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Roca Vecchia – Tor zur Ägäis

2018, Archäologie in Deutschland

Fenster Europa | Bronzezeitliche Feste in Italien Roca Vecchia – Tor zur Ägäis Roca Vecchia an der Adriaküste Apuliens spielte bis in hellenistische Zeit eine herausragende Rolle bei den vielfältigen Beziehungen zwischen südöstlichem Italien und ostmediterranem Raum. In der mittleren Bronzezeit schützten monumentale Befestigungen den Hafen. Außergewöhnliche Befunde dokumentieren Momentaufnahmen aus den kriegerischen Wirren dieser Zeit. Von Teodoro Scarano; Übersetzung aus dem Englischen von Folkert Tiarks R oca Vecchia liegt ungefähr 23 km südlich von Lecce und 18 km nördlich von Otranto. Die prähistorische Fundstelle von etwa 3 ha Fläche erstreckt sich wenige 100 m südlich des heutigen Orts auf einer rundlichen Halbinsel aus Kalkfelsen. Im Süden trennt eine schmale Bucht die Halbinsel vom nächsten Küstenvorsprung mit den Höhlen der »Grotta della Poesia«. Das flache Gelände liegt ca. 10 m über dem ta della Poesia«, die über Jahrhunderte ihre unverwechselbare Identität bewahrte. Der Platz war ohne Unterbrechung von der mittleren Bronzezeit (17. Jh. v. Chr.) bis in hellenistische Zeit (2. Jh. v. Chr.) besiedelt, dann noch einmal im späten Mittelalter. Kulturelle Kontinuität zeigt sich insbesondere im 2. Jt. v. Chr. sehr deutlich. Befestigungen und Höhlenheiligtum bildeten zentrale Elemente einer klar umrissenen regionalen Identität. Man kann ihre Bedeutung und ihren symbolischen Wert für den sozialen Zusammenhalt der hier siedelnden Menschen nicht hoch genug einschätzen. Höhlenheiligtum mit Inschriften und Gravuren Zwei große Karsthöhlen befinden sich 200 m südlich der Landzunge von Roca Vecchia: »Grotta della Poesia Grande« und »Grotta della Poesia Piccola«. Beide sind heute teils überflutet, teils eingestürzt, sodass das ehemalige Innere unter freiem Himmel liegt. Die Höhlen- Meeresspiegel und bricht seewärts in steilen Klippen ab. Die Klippen ziehen sich nahtlos bis zu einem alten Wasserlauf und der langen Bucht von Torre dell’Orso bei Melendugno (Lecce). Heute zählt Roca Vecchia zu den TopReisezielen des Badetourismus auf dem Salento. Seine große Bedeutung in der Vergangenheit verdankte dieser Platz vor allem der Lage an der Meerenge von Otranto – mit nur 70 km Breite die engste Stelle: Spätestens seit dem 2. Jt v. Chr. befand sich hier ein für die Schifffahrt zwischen Ägäis und zentralem Mittelmeer strategisch wichtiger und befestigter Hafen, darüber hinaus wahrscheinlich eine bedeutsame Kultstätte in der »Grot56 Archäologie in Deutschland 1 | 2018 Stierkopf an der Höhlenwand der »Grotta della Poesia« zwischen vielen anderen Gravierungen. Das Innere der Grotte ist über eine Metalltreppe erreichbar und kann besichtigt werden. Die Decke des Höhlenheiligtums ist in nachantiker Zeit eingestürzt. ruinen sind Teil eines größeren Komplexes aus Hohlräumen, Gängen und teils unter Wasser stehenden Bereichen. »Grotta della Poesia Grande« zählt laut »National Geographic« zu den zehn schönsten Naturpools der Welt. Die kleinere »Grotta della Poesia Piccola« dagegen gehört zu den außergewöhnlichsten archäologischen Denkmälern, die je im antiken Mittelmeerraum entdeckt wurden: Auf ihren Wänden sind etwa 600 m2 Fläche mit Tausenden von Inschriften und Gravuren bedeckt, die intensive religiöse Aktivitäten vom Neolithikum bis in die frühe Römische Republik hinein belegen. Hunderte in lateinischer und messapischer Sprache verfasste Inschriften sprechen von Verehrung einer einheimischen Gottheit namens Taotor Andirahas/ Tutor Andraios. Diese Inschriften und unzählige bildliche Gravuren zeigen uns die herausragende Stellung dieses Kultplatzes seit vorgeschichtlicher Zeit. Dargestellt sind Hände, Tiere, Spiralen, Vulven, ja sogar eine Kombination aus Bukranion und Doppelaxt, die minoischen Motiven ähnelt. Diese Entdeckung veranlasste in den frühen 1980er Jahren Cosimo Pagliara, sowohl die Siedlung als auch die Kultstätte zu den vorrangigen Zielen seiner Forschungen zu erklären. In Verbindung mit Maßnahmen zur Restaurierung, Bewahrung und Dokumentation der Wände der »Grotta della Poesia« und ihrer Inschriften wurden ab 1987 jährliche Ausgrabungen durch die Abteilung für Denkmalpflege der Universität Salento durchgeführt. Starke Befestigungen in der Bronzezeit Roca ist einer der wenigen archäologischen Fundplätze, die Gelegenheit bieten, einige Ereignisse so prägnant zu dokumentieren, dass sie zu kurzen Abschnitten der offiziellen Geschichte werden. Die ungewöhnlichen Erhaltungsbedingungen, die dies ermöglichen, sind oft plötzlichen und verheerenden Ereignissen zu verdanken, die das Alltagsleben wie einen fotografischen Schnapp- schuss festhalten. Roca Vecchia wurde in der Bronzezeit mindestens dreimal durch Feuer zerstört. Damals bestand eine mächtige Festung, geschützt durch das Meer und einen von Quellen gespeisten Sumpf an der Küste. Eine Mauer verlief an der schmalsten Stelle von Norden nach Süden und blockierte den Zugang vom Festland zur Halbinsel. Sie markierte gleichzeitig die Grenze des besiedelten Gebiets. Das leicht gekrümmt verlaufende Bauwerk hatte eine Länge Roca Vecchia liegt auf einer Halbinsel von etwa 3 ha Größe. Im Süden (oberhalb) folgt die Bucht von Torre dell’Orso. Im Hintergrund das moderne Melendugno. Hinter dem mittelalterlichen Wachtturm auf der Halbinsel sind die Berge von Albanien zu erkennen. von etwa 200 m bei einer Höhe von bis zu 4 m und einer maximalen Breite von 21 m am Haupttor. Mehrere Zerstörungen lassen sich in die Zeit zwischen dem 16. Jh. v. Chr. (mittlere Bronzezeit) und dem 11. Jh. v. Chr. (Endbronzezeit) datieren. Doch wurde die Mauer in verschiedenen Techniken und Materialien immer wieder aufgebaut bzw. repariert. Insbesondere mittelbronzezeitliche Befunde aus der ersten Hälfte des 14. Jh. v. Chr. sind au- ßergewöhnlich gut erhalten. Ursache war ein heftiges Feuer, das im Zuge einer Belagerung ausbrach. Der Brand führte zum Einsturz der Mauern und zur fast gänzlichen Zerstörung der Siedlung. Die unter den eingestürzten Mauern liegenden Befunde blieben außerordentlich gut erhalten. Ihre Ausgrabung lieferte eine Vielzahl an Informationen zur genauen chronologischen und kulturellen Bestimmung dieses Ereignisses. So zeigte die Analyse der architektonischen Überreste, dass die Befestigung nicht nur aus Trockenmauern bestand, sondern auch Korridore und Kammern umfasste. Rahmenwerke aus massivem Holz stützten die Dächer und dienten in einigen Fällen als Unterbau für ein Obergeschoss. Die Befestigung hatte ein monumentales Haupttor und mindestens fünf kleinere Durchgänge, die man als Ausfalltore interpretieren kann. Davor war ein Graben in den anstehenden Kalkstein gehauen, über den an jedem Eingang eine durch Steine gestützte Brücke führte. Hier gab es Strukturen verschiedener Formen und Größen wie Türme, Pfeiler, gepflasterte Wege sowie überdachte und offene Zweckbauten. Das monumentale Haupttor steht aufgrund seiner Dimensionen und Komplexität allein. Zum Zeitpunkt der Belagerung war es mindestens 25 m breit, die 58 Archäologie in Deutschland 1 | 2018 maximale Höhe betrug zwischen 8 m und 10 m. Ein in die Festung führender, durch einen halbrunden Turm geschützter monumentaler Korridor endete an dem durch zwei Wachhäuser flankierten Tor aus Eiche. Dahinter stieß der lange, überdachte Mittelkorridor auf zwei sich gegenüberliegende halbrunde Räume, die sich in zwei imposanten im inneren Bereich der Toranlage errichteten Türmen befanden. Momentaufnahmen unter Trümmern Bei der Ausgrabung des Schutts in den langen Gängen für die kleineren Durchlässe sowie des Haupttores zeigte sich, dass dort die Situation, wie sie kurz vor der Zerstörung und dem Einsturz bestand, versiegelt war. Roca Vecchia ist einer der wenigen archäologischen Fundplätze, die so eine Gelegenheit bieten: Die herabgestürzten Steine haben einen historischen Augenblick wie bei einem Schnappschuss festgehalten. Mehrere Ausfallpforten boten wahrscheinlich kleinen Personengruppen während einer Belagerung Zuflucht. Die Menschen, die dort vielleicht länger ausharren mussten, waren offenbar mit allem Nötigen versehen wie Töpfen, Werkzeugen aus Knochen und Stein oder Untersätzen für das Kochgeschirr. Besonders eindrucksvoll präsentierte sich ein Befund in Ausfalltor C: An verschiedenen Stellen waren Gefäße gruppiert und am westlichen Ende des Korridors lagen die vollständigen Skelette von sieben Menschen: zwei Erwachsene, ein Jugendlicher und vier Kinder. Offensichtlich hatten sie sich in diesen Gang geflüchtet und am Ende versucht, sich hinter einem Stapel Gefäße zu verstecken. Alle waren erstickt, verursacht durch das Feuer der in Brand gesetzten Festung. Auch am Haupttor konnten Kampfhandlungen nachgewiesen werden, und zwar im südlich gelegenen halbrunden Raum. Im unteren Abschnitt des Schutts fand sich noch im anatomischen Zusammenhang das Skelett eines jungen Mannes. Er starb im Alter von 18 bis 20 Jahren wahrscheinlich irgendwo an einer über diesem Raum befindlichen Stelle und wurde beim Einsturz der Decke mit nach unten gerissen. Diese Ver- Frage: Wer war der Krieger, der im Besitz dieser exotischen Gegenstände war? War er Angreifer oder Verteidiger? Möglicherweise bringt die derzeit noch laufende Isotopen-Analyse eine erste Antwort. Intensive Beziehungen zur Ägäis In der weiteren Umgebung steht der vorgeschichtliche Fundplatz von Roca Vecchia allein. Dies betrifft nicht nur den Umfang der Ausgrabungen und die Monumentalität der freigelegten Gebäude, sondern auch die ungewöhnliche Menge und den Erhaltungszustand der teils importierten Funde. Darüber hinaus erbrachten die in den letzten zwei Jahrzehnten durchgeführten Ausgrabungen eine beeindruckende Menge ägäischer bzw. ägäisch beeinflusster Keramik. Die Zahl der in Roca Vecchia gefundenen Stücke ist weitaus größer als von Mittelmeerraum, und hier besonders mit dem mykenischen Griechenland und Kreta, sprechen noch weitere Befunde: Diese reichen von der möglichen Übernahme fremder architektonischer Vorbilder und Bautechniken, insbesondere was die Befestigungsmauer betrifft, bis hin zur Adaption nicht lokaler sozialer Organisationsformen und religiöser Praktiken. Alles spricht für die Annahme, dass Roca Vecchia bei den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den einheimischen Gemeinden Südostitaliens und den Seefahrern der Ägäis eine zentrale Rolle spielte. Von Anfang an scheint hier eine gut nachweisbare Vermischung lokaler Traditionen mit minoischen und mykenischen Elementen kennzeichnend zu sein. Für die Spät- und Endbronzezeit liegen Hinweise auf religiöse Riten vor, wie sie in der Ägäis praktiziert wurden. mutung bestätigte eine anthropologische Untersuchung. Wie nicht verheilte Spuren an den Knochen zeigen, wurde der Tod des Kriegers durch Stiche in den Rücken verDas Gefäß hat die Kämpfe um die bronze- ursacht. In der Nähe dieses Skelettes zeitliche Befestigung wurden in derselben Schicht ein für die gut überstanden. Ägäis typischer Bronzedolch sowie ein aus dem Knochen eines Flusspferdes gearbeiteter Vogelkopf gefunden. Möglicherweise gehört Letzterer zu einer für die Levante typischen Entenpyxis. Diese Momentaufnahme aus der Belagerung der mittelbronzezeitlichen Befestigung von Roca erlaubt uns folgende irgendeinem anderen Fundplatz in Italien und umfasst mehrere tausend Scherben – mattbemalt, minysch, unbemalt, mykenische und minoische Keramik und Grobkeramik. Die Keramik datiert von etwa 1500 bis 1000 v. Chr., also in die frühmykenische bis submykenische Zeit. Den vorläufigen Berichten zu den chemischen und physikalischen Tonuntersuchungen zufolge liegen eindeutige Hinweise auf einen hohen Anteil importierter Gefäße vor, die hauptsächlich von der Peloponnes stammen. Für den frühen Beginn und die Intensität dieser Kontakte zum östlichen Das archäologische Projekt Roca Vecchia Seit dem Jahr 2016 laufen Anstrengungen zur Konservierung und Aufwertung des außergewöhnlichen Fundplatzes: In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kulturgüter, kulturelle Aktivitäten und Tourismus gründete die Region Apulien ein Projekt, das die komplette Neugestaltung der archäologischen Zone zum Ziel hat. Dabei sollen Zugänglichkeit und touristische Nutzung der Fundstelle verbessert werden. Fragen, die sich mit dem Management und auch mit der Vermittlung an Eine 24 m breite Mauer schützte die mittelbronzezeitliche Siedlung. Außer dem imposanten Haupttor führten fünf kleinere Pforten ins Innere. Blick in die südliche Kammer im Haupttor der mittleren Bronzezeit: Unten lag ein gefallener Krieger (rechts), in Reichweite eine Bronzeklinge (Mitte). die Öffentlichkeit beschäftigen, sind zentrale Punkte des Projekts. Was die archäologischen Untersuchungen betrifft, ist das wichtigste Ziel die vollständige Freilegung des Monumentaltores der mittelbronzezeitlichen Befestigung. Es soll der innere Teil des Baus ausgegraben werden, d. h. die beiden beeindruckenden sich gegenüberliegenden Türme mit den Räumen darin. Diese Maßnahme könnte weitere neue, unerwartete und außergewöhnliche Befunde zur Belagerung und den Kämpfen liefern, die um die Mitte des 2. Jt. stattfanden. Wenn das Gebäude erst einmal vollständig freigelegt ist, sind Maßnahmen zur Konservierung und Aufwertung, einschließlich einer virtuellen dreidimensionalen Rekonstruktion geplant. Eine App für Smartphones und Tablets soll die Besucher in die Lage versetzen, dieses einzigartige Bauwerk Offensichtlich suchten die Bewohner Schutz in den Kammern der kleinen Ausfalltore unter der Mauer. Einige fanden dort jedoch den Tod. virtuell zu erforschen, so an der spätbronzezeitlichen »Tempelhütte«, der spätmittelalterlichen Zitadelle und dem Höhlenheiligtum in der »Grotta della Poesia«. Ziel ist es, die Freude am archäologischen Erbe zu wecken. Dem Nutzer wird eine völlig neue interaktive Erfahrung geboten, damit der Besuch einen bleibenden Eindruck hinterlässt und zu besserem Verständnis führt. Info www.facebook.com/ RocaArchaeologi calProject Archäologie in Deutschland 1 | 2018 59