersentsprechenden Überblick der Symptomatologie siehe Tabelle 1. Die häufigste komorbide Störung ist die Angststörung gefolgt von Zwangs­ störungen, Essstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, Hyperaktivitätsund Aufmerksamkeitsstörungen, Sub­s­tanz­­missbrauch und posttrauma­ tische Belastungsstörungen. Die Diagnostik orientiert sich am psy­ chopathologischen Status gefolgt von der biographischen Anamnese des be­ troffenen Kindes und seiner Familie. Risikofaktoren sind Depressionen in der Familie [17], häufiger familiärer Streit [18], antisoziales Verhalten der Eltern [19], das Erziehungsverhalten, die Affektverarbeitung sowie kogni­ tive Distorsionen, Misshandlungen [20] und die behaviourale Inhibi­ tion [21]. Dem gegenüber stehen Resilienzfaktoren wie gute Ein­bin­ dung des Kindes in Familie und Aichhorn, Fartacek, Thun-Hohenstein 18 Altersgruppe Symptomatik Kleinkindalter 1-3 Jahre Wirkt traurig; ausdrucksarmes Gesicht; verändertes Interaktionsverhalten, erhöhte Irritabilität; gestörtes Essverhalten; Schlafstörungen, selbststimulierende Verhalten (z.B. jactatio capitis etc.), genitale Manipulationen, auffälliges Spielverhalten: reduzierte Kreativität und Ausdauer, Spielunlust; mangelnde Fantasie Vorschulalter 3-6 Jahre Trauriger Gesichtsausdruck; veränderte Gestik und Mimik; leicht irritierbar und stimmungslabil; mangelnde Fähigkeit sich zu freuen; introvertiertes Verhalten, aggressives Verhalten; vermindertes Interesse an motorischen Aktivitäten; Essstörungen mit Gewichtszu -oder -abnahme; Schlafstörungen: (z.B. Alpträume, Pavor nocturnus); psychosomatische Symptome (z.B. rezidivierende Bauchschmerzen) Schulkinder Verbale Berichte über Traurigkeit, suizidale Gedanken; Befürchtungen, dass Eltern nicht genügend Beachtung schenken; Schulleistungsstörungen; psychosomatische Beschwerden (z.B. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen) Pubertät und Adoleszenz Vermindertes Selbstvertrauen; Apathie, Konzentrationsmangel, Angst; Leistungsstörungen; aggressiv-impulsives Verhalten; zirkadiane Schwankungen des Befindens; psychosomatische Störungen; Kriterien der depressiven Episode nach ICD 10; psychische und somatische Symptome waren bereits zu früherem Zeitpunkt vorhanden Tabelle 1: Depressive Symptomatik im Altersverlauf modifiziert nach DGKJPP 2007 Schule, eine gute innere Verbindung zu den elterlichen Vorstellungen, Verhalten und Erwartungen, des weite­ren die Mitgliedschaft in einer nicht-devianten Peer-group [13] und die professionelle Behandlung der el­ terlichen Depression [22]. Zur Abklärung einer kindlichen Depression gehört neben einer exak­ ten körperlichen Untersuchung ein komplettes Labor, EEG und die Bild­ gebung mittels CCT oder MRI. Für die psychologische Diagnostik stehen das Kinder-DIPS oder ver­ schiedene spezifische Fragebögen wie das Depressions-Inventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ), der Depressionstest für Kinder (DTK), die Children’s Depression Rating Scale-Revised (CDRS-R) oder die Montgomery-Asberg Depres­ sion Rating Scale (MADRS) zur Verfügung [23]. Eine orientierende Intelligenzdiagnostik wird gene­ rell empfohlen. Bei Bedarf sollte auch eine Teilleistungsdiagnostik und die Abklärung der komorbi­ den Symptomatik erfolgen. Für die Verlaufsbeobachtung stehen die Children Global Assessment Scale (CGAS) und das Global Clinical Improvement (GCI) zur Auswahl. Therapie der Depression im Kindes- und Jugendalter Einigkeit besteht über die Notwen­ digkeit einer ausführlichen Psycho­ edukation von Patient und Eltern [13;24]. Eine professionelle Psycho­ edukation führt bereits in einem nicht geringen Prozentsatz von Kindern zu einer Remission der depressiven Symptomatik. Die nicht remittierten Kinder benötigen aber eine weiter­ führende psychotherapeutische und/ oder medikamentöse Therapie. Psychotherapeutische und Psy­ cho­soziale Maßnahmen: Die Datenlage bezüglich eines Social-skills-Trainings [24], eines Selbsthilfetrainings oder einer rei­ nen Entspannungstherapie [25] ist sehr dürftig und kann nur additiv im Rahmen eines therapeutischen Be­ handlungsplans empfohlen werden. Brent et al. [26] hingegen konn­ ten nachweisen, dass kognitiv be­ haviorale Therapie nach Lewinson (CBT) [27] gute Ergebnisse in der Depressionsbehandlung ermöglicht. Die Interpersonale Therapie (IPT) wurde von Klerman et al. [28] einge­ führt und 1991 von Moreau [29] unter dem Namen IPT-A für Adoleszente weiterentwickelt. Unter IPT werden Remissionsraten z.B. von Weissmann et al. [30] von bis zu 75% angegeben. In einer offenen Studie die IPT allein mit IPT plus Sertralin und Sertralin allein verglich, fanden Santor et al. [31] auch eine Überlegenheit von IPT gegenüber den Vergleichsgruppen. Obwohl es eine hohe Evidenz der Bedeutung familiärer Variablen in der Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Symptome bei Kindern und Jugendlichen gibt, sind weni­ ge kontrollierte Studien über die Erhöht die Therapie mit Antidepressiva das Suizidrisiko bei Kindern und Jugendlichen? – Eine Stellungnahme Wirksamkeit von familientherapeu­ tischen Interventionen publiziert. In der bereits zitierten Studie von Brent [26] konnte die Wirksamkeit familientherapeutischer Therapien erstmals belegt werden. In einer ak­ tuellen Übersichtsarbeit kommen die Autoren allerdings zu dem Ergebnis, dass zur Zeit zu wenig Daten vorlie­ gen um die Effektivität familienthe­ rapeutischer Strategien wissenschaft­ lich zu belegen [32]. Zur Wirksamkeit analytischer Psycho­ therapiemethoden oder der von Spiel­therapien sind derzeit keine kon­ trollierten Studien, die einen antide­ pressiven Effekt nachweisen würden vorhanden. Serielle Fallanalysen weisen allerdings auf eine mögliche Wirksamkeit hin [33]. In der schon zitierten Metaanalyse von Watanabe zum Stellenwert der Psychotherapie in der Depres­ sionsbehandlung im Kindes- und Jugend­alter [32] zeigte sich nach der Analyse von 27 Studien mit ins­ gesamt 1744 Teilnehmern, dass eine signifikante Wirksamkeit nur in der Kurzzeitbehandlung nachweisbar war. Ab dem sechsten Monat war kein signifikanter Effekt der psycho­ therapeutischen Interventionen mehr zu beobachten. Medikamentöse Behandlung Einigkeit herrscht in Bezug auf die Ablehnung von TCA, da alle durch­ geführten placebo-kontrollierten Studien im Kindes- und Jugendalter ein negatives Ergebnis erbrachten und das bei hohen Abbruchraten aufgrund von Unverträglichkeiten [13;34;35]. In den letzten Jahren galten SSRI als Mittel der Wahl in der Behandlung von Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen. Bei Angst- und Zwangsstörungen konnte dies auch in placebo-kontrollierten Studien signifikant dargestellt werden. Die Ergebnisse von kontrollierten Stu­ dien an Kindern und Jugendlichen mit depressiven Störungen waren dafür aber wesentlich uneinheitli­ cher. Insbesondere die Metaanalyse von Whittington 2004 im Lancet er­ schienen, brachte erhebliche Unruhe in die bis dahin sehr positiven Experteneinschätzungen [36]. Gerade die Tatsache, dass etliche negative Studien nicht veröffentlicht wurden, erzeugte zurecht Verwunderung und Ärger. Die den Arzneimittelbehörden sehr wohl bekannten Studien wurden in die Metaanalyse von Whitting­ton eingearbeitet und führ­ten zu einer Relativierung der zuvor durchwegs nur positiven Studienergebnisse. In Summe kamen die Autoren zu dem Schluss, dass die derzeitigen Studiendaten eine Empfehlung nur für Fluoxetin in der Depressionsbehandlung von Kindern und Jugendlichen erlauben. In der Folge konnte in einer vom National Institut of Mental Health unterstützten placebo-kontrollierten Studie an 439 Jugendlichen erstmals eine signifikante Überlegenheit einer Kombinationsbehandlung von CBT und Fluoxetin gegenüber Fluoxetin alleine und CBT alleine dokumen­ tiert werden. Auch Fluoxetin alleine war CBT alleine signifikant über­ legen [37]. Die Sicherheitsdaten dieser Studie zeigen einen deutli­ chen Zusammenhang zwischen der Abnahme depressiver Symptome und der Abnahme von Suizidalität. Auch hier zeigte sich ein leichter Vorteil in der Kombinationsgruppe gegen­ über der reinen Fluoxetingruppe [38]. Auch wenn in einer offenen Behandlungsstudie von Melvin et al. an 73 randomisierten depressi­ ven Jugendlichen die CBT, Sertralin alleine oder eine Kombination aus CBT und Sertralin erhielten, diese Ergebnisse nicht reproduziert wer­ den konnten, zeigte sich aber auch hier ein gutes Ansprechen der CBT in der Akutbehandlung [39]. Aufgrund der sehr niedrigen Dosierung von Sertralin dürfte aber ein additiver Effekt in der Kombinationsgruppe nicht sichtbar geworden sein. Zusammenfassend sind nach aktu­ ellen Studiendaten Fluoxetin und vermutlich auch andere SSRI in der Depressionsbehandlung von Kindern und Jugendlichen als wirksam an­ 19 zusehen. Grundsätzlich ist eine Kombination psychotherapeutischer (CBT oder IPT) und medikamentöser Behandlung bei schweren oder thera­ pierefraktären depressiven Episoden anzustreben; für auf Österreich abgestimmte Empfehlungen sie­ he Klier und Karwautz 2006 [40]. Die beste Studienlage ist zurzeit für Fluoxetin verfügbar, welche auch zur Zulassung von Fluoxetin in der Depressionsbehandlung im Kinderund Jugendalter durch die europä­ ische (EMEA) und amerikanische (FDA) Arzneimittelbehörde führte. Suizidalität im Kindesund Jugendalter mit Blick auf die aktuell gültigen Warn­hinweise der Arznei­ mittelbehörden Die altersstandardisierten Suizidra­ ten sind im Vergleich zum Er­wach­ senenalter niedrig und ebenso na­ tional wie international rückläufig. In Abbildung 1 sind die standar­ disierten Sterbeziffern der 10–24 Jährigen in Österreich, über die Jahre 1970 bis 2006 zusammen­ gefasst. Es zeigt sich ein ähnlicher Trend wie bei Erwachsenen über 24 Jahre. Während in Österreich (und Westeuropa) die Suizidraten ab den 60er Jahren bis Mitte der 80er Jahre anstiegen, sind diese seit Mitte der 80er Jahre bis 2006 ebenso kontinu­ ierlich gesunken. Dabei ist zu berück­ sichtigen, dass es regional zu teils großen jährlichen Schwankungen der Suizidraten kommen kann, da sehr kleine absolute Suizidziffern etwa auf Bundesländer-Ebene zu beträchtlichen prozentuellen jährli­ chen Schwankungen nach oben und unten führen können. Der Rückgang der Suizidraten betrifft hauptsäch­ lich männliche Jugendliche, die auch die Hauptrisikogruppe darstellen. Der Rückgang der Suizidraten wird neben einer verbesserten psychoso­ zialen Versorgung, großteils einer verbesserten und früheren Diagnostik Aichhorn, Fartacek, Thun-Hohenstein 20 Quelle: Statistik Austria, Bundesanstalt öffentlichen Rechts Abbildung 1: Suizidrate 10 bis 24-Jährige in Österreich psychischer Erkrankungen und de­ ren Behandlung zugeschrieben. Zahlreiche epidemiologische Studien weisen einen Zusammenhang mit dem Anstieg an Verschreibungen von Antidepressiva und dem Rückgang der Suizidraten bei Erwachsenen und Jugendlichen nach. Leider kann, wie aktuelle Daten belegen auch der umgekehrte Trend beobachtet wer­ den, ansteigende Suizidraten in den Vereinigten Staaten und Holland und gleichzeitig ein Rückgang von Antidepressivaverschreibungen in diesen Ländern. Wie Gibbons et al. 2007 [41] in ihrer Arbeit nachweisen, kam es in den USA und den Niederlanden zu einem Rückgang der Verschreibung von SSRI an Jugendliche bis 19 Jahre und in den Jahren 2003–2005 stiegen daraufhin die Suizidraten in Holland um 49% und in den USA von 2003–2004 um 14% an. Ganz ent­ gegen dem Trend der Vorjahre. Die Autoren sehen einen Zusammenhang mit den Warnhinweisen der Arznei­ mittelbehörden in den USAund Europa. Auch andere Studien belegen diesen Rückgang der Verschreibungsraten von Antidepressiva in den USA, England und Holland [42-44]. Das ein vergleichbarer Rückgang an Verschreibungen von AD auch bei Erwachsenen zu sehen ist, zeigt eine Studie von Valuck et al., der die Daten von 475.838 depressiven Episoden in den Jahren 1998 bis 2005 analysier­ te [45]. Eine Entwicklung die dem eigentlichen Sinn der Warnhinweise, nämlich der Sicherheit von Kindern und Jugendlichen zu dienen, diame­ tral zuwider läuft. Offensichtlich führ­ ten die Warnhinweise nicht nur zu ei­ nem Rückgang der Verschreibungen von SSRI, sondern auch zu einem Rückgang in der Diagnosestellung wie Libby et al. in ihrer Untersuchung belegen konnten [43]. Auch fanden Libby et al. keinen Anstieg alterna­ tiver therapeutischer Strategien im selben Zeitraum, wie z.B. von psy­ chotherapeutischen Interventionen. Fakten, die uns in der Beurteilung un­ serer eigenen Behandlungsstrategien bewusst sein müssen. Derzeit besteht die paradoxe Situa­ tion, dass zwar die Warnhinweise der Arzneimittelbehörden bis zum 24. Lebensjahr ausgedehnt wur­ den und Substanzen wie Paroxetin und Venlafaxin aufgrund ihres Poten­tials Suizidalität im Kindesund Jugendalter auszulösen kon­ traindiziert sind, gleichzeitig Fluo­xetin im vergangenen Jahr die europäische Zulassung in der Depressionsbehandlung ab dem 8. Lebensjahr zugesprochen bekam [6]. Durchaus zurecht, betrachtet man al­ leine die rezente Studienlage. Grundsätzlich steht fest, dass im Rahmen der Behandlung von De­ pres­sionen im Kindes- und Jugend­ alter gerade in den ersten Wochen Suizidgedanken auftreten können. Dies stellt eine besondere Her­aus­ forderung an den behandelten Arzt und Psychotherapeuten dar. Wichtig bleibt aber auch die Tatsache, dass neben vermutlich seltenen, aber mög­ lichen negativen Auswirkungen von AD auf die Suizidalität, auch rein psychotherapeutische Behandlungen nicht frei von vergleichbaren Risiko­ faktoren sind. Wie Bridge et al. in ihrer Arbeit zeigen konnten, berichte­ ten 12.5% der zuvor nicht suizidalen Jugendlichen über neu aufgetretene Suizidgedanken während einer rein psychotherapeutischen Behandlung ihrer Depression [46]. Bei den meisten Jugendlichen traten diese Suizidgedanken innerhalb der ersten 3 Wochen der Behandlung auf, nicht unähnlich den Befunden unter SSRI. Zusammenfassend sei nochmals dar­ auf hingewiesen, dass vor einer medi­ kamentösen Depressionsbehandlung eine exakte diagnostische Abklärung und eine adäquate Psychoedukation erfolgen muss. Danach ist neben einer psychotherapeutischen Behandlung eine medikamentöse antidepressive Therapie nach Abwägung des indi­ viduellen Nutzen- Risikoverhältnis Mittel der Wahl. Literatur [1] [2] [3] [4] Weinberg WA, Rutman J, Sullivan L, Penick EC, Dietz SG. Depression in Children Referred to An Educational Di­ agnostic Center - Diagnosis and Treat­ ment. Journal of Pediatrics 1973; 83: 1065-1072. 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PD Dr. Wolfgang Aichhorn Univ. Klinik für Psychiatrie I, Salzburg Email: w.aichhorn@salk.at Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 1/2008, S. 23–27 Originalarbeit Original Einblicke in die zentrale serotonerge Funktion bei Patienten mit affektiven Störungen Wolfram Kawohl1, Ulrich Hegerl2, Bruno Müller-Oerlinghausen3 und Georg Juckel4 1 Forschungsgruppe Klinische und Experimentelle Psychopathologie, Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie ZH West, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Schweiz Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Leipzig, Deutschland Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 4 Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Präventivmedizin, Ruhr-Universität Bochum, Deutschland 2 3 Schlüsselwörter: Depression – LAAEP – Pharmakotherapie – Prädiktion – Serumspiegel – Serotonin Keywords: depression – LDAEP – prediction – pharmakotherapy – serotonin – serum level Einblicke in die zentrale sero­ tonerge Funktion bei Patienten mit affektiven Störungen Anliegen: Der einfache Nachweis einer veränderten zentralen sero­to­ nergen Aktivität würde eine spe­ zifischere Behandlung bestimmter Krankheitsbilder, beispielsweise affek­tiver Störungen, ermöglichen, eine antidepressive Pharmakothe­ rapie könnte dem Vorhandensein oder auch der Abwesenheit eines serotonergen Defizits entsprechend gezielt mit einer serotonergen oder noradrenergen Substanz erfolgen. Auf der Suche nach prädiktiven Para­ metern haben wir im Rahmen dieser Pilotstudie den Serum-Serotoninspie­ gel auf eine mögliche Korrelation zum bereits diesbezüglich beschrie­ © 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 benen Parameter Lautstärke-Abhän­ gigkeit Akustisch Evozierter Poten­ tiale (LAAEP) untersucht. Methode: Acht Patienten einer Lithium-Sprech­ stunde wurden nach Blutentnahme neuro­physiologisch bzgl. ihrer LAA­ EP untersucht. Ergebnisse: Es fand sich eine signifikante negative Kor­ relation zwischen der LAAEP und der Serotonin-Konzentration im Se­ rum, ein niedriger Serotoninspiegel geht mit einer hohen LAAEP einher. Schlussfolgerungen: Das Ergebnis rechtfertigt die nähere Untersuchung einer größeren Stichprobe. Bei ent­ sprechend stabiler Befundlage wäre die Bestimmung des Serum- oder Plasma-Serotoninspiegels als prädik­ tiver Parameter denkbar und könnte zukünftig zur Therapie­optimierung beitragen. Insights in the central serotonergic function in patients with affective disorders Objective: The simple insight in the central serotonergic activity would al­ low a more specific pharmaco­therapy of disorders with serotonergic de­ ficits and could thus serve as a pre­ dictive parameter. An antidepressive treatment could be chosen due to the verification or falsification of such a deficit with a serotonergic or noradre­ nergic substance. In search of predic­ tive parameters we have investi­gated the loudness dependence of auditory evoked potentials (LDAEP), a para­ meter that has already been discussed concerning this matter, and serotonin levels in the human blood serum re­ garding their correlation. Methods: Eight outpatients of a lithium clinics were investigated neurophysiologi­ cally after blood samples had been taken. Results: A significant negative correlation between LDAEP and sero­ tonin level in the serum was found, a low serotonin level correlates with a high LDAEP. Conclusions: The re­ sult of this pilot study justifies fur­ ther investigations with larger sample sizes. In case of further and stable evidence the use of serotonin levels in the serum as a predicitve parameter is conceivable. Einleitung In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Methoden diskutiert, mit deren Hilfe Einblicke in die zen­ trale serotonerge Aktivität ge­wonnen werden sollten. Auch aus klinischer Sicht besteht der Wunsch nach einer solchen Möglichkeit: Der Nachweis einer veränderten sero­tonergen Akti­ vität würde eine spezifischere Behand­ Kawohl, Hegerl, Müller-Oerlinghausen, Juckel lung bestimmter Krankheitsbilder, beispielsweise affek­tiver Störungen, ermöglichen, eine antidepressive Pharmakotherapie könnte dem Vor­ handensein oder auch der Abwesen­ heit eines serotonergen Defizits ent­ sprechend mit einer serotonergen oder noradrenergen Substanz erfolgen. Zeitraubende pro­ba­torische Behand­ lungen mit Substanzen verschiedener Wirk­mecha­nismen könnten somit in vielen Fällen vermieden werden. Die naheliegende Bestimmung von Serotonin im Blut und auch die viel­ diskutierte Untersuchung der Throm­ bozytenfunktion haben sich hierbei aus verschiedenen Gründen jedoch nicht durchsetzen können. Zum einen ist das im Blut vorhandene Serotonin durch die Blut-Hirn-Schranke, wel­ che für Serotonin nicht passierbar ist, vom zentralen Serotonin getrennt. Zum anderen spiegelt die Fähigkeit der Thrombozyten zur SerotoninWiederaufnahme zwar eine Eigen­ schaft serotonerger Neurone wieder, lässt aber keine Rückschlüsse auf die Höhe der Serotoninfreisetzung in den synaptischen Spalt und auf das dort vorhandene Serotonin zu [16]. SPECT- und PET-Untersuchung un­ terliegen diesbezüglich den gleichen Einschränkungen: Mit den verfüg­ baren, an den Serotonin­transporter bindenden Liganden sind ebenfalls keine Aussagen über das netto im synaptischen Spalt vorhandene Sero­ tonin möglich sind. Auch die Kon­ zentration des Serotonin-Metaboliten 5-Hydroxy­indolessigsäure (5-HIES) stellt wahrscheinlich nur eine inkon­ stante Momentaufnahme der zentra­ len serotonergen Funktion dar [10]. Ein messbarer Parameter ist je­doch zunehmend ins Blickfeld neurobiolo­ gischen Interesses gerückt: Die Laut­ stärke-Abhängigkeit Akus­tisch Evo­ zierter Potentiale (LAAEP) [7] wird durch die zentrale serotonerge Akti­ vität moduliert. Durch entsprechende Tierversuche konnte diese Annahme gestützt werden [12]. Bei der Ablei­ tung der LAAEP handelt es sich um eine EEG-Untersuchung, bei der per Kopfhörer Töne unterschiedlicher Lautstärke eingespielt werden. Die N1/P2-Komponente der AEPs weist einen engen Zusammenhang zum serotonergen System auf. Grundsätz­ lich gilt, dass lautere Töne zu höheren Amplituden des evozierten Potentials führen. Bei Probanden mit serotoner­ gem Defizit fällt diese Amplituden­ zunahme höher aus als bei gesunden Kontrollpersonen. Dieser Parameter ist bei zahlreichen gesunden Pro­ banden sowie Patienten mit ver­ schiedenen psychischen Störungen wie Depression, bipolar affektiven Störungen, Alkoholabhängigkeit, Zwangs­störung und Schizophrenie untersucht worden [8, 11], es liegen mittlerweile auch Hinweise auf eine Verwendbarkeit als prädiktiver Para­ meter in der Depressionstherapie vor [13]. Darüber hinaus gibt es für den Serotoninspiegel im Plasma bzw. Se­ rum erste Hinweise auf Zusammen­ hänge mit der zentralen serotonergen Aktivität, auch konnte gezeigt wer­ den, dass depressive Symp­tome mit Serotoninspiegeln im Blutplasma korrelieren [1]. Der Zusammenhang der LAAEP zu Serotonin im Plasma bzw. Serum wurde bislang nicht un­ tersucht. Im Rahmen einer Pilotunter­ suchung haben wir eine Gruppe von acht Patienten mit einer affektiven Störung untersucht und sowohl die LAAEP als auch den Serotoninspie­ gel im Serum bestimmt. Ziel dieser Untersuchung ist es, zu klären, ob die LAAEP bei Patienten mit affektiven Störungen in Beziehung zur Sero­ toninkonzentration im Serum steht und ob durch die Bestimmung des Serumspiegels Einblicke in die zen­ trale serotonerge Aktivität gewonnen werden können. Methodik Patienten Untersucht wurden acht stabilisierte, ambulante Patienten mit affektiven Störungen [5w, 3m, 57.5 (42-72) Jah­ re] der Berliner Lithium-Katam­neseSprechstunde der Psychia­tri­schen 24 Klinik und Poliklinik der Freien Universität Berlin. Zum Zeitpunkt der Ableitung waren die Patienten euthym, d.h. sie erreichten maximal fünf Punkte auf der Bech Rafael­ son Melancholie Skala (BRMS, 0-5 Punkte: kein depressives Syndrom). Alle Probanden erteilten nach ent­ sprechender Information ihre Einwil­ ligung zur Studienteilnahme. Ableitung der Akustisch Evozierten Potentiale In randomisierter Reihenfolge wur­ den mittels Kopfhörer binaurale Klick­töne von 0.9 ms Dauer bei einem Interstimulusintervall von 2.1 s in vier Intensitätsstufen (52, 62, 72, 82 dB HL) präsentiert. Die Ableitung erfolgte mit vergoldeten Napfelektro­ den an den Positionen Cz, C3 und C4 jeweils gegen die zusammengeschal­ teten Mastoidelektroden als Referenz. Die Übergangswiderstände lagen un­ ter 5 kOhm. Stimulation, Datenauf­ nahme, Mittelung und Auswertung erfolgte mit einem Nicolet Pathfinder II. Der untersuchte Frequenzbereich lag zwischen 1 und 30 Hertz, auf­ gezeichnet wurden die Epochen von 100 ms vor bis 300 ms nach dem Sti­ mulus. Zur Vermeidung von kurzzei­ tigen Habituationseinflüssen wurden die Reizantworten auf die ersten 30 Stimuli verworfen. 80 Reizantworten pro Intensität wurden gemittelt. Bei allen Patienten und Probanden wur­ de vor der ersten Ableitung mittels des Audiostimulators des Pathfinders eine Bestimmung der Hörschwelle durchgeführt. Bestimmung der LDAEP Die Bestimmung der Amplituden der N1/P2-Komponente wurde mit den an der Cz-Elektrode abgeleiteten Da­ ten durchgeführt. Da es sich bei der LAAEP um ein nicht-lateralisiertes Potential handelt, liefert die Bestim­ mung an Cz ebenso wie die Bestim­ mung mittels Dipolquellanalyse bei Multikanalableitungen zuverlässige Ergebnisse [6, 17]. Als Baseline wur­ Einblicke in die zentrale serotonerge Funktion bei Patienten mit affektiven Störungen de die durchschnittliche Amplitude der 100 ms vor dem Stimulus fest­ gelegt. Als Gipfel der N1-Kompo­ nente wurde der negativste Wert im Bereich der Latenzen zwischen 65 und 125 ms festgelegt, entsprechend ist der Gipfel der P2-Komponente der positivste Wert im Latenzbereich zwischen 120 und 220 ms. Die Peakto-Peak-Amplitude der N1/P2-Kom­ ponente wurde bestimmt, indem die Beträge der Am­plituden von N1 und P2 summiert wurden. Die Intensitäts­ abhängigkeit wurde ermittelt, indem eine Regres­sionsgerade durch die Ampli­tu­denwerte der N1/P2-Kom­ ponente zu den vier Intensitätsstufen ge­legt wurde. Die Steigung dieser Regressionsgeraden ist das Maß für die LAAEP. Bestimmung der Serumkonzen­ tration Die Entnahme der Blutproben zur Bestimmung der Serum-Seroto­nin­ konzentration erfolgte nüchtern am Morgen zwischen 8.00 und 9.00 Uhr. Mittels Radioimmunoassay wurde die Serotoninkonzentration im Se­ rum [ng/ml] bestimmt. Die Bestim­ mung erfolgte im Labor für Klinische Psychopharmakologie der Psychiat­ rischen Klinik der Freien Universität Berlin. Statistik Die statistische Auswertung erfolgte mithilfe des Statistikpaketes SAS. Die hier untersuchten Variablen wa­ ren normalverteilt (KolmogorovSmirnov-Test: p<0.05). Es wurden Pearson-Korrelationskoeffizienten berechnet. Das Signifikanz-Niveau lag bei zweiseitiger Testung bei p<0.05. Ergebnisse Die LAAEP/ Intensitätsabhängig­ keit gemessen über Cz (0.71±1.37 µV/10dB) weist eine signifi­kan­te Be­ ziehung zur Serotonin­konzen­tration im Serum (76.4±28.8 ng/ml) auf 25 Abbildung 1: Beziehung zwischen LAAEP/Intensitätsabhängigkeit und der Serotoninkonzentration im Serum (Pearson-Korrelationskoeffizenten: Cz: r=-0.71, p<0.05), (siehe Abbil­ dung 1). Bei keinem Patienten lag die Hörschwelle ausserhalb des Normbe­ reichs. Diskussion Bei den untersuchten Patienten fand sich eine signifikante negative Korrelation zwischen der LAAEP/ Intensitätsabhängigkeit der akustisch evozierten N1/P2-Komponente und der Serotonin-Konzentration im Serum, ein niedriger Serotoninspiegel geht also mit einer höheren LAAEP einher. Dies entspricht dem für die LAAEP beschriebenen Zusammenhang zwischen niedriger serotonerger Aktivität und hoher LAAEP und unterstützt die Hypothese, dass die Konzentration des im Serum vorhandenen Serotonins mit dem zentralen Serotonin in Zusammenhang steht. Interessanterweise scheint hier also ein anderer Zusammenhang zu bestehen als zum Serotonin im Vollblut oder zur Thrombozytenfunktion. Thrombozyten weisen eine hohe Parallelität zu zentralen serotonergen Neuronen bezüglich biochemischer und pharmakologischer Eigenschaften wie Serotonin-Aufnahme, -Speiche­ rung und -Freisetzung auf [24]. Die Serotonin-Konzentration im Vollblut beispielsweise ist abhängig von der Höhe der Aufnahmegeschwindigkeit von Serotonin in den Thrombozyten [5], die Thrombozytenmembran wird als Analogon zum präsynaptischen Teil serotonerger Nervenzellen im ZNS diskutiert. Aufgrund der Blut-Hirn-Schranke besteht je­ doch keine kausale Beziehung zwischen zentralem und peripherem Serotonin. Die beschriebene kor­ rela­tive Beziehungen zwischen der Serotonin-Konzentration im Vollblut und der im Liquor dürften daher eher zufälliger Natur sein. Diese Einschätzung konnte auch tierexperimentell bestätigt werden [21]. Für die Serotoninkonzentration im Serum gilt dies jedoch so nicht. Das Blutplasma ist der von korpuskulären Anteilen (Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten) befreite Teil des Blutes, das Blutserum wiederum ist Blutsplasma ohne Fibrinogen, welches ca. 4% der Eiweißkörper im Blutplasma ausmacht. Bezüglich der Serotoninkonzentration dürfte das Serum also ähnliche Eigenschaften wie das Plasma aufweisen. Ver­ Kawohl, Hegerl, Müller-Oerlinghausen, Juckel schiedene Arbeitsgruppen haben berichtet, dass im Blutplasma ein eigenständiger Pool von Serotonin, das dort in der Regel an das Glykoprotein Serotonectin gebunden ist [25], besteht [9, 14, 15, 19] und für psychiatrische Erkrankungen und Fragestellungen von Bedeutung sein könnte [22, 23]. Dieser Serotonin-Pool im Plasma weist im Gegensatz zu dem Serotonin-Pool im Thrombozyten, welcher sich als Reservepool durch einen langsamen Umsatz auszeichnet, einen sehr schnellen Umsatz auf [19]. Der Serotonin-Pool im Plasma wird außerdem von Serotoninagonisten wie den SSRI angehoben [3, 4, 18, 20]. Im Analogieschluss zu zentralen serotonergen Neuronen wäre daher zu erwägen, ob der Serotonin-Pool im Thrombozyten (und damit 95% des Serotonins im Vollblut) dem gespeicherten Serotonin entspricht, während der Serotonin-Pool im Blutplasma ein Analogon für das synaptisch freigesetzte und dort aktive Serotonin im ZNS darstellt [2], welches die jeweilige Stärke der LAAEP bestimmen dürfte. Diese Pilotstudie kann angesichts der geringen Stichprobengröße allenfalls einen Hinweis auf den dargestellten Zusammenhang geben. Die Datenanalyse ist explorativ und daher bezüglich folgender Studien hypothesengenerierend orientiert. Die beschriebene Korrelation rechtfertigt jedoch die nähere Untersuchung einer größeren Stichprobe. Zunächst müsste die gefundene Korrelation zwischen der LAAEP und der Serotoninkonzentration im Serum repliziert und auch für Serotonin im Blutplasma untersucht werden. Hierbei wären insbesondere Einfluss­ faktoren auf das Plasma-Serotonin und seine Stabilität über die Zeit von Interesse. Bei entsprechend stabiler Befundlage wäre die Bestimmung des Serum- oder Plasma-Seroto­ ninspiegels als prädiktiver Para­ meter in der Pharmakotherapie psychischer Störungen, bei denen das serotonerge System involviert ist, denkbar und könnte zukünftig zur Therapieoptimierung beitragen. Literatur [1] Alvarez J.C., Gluck N., Fallet A., Gregoire A., Chevalier J.F., Advenier C., Spreux-Varoquaux O.: Plasma serotonin level after 1 day of fluoxetine treatment: a biological predictor for antidepressant response? Psychopharmacology (Berl) 143, 97-101 (1999). 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Steinkopff, Darmstadt 2005 26 [12] Juckel G., Hegerl U., Molnar M., Csepe V., Karmos G.: Auditory evoked po­ tentials reflect serotonergic neuronal activity--a study in behaving cats ad­ ministered drugs acting on 5-HT1A au­ toreceptors in the dorsal raphe nucleus. Neuropsychopharmacology 21, 710-716 (1999). [13] Juckel G., Pogarell O., Augustin H., Mulert C., Müller-Siecheneder F., Frodl T., Mavrogiorgou P., Hegerl U.: Differential Prediction of First Clinical Response to Serotonergic and Noradrenergic Antidepressants Using the Loudness Dependence of Auditory Evoked Potentials in Patients With Major Depressive Disorder. J Clin Psychiatry 68, 1206-1212 (2007). [14] Keating J., Dratcu L., Lader M., Sherwood R.A.: Measurement of plasma serotonin by high-performance liquid chromatography with electrochemical detection as an index of the in vivo acti­ vity of fluvoxamine. J Chromatogr 615, 237-242 (1993). 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Mai 2008 AKH/Medizinische Universität Wien Hörsäle der Kliniken am Südgarten Behandlungskonzepte in der Forensischen Psychiatrie Veranstalter: Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Medizinische Universität Wien Justizanstalt Göllersdorf Anmeldung: thomas.stompe@meduniwien.ac.at Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 1/2008, S. 28–34 Originalarbeit Original Herkunft psychiatrischer Patienten im UbG-Bereich einer städtischen Region Hans Rittmannsberger1, Hildegard Lindner1 und Theodor Zaunmüller1 1 Landesnervenklinik Wagner-Jauregg, Psychiatrie 1, Linz Schlüsselwörter Zwangsaufnahmen – Unterbringungs­ge­­ chiatrischen Patienten im städtischen Bereich. setz – psychiatrische Patienten – Migra­ tion Key words: compulsivy treatment – psychiatric patients – migration Herkunft psychiatrischer Patienten im UBG-Bereich einer städtischen Region Anliegen: Erfassung der Migra­ tion von Patienten zwischen den Ver­sorgungsregionen. Methode: Pa­ tienten aus der Stadt Linz, die von Jänner bis Juni 2003 gegen ihren Willen in die Psychiatrie aufgenom­ men wurden wurde unter­sucht, seit wann sie in Linz leben und woher sie gegebenenfalls zugezogen waren. Ergebnisse: Von insgesamt 214 Pa­ tienten stammten 111 (52%) nicht aus der Stadt Linz. Patienten, die aus den übrigen Bezirken des Bundes­ landeslandes zugezogen waren mehr­ heitlich ( 59%) schon vor dem Zuzug psychisch erkrankt und wiesen signi­ fikant häufigere psychiatrische Hospi­ talisierungen, höhere kumula­tive An­ zahl von Spitalstagen und häufigere Inanspruchnahme betreuter Wohnein­ richtungen auf. Schlußfolgerungen: Auch in einem ausgebauten regiona­ lisierten Versorgungssystem kommt es zu einer Akkumulation von psy­ © 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 Origin of patients admitted involuntarily from an urban catchment area Objective: This investigation high­ lights some aspects of migration of patients between catchment areas. Methods: From January till June 2003 all committed patients admitted from Linz, capital of the Austrian province Upper Austria, were investigated for their origin. Results: Out of a total of 214 patients 111 (52%) were not native to Linz. Most stemmed from other counties of Upper Austria (55%), 16 (14%) were from other Austrian provinces and the remainder 32 (29%) were from foreign countries. In patients from other counties of Upper Austria 59% were already psychiatric ill before they had moved to Linz. Compared with patients native to Linz they displayed a greater number of psychiatric admissions, a greater number of cumulative hospital days and more often needed some measures of supported housing. More than a quarter of them had moved to Linz in the last 5 years. Conclusions: Results show that also in a well-established system of community psychiatric care a considerable number of patients is moving towards urban areas. Einleitung Dezentrale, regionalisierte Ver­sor­ gungs­systeme haben praktisch über­ all die früheren Strukturen zentraler psychiatrischer Großkrankenhäuser abgelöst. In Oberösterreich war das Wagner-Jauregg-Krankenhaus (jetzt Landes-Nervenklinik Wagner-Jau­ regg) in Linz die für das ganze Bundes­ land zuständige Einrichtung. Seit 1987 gab es innerhalb des Kran­kenhauses eine regionale Zu­stän­digkeit der Ab­ teilungen, 1996 übersiedelte die erste betten­führende Abteilung in die Re­ gion. Mittlerweile sind drei weitere Abteilungen ausgesiedelt und in der Linzer Klinik sind nur mehr zwei allgemeinpsychiatrische Abteilungen verblieben, die für Linz und umge­ benden Bezirke zuständig sind. Die hier beschriebene Abteilung („Psychi­ atrie 1“) war zum Zeitpunkt der Un­ tersuchung für die Landeshauptstadt Linz sowie deren südliches Umland (Bezirk Linz-Land) zuständig. Das Prinzip der Regionalisierung führt dazu, daß in der Psychiatrie strenger als in anderen medizinischen Fächern auf die regionale Zugehörigkeit und Zuständigkeit geachtet wird, was auch durch die überall empfindlich spürbare Bettenknappheit geboten ist. Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen [7] gibt einen Bettenschlüssel von 0,3-0,5 pro 1000 Einwohner vor. Österreich rangiert in Europa unter den Ländern mit der ge­ ringsten Anzahl psychiatrischer Bet­ ten [18]. In Oberösterreich liegt der Bettenschlüssel zur Zeit bei ca. 0,4, was sich in der Praxis in häufigem Überbelag und kurzen Aufenthalts­ Herkunft psychiatrische Patienten im UbG-Bereich einer städtischen Region dauern (in unserer Abteilung 2003: 14,5 Tage) niederschlägt. Das Modell der gemeindenahen Ver­ sorgung geht davon aus, dass der op­ timale Lebensmittelpunkt für einen psychiatrischen Patienten sein Hei­ matbezirk ist und dass ihm dort auch alle Möglichkeiten für psychiatrische Behandlung, Rehabilitation und lang­ fristige Betreuung geboten werden. Beide Annahmen sind nur mit Ein­ schränkungen richtig: den Wohnort zu wechseln ist ein durchaus üblicher Teil sozialer Biographien und der An­ spruch, in allen Regionen ein gleich dichtes Angebot an sozialen Dienst­ leistungen vorzuhalten, erweist sich als unmöglich, bzw. lässt auch die Notwendigkeit von spezialisierten Angeboten unberücksichtigt. Trotz einer zahlenmäßig überpropor­ tional guten Ausstattung im stati­ onären und extramuralen Bereich herrscht in der Hauptstadt Linz eine permanente Knappheit an Ressour­ cen. In einer früheren Untersuchung konnten wir zeigen, dass die Häu­ figkeit von Aufnahmen, bezogen auf die Ein­wohnerzahl, in Linz doppelt bis dreimal so hoch ist wie in länd­ lichen Regionen Oberösterreichs [12]. Viele Untersuchungen kommen zum Ergebnis, daß wahre und admi­ nis­tra­tive Prävalenz psychischer Er­ krankungen, vor allem psychotischer Störungen und Suchterkrankungen, in der Stadt höher ist als auf dem Lan­ de [5,6,8,9,14-17]. Als Ursachen da­ für werden sowohl biologische wie soziale Einflußfaktoren diskutiert. In unserer praktischen Arbeit haben wir den Eindruck gewonnen, dass Migra­ tion der Patienten in die Stadt einen beträchtlichen Einfluß auf die Inan­ spruchnahme des stationären Ange­ bots hat und daß eine nicht geringe Anzahl von Patienten aus anderen Regionen in die Stadt Linz ziehen und hier sesshaft und versorgungspflichtig werden. Die Absicht unserer Untersu­ chung war daher, zu überprüfen, wie hoch der Anteil an zugezogenen Pati­ enten in unserem Klientel ist und ob sich die zugezogenen Patienten von den in Linz aufgewachsenen unter­ scheiden. Methode Im Zeitraum Jänner bis Juni 2003 wurden alle Patienten erfasst, die im geschlossenen Bereich der Abteilung Psychiatrie 1 der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg gegen ihren Willen nach dem „Unterbringungsgesetz“ (UbG) aufgenommen worden sind. Die Abteilung war zum damaligen Zeitpunkt für die Bezirke Linz-Stadt (städtisches Siedlungsgebiet, 184.000 Einwohner), und Linz-Land (über­ wiegend ländliches Sied­lungsgebiet, 129.000 Einwohner), zuständig. Die hier vorgestellte Aus­wertung beschäf­ tigt sich schwer­punktmäßig mit den Patienten aus der Stadt Linz. Es wurden soziodemographische Va­ riablen und Krankheitsvariablen er­ fasst. Darüber hinaus wurde er­hoben, ob der Patient in Linz geboren worden ist oder ob er zugezogen ist. Traf letz­ teres zu, wurde ermittelt, wie lange er bereits in Linz lebt, ob die Erkran­ kung vor oder nach dem Zuzug aufge­ treten ist und ob die Erkrankung be­ stimmend für den Zuzug gewesen ist. Letzteres wurde dann angenommen, wenn der Patient nach Linz gekom­ men war, um hier eines der außersta­ tionären Versorgungsangebote zu nüt­ zen (bzw., in früherer Zeit, wenn er hier im psychiatrischen Krankenhaus langzeit-hospitalisiert gewesen ist). Weiters wurden die Anzahl der psy­ chiatrischen Hospitalisierungen und die kumulative Hospitalisierungsdau­ er vor der Index­episode aus der Doku­ mentation der Klinik erhoben. Statistische Auswertungen wurden für kontinuierliche Variablen mit t-Tests, für nominale Variablen mit Chi-Qua­ drat-Tests (mit Kontinui­täts­korrektur) durchgeführt. In Anbetracht der ex­ plorativen Natur der Studie wurde auf eine Alpha-Korrektur für multiple Te­ stungen verzichtet. 29 Ergebnisse Insgesamt wurden im Untersuchungs­ zeitraum 214 Patienten aus dem Einzugsbereich der Stadt Linz nach dem UbG aufgenommen. Von diesen waren 111 (52%) nicht in Linz auf­ gewachsen, sondern aus anderen Gegenden zugezogen: 59 (53%) stammten aus anderen oberösterrei­ chischen Bezirken, 16 (14%) aus anderen österreichischen Bundeslän­ dern und 32 (29%) aus dem Ausland. Für die weitere Aus­wertung wurden die Patienten nach ihrer Herkunft in folgende Grup­pen unterteilt: in Linz aufgewachsen („Linz“), aus ande­ren Teilen von Oberösterreich zugezogen („OÖ“), aus anderen österreichischen Bundesländern zuge­zogen („Öster­ reich“), aus dem Ausland zugezogen („Ausland“). Tabelle 1 vergleicht die­ se Gruppen in Bezug auf soziodemo­ graphische Variablen und Krankheits­ variablen. Diagnostisch handelte es sich in allen Gruppen bei 60 bis 70% der Patienten um Störungen durch psychotrope Substanzen (F1) oder Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis (F2). Patienten, die aus dem übrigen Oberösterreich zugezo­ gen waren, unterschieden sich deut­ lich von den Patienten, die aus Linz stammten: bei nur unwesentlich hö­ herem Lebensalter wiesen erstere hochsignifikant mehr Hospitalisie­ rungen auf, hat­­ten eine wesentliche höhe­­re An­­zahl kumulativer Aufent­ halts­­tage im psychiatrischen Kran­ken­­ haus und lebten häufiger in einer so­ zialpsychiatrischen Wohnein­rich­­tung. Aus dem Ausland stam­mende Pati­ enten zeigten gegenüber den anderen Gruppen eine kürze Krankheitsge­ schichte und dement­sprechend eine geringere Anzahl von Aufnahmen und Aufenthaltstage. Etwa die Hälfte der aus Österreich stammenden Patienten (59% derer aus Oberösterreich, 47% derer aus den übrigen österreichischen Bun­desländer) waren schon vor dem Zuzug erkrankt, während dies bei aus dem Ausland stammenden nur in 14% der Fall war. Bei fast 40% der aus Oberösterreich stammenden Patienten 47 9.3 7.9 114.7 5.7 Männlich (%) Ersterkrankung vor (a) Zahl der Aufnahmen (Mittelwert) Kumulative psychiatrische Spitalstage CGI bei Aufnahme 44 11 11 4 35 13 4 12 F2 F3 F4-6 andere 33 8 39 Zuzug wegen psychiatr. Krankheit (%) Österreich (3) [N=16] 15 47 0 14 7 20 60 0 12 19 38 31 15.7 5.7 123.8 6.1 12.0 38 42.5 4 14 0 17 20 37 27 10 10 20 57 3 11.6 5.9 58.9 2.8 5.2 44 37.2 Ausland (4) [N=32] 15,1*** 3,89*** 3,09** 1 vs 3 2,20* 3,16** 2,02* 1 vs 4 3,12** 3,40*** 2 vs 3 8,3** 13,9*** 4,70*** 4,99*** 2,93** 2 vs 4 Statistik: t-Werte; kursiv: Chi-Quadrat mit Kontinuitätskorrektur; *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001, §Wohngemeinschaft, Heim, betreutes Wohnen, Einrichtung für Wohnungslose Tabelle 1: Vergleich der Patienten, die in Linz aufgewachsen sind (Linz) mit zugezogenen aus dem restlichen Oberösterreich (OÖ), aus anderen österreichischen Bundesländern (Österreich) und aus dem Ausland (Ausland) 59 Zuzug nach Beginn der psychiatrischen Krankheit (%) Unstet § 2 7 19 Mit Herkunftsfamilie 4 22 32 Mit Partner/Kindern "Soziales Wohnen" 35 38 Alleine Wohnsituation (%) 30 36 13.8 5.8 388.9 17.1 11.6 56 40.1 OÖ (2) [N=60] F1 Diagnose (%) In Linz seit (a) 37.9 Linz (1) [N=102] Alter (a) 1 vs 2 Statistik (t-Test bzw. Chi-Quadrat-Test) 3,8* 3 vs 4 Rittmannsberger, Lindner, Zaunmüller 30 Herkunft psychiatrische Patienten im UbG-Bereich einer städtischen Region war die Erkrankung der maßgebliche Grund für den Zuzug. Tabelle 2 zeigt einen Vergleich der aus Linz stammenden Patienten mit den zugezogenen, wobei letztere nach dem Zeitpunkt der Erstmanifestation der psychischen Erkrankung unter­teilt wurden: „gesund“ werden jene Pati­ enten bezeichnet, die zum Zeitpunkt des Zuzugs noch nie in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen waren und bei denen die Erkrankung somit erst nach dem Zuzug aufgetre­ ten ist. Es zeigt sich, dass zwischen den aus Linz stammenden Patienten und den gesund zugezogenen prak­ tisch keine signifikanten Unterschiede bestanden (einzig der Anteil von Pa­ tienten mit Suchterkrankungen war bei den Linzern höher) während die nach Erstmanifestation zugezogenen Patienten („krank“) von den beiden anderen Gruppen in vieler Hinsicht unterschieden: bei gleichem Lebens­ alter waren sie hochsignifikant länger erkrankt und hatten wesentlich mehr Aufnahmen und kumulative Spitals­ tage zu verzeichnen. Bei den Diagno­ sen fiel das fast völlige Fehlen affek­ tiver Störungen auf, Schizophrene Störungen waren hingegen häufiger zu finden, die Statistik verfehlte aber knapp das Signifianzniveau. Sie Zugezogen als Linz (1) [N=102] Gesund (2) [N=58] Krank (3) [N=44] 31 wohnten häufiger in einer sozialpsy­ chiatrischen Wohneinrichtung. Durchschnittlich waren die zuge­ zogenen Patienten seit 13,6 Jahren in Linz. Analysiert man im Detail, wie lange sich die Patienten bereits in Linz aufhalten (Abbildung 1), so sieht man, dass mehr als die Hälfte der Aufgenommenen in den letzten 10 Jahren zugezogen sind. 28% sind in den letzten 5 Jahren zugezogen, 13% im letzten Jahr. Um einen Vergleich mit einem ande­ ren oberösterreichischen Bezirk her­ stellen zu können wurden auch die Statistik (t-Test bzw. Chi-Quadrat-Test) 1 vs 2 1 vs 3 2 vs 3 3,04** 2,97** Alter (a) 37.9 40,8 38,9 Männlich (%) 47 45 57 Ersterkrankung vor (a) 9.3 7,1 13,1 2,23* Zahl der Aufnahmen (Mittelwert) 7.9 6,6 17,9 2,78** Kumulative psychiatrische Spitalstage 114.7 115,0 421,9 3,46*** CGI bei Aufnahme 5.7 6.0 5,7 16,6 9,6 3,37** In Linz seit (a) 1,87* 3,36*** Diagnose (%) F1 36 18 33 F2 35 38 51 F3 13 26 2 F4-6 4 11 12 Alleine 38 30 45 Mit Partner/Kindern 32 41 14 Mit Herkunftsfamilie 19 15 5 "Soziales Wohnen" 8 13 33 Unstet 4 2 2 4,69* 4,25* 7,5** Wohnsituation (%) § 7,4** 13,0*** 5,0* Tabelle 2: Patienten, die aus Linz stammen ("Linz") vs Patienten deren Zuzug vor Ausbruch der psychischen Erkrankung stattfand ("gesund") vs Patienten, die nach Ausbruch der psychischen Erkrankung zuzogen ("krank"). Wohngemeinschaft, Heim, betreutes Wohnen, Einrichtung für Wohnungslose § Statistik: t-Werte; kursiv: Chi-Quadrat mit Kontinuitätskorrektur; *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 Rittmannsberger, Lindner, Zaunmüller 32 Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als die Hälfte der zwangsweise aufge­ nommenen Patienten aus dem Ein­ zugsbereich Linz ursprünglich nicht aus der Region stammen. Woher kom­ men nun die nach Linz Zugezogenen und warum sind sie gekommen? Abbildung 1: Zugezogene Patienten: Aufenthaltsdauer in Linz und Herkunft (OÖ: aus Oberösterreich; übriges A: übrige österreichische Bundesländer; Ausland; krank: psychische Krankheit zum Zeitpunkt des Zuzugs bekannt) Patienten aus dem Bezirk Linz-Land mit der gleichen Methodik erfasst. Ta­ belle 3 zeigt eine Gegen­überstelliung der beiden Bezirke. Der Anteil Zuge­ zogener ist in Linz-Land gegenüber Linz signifikant niedriger. Die zuge­ zogen Patienten der beiden Bezirke unterscheiden sich nicht bezüglich ihrer Herkunft aus den verschiedenen Regionen (andere Bezirke Oberöster­ reichs/andere österreichische Bundes­ länder/Ausland), jedoch kommt ein durch die Krankheit begründeter Zu­ zug praktisch nur in Linz vor. Anzahl Zugezogener (%) Da sind einmal die aus dem Ausland Zugezogenen, hauptsächlich aus den Balkanstaaten und der Türkei. Laut amtlicher Statistik beträgt der Aus­ länderanteil aktuell in Linz 12% in Linz-Land 8,5% [1]. Die Rate der Ausländer unter den untergebrachten Patienten liegt in beiden Bezirken et­ was darüber bei jeweils 15%. In Anbe­ tracht des Umstandes, dass Migration ein wesentlicher Risikofaktor für das Auftreten psychischer Erkrankungen ist [2,4,20], erscheint der dieser etwas überproportionale Anteil der auslän­ dischen Patienten nicht überraschend. Deutliche Unterschiede in den krank­ heitsbezogenen Variablen fin­det man, wenn man die aus Linz stammenden Patienten den zugezogenen, diffe­ renziert nach ihrer Herkunft, gegen­ überstellt. Dabei zeigt sich, dass vor allem die aus Oberösterreich Zuge­ Linz N=214 Linz-Land N=55 Statistik 111 (52) 18 (33) 6,12** ns Zuzug von (% der Zugezogenen) Oberösterreich 58 (55) 8 (44) Übriges Österreich 16 (15) 2 (11) Ausland 32 (30) 8 (44) Zuzug nach Beginn der psychiatrischen Krankheit 45 (43) 7 (35) Zuzug wegen psychiatrischer Krankheit 23 (21) 1 (6) 3,46* Tabelle 3: Vergleich der Bezirke Linz und Linz-Land in Bezug auf zugezogene Patienten: Anteil, Herkunft, vorbestehende Krankheit Statistik: Chi-Quadrat mit Kontinuitätskorrektur; *p<0.05, **p<0.01 Herkunft psychiatrische Patienten im UbG-Bereich einer städtischen Region zogenen Merkmale einer schwereren Erkran­kung tragen: sie weisen (bei annähernd gleichem Lebensalter) wesentlich mehr Aufnahmen, mehr kumulative Spitalstage auf und leben signifikant häufiger in einer sozial­ psychiatrisch betreuten Einrichtung. 59% von ihnen waren bereits vor dem Zuzug psychisch erkrankt, bei 2/3 da­ von war die psychische Erkrankung der Hauptgrund für den Zuzug. Auch bei jenen, die aus den übrigen Österreichischen Bundesländern zugezogen sind, fällt auf, dass fast 50% bereits vor dem Zuzug psychisch krank waren, allerdings unterscheiden sie sich nicht im Ausmaß der Hospitalisierung. Diese Daten über psychiatrische Aufnahmen sind freilich nicht aussagekräftig, weil hier die Hospitalisierungen vor dem Zuzug nicht erfasst werden konnten. Aus dem Ausland Zugezogene weisen demgegenüber nur einen kleinen Anteil von Personen auf, die bereits vor der Übersiedlung psychisch Krank waren. Differenziert man die zugezogenen Patienten danach, ob sie zum Zeitpunkt des Zuzugs gesund oder krank waren, zeigt sich, dass sich die beim Zuzug gesunden nicht von den in Linz aufgewachsenen unterscheiden (einzige Ausnahme: mehr Alkoholkranke unter den Linzern). Hingegen zeichnen sich die beim Zuzug bereits erkrankten durch wesentlich mehr Hospitalisierungen, mehr kumulative Spitalstage und größere Inanspruchnahme betreuter Wohneinrichtungen aus. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass es im städtischen Bereich einen beträchtlichen Zuzug von Menschen mit psychischen Erkrankungen gibt, und dass es vor allem Personen mit schwerer verlaufenden Störungen und einem höherem Betreuungsbedarf sind, die diesen Weg gehen. Wir haben bereits früher erhoben, dass die Einrichtungen des betreuten Wohnens (Übergangshäuser, Wohn­ ge­meinschaften, betreute Einzel­ wohnungen) in Linz in einem hohen Ausmaß von Personen, die nicht aus Linz stammen, genutzt werden und dass im Bereich der Wohnungslosenfürsorge der Anteil der nicht aus Linz stammenden Personen sogar noch höher ist [11,13]. Sucht man nach den Ursachen für die­ se Entwicklung, so scheint wesentlich, daß das stationäre Angebot für psy­ chiatrische Patienten über Jahrzehnte in Linz zentralisiert war. In früheren Jahren war der Trend in die Stadt auch durch das wesentliche größere außerstationäre psychosoziale An­ gebot in Linz erklärbar. Mittlerweile haben aber alle Bezirke in Oberöster­ reich ein gut funktionierendes sozial­ psychiatrisches Versorgungsnetz und jeder Bezirk sollte in der Lage sein, „seine“ Patienten zu versorgen. Unsere Untersuchung zeigt aber auch, dass der Zuzug nach Linz ein durch­ aus aktuelles Phänomen ist: ein Vier­ tel der zugezogenen Patienten ist in den letzten 5 Jahren zugezogen, 13% im letzten Jahr. Das spricht dafür, dass neben der nach wie vor gegebenen größeren Vielfalt extramuraler Betreu­ ungsangebote auch noch andere Fak­ toren eine Rolle spielen, über die wir nur Mutmaßungen anstellen können. Ein manchmal beobachtbarer Grund ist, dass sich die Situation in der Hei­ matgemeinde so zugespitzt hat, dass ein Ortswechsel angezeigt war und dass sich dann zumeist die Stadt mit der dort gegebenen größeren Anony­ mität angeboten hat. Dies passt gut mit dem Befund zusammen, dass es gerade Patienten mit schwereren Krankheitsverläufen sind, die in die Stadt zuziehen. Seit der Studie von Faris und Dun­ ham [3] gibt es die Diskussion, ob die erhöhte Prävalenz psychischer (vor allem psychotischer) Erkrankungen in Großstädten durch vermehrtes Auftreten der Störungen durch krank­ machende Einflüsse des Stadt­lebens („social causation hypothesis“) oder durch soziale Selektion mit Akkumu­ 33 lation von Erkrankten in der Stadt zu erklären ist [10]. Unsere Studie kann zu dieser Frage nicht Stellung neh­ men, zeigt aber jedenfalls, daß Mi­ gration wesentlich zur erhöhten Prä­ valenz psychischer Störungen in der Stadt beiträgt. Es ergibt sich die Frage, ob der von uns gefundene beträchtliche Zustrom psychisch Kranker in die Landes­ hauptstadt eine Besonderheit des städ­ tischen Milieus ist oder ob derartige Phänomene auch in anderen Bezirken zu finden sind. Vergleichbare Unter­ suchungen aus anderen Oberösterrei­ chischen Be­zir­ken liegen nicht vor, jedoch wurde in unserer Erhebung der Bezirk Linz-Land miterfasst. Wäh­ rend die Landeshauptstadt Linz auf 95 km2 186.000 Einwohner zählt, weist Linz-Land auf 460 km2 129.000 Ein­ wohner auf, wobei mehr als die Hälfte davon in einigen Satellitenstädten in unmittelbarer Nachbarschaft zu Linz leben. Wenngleich sich dieser Bezirk durch seine teilweise städtische Struk­ tur nicht optimal für einen Vergleich eignet, zeigen sich doch deutliche Un­ terschiede: Der Anteil zugezogener Patienten war in Linz-Land signifi­ kant niedriger als in Linz (33% vs 52%) und die psychische Krankheit als Grund für den Zuzug spielte in Linz-Land kaum eine Rolle. Unserer Meinung sprechen diese Befunde da­ für, dass der städtische Ballungsraum eine besondere Anzie­hungskraft auf psychisch Kranke ausübt. Zur Methodik ist anzumerken, dass die Angaben zur stationären Be­ handlung für die aus Oberösterreich stammenden Patienten weitgehend komplett sind, da die Klinik über lan­ ge Zeit die einzige stationäre psychi­ atrische Be­hand­lungseinrichtung im Bundesland Oberösterreich gewesen ist. Auf­nah­men auf den in den letzten Jahren geschaffenen regionalen psy­ chiatrischen Abteilungen wurden hier nicht berücksichtigt, würden aber die von uns gefundenen Befunde nur noch deutlicher akzentuieren. Bei den aus anderen Österreichischen Bundeslän­ Rittmannsberger, Lindner, Zaunmüller dern und dem Ausland Zugezogenen fehlen die Angaben zu den früheren auswärtigen Be­handlungen. Die Untersuchung wäre vollständiger, hätten wir die die Erhebung bei allen Patienten (und nicht nur bei den nach dem UbG aufgenommenen durchgeführt), allerdings hätte der dafür notwendige Aufwand unsere Kapazitäten überstiegen. Immerhin können wir aber mit diesem Ansatz eine Aussage über jene Patienten machen, die durch ihre zumeist schwerere Erkrankung einer intensiveren, aufwendigeren Betreuung bedürfen Wie schon erwähnt, wissen wir wenig über die mögliche Patientenströme in die Gegenrichtung, die sich immer dann ergeben werden, wenn in einer Region besondere Behandlungsund vor allem Betreuungsangebote bestehen. Die referierten Daten des Bezirks Linz-Land können hier als Kontrollgruppe dienen. Zusammenfassend kann man fest­ stellen, dass sich unter den zwangsweise aufgenommenen Patienten eines städtischen Siedlungsgebiets ein bedeutender Anteil von Personen findet, die aus anderen Gegenden zugezogen sind. In einem hohen Ausmaß sind diese Personen nach der Erstmanifestation der psychischen Erkrankung zugezogen, bei vielen war die Erkrankung der bestimmende Faktor für den Zuzug. Gegenüber den Ortsansässigen zeichnen sich die Zugezogenen durch Merkmale eines schwereren Krankheitsverlaufes aus. Im angrenzenden Bezirk LinzLand findet sich ein geringerer Anteil zugezogener Patienten, was dafür spricht, dass es sich um ein spezifisch städtisches Phänomen handelt. Die Migration in die Stadt von Personen gerade mit schwer und chronisch verlaufenden psychiatrischen Erkran­ kungen scheint somit einer der Faktoren zu sein, der den erhöhten Bedarf an Betten im städtischen Bereich [5] erklärt. Derartige Variationen des loka­ len Bedarfs sollten in der Versor­ gungsplanung sowohl im stationären 34 als auch im außerstationären Bereich berücksichtigt werden.. Literatur [1] Amt der Oberösterreichischen Landes­ regierung: Sozialbericht 2001. http:\\ www.ooe.gv.at/publikationen/aktuell/ [2] Bogers J.P.A.M., de Jong J.T.V.M., Komproe I.H.: Schizophrenia among Surinamese in the Nederlands: high admission rates not explained by high emigration rates. Psychological Medicine 30, 1425-31 (2000) [3] Faris R.E.L., Dunham H.W.. Mental disorders in urban areas. 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Diese Ergebnisse zeigen einen grossen Informationsbedarf über die AD in der Allgemeinbevölkerung und demonstrieren die Erwartungen hinsichtlich der Aufklärung über eine etwaige Diagnose. attitude – truth-telling Sechs Fragen zur Alzheimer De­ menz: Wissen und Einstellung in einer repräsentativen Bevölke­ rungs­stichprobe Demenzen sind häufig und damit von großer medizinischer und sozialer Bedeutung für die Bevölkerung. Daher ist es von grundsätzlichem Interesse, allgemeines Wissen und persönliche Einstellungen zur häufigsten Demenzform – Alzheimer – zu untersuchen. 1245 repräsentative Per­sonen zwischen 14 und 99 Jahren wurden persönlich befragt. Nur 13% bezeichneten Gedächtnisstörungen als Merkmal der Alzheimer Demenz; 54% wussten, dass das Alter einen Risikofaktor darstellt; 47% glaubten, „Gehirn-Jogging“ sei therapeutisch wirksam. Im Falle einer eigenen Er­ krankung wollten über 70% gemein­ sam mit einer Vertrauensper­son, v.a. engen Angehörigen, aufgeklärt werden; nur 7% meinten, dies dürfe kein Anderer erfahren; weit über 50% gaben an, sie wünschten Informa­tion über Behandlungsmöglichkeiten, © 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 Alzheimer’s disease: Knowledge and attitudes in a representative survey Dementia is a prevalent syndrome in ageing societies and therefore of significant medical and social importance for the general population. We have studied knowledge and attitudes towards Alzheimer’s dementia (AD) of 1245 epidemiologically representative individuals between 14 and 99 years. Only 13% mentioned memory disturbances, e.g. forgetfulness, as hallmarks of AD; 54% knew that age was a major risk factor; 47% felt that „brain-jogging“ was therapeutically useful. In case of developing AD, more than 70% wished to be informed together with a close relative or friend; 7% felt that nobody else should know about their problem; and many more than 50% expected information on treatment, course, symptoms and causes. These results demonstrate, that there is a remarkable lack of relevant information on AD in the general population, and that most individuals wished to be informed about a potential diagnosis of AD together with their family and friends. Einführung Mehr als 100 Jahre nach der Be­ schreibung einer Patientin mit präseniler Demenz und charakteristischen Hirnveränderungen durch Aloys Alzheimer wird die „Alzheimer Krankheit“ in den Medien breit dargestellt (1). Dabei ist unklar, zu welchem Kenntnisstand in der Be­ völkerung diese unterschiedlichen Informationen führen. Entsprechende Untersuchungen ergaben sehr unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich der Kenntnisse über die Symptomatik, Ursache und Behandlung dementieller Erkrankungen, wobei Bildungsstand, kulturelle Einflüsse und das Alter der Befragten ein Rolle spielen (2 - 6). Die internationale Literatur über die Einstellung zur Aufklärung im Falle einer eigenen Erkrankung ist heterogen und daraus sind für den praktisch tätigen Arzt keine eindeutigen Handlungsanweisungen abzuleiten (7). Während sich die ärztliche Vorgehensweise bei der Aufklärung über maligne Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten vollkommen von paternalistischer Zurückhaltung hin zur frühen Aufklärung zwecks gemeinsamer Therapieentscheidungen gewandelt hat, sind Ärzte bei der In­formation über die Alzheimer De­menz weiterhin äusserst zurückhaltend (8; 9). In Abhängigkeit von Demenzstadium, Diagnosesicherheit und Behandlungsmöglichkeiten, von rechtlichen Aspekten, der poten­ tiellen Belastung der Patienten durch die Mitteilung der Diagnose und das Informationsbedürfnis der Schwalen, Förstl Angehörigen, bewegen sich Ärzte bei dieser Aufklärung in einem schwierigen Spannungsfeld, das auch in anderen Ländern dazu führt, dass die Diagnose häufig verschwiegen wird (10 – 12). Erhebungen über den Kenntnisstand der Bevölkerung und die Erwartungen an die ärztliche Aufklärung im Falle einer Demenzdiagnose sind rar. Unsere Befragung einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe diente zwei Zielen: • Einer Abschätzung des Kennt­ nis­standes über die Alzheimer Demenz und • Einer Einschätzung, ob und worüber die Befragten im Falle einer Demenzerkrankung darüber informiert werden wollen. Methoden Dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamts entsprechend wurde eine repräsentative Stichprobe der 14- bis 99-jährigen Bevölkerung nach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Ausbildung, Einkommen und Wohn­ ort ausgewählt (n = 1245). 27% waren älter als 65 Jahre; 12% hatten einen dementen Patienten in ihrer Familie. Die ausgewählten Personen wurden von Interviewern zuhause persönlich befragt. Die Fragen werden im Ergebnisteil verkürzt widergegeben. Die ersten drei Fragen wurden offen gestellt. Bei den letzten drei waren Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Mehrfachantworten waren jeweils möglich. Ergebnisse Was bedeutet Alzheimer-Demenz? 48,7% der Gesamtstichprobe wussten spontan keine Antwort. Nur 12,8% erwähnten Gedächtnisstörungen, z.B. Vergesslichkeit, als Kennzeichen der Erkrankung. 36 Was sind die Risikofaktoren für eine Alzheimer Demenz ? 53,7% der Befragten nannten das Alter, 41,0% erbliche Faktoren, 23,5% psychischen Stress, 17,8% eine körperliche Erkrankung, 15,6% Alkohol-, Drogen- oder Medi­ka­ men­tenmissbrauch. 12,2% hatten keine Vorstellungen über die Risiko­ faktoren. Insgesamt ergaben sich bei diesen Antworten keine nennenswerten Unter­schiede in Abhängigkeit vom Alter, Bildungsstand und davon, ob ein Familienangehöriger der Be­ fragten an einer Demenz litt. Was hilft gegen eine Alzheimer Demenz ? 47,4% meinten „Gehirn-Jogging“, 42,9% Medikamente, 23,8% Selbst­ hilfegruppen, 22,3% gesunde Er­ näh­rung, 20,0% Psychotherapie, 18,2% Vitamine, 18,2% körperliches Training, 16,7% gute Sozialkontakte. 11,1% wussten keine Antwort. Zusammenfassend war der Kennt­ nisstand der Bevölkerung über die Merkmale der Alzheimer Demenz und ihre Behandlungsmöglichkeiten unbefriedigend. Die überwiegende Mehrzahl der Befragten wollte im Falle einer Erkrankung informiert werden und diese Information mit nahe stehenden Personen teilen. Dabei stand das Interesse an Behand­ lungsmöglichkeiten, Symptomatik und Verlauf im Vordergrund. Die untersuchte Stichprobe schneidet hinsichtlich ihrer Kenntnisse über die Demenz nicht schlechter ab als Befragte in anderen Ländern (5); ein hohes Informationsbedürfnis ist also objektiv gegeben. Studien in Australien (13), USA (14), Canada (15), Japan (16) und Taiwan (17) erbrachten ähnliche Ergebnisse hinsichtlich des Bedürfnisses nach ärztlicher Aufklärung im Falle einer eigenen Demenzerkrankung. Dieses Informationsbedürfnis wird auch noch von Patienten mit leichten kognitiven Störungen geäussert, die keine klaren Vorstellungen über die etwaigen Grundlagen der selbst wahrgenommenen Defizite mitbringen (18). Fast alle Patienten mit leichter Demenz wollen über die Diagnose aufgeklärt werden, während ein Viertel der Angehörigen nicht wünscht, dass der Patient von der Diagnose erfährt (19). Die Mehrzahl der Angehörigen dementer Patienten hält eine pragmatische, „ökonomische“ und dabei zurückhaltende Mitteilung der Diagnose an die Patienten für angemessen. Zum Teil ist diese vorsichtige Empfehlung durch eigene Erfahrungen der Angehörigen mit den Patienten geprägt, die trotz einer Der Kenntnisstand war bei Teilnehmern mit besserer Bildung, einem Alter über 40 Jahren und mit erkrankten Angehörigen nur geringfügig höher. Falls bei Ihnen eine Alzheimer Demenz festgestellt würde, … …möchten Sie darüber aufgeklärt werden und wer soll gegebenenfalls dabei sein? 65,8% wollten gemeinsam mit engem Angehörigen informiert werden, 26,1% alleine, 3,4% mit einem guten Freund. 2,6% wünschten sich, dass eine Vertrauensperson, aber nicht sie selbst informiert werden. Der Rest konnte sich nicht entscheiden. … wen würden Sie über Ihre Demenz informieren? 82,9% erwähnten ihre Partner, 76,2% andere nahe stehende Familienmitglieder, 42,2% Freunde. 7,1% waren der Ansicht, niemand dürfe es erfahren. … worüber möchten Sie genauer informiert werden? 81,9% nannten Behandlungsmöglich­ keiten, 76,8% den Verlauf, 63,5% die Symptome, 58,1% die Ursache. 3,7% gaben an, sie wollten nichts weiter erfahren. Diskussion Sechs Fragen zur Alzheimer Demenz: Wissen und Einstellung in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe gefassten Haltung beim Arzt danach sehr niedergeschlagen reagierten [20 – 22]. Der ärztliche Pragmatismus bei der Aufklärung der Patienten bezieht sich sowohl auf die individuelle Einschätzung des Informationsbedürf­ nisses, als auch auf die Priorisierung einzelner Informationen: für den Patienten ist praktische Beratung hinsichtlich der Angelegenheiten, die geregelt werden müssen, als auch bezüglich der Therapiemöglichkeiten von weit grösserer Bedeutung, als fragwürdige Einschatzungen des weiteren Krankheitsverlaufs. Die gut dosierte Mitteilung von Fakten und Empfehlungen an Patient, Angehörige und Andere [23] bleibt eine schwierige ärztliche Aufgabe, bei der man sich nicht auf frühere Äusserungen des autonomen Individuums verlassen darf. Der allgemein angegebene Wissensdurst aus gesunden Tagen – siehe Befragung – deckt sich nicht notwendigerweise mit dem Bedürfnis nach Trost und Rat im Falle einer eigenen Erkrankung. Literatur [1] Segers K (2007) Degenerative dementias and their medical care in the movies. 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Internat J Geriatr Psychiat 18: 313-7 Univ.-Prof. Dr. Hans Förstl Klinik & Poliklinik für Psychiatrie & Psychotherapie TU München Klinikum rechts der Isar hans.foerstl@lrz.tu-muenchen.de Fallbericht Case report Neuropsychiatrie, Band 22, Nr. 1/2008, S. 38–42 Neuropsychiatrische Symptome bei Sotos-Syndrom Kasuistik und Literaturübersicht Holger Kessler und Susanne Kraft Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum des Saarlandes Schlüsselwörter: Sotos-Syndrom – cerebraler Gigantismus – NSD-1-Gen – psychotische Symptome – stereotypes Verhalten pathologischen Merkmale einer erwachsenen Patientin mit Sotos-Syndrom dar, die unter anderem ebenfalls psychotische Symptome entwickelte. Key words: Sotos syndrome – cerebral gigantism – NSD-1 gene – psychotic symptoms – stereotypic behaviour Neuropsychiatrische Symptome bei Sotos-Syndrom. Kasuistik und Literaturübersicht Das Sotos-Syndrom (cerebraler Gi­gan­tismus) ist ein seltenes gene­ tisches Syndrom, das durch einen ausgeprägten Großwuchs im Klein­ kindesalter, Makrocephalus, eine charakteristische Gestalt des Ge­sichts und eine statomotorische Entwick­ lungsverzögerung charakterisiert ist. Ursache sind Mutationen oder Dele­ tionen des NSD-1-Gens. Die große Mehrheit der Fälle tritt sporadisch auf. Neben einer Reihe körperlicher Abnormalitäten, die häufig begleitend auftreten, ist von einer hohen Prä­va­lenz kognitiver, emotionaler und psychosozialer Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Sotos-Syndrom auszugehen. Bislang existiert praktisch keine Literatur zu psychiatrischen Symptomen bei Sotos-Syndrom im Erwachsenenalter; ein Fall einer psychotischen Störung ist derweil jedoch berichtet. Die vorliegende Kasuistik stellt die psycho© 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 Neuropsychiatric symptoms in Sotos syndrome. Case report and review of the literature Sotos syndrome, or cerebral gigantism, is a rare genetic syndrome characterized by excessive growth during childhood, macrocephaly, distinctive facial gestalt and learning difficulties. It is caused by mutations or deletions of the NSD-1 gene. Most cases are sporadic. Apart from a number of physical abnormalities that are commonly present, a high prevalence of cognitive, emotional and behavioural problems in children with Sotos syndrome can be assumed. However, there has been almost no literature about psychiatric symptoms in adults with Sotos syndrome so far; one case of psychosis was reported. In the present case, the authors present psychopathological features of an adult patient with Sotos syndrom who developed – among other things – psychotic symptoms. Einleitung Das Sotos-Syndrom, auch als cerebraler Gigantismus bezeichnet (OMIM 117550), wurde zum ersten Mal 1964 von Juan F. Sotos [18] beschrieben. Die 1994 definierten vier diagnostischen Hauptkriterien, die auf der systematischen Untersu- chung von 41 typischen Fällen durch Cole und Hughes [4] beruhen, sind: ausgeprägter Großwuchs mit akzeleriertem Knochenalter während des Kleinkindalters, Makrocephalus, eine charakteristische Gestalt des Gesichts (lange Gesichtsgestalt, ­Hy­per­telorismus, breite und hohe Stirn, spitzes Kinn, hoher Stirnhaaransatz, hoher und spitzer Gaumen) sowie eine Entwicklungsverzögerung der motorischen, kognitiven und sprach­lichen Entwicklung in variablem Ausmaß. Die körperlichen Merkmale sind im frühen Kindesalter ausgeprägter als später. So verläuft zum Beispiel die Wachstumskurve vor allem in den ersten fünf Lebensjahren be­schleunigt, bevor sie in der Pubertät wieder in den Normalbereich abfällt. Weitere mögliche körperliche Symp­tome sind: Skoliose, Genu val­gum oder varum, Hüftanomalien, erhöhte Frakturanfälligkeit, brüch­ige Fingernägel oder Strabis­mus. Komplizierend können fol­­gen­de Probleme auftreten: Neuge­borenen­gelbsucht, Trink­ schwierigkeiten im Säuglingsalter wegen Saugproble­men, Verstopfung, häufige Infekte (vor allem der oberen Atemwege so­wie Mittelohrentzündungen), deut­lich erhöhte Anfallsneigung und Fieberkrämpfe, kongenitale Herz­feh­ler (in 8-20% der Fälle) sowie urogenitale Anomalien in etwa 15 % der Fälle. Darüber hinaus scheint die Häufigkeit von Tumoren bei Patienten mit Sotos-Syndrom (etwa 3,9 %), vor allem für sakrococcygeale Teratome und Neuroblastome, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht zu sein (Übersicht bei [2]). Neuropsychiatrische Symptome bei Sotos-Syndrom. Kasuistik und Literaturübersicht Seit 2002 ist bekannt, dass die Ursache des Sotos-Syndroms in mehr als 75 % der Fälle Mutationen oder Deletionen des NSD-1-Gens in der Chromosomenregion 5q35 sind [10]. Die große Mehrheit der Fälle tritt sporadisch auf, es sind aber auch familiäre Fälle mit autosomal-dominantem Erbgang beschrieben worden [3, 20]. Die genaue Geburts­prävalenz ist nicht bekannt; sie wird jedoch etwa auf 1:10.000 geschätzt. Seit der Erstbeschreibung wurden mehr als 200 Fälle in der medizinischen Literatur beschrieben. Neuropsychiatrische Symptome, die beim Sotos-Syndrom auftreten können, sollen im Folgenden anhand einer Kasuistik illustriert werden; anschließend wird eine Literaturübersicht zu dieser Thematik gegeben. Kasuistik Bei der jetzt 29jährigen Patientin war aufgrund der typischen klini­schen Merkmale und der charakteristischen statomotorischen Entwicklung im Klein­kindesalter die Diagnose eines Sotos-Syndroms durch die hiesige Universitäts-Kinderklinik gestellt worden. Die statomotorische Entwicklung kann stichpunktartig wie folgt zusammengefasst werden: Die Ge­burt sei unter Anwendung einer Saugglocke erfolgt. Es sei eine Säuglingsskoliose festgestellt und behandelt worden. Krabbeln, Laufen und Sprechen seien verzögert erlernt worden; bis zum 6. Lebensjahr habe eine Enuresis bestanden. Sie habe eine Lernbehindertenschule bis zur 9. Klasse besucht, wo es ihr gelungen sei, recht gut Lesen und Schreiben zu lernen. Rechnen könne sie nur schlecht, das Ablesen einer Uhr ge­-linge ihr nicht. Seit 12 Jahren arbeite sie in einer Behindertenwerkstätte, wo sie Verpackungs- und Montage-arbeiten übernehme. Sie wohne bei ihren Eltern im Haushalt. Von der Arbeitsstätte wurde das psychologische Profil der Patientin folgendermaßen beschrieben: Sie arbeite sehr langsam und habe deut­liche Schwächen im logischen Den­ken und in der Konzen­tra­tions­ fähigkeit. Im Sozialverhalten wurde sie als zurückhaltend, kontaktscheu, einzel­gängerisch, unsicher und ängst­ lich charakterisiert. In der letzten Zeit seien zunehmend psychomotorische Unruhezustände, stereotype Äußerungen bezüglich vermeintlicher Verfehlungen oder der eigenen Unzulänglichkeit, Zwangs­ gedanken und zwanghaftes Schreiben hinzugetreten, so dass sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, einfache Arbeiten über einen längeren Zeitraum fehlerfrei auszuführen. Mitunter schreibe sie stundenlang, wobei sie ihre Berichte meist tagebuchartig und in „Schönschrift“ beginne, bevor sie dann stereotyp immer wieder Sätze wie „Der Tag ist schlecht“ oder „Du sollst nicht launisch sein“ hintereinander schreibe; das Schriftbild werde gegen Ende immer mehr zum „Gekritzel“. Die erstmalige Vorstellung in der hiesigen Klinik erfolgte, nachdem es in ausgeprägter Weise zu Kontrollzwängen am Arbeitsplatz, Gedankenkreisen, Selbstgesprächen mit selbstabwertendem Inhalt („Ich war schon wieder launisch, habe mich schon wieder zu sehr aufgeregt“; „ich war schon wieder schusselig“), depressiver Verstimmung und Schlaf­ störungen gekommen sei. Kom­ plizierend habe die Patientin neuerdings über Gedankenlautwerden und Stimmenhören berichtet, wobei sie diese Stimme einer Großtante zuordne, die ihr befehle, was sie zu tun und zu lassen habe. Auch komme es in der letzten Zeit auf der Arbeit mitunter zu Wutausbrüchen, bei denen die Patientin dann beispielsweise Gegenstände auf den Boden werfe oder auch Mitarbeiter der Werkstätte zur Seite schubse. 39 Die Familienanamnese bezüglich neu­rologisch-psychiatrischer Er­kran­­­­ kungen war leer. An Vorer­kran­kungen war eine opera­tions­pflichtige Patellaluxation nach Bagatelltrauma vor etwa 10 Jahren zu eruieren; im Rahmen der stationären Behandlung in der hiesigen Klinik wurde nebenbefundlich ein schweres ob­struk­tives Schlafapnoesyndrom diag­nostiziert, welches erfolgreich mit einer CPAPMaske behandelt werden konnte. Im körperlichen Untersuchungs­be­ fund fielen bei der hochge­wachsenen und adipösen Patientin (Körpergrösse 185 cm, Körpergewicht 120 kg) eine charakteristische Gestalt des Gesichts mit Hypertelorismus, große Hände und Füße, eine Uvula bifida, ein Hirsuitismus und eine beginnende androgenetische Alopezie auf. Neurologisch imponierten eine undeutliche Sprache, ein vornübergebeugtschlurfendes Gang­bild sowie eine beidseitige Bradydiadochokinese. Psychopathologisch war die Patientin wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert. Der Antrieb wirkte vermindert, psychomotorisch war die Patientin unruhig. Im Kontakt war sie wortkarg, schüchtern und zurückhaltend; Blickkontakt wurde weitgehend vermieden. Affektiv wirkte sie im Wesentlichen heiter-indifferent; mitunter parathymes Lächeln, wobei sie gleichzeitig über innere Wutgefühle und An­ spannung berichtete. Die affektive Schwingungsfähigkeit war reduziert. Der formale Gedankengang erschien weitgehend geordnet bei allerdings etwas eingeschränkter Beurteilbarkeit, da die Patientin nur knapp auf die gestellten Fragen antwortete. Inhaltlich berichtete sie über Zwangs­ gedanken, Gedankenkreisen und Grübeln über vermeintliches eigenes Versagen, verbunden mit Selbstvorwürfen. Sie schilderte ferner Gedankenlautwerden sowie akustische Halluzinationen in Form imperativer Stimmen. Die Auffassung war im Rahmen der vorbekannten Minderbe- Kessler, Kraft gabung erschwert, die ver­ballogische Abstraktionsfähigkeit war erheblich herabgesetzt, Konzen­tration und Merkfähigkeit waren in der orientierenden Prüfung ein­geschränkt. Die kranielle Kernspintomographie zeigte eine leichte Erweiterung der inneren Liquorräume und eine deutlich ausgeprägte Hyperostosis frontalis. In der neuropsychologischen Diag­ nostik ergaben sich folgende Be­funde: Die mit dem Reduzierten WechslerIntelligenztest (WIP) [6] geprüfte intellektuelle Leistungs­fähig­keit ergab einen weit unter­durch­schnittlichen Gesamtwert (IQ=64). Dabei unterschieden sich die einzelnen Leistungen der ver­­schiedenen Untertests nicht sig­nifikant voneinander. Die Raven´s Standard Progressive Matrices (Wiener Testsystem), ein sprachfreies Verfahren zur Erfassung der Fähigkeit zum logischen Denken, bestätigte das Ergebnis aus dem WIP mit einem IQ von 65. Das Hambur­ ger Zwangsinventar- Kurzform (HZIK) [11], ein Verfahren zur Erfassung von Art und Ausmaß von Denk- und Handlungszwängen, ergab insgesamt keine auffälligen Werte; selbst der höchste Wert (Stanine-Wert von 6 auf der Skala „Gedanken, sich selbst oder anderen ein Leid zuzufügen“) lag noch im Durchschnittsbereich. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass das HZI als Selbstberichtsskala konstruiert ist und die Bewertung wegen der Grundintelligenz im vorliegenden Fall nur unter Vorbehalt erfolgen kann, vor allem auch, da die Zwänge bei der Patientin als ich-synton erlebt werden. In der Behandlung waren die pro­ duktiv-psychotischen Symptome unter Medikation mit Risperidon im Verlauf komplett rückläufig. Bezüglich der stereotypen, ritua­ lis­tisch-zwanghaften Verhaltens­ wei­­sen wurde der selektive Sero­to­ ninwiederaufnahmehemmer Esci­ talo­pram eingesetzt, welcher jedoch 40 nur sehr langsam aufdosiert werden konnte, da es hierunter vorübergehend zu einer leichten Zunahme von psychomotorischer Unruhe, Reizbarkeit und kurzen Impulsdurchbrüchen kam. Mit dem Ziel einer Stimmungsstabilisierung und einer Dämpfung aggressiver Impulse wurde schließlich nach aus­führlicher Aufklärung mit Ein­ver­ständnis der Mutter, wel­ che die gesetzliche Betreuung für den Aufgabenbereich Gesund­heits­für­ sorge für die Patientin wahrnimmt, ein individueller Heilversuch mit Carbamazepin in niedriger Dosis durchgeführt. Unter diesem Behandlungsregime zeigte sich die Patientin im Verlauf deutlich umgänglicher, zugewandter und ausgeglichener, so dass sie schließlich problemlos in das ergotherapeutische Behandlungsangebot integriert wer­den konnte. Als mögliche Aus­lösefaktoren der aktuellen Ver­schlechterung waren ein Betreuer­wechsel in der Behin­ dertenwerkstatt sowie die körperliche Erkrankung eines Elternteil zu eruieren. Zu­sätzlich ergaben sich Hinweise auf eine Ablösungsproblematik vom Elternhaus bei Entwicklung altersgemäßer Interessen der Patien­tin. Mit der durch die zahlreichen Anforderungen belasteten Mutter der Patientin wurden Entlastungs­möglichkeiten erörtert. Als mittel­fristige Perspektive wurde ein Um­zug der Patientin in eine betreute Wohneinrichtung mit Gleichaltrigen vorbesprochen. Diskussion Von körperlich-internistischer Seite sind sowohl das schwere obstruktive Schlafapnoe-Syndrom der Patientin als auch die anamnestisch berichtete Patellaluxation nach Bagatelltrauma gut durch häufige syndrom-typi­sche somatische Abnormalitäten (Gaumenanomalien, Hypermobilität der Gelenke) zu erklären. Neurologischerseits wurde in guter Übereinstimmung mit der Symp­ tomatik im vorliegenden Fall bei den meisten Patienten über nicht-progrediente Defizite im Sinne von Ungeschicklichkeit und schlechter Koordination berichtet. Konsistent mit dem neuroradio­ logischen Befund im dargestellten Fall sind Erweiterungen der Liquorräume variablen Ausmaßes bei rund 70 % der Fälle beschrieben [17]. Wenngleich Patienten mit SotosSyndrom ein sehr weites Spektrum an kognitiven, emotionalen und Verhaltensauffälligkeiten aufweisen können, und es insofern kein völlig spezifisches Muster gibt, geht aus der Literatur zu dieser Thematik dennoch hervor, dass bei Patienten mit SotosSyndrom einige Merkmale offensichtlich doch überdurchschnittlich häufig zu sein scheinen, und dass die Symptomatik der hier dargestellten Patientin in guter Übereinstimmung mit den bisherigen Beschreibungen steht. Dabei ist zu betonen, dass sich der weitaus größte Teil der verfügbaren Literatur mit der Beschreibung von Merkmalen bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt, während es bislang kaum Darstellungen zu neuropsychiatrischen Symptomen bei Erwachsenen mit Sotos-Syndrom gibt. In einer Übersichtsarbeit über 80 Fälle wurde berichtet, dass bei 83 % der Patienten eine mentale Retardierung gefunden wurde [8]. De Boer und Kollegen [7] fanden bei 21 Patienten mit Alterationen des NSD-1-Gens einen mittleren Intelligenzquotienten von IQ=76 (range 47-105); im vorliegenden Fall erreichte die Patientin einen IQ von 64. Wie auch in der vorliegenden Kasuistik dargestellt, scheinen Verzögerungen der statomotorischen Entwicklung nahezu regelhaft (97 % der Fälle) nachweisbar zu sein, wenngleich das Ausmaß sehr variabel sein kann [19]. Das Laufen wird häufig erst nach dem 15. Lebensmonat, das Sprechen oft erst nach mehr als 2 ½ Lebensjahren erlernt. Die intellektuelle Kindesent­wicklung Neuropsychiatrische Symptome bei Sotos-Syndrom. Kasuistik und Literaturübersicht ist häufig durch psycho­motorische Ver­langsamung, Wortfindungs­stö­ run­gen, er­höh­te Antwortlatenzen und Beeinträchtigungen der Abstrak­ tionsfähigkeit gekennzeichnet [14]. Der Charakter der Kinder und Jugendlichen mit Sotos-Syndrom wird im Allgemeinen als anhänglich, liebevoll und distanzlos-freundlich beschrieben. Im Rahmen von Ein­zel­ fallberichten und kleinen Untersuchungen wurde dennoch wiederholt über einen hohen Pro­zentsatz an problematischen Ver­haltensweisen bei jungen Sotos-Patienten wie Wutanfälle und aggressives Verhalten zu Hause, erhöhte Impulsivität, wenig soziale Kontakte, ritualistisch-zwanghaftes Verhalten, Aufmerksamkeitsdefizite, Hyperaktivität, Ängste und Eß- und Schlafstörungen berichtet [1, 9, 12, 15, 16]. So zeigten in einer Untersuchung mit 16 Kindern im Alter zwischen fünf und fünfzehn Jahren [15] beispielsweise 81 % d. F. Wutanfälle und aggressives Verhalten zu Hause, 50 % d. F. eingeschränkte Sozialkontakte zu anderen Kindern und 50 % d. F. ritualistisch-zwanghaftes Verhalten; in einer anderen Untersuchung mit 27 Kindern wurde in 38 % d. F. eine AufmerksamkeitsdefizitHyper­aktivitätsstörung (ADHD) beobachtet [9]. In einem Fallbericht [13] wurde über ein Kind mit Sotos-Syndrom und normaler Intelligenz berichtet, bei dem die Kriterien für eine autistische Störung erfüllt waren. Als Erklärung für einen Teil dieser Symptome wird häufig angenommen, dass von den Bezugspersonen Fähigkeiten und soziale Fertigkeiten der Kinder aufgrund ihres be­ schleunigten Wachstums leicht über­ schätzt werden. Dadurch besteht die Gefahr der Überforderung, so dass das Kind demnach nicht den Erwartungen des Umfeldes entsprechen kann; dies wiederum kann zu sozialer Unsicherheit oder aggressiven Reaktionen beim Kind führen. Anhand der Beobachtungen in dem vorliegenden Fall kann jedoch gemutmaßt werden, dass diese Merkmale offensichtlich auch über das Kindes- und Jugendalter hinaus bis ins Erwachsenenalter persistieren. Während es zu psychiatrischen Mani­ festationen des Sotos-Syndrom im Erwachsenenalter praktisch keine Literatur gibt, wurde 2004 interessanterweise erstmalig über einen Sotos-Patienten berichtet, der im Alter von 20 Jahren produktiv-psychotische Symptome in Form von Wahnvorstellungen und Stimmen­ hören entwickelte [5]. Somit stellt die vorliegende Kasuistik unseres Wissens nach den zweiten Fall von Psychosesymptomen bei einem er­­­ wachsenen Patienten mit Sotos-Syn­­ drom dar. Ob es sich dabei um ein zufälliges gemeinsames Auf­­treten von zwei voneinander un­­ab­hängigen Störungsbildern han­­­delt, oder ob psychotische Symp­­tome ähnlich wie andere Merkmale überdurchschnittlich häu­fig – möglicherweise erst ab dem Erwachsenenalter – beim Sotos-Syndrom anzutreffen sind, lässt sich anhand der vorliegenden Literatur noch nicht entscheiden. In Anbetracht der Befundlage sollte jedoch verstärkt auf das Vorliegen psychotischer Symptome bei Sotos-Syndrom geachtet beziehungsweise auch gezielt in diese Richtung exploriert werden. Sollte sich ein entsprechender Zusammenhang be­stätigen, könnte dies unter Um­ständen auch für das Verständnis der genetischen Grundlagen psycho­tischer Erkrankungen von Interesse sein. Literatur [1] [2] [3] Bale AE, Drum MA, Parry DM, Mulvihill JJ: Familial Sotos syndrome (cerebral gigantism): Craniofacial and psychological characteristics. Am J Med Genet 20, 613-624 (1985). Baujat G, Cormier-Daire V: Sotos syndrome. 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Ist die Depression wirklich weiblich? Armand Hausmann1, Wolfgang Rutz2 und Ullrich Meise1 1 2 Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck Unit for Psychiatry and Health Promotion, Academic University Hospital, Uppsala Schlüsselwörter Männliche Depression – Affektive Störun­ gen – geschlechtsspezifische Symp­tome – Suizid Key words: male depression – affective disorders – genderspecific symptoms – suicide Frauen suchen Hilfe – Männer sterben! Ist die Depression wirklich weiblich? Bei Frauen wird zumindest doppelt so häufig eine depressive Störung diagnostiziert als bei Männern. Bio­logische Faktoren könnten für diesen Geschlechtsunterschied ver­ ant­wortlich ge­macht werden. Doch die mit affektiven Störungen eng in Zusammenhang stehenden Suizidraten weisen auch auf andere Ursachen hin. Suizide sind in unserem Kulturkreis bei Männern drei- bis zehn Mal häufiger zu beobachten auf als bei Frauen, wobei besonders jüngere und ältere Männer betroffen sind. Das soziomedizinische Konzept der „Male Depression“ bietet eine Erklärung für diese Diskordanz. Es werden dabei eine mangelnde Hilfesuche von Männern, eine dysfunktionale Stressverarbeitung sowie ein „gender bias“ in der Diagnostik der Depression verantwortlich gemacht. Die männliche Depression äußert sich nach diesem Konzept klinisch anders und unty© 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 pischer als die klas­sische depressive Symptomatik. Es wird postuliert, dass sich diese Depression bei Männern hinter Aggressivität, Irritabilität sowie Sucht- und Risikoverhalten verbirgt und somit häufig zu Fehldiagnosen führt. Die Erstellung einer validierten Rating Skala zur besseren Erfassung dieser männlichen depressiven Psycho­ pathologie, sowie die Peer-Edukation von Ärzten sind zu fordern. Women seek for help - Men die! Is depression really a female disease? Prevalence rates of depression in females are about two to three times higher as compared to men. Biological evidence seems to support these data. Genderspecific suiciderates, closely linked to depressive illness, however raise doubts about the genderspecific epidemiological data of depression as males commit suicide three to ten times more often than females. The sociomedical concept of “male depression” delivers an explanation. A gender bias in diagnose as well as a reduced male helpseeking behavior and dysfuntional stress coping in males might be reasons for the reported low prevalence-rates of depression in males. Depression might hide behind addictive- and risk-behavior as well as irritability. As these symptoms differ from the classic depressive symptoms they might not be detected and identified as such. Validated rating scales which specifically assess male symptoms of depression, as well as peer-education programs for colleagues might change current depression rates in males. Psychische Erkrankungen werden zunehmend als ein schwerwiegendes Problem und als Krankheit anerkannt; die psychische Gesundheit der EUBevölkerung wird als stark verbesserungsbedürftig angesehen [27, 28]: • Psychische Erkrankungen be­ treffen jeden vierten Bürger. Mehr noch leiden an Störungen der psychischen Gesundheit. Sie alle können zu Suizid führen, der in Europa nach wie vor vielen Menschen das Leben kostet. • Psychische Erkrankungen verur­ sachen erhebliche Kosten und belasten das Wirtschafts-, Sozial- und Bildungssystem sowie das Justizsystem. • Nach wie vor kommt es zu Stigmatisierung, Diskriminierung und Mißachtung der Menschen­rechte und der Menschenwürde von psychisch Kranken. Dies stellt europäische Grundwerte in Frage. Die treibende Kraft hinter diesen europäischen Aktivitäten ist, neben der Bedeutung, die seit einiger Zeit dem „Sozialen Kapital“ zuerkannt wird, die Erkenntnis, dass psychische Störungen nicht nur die Kranken und ihre Angehörigen, sondern die gesamte Gesellschaft auch in materieller Hinsicht erheblich belasten und zu gesellschaftlichen Dysfunktion führen [45, 51, 57]. Zudem wird prognostiziert, dass diese Belastungen innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte zunehmen werden. Auch bezüglich ihrer "Krankheitslast" werden psychische Erkrankungen sich den Herz-Kreislauf-Erkrankungen angleichen; so wird angenommen, dass bis zum Jahr Hausmann, Rutz, Meise 2010 depressive Störungen weltweit die zweithäufigste Ursache für eine Erkrankung sein werden. Die Suizidalität ist dabei ein wichtiger Indikator für den psychischen Gesundheitszustand der Bevölkerung. In diesem Kontext bezog der EU-Kommissar Markos Kyprianou 2006 eindeutig Stellung: „Psychische Er­krankungen können genauso töd­lich sein wie körperliche, zum Bei­spiel wie Krebs. Jedes Jahr sterben mehr Europäer durch Selbst­tötung als durch Autounfälle oder Mord. Dennoch widmet man der psychischen Gesundheit erstaunlich wenig Aufmerksamkeit – man könnte sagen, dass psychische Erkrankungen Europas unsichtbare Todesursachen sind. Ich bin fest entschlossen dies zu ändern.“ Eine der Strategien für die europäische Gesundheitspolitik ist es, den Zugang zu einer effizienten Primärversorgung für psychische Gesundheitsprobleme zu schaffen. Dazu ist es erforderlich, dass Hausärzte, die auch für psy­chische Probleme zumeist die erste Anlaufstelle sind, hinsichtlich dem Erkennen und der Behandlung psy­chischer Erkrankungen die entsprechenden Kompetenzen auf­weisen. Durch die„Gotland-Studie“ [42,43] sowie die Aktivitäten der EAAD (Europäische Allianz gegen Depression) [37] konnte ein­ drucksvoll gezeigt werden, dass die Ausbildung niedergelassener Ärzte hinsichtlich dem Erkennen und die Behandlung depressiver Erkrankungen, zu einer Abnahme von Suiziden geführt hat. Überraschend war jedoch die Erkenntnis aus der „Gotland-Studie“, dass es durch diese Aus- und Fortbildung zwar zu einer signifikanten Reduktion von Suiziden bei Frauen kam, jedoch die Suizidrate der Männer nahezu unverändert blieb [55], weswegen das Konzept eines männerspezifischen depressiven Syn­ droms verfolgt wurde. Unsere Gesundheitsversorgung weist heute zwei geschlechtsspezifische Paradoxa auf: Zum einen nehmen Männer im Vergleich zu Frauen nur 44 halb so oft medizinische Leistungen in Anspruch, sterben aber zwischen 5 (in der EU) und 15 Jahre ( in der Russischen Föderation) früher als Frauen. Zum anderen versterben Männer 3 – 10 mal häufiger an einem Suizid als Frauen. Obwohl bekanntlich 70 – 90 % der Suizide im Gefolge depressiver Störungen begangen werden, wird im Vergleich zu Frauen bei Männern eine Depression nur halb so häufig diagnostiziert . Ist die Depression weib­ lich? Die Depression ist weiblich! Zu diesem Schluss könnte man zumindest kommen wenn man epidemiologische Daten zur Prävalenz der Depression betrachtet. Demnach weisen Frauen ein 2 bis 3 fach höheres Risiko auf, im Verlauf ihres Lebens an einer Depression zu erkranken; mit Werten zwischen 4,1 und 21,3% für Frauen und zwischen 2,3 und 12,7% bei Männern [22]. Auch die Dysthymie ist demnach lebenszeitlich häufiger bei Frauen als bei Männern anzutreffen (Männer zu Frauen 0,8 zu 4,8%). Dieser Geschlechtsunterschied läßt sich erstmals in der Pubertät nachweisen [34], findet sich ausgeprägt zwischen dem 30 und 45 Lebensjahr und persistiert bis ins hohe Alter. Einige neurobiologische Faktoren unterstützen diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Sexual­ hormone spielen aufgrund ihrer spezifischen Neuromodulation der Rezeptorbiologie eine wich­tige Rolle in der Entstehung depres­siver Erkrankungen. Bei Frauen beeinflussen Östrogen und Progesteron die kortikale Erregbarkeit. So konnte Smith und Mitarbeiter [48] mittels paired pulse Transkranieller Magnetstimulation (ppTMS) zei­gen, dass der weibliche Zyklus, über Modulation von GABAα-Rezep­toren, Einfluss auf die kortikale Erregung ausübt. Ihre Resultate in­ter­pretierten die Autoren als einen erregenden östrogenbedingten Effekt. Ein weiteres elektrophysiologisches Phänomen, die Krampfschwelle, ist geschlechtsspezifisch, und liegt bei Männern höher als bei Frauen [26]. Da neuere Konzepte affektiver Störungen von dysfunktionalen plastischen Ver­änderungen ausgehen, könnten diese hormonellen Einflüsse zur erhöhten Vulnerabilität von Frauen im Ver­gleich zu Männern beitragen [56]. Aber auch eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Ausstattung der mit der Depression kausal in Zu­sam­menhang gebrachten Monoa­mine könnten eine Rolle spielen. Verschiedene Untersuchungen ha­ben beispielsweise gezeigt, dass es keinen geschlechtsspezifischen Unterschied für das Serotoninsystem gibt. Allerdings haben Männer im Vergleich zu Frauen weniger hohe Monoaminooxidase-Konzen­ tra­tio­nen. Dies könnte einen gewissen Schutz vor einem übermäßigen Abbau biogener Amine, und infolge dessen von Depression, bei Männern darstellen. Soziologisch gesehen könnten die geschlechtsspezifischen Unterschiede durch Mangel an sozialem Rückhalt bei Frauen, welche diesbezüglich vulnerabler scheinen, bedingt sein [21]. Eine niedrige Prävalenz depressiver Störungen bei Männern kann aller­ dings auch als mangelndes Erkennen depressiver Symptome bei Männern interpretiert werden. Ein Hinweis hierfür bietet die bei Männern mehrfach höhere Suizidrate als bei Frauen. Geht man davon aus, dass Suizide zumeist Folge einer psychischen Erkrankung sind [32] – auch wenn man auch konzediert, dass Suizide nicht ausschließlich im Rahmen von Depressionen, sondern auch bei Substanzmissbrauch und Schizophrenie zu finden sind – so sind Suizide bei Männern drei bis zehn mal häufiger als bei Frauen anzutreffen [19, 24]. Obwohl etwa 70% der Suizide im Gefolge depressiver Störungen begangen werden, wird im Vergleich zu den Frauen bei Männern eine depressive Störung zumindest halb so oft diagnostiziert. Frauen suchen Hilfe – Männer sterben! Ist die Depression wirklich weiblich? Junge Männer scheinen von Suzide besonders betroffen zu sein [23, 60, 61]; in dieser jüngeren Altersgruppe ist der Suizid – nach Unfällen – die zweithäufigste Todesursache. Ab dem 65 ten Lebensjahr steigt die männliche Suizidrate, im Vergleich zu jener bei Frauen, dramatisch an; dies bedeutet, dass im Alter in Österreich circa 180 Suizide /100000 Männer vs. 20 Suizide /100.000 Frauen zu beobachten sind [54]. Für die Unterdiagnostizierung und folglich Unterbehandlung depressiver Erkrankungen bei Männern gibt es für Möller-Leimkühler und Mit­arbeiter [31] drei Gründe an. Es sind dies mangelnde Hilfesuche von Männern, eine dysfunktionale Stressverarbeitung und ein „gender bias“ in der Diagnostik der Depres­sion. Mangelnde Hilfesuche Hinsichtlich der geschlechtsspezi­ fi­schen Aspekte, die künftig ent­ sprechend der im Jahre 2005 in Helsinki erstellten Richtlinien [62] stärker berücksichtigt werden sollten, findet sich, dass Männer im Vergleich zu Frauen nur halb so häufig medizinische Leistungen in Anspruch, dass sie aber zwischen 5 (in der EU) und 15 Jahre (in der Russischen Föderation) früher als Frauen sterben. Zum anderen ver­sterben Männer – wie schon ausgeführt – 3 bis 10-mal häufiger an einem Suizid als Frauen, was auch für die Übersterblichkeit der Männer verantwortlich ist [33, 46]. Die mangelnde Hilfesuche von Män­ nern scheint auf dem männlichen Rollenverständnis zu fußen. Ge­ schlech­ter­stereotype sind sehr ver­ änderungsresistent und so müssen deren Effekte, trotz dem Rollenwandel der heute bei Männern zu beobachten ist, als normativ bezeichnet wer­den. Inanspruchnahmedaten aus Allge­meinarztpraxen stel­len bei akuten Symptomen Geschlechter­unter­ schiede im Hilfesuchverhalten von 1:2 zu Ungunsten der Männer fest. Mit zunehmenden Schweregrad der körperlichen Symptome werden die Unterschiede allerdings geringer [6]. Die Inan­spruchnahme professioneller Hil­fe kann nur erfolgen, wenn vor­her Symptome der Depression, wahrgenommen und erkannt wurden. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei diesem komplexen Prozess wurden berichtet. Empirische Studien zeigen, dass Männer weniger physische und psychische Symptome berichten als Frauen. Sie berichten seltener über depressive Symptome und schätzen ihren Gesundheitszustand grundsätzlich besser ein, als er tat­sächlich ist [9]. So könnte die fehlende Hilfesuche bei depressiver Erkrankung als ein der subjektiven Sichtweise, respektive alexithymen Nicht-Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit entsprechendes Ver­halten gedeutet werden. Hilfesuchen widerspricht dem männlichen Stereotyp und sogar das Wahrnehmen von Hilfsbedürftigkeit dürfte gegen diese männliche Verhal­ tensschablone verstoßen. Hilfesuche käme einem Statusverlust und einer Identitätsbeschädigung gleich, weil diese mit Inkompetenz, Abhängigkeit, Aufgabe von Autonomie und Selbst­kontrolle in Verbindung ge­ bracht wird. Eine niedrige Rate diagnostizierter Depressionen geht mit hoher Suizidrate – und vice versa – einher [5, 38]. Dies bedeutet, dass Verbesserungen im Erkennen depressiver Störungen durch z.B. Antistigma- und Awareness-Programme oder durch Ausbildung von Schlüsselpersonen – wie Ärzten – mit höheren Behandlungs- und gesenkter Suizid­ raten einhergehen. Dysfunktionale Stressver­ arbeitung Es scheinen gerade die zuvor genannten Einstellungen zu sein, die Männer für die Entstehung von Depressionen vulnerabel machen. Das traditionelle Konstrukt der Männlichkeit ist 45 in einer sich schnell verändernden postindustriellen Gesellschaft nicht mehr funktional, gleichzeitig steh­en aber keine neuen männlichen Identifikationsschablonen zur Ver­fü­gung, sodass die Folgen auf Grund männliche Rollenkonflikte unausweichlich sind [29]. Männer reagieren auf Stress anders als Frauen [20]. Männer sind verletzlich gegenüber einer hierarchischen Degradierung während Frauen auf Depravierung oder dem Verlust von familiärer Verbundenheit reagieren [36, 52]. Da Schwäche und Hilfsbedürftigkeit als unmännlich gelten, wundert es nicht, dass Frauen über bessere Coping-Strategien bei emotionalem Stress oder auch bei Schmerz verfügen [18, 53]. Dazu ein Beispiel, wie Verlust von sozialer Identität und Zugehörigkeit, die Lockerung der sozialen Ko­ häsion, das Zusammenbrechen von Wertordnung oder Bedingungen, die Hilfs- und Hoffnungslosigkeit fördern, sich auf die Männergesundheit aus­wirken können. Nach dem Zusammenbrechen der Sowjetunion sank in den Transformationsländern die durchschnittliche Lebenserwartung drastisch: Es kam zu einem massiven Anstieg von Todesfällen aufgrund von Suiziden, von Gewaltexzessen, von Unfällen und von kriminellen Verhaltensweisen. Ebenso stieg die Mortalität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich an. Betroffen war vorzüglich die männliche Bevölkerung [16, 47]. Für die erhöhte Morbidität und verfrühte Mortalität werden beson­ders psychische Erkrankungen wie depressive Syndrome und Angst­störungen verantwortlich gemacht, die häufig auch mit Substanzmissbrauch und Suizidhandlungen vergesell­schaftet sind. Im genannten Zeitraum erhöhte sich die Prävalenz des Alkoholismus um das Vierfache; ebenso stieg die Bereitschaft zu hochriskanten Verhaltensweisen dramatisch an; auch psychosomatische Erkrankungen nah­ men deutlich zu. Psychische und psychosoziale Fak­ toren bestimmen erheblich die Ge- Hausmann, Rutz, Meise sundheit des Menschen. Die Forschungsergebnisse zur Saluto­genese oder zum Recovery und der Resilienz belegen besonders die gesundheitsfördernde Bedeutung des "Kohärenzsinnes"; also der Fähigkeit des Einzelnen, über sein Leben selbst bestimmen zu können, ihm einen Sinn zu geben und Sinn zu stiften und Belastungen entsprechend bewältigen zu können [50]. Nicht erfasste depressive Symptome bei Männern Die traditionelle männliche Ge­ schlechts­rolle kann durch Ei­gen­ schaften charakterisiert werden wie Macht und Dominanzbestreben, Aggressivität, Unabhängigkeit, Leis­tungs­orientierung, Ratio­nalität, Kontrolle und Unver­letzbarkeit. Zu diesem männlichen Stereotyp gehört es auch, Gefahren zu meistern und die damit verbundenen Ängste und Leiden nicht wahrzunehmen. Während negative Befindlichkeit und Krankheiten, sowie die klassischen Symptome der Depression wie Gedrücktheit, Klagsamkeit, Anhe­donie, Antriebsverlust und deren metaphorische Überfrachtung wie Schwäche, Hilfsbedürftigkeit als eher dem weiblichen Geschlecht zugehörig und dementsprechend als unmännlich gelten, werden Aggressivität, Är­ger und Feindseligkeit als sozial akzeptierte Kodierung von männlicher Emotionalität gesehen [53, 58]. Da Männer Hilfsbedürftigkeit eher ablehnen, lehnen sie auch die Einnahme von Psychopharmaka ab und bevorzugen als Eigenmedikation Alkohol [41], oder stürzen sich in Arbeit; beides gesellschaftlich positiv sanktionierte und der Geschlechterrolle ent­sprechende kompatible Alter­nativen mit momentaner antidepressivem aber auf Dauer depressionsaggravierendem Effekt. Als letzter Akt der Autonomie und Selbstkontrolle wird auch der Suizid angesehen. In Gesellschaften, wie zum Beispiel der orthodox jüdischen, 46 in der die Pseudo-Copingstrategien wie Alkoholismus sozial nicht akzeptiert sind, bestehen zwischen Männer und Frauen keine Unterschiede hinsichtlich der Depres­sionsrate [25]. In der „Got­land-Studie“ [42, 43, 44, 46] – die u.a. als das Modell für das EU-Projekt EAAD (Europäische Allianz gegen Depression) angesehen werden kann [37] – konnte u.a. eindrucksvoll gezeigt werden, dass die Qualifi­zierung niedergelassener Ärzte hin­sichtlich Diagnose und Therapie depressiver Erkrankungen, zu einer Abnahme von Indikatoren führt , die mit diesen Störungen assoziiert sind. Überraschend war jedoch, dass es im Gefolge dieser Aktivitäten zwar zu einer 90%igen Reduktion von Suiziden bei Frauen kam, jedoch die Suizidrate der Männer nahezu unverändert blieb [35,55]. Ergebnisse von psychologischen Autopsien der männlichen Suizidopfer führten zur Annahme, dass dafür ein männer­spezifisches depressives Syndrom verantwortlich ist. Mit dem Konzept der „Male Depression“ vertreten die Autoren die Ansicht, dass übliche durch Depressionsinventare gut ab­bildbare depressive Symptome durch geschlechtstypische aber depressionsuntypische Symptome wie Aggressivität, Irritabilität sowie Risiko- und Suchtverhalten überlagert werden, was zu Fehldiagnosen wie Alkoholmissbrauch oder Persön­lich­keitsstörung führen kann. Das Konzept der „Male Depression“, einer genderspezifischen Psycho­ pathologie, konnte auch empirisch belegt werden. In klinischen Samples von unipolar Depressiven, fanden sich bei Männern Ärgerattacken, [59] Feindseligkeit [8], gesteigerter Alkoholkonsum [3] sowie eine Kombination aus Irritabilität, Aggres­sivität und antisozialem Verhalten [30, 64]. Im Vergleich zu Frauen kompensieren Männer ihre depressive Krise öfters mit Suchtverhalten, sei dies durch exzessiven Alkoholabusus und Drogen oder durch Workoholismus und Spielsucht [7]. Allerdings stellen sich bei diesem Konzept der männlichen Depression Abgrenzungsprobleme gegenüber anderen Konzepten dar. So sind Überlappungen zum Konzept Wino­kurs zu sehen, bei dem die unipolare Depression, Alkoholismus und anti­soziale Persönlichkeitsstörung zu einer Depression-Spektrum-Diagnose zusammenführt wurden. Auch finden sich symptomatische Überlappungen mit dem Konzept des „Bipolaren Spektrum“ von Akiskal und Pinto [1]. Bipolare Erkrankungen sind hoch rezidivierende, unter­diagnostizierte und unterbehandelte Erkrankungen, die derzeit im Fokus wissenschaftlichen Interesses sind [12, 49] Das „Bipolare Spektrum“ ist beispielsweise durch die Irrita­­bilität als Hauptsymptom der ge­mischten Episode gegeben. Da Irritabilität doppelt so häufig in der bipolaren Depression als bei der unipolaren vorkommt und bei der bipolaren Störung und besonders bei gemischten Episoden [4] im Vergleich zur unipolaren Depression das Suizidrisiko höher ist, würde dies einen Zusammenhang zwischen der „Male Depression“ und dem Bipolarem Spektrum nahe legen. Die Bipolare Erkrankung geht außerdem überzufällig häufig mit komorbider Alkohol- und/oder Substanzabhängigkeit einher [13]. Auch diese Tatsache könnte für die Zugehörigkeit zum Bipolaren Spektrum sprechen. Zusätzliche Kon­fusion wird durch die Rekon­zeptionalisierung der agitierten uni­polaren Depression als gemischte Episode geschaffen [2]. Aus dieser diagnostischen Unsicher­ heit heraus stellt sich natürlich auch die Frage nach der pharmakologischen Therapie dieser Form der Depression. Da Antidepressiva im Verdacht stehen Kippphänomene zu induzieren respektiv die Irritabilität zu erhöhen [14] stellt sich die Frage nach der adäquaten Therapie der „Male De­pression“. Sollten nicht zusammen mit Antidepressiva ein Antimanikum implementiert werden? Wäre es nicht angezeigt bei der leichten bis mittelgradigen Depression gleich alternative Medikamente, wie Atypika oder Antiepileptika zu Frauen suchen Hilfe – Männer sterben! Ist die Depression wirklich weiblich? verwenden [10,14]? So könnte man die potentiellen affektiven Neben­ wirkungen von Antidepressiva verhin­ dern und gleichzeitig eine adäquate Therapie bei komorbider Sucht/Alkoholismus sichern. Als Resultat eines Suizidpräventions­ programms auf der schwedischen Insel Gotland [42] wurden diese ge­ schlechtsspezifischen nicht typisch depressiven Symptome, wie Aggressivität, Irritabilität, Risiko- und Suchtverhalten, beim Erstellen eines Screening-Tools (Goteland Scale for Male Depression [65]) erstmals berücksichtigt. Die Skala scheint noch nicht ausreichend validiert, wird aber bereits bei großen Projekten eingesetzt [31]. Verbesserungen im Erkennen von depressiven Störungen sowie eine höhere Behandlungsrate führen zu einer Reduktion von Suiziden [15, 39, 40, 45]. In diesem Kontext ist auch die „Male Depression“ mit ihrer geschlechtsspezifischen Symptomatik in Behandlung und Rehabilitation [11,17] zu berücksichtigen. Dafür sind validierte Rating Skalen für männlich Depressive sowie eine Peer-Eduka­tion von Arztkollegen, welche besonders auf männliche Symptome der Depression fokussiert, zu fordern. Obwohl konventionelle antidepressive Therapie klinisch durchaus positive Effekte aufweisen, bedarf die Fragen nach der adäquaten psychopharmakologischen Therapie im Allgemeinen und der Verwendung von Antidepressiva im Besonderen noch weiterer Klärung. Literatur [1] [2] Akiskal H.S., Pinto O.: The evolving bipolar spectrum. Prototypes I, II, III, and IV. Psychiatr Clin North Am 22(3):517534 (1999). 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Dabei konnten viele Untersuchungen in den letzten Jahren zeigen, dass der Beeinträchtigung des sexuellen Erlebens und der sexuellen Funktionsfähigkeit ein besonderer Stellenwert zukommt [1; 2]. Die menschliche Sexualität ist komplex determiniert, wobei hormonelle, vaskuläre, neurogene und psychogene Faktoren mitbeteiligt sind. Auch sexuelle Funktionsstörungen sind multifaktoriell bedingt, wobei in einem Ursachenbündel verschiedene psychische, psychosoziale und somatische Bedingungen ineinander greifen, der jeweilige somatische bzw. psychische Anteil aber oft nur schwer eingeschätzt werden kann [3; 4]. Gerade bei schizophrenen Patienten kommt auch der Krankheit selbst in einem hohen Maße für das Bestehen einer sexuellen Dysfunktion Verantwortung zu (18-60%) außerhalb einer akuten Episode [5; 6]. Die Beeinflussung der Sexualität durch Antipsychotika kann auf ver© 2008 Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle ISSN 0948-6259 schiedenen Ebenen erfolgen, wie vor allem durch Sedierung, den Einfluss auf verschiedene Neurotransmitter (besonders Dopamin und Serotonin, über periphere vegetative Vorgänge und vaskuläre Einflüsse [7]. Einen besonderen Stellenwert in Bezug auf eine – negative – Auswirkung auf die Sexualität durch die Antipsychotika hat neben der Verminderung des Dopaminspiegels der Einfluss auf den Prolaktinspiegel. Die Prolaktinauschüttung des Hypothalamus wird vor allem durch die inhibitorische Wirkung von Dopamin kontrolliert. Viele Antipsychotika blockieren in einem unterschiedlichen Ausmaß die zentralen Dopamin-2-Rezeptoren, was zu einer Erhöhung des PlasmaProlaktinspiegels führt [8; 9]. Eine deutliche Hyperprolaktinämie findet sich häufig bei den Antipsychotika Risperidon und Amisulprid, ein geringer Effekt bei Olanzapin und keine Erhöhung des Plasma-Prolaktinspiegels im gesamten Dosisbereich bei Quetiapin und Clozapin. Ein hoher Prolaktinspiegel beeinflußt wiederum die Synthese der Sexualhormone (wie z.B. verringerte Produktion von Testosteron) und trägt somit zur Störung des sexuellen Verlangens bei. Viele Untersuchungen bzgl. der sexuellen Nebenwirkungen bei Antipsychotika [2; 10-14] konnten zeigen, dass - sowohl bei typischen als auch bei atypischen Antipsychotika die sexuelle Funktionsfähigkeit häufig negativ beeinflusst wird; - durch die Verbesserung der psychischen Befindlichkeit auch Verbesserungen im sexuellen Erle- - ben und in der sexuellen Funktion möglich sind; die durch Antipsychotika induzierte sexuelle Dysfunktion multifaktoriell bedingt ist, wobei der Blockade der Dopamin-2-Rezeptoren, der Sedierung, dem Antagonismus der cholinergen und alpha-adrenergen Rezeptoren, der Hyperprolaktinämie und der EPS eine besondere Bedeutung zukommen. Die zusätzliche Gabe von Anticholinergika oder BetaBlocker tragen oft zur sexuellen Problematik bei. Auch wenn die Wirkung der verschiedenen Antipsychotika in vielen Wirkungsweisen eine ähnliche ist, ist ein Wechsel des Präparates sinnvoll, wenn es beim verabreichten Präparat zu einer Beeinträchtigung der Sexualität kommt. Auch bei oder gerade bei Patienten mit einer psychischen Störung ist das Gespräch über Sexualität bzw. sexuelle Probleme notwendig, wobei die Initiative zum Gespräch vom Behandler ausgehen muss. Dabei ist die Angst, dass durch den Hinweis einer möglichen negativen Auswirkung des Psychopharmakons auf die Sexualität die Entwicklung einer sexuellen Dysfunktion begünstigt wird, unbegründet. Vielmehr ermöglicht das Wissenum eine mögliche negative Wirkung des Medikaments auf die Sexualität dem Patienten eine Zuordnung. Auch wird dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Non-Compliance vermindert. Ob bei Auftreten einer sexuellen Funktionsstörung die Medikamen- Kinzl 50 tendosis reduziert, das Präparat durch ein anderes ersetzt wird oder der weitere Verlauf beobachtet werden soll, entscheidet letztendlich der Patient gemeinsam mit dem Behandler unter Abwägung aller Vor- und Nachteile. Literatur [1] [2] [3] [4] [5] Fleischhacker W.W., U. Meise, V. Günther, M. 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Dann wird ausführlich und sehr detailliert beschrieben, wie in den entsprechenden Bereichen, die eine Rolle für die Entstehung View publication stats von Burnout spielen, Verbesserungen angegangen werden können. Die Bereiche betreffen Arbeitsbe­ lastung, Kontrollverhalten, Beloh­ nung, Gemeinschaft, Fairness und Werte im Unternehmen. Die Darstellung dieser 6 Schritte ist sehr detailliert und auch gut verständlich, vielleicht manchmal etwas vereinfacht dargestellt. Insgesamt ist das Buch eine sehr empfehlenswerte Lektüre für Men­ schen, die sich in ihrem Arbeits­be­ reich überlastet fühlen bzw. auch für jedermann, um die wichtigen Aspekte für ein gelungenes Verhältnis zur Arbeit zu erreichen. w.Hofr.Univ.Doz.Prim.Dr.W.Schöny