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Buchbesprechungen 181 qajarischen Herrschern in Teheran. Die Beziehungen der Gelehrten im Iraq zu den Qajaren sind mehrfach untersucht worden. Das Neue an LITVAKS Buch ist die Einbeziehung des osmanischen Moments angefangen bei den konfliktreichen Auseinandersetzungen der Tanzimatzeit bis zu Formen mehr oder weniger deutlicher Kooperation unter Sultan Abd al-Hamid. Dadurch wird auch erkennbar, wie sehr die russischen und britischen Interessen auch auf die Situation der Schiiten im Iraq einwirkten. Vor allem in der Darstellung der Konfrontation mit einer auf Zentralisierung ausgerichteten osmanischen Politik gegenüber den heiligen Städten im Iraq werden die Grenzen der Darstellung der schiitischen Sozialgeschichte dieser Zeit deutlich. Der Vf. geht mit zahlreichen Einzelheiten auf die internen Konflikte in Najaf zwischen den rivalisierenden ,Banden' der Zghurt und Shmurt ein. Weiterhin offen bleibt dabei die Frage nach dem Verhältnis dieses ,Mob' zu den Rechtsgelehrten. Es liegt nahe, daß die Werke der Gelehrten zu dieser Frage weitgehend schweigen oder eindeutig parteiisch sind. Von Mitgliedern der Banden selbst gibt es keine schriftlichen Zeugnisse und unabhängige dritte Quellen fehlen bisher. Hier werden wohl auf Dauer Fragen offenbleiben müssen. Ausführlich geht METR LITVAK auch auf die Abhängigkeit der Schiiten im Iraq von der osmanischen Zentralmacht im Zusammenhang mit den Heilserwartungsbewegungen des Bab und der Bahai ein, die zumindest zeitweilig und punktuell auch zu einer Zusammenarbeit zwischen sunnitischen und schiitischen Gelehrten führte. Das vorliegende Buch, in dem leider keine deutschsprachige Sekundärliteratur ausgewertet worden ist, stellte eine faktenreiche, kluge Analyse der Entstehung und ersten Blüte der schiitischen religiösen Elite dar und bietet zugleich einen interessanten Einblick in die politische und Sozialgeschichte des Iraq im 19. Jahrhundert. 4 Berlin Peter Heine PAUL SANDER: Zwischen Charisma und Ratio. Entwicklungen in der frühen imamitischen Theologie. Berlin 1994: Klaus Schwarz Verlag. (= Islamkundliche Untersuchungen, 183); 229 S. ISBN 3-87997-236-2. In der vorliegenden Arbeit, einer Göttinger Dissertation aus dem Jahre 1992, unternimmt es der Autor, die frühesten Entwicklungsstufen der imamitisch-schiitischen Theologie, also die ersten rund anderthalb Jahrhunderte nach der Entrükkung des 12. Imams (874 n. Chr.), nachzuzeichnen. Insbesondere geht es ihm darum, Zeitpunkt und Ausmaß des Eindringens bzw. der Übernahme mu'tazilitischer Lehren ins imamitische Denkgebäude zu untersuchen. In einem langen einleitenden Kapitel (S. 5-24) setzt er sich zu diesem Zweck kritisch - mitunter allzu kritisch - mit einigen Arbeiten zu diesem Themenkomplex auseinander. Besonders ausführlich wird der Vortrag besprochen, den WILFERD MADELUNG im Mai 1968 beim mittlerweile legendären Schia-Kolloquium in Straßburg hielt (Imamism and Mu'tazilite Theology, in: Le Shiisme Imämite. Colloque de Strasbourg, Paris 1970, S. 13-30). Dieser vertrat die These, Schia und Mu'tazila seien ursprünglich konträre theologiDer Islam Bd. 77, S. 181 - 184 ©Walter de Gruyter 2000 ISSN 0021-1818 182 Buchbesprechungen sehe Systeme gewesen, ehe in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts einige Mu'taziliten zwar zur schiitischen Imam» Vorstellung konvertiert seien, gleichzeitig jedoch ihre ursprünglichen Ansichten vor allem in Sachen Prädestination und Attribute Gottes beibehalten hätten. Dieser Prozeß lasse sich aber erst aus den Schriften asSaih al-Mufifds rekonstruieren, der seinerseits der erste imamitische Theologe gewesen sei, der dezidiert mu'tazilitische Anschauungen vertreten habe und dies in seiner Kritik an Ibn Bäbüyas traditionsgebundener Theologie deutlich gemacht habe. Dem hält SANDER entgegen, diese Sichtweise setze zum einen ein zu unkritisches Vertrauen in die Aussagen des häresiographischen Schrifttums der Mu'tazila voraus und berücksichtige zum anderen nicht die Werke der imamitischen Traditionarier selbst, aus denen bereits am Ende des 9. Jahrhunderts Versuche ersichtlich seien, imamitisches und mu'tazilitisches Denken zu vereinbaren. Dementsprechend gelte es - dies das Hauptziel der Arbeit -, „die imamitischen Glaubens Vorstellungen des 9. und frühen 10. Jahrhunderts zu rekonstruieren" sowie die Lehren al-Muftds zu sichten, „um auf diese Weise Kontinuität und Fortentwicklung in der frühen imamitischen Theologie sichtbar zu machen." (S. 23) Darüber hinaus solle eine Systematik der theologischen Aussagen erstellt werden, die sich von der bisher üblichen, von den muslimischen Theologen übernommenen Klassifizierung unterscheide. Die zuletzt genannte Absicht einer Systematisierung wird in der gesamten Arbeit strikt durchgehalten. Sämtliche Kapitel sind entlang dem Themengerüst geschrieben, das der Autor auf S. 27 vorstellt. Es besteht aus den sechs Punkten Imamatslehre, Gott und Koran, Gottes Gerechtigkeit und Güte, menschliches Handeln und Prädestination, Glaube sowie schließlich Erkenntniswege, wobei unter jeder Überschrift wiederum mehrere Unterpunkte versammelt sind. Die konsequente Anwendung dieses Schemas sorgt dafür, daß die von SANDER selbst in der Vorbemerkung formulierte Feststellung, dies bringe zwar den Nachteil der schlechteren Lesbarkeit mit sich, verfolge jedoch das Ziel größerer Übersichtlichkeit, in beiden Teilen zutrifft. Gleichwohl hätte manche Wiederholung vermieden werden können, etwa in Punkt D) a): Gottes Wollen, der zumeist eine teilweise Zusammenfassung des vorangehenden Kapitels C): Gottes Gerechtigkeit und Güte darstellt und dementsprechend häufig mit Formulierungen wie ,.es wurde bereits dargelegt'"' (S. 69). ..wurde bereits gesagt" (S. 106), „wie bereits gesehen" (S. 147) oder „es wurde bereits gezeigt" (S. 174) eingeleitet wird. Auch gehört die taqlya, also die Frage, inwieweit es erlaubt oder gar geboten ist, den eigenen Glauben bei drohender Gefahr zu verheimlichen, wohl eher in die Rubrik Glaube, nicht so sehr in den Zusammenhang der Imamatslehre, wo SANDER sie bespricht. Das Buch besteht, abgesehen von der Einleitung, aus drei Hauptkapiteln, deren erstes mit „Grundlagen der Untersuchung" überschrieben ist und das neben dem erwähnten thematischen Gerüst die Glaubenslehren der (vorwiegend asaritischen) Sunniten und der Mu'taziliten der Schule von Basra vorstellt. Diese beiden Punkte (S. 28—79) bringen zwar inhaltlich wenig Neues und sind mitunter etwas kurz geraten (z. B. bei der Betrachtung der Wichtigkeit des kaläm für die Mu'tazila, S. 76), erweisen sich jedoch im weiteren Verlauf zu Vergleichszwecken mit den Auffassungen der Imamiten mehrfach als überaus hilfreich. In den darauffolgenden beiden Teilen Buchbesprechungen 183 (S. 81-215), dem eigentlichen Thema der Untersuchung, widmet sich der Autor der Entwicklung der imarnitischen Theologie vom letzten Viertel des neunten bis zum Anfang des elften Jahrhunderts, genauer: der Frage, ob es eine nachvollziehbare Linie von den frühen Traditionssammlungen hin zu as-Saih al-Mufrd gegeben habe. Dabei verfährt er allerdings nicht chronologisch, sondern beginnt mit dem 1022 gestorbenen al-Muftd, erst danach behandelt er die zeitlich früheren Autoren al-Barqi (gest. 887/94), al-Kulaim (gest. 941) und Ibn Bäbüya (gest. 991). Dieses etwas ungewöhnliche Vorgehen begründet er damit, zuerst etwaige innere Widersprüche in alMufTcls Lehre herausarbeiten zu wollen, um anschließend „im Rückgriff ( . . . ) die Übereinstimmungen und Gegensätze in den theologischen Auffassungen des Saih al-Muffd und seiner Vorgänger" aufzuzeigen (S. 81). Ob dieses Ziel mittels einer der zeitlichen Reihenfolge entsprechenden Gliederung nicht ebenso gut zu erreichen gewesen wäre, sei hier dahingestellt. Dies, nämlich eine zusammenfassende Beurteilung der imamitischen Theologie dieses Zeitraums, leistet statt dessen das abschließende, mit „Schlußfolgerungen" überschriebene Kapitel, in dem so eine gewissermaßen diachrone Anordnung des zuvor synchron aufbereiteten Materials erfolgt. Darin gelingt es SANDER zu zeigen, daß etliche mu'tazilitische Dogmen, wie sie sich bei alMuftd finden, bereits in früheren imamitischen Werken zumindest in Ansätzen vorhanden waren, etwa Aussagen über die Attribute Gottes, seine Gerechtigkeit oder die allmähliche Abkehr vom strikten Determinismus sunnitischer Prägung. Andere Überzeugungen dagegen, die geradezu das Schibboleth schiitischer Identität bilden, wurden nahezu unverändert und ohne Anleihen von der Mu'tazila aus der eigenen Tradition übernommen. Zu denken ist hier in erster Linie an die Imamatslehre, den MahdTgedanken oder die Definition des „richtigen" Glaubens, in abgeschwächter Form jedoch auch an rein theologische Probleme wie etwa die Frage nach der Möglichkeit eines Sinneswandels Gottes (bada). Von einer „radikalen Wende in der imamitischen Theologie, gekennzeichnet durch die Übernahme mu'tazilitischer Doktrinen in die Theologie al-Muftds" könne also, so das Fazit des Autors, nicht gesprochen werden (S. 211 f.). Daß nach der Lektüre des Buches dennoch ein leichtes Gefühl des Unbehagens zurückbleibt, liegt zum einen an der Bestimmtheit, mit der der Einfluß anderer Theologen, etwa derer um Hisäm b. al-Hakam oder der Banü Naubaht, ohne nähere Betrachtung verworfen wird. Zum anderen liegt es an der Person des frühesten vorgestellten Gelehrten, Abu Ga'far Ahmad al-BarqT, der hier zum Kronzeugen (und einzigen Vertreter) der ImämTya des neunten Jahrhunderts wird. Abgesehen von der nicht restlos sicheren Zuschreibung seines nur zu einem geringen Teil erhaltenen Kitäb al-mdhäsin, auf dem die vorliegende Darstellung beruht, steht sogar seine bloße Zugehörigkeit zur imamitischen Schia nicht gänzlich außer Zweifel, wie SANDER selbst einräumt (S. 127 f.). Etwas mehr von der Skepsis, die in der Einleitung in bezug auf die mu'tazilitische Häresiographie eingefordert wird, wäre auch dieser Quelle gegenüber angebracht, zumal in Anbetracht der Unverblümtheit, mit der alBarqi die taqlya zu einer „ganz entscheidende(n) Säule der Religion" erklärte (S. 133). Allgemein ist festzustellen, daß die Entwicklung der Theologie relativ isoliert betrachtet wird. Nur selten setzt der Autor das Entstehen theologischer Ideen 184 Buchbesprechungen in einen Bezug zum zeitgenössischen historischen Kontext; Ausnahmen von dieser Regel finden sich an zwei Stellen: S. 186 über die Entwicklung der taqlya-Auffassung und S. 213 über die Abwendung der imamitischen Theologen von der strikten Prädestinationslehre. Ein Literaturverzeichnis sowie ein Themenindex beschließen eine Arbeit, die als systematische Einführung in die Theologie der frühen Imärmya trotz der hier geäußerten Kritikpunkte durchaus gut gelungen ist. Freiburg Rainer B r u n n e r Etudes Safavides. Sous la direction de JEAN CALMARD. Paris/Teheran 1993: Institut Frangais de Recherche en Iran (Bibliotheque Iranienne: 39). XIY 383 S., Abb., Inhaltsverzeichnis auch persisch. Die 18 in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf eine Tagung zurück, die im März 1989 in Paris stattgefunden hat. Die Herausgabe der Texte hat sich aus technischen und anderen Gründen, auf die der Herausgeber JEAN CALMARDIN in der „Presentation" anspielt, erheblich verzögert. Ihm und seinen Mitarbeitern sei Dank, daß der Band trotz alledem erschienen ist! Regelmäßig stehen Rezensenten bei der Besprechung solcher Sammelbände vor der Entscheidung, entweder alle Beiträge zu berücksichtigen oder aber eine Aus\vahl zu treffen, die natürlich mit den Interessen des Rezensenten zu tun haben wird. Im folgenden will ich auf einige Texte eingehen, die ich besonders bemerkenswert fand. Zwei Arbeiten befassen sich mit Reiseberichten von Europäern aus dem safawidischen Iran: J. EMERSON: „Adam Olearius and the literature of the Schleswig-Holstein missions to Russia and Iran, 1633-1639" (31-56)undW. FLOOR: „Fact o r fiction. The most perilous Journeys of Jan Jansz Struys" (57—68). EMERSON verfolgt den literarischen Erfolg von Olearius'Report und die editorischen Probleme, die sich aus der Vielzahl früher Ausgaben, Drucke und Übersetzungen ergeben; FLOOR unternimmt eine Ehrenrettung für die sonst als fast völlig wertlos eingestufte Relation des Holländers Struys und geht dabei auch auf die Frage ein, ob die (fast) zeitgenössischen Übersetzungen gleichberechtigt neben dem niederländischen Original benutzt werden können (höchstens die deutsche). R. D. McCHESNEY untersucht die Struktur der uzbekischeri Armee in der Belagerung von Herat, „The conquest of Herat 995-6/1587-8; Sources of the study of Safavid/Qizilbash - Shibanid/Uzbak relations'"' (69-107). Dabei wird das tribale Gefüge der sibanidischen Herrschaft sehr klar herausgearbeitet. Ch. MELVILLE gibt eine Analyse der Reiserouten von Schah Abbas: „From Qars to Qandahar: The itineraries of Shah Abbas I (995-1038/1587-1629)" (195-224), in der er die Itinerare mit den politischen Schwerpunkten der Herrschaft verknüpft (mit Karten!) und auch auf Dinge wie die durchschnittli ehe Reisegesch windigkeit usw. eingeht. Die sufische Seite der safawidischen Herrschaft ist, wie der Herausgeber ebenfalls bemerkt, unterrepräsentiert. Zwei Beiträge befassen sich dennoch mit Aspekten aus diesem Problemkreis: A. S. MELIKIAN-CHTRVANI: „Le kashkul safavide, vaisseau a Der Islam Bd. 77. S. 184-185 ©Walter de Gruyter 2000 ISSN 0021-1818