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Dr. Gerhard Engel (Hildesheim) „Philosophie der Migration“? Kritische Anmerkungen zu Donatella di Cesares gleichnamigem Buch 1. Die Problemlage: Grenzen und Menschenrechte Wie kann man politische Katastrophen wie den Zweiten Weltkrieg und die millionenfache Ermordung europäischer Juden künftig vermeiden? In den Jahren nach 1945 bestand eine Antwort der internationalen Gemeinschaft in der Gründung von Institutionen. Sie dienten zwei Zwecken. Zum einen ging es um die Formulierung einer Wertebasis, auf die man sich unter dem Eindruck der Ereignisse vor 1945 einigen wollte. Ausdruck dieser Bemühungen war etwa die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948.1 Sie ist zum einen darauf angelegt, Ideale zu formulieren, an der sich nationale Gesetzgebungen sowie länderübergreifende politische Projekte künftig orientieren sollen; zum anderen geht es auf der politischen Ebene um die Förderung internationaler Kooperation zum gegenseitigen Vorteil. Das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ vom 28. Juli 1951 („Genfer Flüchtlingskonvention“) geht hier einen Schritt weiter und formuliert einen Vertrag über den Rechtsstatus von Flüchtlingen in Form von juristischen Bestimmungen, die nach Art nationaler Gesetzbücher formuliert sind. Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, sind gehalten, diese Bestimmungen in ihrer nationalen Gesetzgebung und Rechtspraxis umzusetzen.2 Bereits die „Allgemeine Erklärung“ enthält, wie man rückblickend sagen muss, gut gemeinte, aber schlecht durchdachte Festlegungen. Im Zeitverlauf haben sie sich 232 nicht als geeignete Mittel erwiesen, die internationale Gemeinschaft zu befrieden oder wenigstens die Folgen des überall zunehmenden Staatsversagens zu dämpfen. Das geht beispielsweise aus Art. 13 Absatz 2 sowie aus Art. 14 Absatz 1 hervor. Dort lesen wir: „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“ Und: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“ (Vereinte Nationen 1948) Der erste Satz fordert das Recht auf internationale Freizügigkeit. So, wie man in nationalem Rahmen Fahrziele und Wohnorte frei wählen kann (also ohne vorher staatlich Bevollmächtigte um Erlaubnis fragen zu müssen), soll das möglichst auch weltweit gelten.3 Der zweite Satz ergänzt diese Freizügigkeit durch eine Schutzzusage für politisch Verfolgte. Wie steht es nun um dieses „Recht“? Skeptiker könnten einwenden, dass hier offenbar die moralische Empörung über die Gräuel des Zweiten Weltkrieges über die konzeptionelle Sorgfalt obsiegt habe. Seit Thomas Hobbes wüssten wir schließlich, dass man „Rechte“ nicht einfach hat, sondern sie in einem territorial abgegrenzten Rechtsraum, dem Nationalstaat, kollektiv definiert, einander zuweist, mit Pflichten verknüpft und durchsetzt.4 Immerhin geht aus den genannten Artikeln auch eine sehr weitreichende Pflicht hervor, nämlich die, Migranten und Flüchtlinge in einem nicht näher spezifizierten Ausmaß aufzunehmen. Die Vorstellung, ein Mensch habe Aufklärung und Kritik 3/2024 auch in einem vorstaatlichen Zustand „Rechte“, sei durch die Erfahrung nicht gedeckt. Das hätten insbesondere die europäischen Juden erfahren müssen, die in den Jahren ab 1933 in Europa (und Amerika!) nur allzu oft vor verschlossenen Türen gestanden hätten. Derartige Situationen, so die nach 1945 vorherrschende Überzeugung, dürften sich nicht wiederholen. Schließlich habe der Mensch als solcher Rechte (was immer dieser Ausdruck auch bedeuten mag), und nicht erst als anerkannter Angehöriger eines Staates. Hannah Arendt fasst diese Position später so zusammen: „Entscheidend bleibt, dass diese Rechte und die mit ihnen verbundene Menschenwürde auch dann gültig und real bleiben müssten, wenn es nur einen einzigen Menschen auf der Welt gäbe; sie sind unabhängig von der menschlichen Pluralität und müssten auch dann gültig bleiben, wenn ein Mensch aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen ist.“ (Arendt 1986/2011, S. 464) Aber die bewusste Wahl des grammatikalischen Konjunktivs zeigt, dass es hier eben um Wünsche, nicht um Tatsachen geht. Sie selbst erkannte diese unauflöslichen Spannungen zwischen moralischem Anspruch und der Rechtswirklichkeit schon in einem höchst lesenswerten Aufsatz von 1949: „... kein Paradox zeitgenössischer Politik ist von einer bittereren Ironie erfüllt als die Diskrepanz zwischen den Bemühungen wohlmeinender Idealisten, welche beharrlich Rechte als unabdingbare Menschenrechte hinstellen, deren sich nur die Bürger der blühendsten und zivilisiertesten Länder erfreuen, und der Situation der Entrechteten selbst, die sich ebenso beharrlich verschlechtert hat, bis das Internierungslager, das vor dem Kriege doch nur eine ausnahmsweise realisierte Drohung für die Staatenlosen war, zur Routine-Lösung des Aufenthaltsproblems der displaced persons geworden ist.“ (Arendt 1949, S. 755) Aufklärung und Kritik 3/2024 Das sind fast schon prophetische Worte – denn zur bitteren Ironie unserer heutigen Lage gehört es, dass nach geraumer Zeit politischer Entschlussunfähigkeit bei der Bewältigung der europäischen Flüchtlingsproblematik ebenfalls wieder Internierungslager eingerichtet werden (man denke an Albanien und Ruanda). Zusammenfassend beurteilte Hannah Arendt die Situation 1949 so: „Beispiellos in der Geschichte ist nicht der Verlust der Heimat, wohl aber die Unmöglichkeit, eine neue zu finden. Jählings gab es auf der Erde keinen Platz mehr, wohin Wanderer gehen konnten, ohne den schärfsten Einschränkungen unterworfen zu sein, kein Land, das sie assimilierte, kein Territorium, auf dem sie eine eigene Gemeinschaft errichten konnten. Dabei hatte diese Unmöglichkeit keineswegs ihren Grund in der Übervölkerung; menschenleere Länder benahmen sich nicht anders als übervölkerte; es war kein Raumproblem, sondern eine Frage politischer Organisation. Niemand hatte bemerkt, dass das Menschengeschlecht, das man sich so lange unter dem Bilde einer Familie von Nationen vorgestellt hatte, ein Stadium erreicht hatte, wo jeder, der aus einer dieser geschlossenen politischen Gemeinschaften ausgeschlossen wurde, sich p1ötzlich aus der gesamten »Familie der Nationen« ausgeschlossen fand.“ (Arendt 1949, S. 756f.) 5 Die Frage, die sich eine Philosophin der Migration wie Donatella di Cesare stellen muss, lautet also: Wie sollten wir uns politisch organisieren, wenn man diese und schlimmere Folgen abwenden will? 2. Donatella di Cesares grenzen-lose Solidaritätsmission Die Autorin ist Professorin für Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom. Doch das charakterisiert sie nur unzureichend. Sie versteht sich gerade nicht 233 als traditionelle Philosophin, die vielleicht in der Tradition Kants über das Wesen und die Grenzen der Hospitalität (Gastfreundschaft) nachsinnt oder in der Tradition Peter Singers alle Menschen zu sehr umfangreichen „Hilfeleistungen“ für diejenigen verpflichten will, die auf der Welt zu wenig „haben“.6 Sie versteht sich eher als kompromisslose Aktivistin für die „universellen Menschenrechte“ (S. 17), 7 vor allem für das ius migrandi, also das Recht auf Migration, wie es aus den oben zitierten Artikeln der Allgemeinen Erklärung hervorgeht. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe erläutert sie ihre Mission so: „Wie ich dazulegen versucht habe, ist das ius migrandi das Menschenrecht des neuen Jahrhunderts, das – von den Aktivisten der NGOs und Vereine, internationalen Bewegungen und einer immer besser informierten [sic!] und aufmerksameren öffentlichen Meinung [sic!] unterstützt – einen Kampf erfordern wird, der demjenigen für die Abschaffung der Sklaverei in nichts nachsteht.“ (S. 305) Die Philosophie „... gewährt dem Migranten bisher kein Bürgerrecht“ (S. 27). Er bleibt „ungedacht“, er ist ein „Eindringling, der Schranken durchbricht, Grenzen verwischt und große Verlegenheit hervorruft“: „Wenn die Philosophen an der Schwelle zur Moderne das Wort ergreifen, dann um das Besitzrecht zu begründen, die Aneignung der Erde zu verteidigen und die Aufteilung der Welt in Nationalstaaten zu rechtfertigen.“ (S. 28f.) In der gleichen radikalen Weise, so lese ich di Cesare, wie die Proletarier nach Marx die Besitzrechte der Kapitalisten in Frage stellten, stellt der heutige Migrant die überkommenen Besitzrechte und die sie stützende Moral in den entwickelten Ländern in Frage. „Die Philosophie hebt diese je234 denfalls nicht aus den Angeln.“ (29) Am Beispiel von John Rawls versucht die Autorin zu zeigen, dass auch „der bekannteste Theoretiker der Gerechtigkeit“ das Problem des Migranten nicht löst, sondern auflöst, weil es „in der liberalen Vorstellung eines wohlgeordneten Staatenuniversums“ gar nicht vorkommen könne und der Philosophie daher (?) nur die Aufgabe zukomme, „die Migrationsbewegungen zu verwalten und zu disziplinieren“ (S. 30). Nun – John Rawls hat zumindest darin recht, dass in seinem Sinne „wohlgeordnete“ Staaten niemanden disziplinieren müssen, weil das Problem der Migration in ihnen gar nicht erst auftaucht. Menschen verlassen eigentlich nicht gern die ihnen vertraute Umgebung: Immerhin bietet sie ihnen Schutz, lässt sie ein zureichendes Auskommen finden und gestattet das Verfolgen individueller Ziele. Tun sie es dennoch in großer Zahl, liegen die Ursachen vor allem in den, wie Arendt sagen würde, besonderen Defiziten der „politischen Organisation“ – nämlich in wirtschaftlicher Unterentwicklung (Armut), in mangelnder Domestizierung der politischen Gewalten (Korruption und staatliche Willkür), in mangelnder Bekämpfung von Kriminalität, in mangelnden Eigentumsrechten (darf man behalten, was man erwirtschaftet hat, oder muss man willkürliche Enteignungen fürchten?) sowie in mangelnden staatlichen Investitionen in Humankapital (Bildung und Ausbildung).8 Diese kleine Mängelliste zeigt, was Politik so alles anrichten kann. Damit wird aber eine entwicklungspolitisch schon oft erfolgreich gewählte Alternative zu di Cesares Kampf um ein migrantisches Bürgerrecht auf einen „Platz“ in jedem Staat (S. Aufklärung und Kritik 3/2024 289) erkennbar: der Kampf um das, was in der Sozialwissenschaft „good governance“ genannt wird.9 Hier geht es darum, durch vorausschauende und nachhaltige Politik menschengemachte Migrationsbewegungen gar nicht erst zu erzeugen. Wir müssen Massenmigration also nicht wie schlechtes Wetter einfach hinnehmen, sondern können den Finger auf die systemischen Verantwortlichkeiten legen. Um ihre häufigen Anspielungen auf Marxsche Denkschemata gegen sie zu verwenden: Selbstverständlich kann die Philosophie mithelfen, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen – nichts lieber als das! Aber dann bitte in eine erfolgversprechende Richtung. Die wird erkennbar, wenn wir die Nicht-Fluchtursachen erforschen – also die Frage beantworten, warum Menschen nicht in großen Scharen Europa verlassen (haben). Warum kann das Nachkriegseuropa überhaupt eine bald 80-jährige Friedens- und Erfolgsgeschichte aufweisen, in der es zwar Migration gab, aber eben (noch!) keine Massenmigration erzeugenden Fehlentwicklungen? Aber eine solche Forschungsstrategie würde ihre Mission zum Scheitern bringen, noch ehe sie richtig begonnen hat. Gelegentlich blitzt aber auch bei di Cesare die Erkenntnis auf, dass wir soziale Stabilität fördern können, indem wir bei unseren Handlungen und bei der Einrichtung von Institutionen auf Reziprozität achten.10 Sie zitiert aus dem Buch Deuteronomium, Kap. 24, 14-15: Ein Tagelöhner müsse sich darauf verlassen können, dass er am Ende des jeweiligen Tages auch korrekt und sofort (darum wird er ja Tagelöhner genannt) ausbezahlt wird; so gehört es sich auch gegenüber Fremden (der von di Cesare so genannten „Gastschaft“, Aufklärung und Kritik 3/2024 S. 323). Richtig. Tatsächlich ist es sogar für unsere westlichen Gesellschaften ein schlimmes Zeichen, dass in der Praxis gegen diesen Gedanken immer wieder ohne besondere Konsequenzen verstoßen werden kann, weil einige Unternehmer durch die Maschen einer nachlässigen Staatskontrolle (!) schlüpfen können. Aber dieses überragend wichtige Reziprozitätsgebot gilt natürlich auch für Migranten: Was muss im Interesse sozialer Stabilität von ihnen erwartet werden (dürfen)?11 Hart ins Gericht geht di Cesare mit Autoren, die grundsätzliche Bedenken gegen die gegenwärtige Migrationspolitik erhoben haben. Peter Sloterdijk etwa wird dafür gerügt, dass er 2016 in einem Interview für das Magazin Cicero die „Notwendigkeit geschlossener Grenzen verteidigte“ (318) („Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung“). Und Konrad Ott habe es unternommen, „mit „zum Teil haarsträubenden begrifflichen Unterscheidungen ... die politische Diskriminierung der Migranten moralisch zu legitimieren.“ (S. 140) Doch Ott schrieb sein Buch für Menschen, „die sich ein Urteil ... erst noch bilden wollen. Sie müssen allerdings bereit sein, sich den irritierenden, verstörenden und bestürzenden Konsequenzen beider Seiten auszusetzen.“ (Ott 2019, S. 10). Als Aktivistin hat man das aber offenbar nicht nötig.12 Am wenigsten überzeugt mich jedoch die Behauptung, die Menschenrechte könnten eine Aufhebung nationaler Grenzen unbeschadet überstehen. Die historische Evidenz13 spricht eindeutig dagegen. Mehr noch: 235 „Der Verlust der nationalen Rechte hat nicht nur in allen Fällen den Verlust der Menschenrechte mit sich gebracht, sondern die Menschenrechte haben auch, wie das Exempel des Staates Israel beweist, bisher nur durch Etablierung der nationalen Rechte wiederhergestellt werden können.“ (Arendt 1949, S. 762)14 Das Absterben des Staates dürfte also noch etwas auf sich warten lassen. 3. Weiterführende Forschungsfragen Wenn wir einer sowohl konzeptionellen als auch politischen Lösung des Problems der Massenmigration näherkommen wollen, und zwar (um mit Karl Jaspers zu sprechen) auf der Höhe der Zeit,15 also unter Einbeziehung dessen, was wir inzwischen über den Menschen wissen, dann kann ich nur nachdrücklich eine methodische Orientierung an einer individualistischen Akteursperspektive empfehlen. Sie wird seit 80 Jahren entwickelt (beginnend mit John von Neumanns Arbeiten zur Spieltheorie), sie ist seit 50 Jahren kanonisch geworden (seit Viktor Vanbergs Arbeit über „Die zwei Soziologien“ von 1975) und mit Arbeiten von McKenzie und Tullock (1984), Gary Becker (1998) und anderen Ökonomen auch dem informationswilligen und aufklärungsbereiten Laien zugänglich. Nur aus dieser Perspektive werden wohl belastbare Antworten auf Fragen zugänglich werden, die sich in der Migrationsdebatte unabweisbar stellen: 1. Warum können Staaten nur durch territoriale Abgrenzung existieren? 2. Warum braucht es überhaupt Staaten? 3. Warum können Rechte nur in einem politischen Verband gewährleistet werden, der Kollektivgüter durch die Schaffung von Positionsgütern bereitstellt? 4. Warum ist grenzen-lose Solidarität und Friedfertigkeit völlig unwahrscheinlich? 236 5. Sind Eigentumsrechte funktional unerlässliche Stabilisatoren von Demokratie und Wohlstand? 6. Welche Pflichten sind mit dem Recht auf Migration seitens der Migranten verbunden?16 7. Welche Gegenleistungen können von den Ankömmlingen erwartet werden? Immerhin kann mangelnde Reziprozität soziale Gemeinschaften zerstören – von der Zweierbeziehung bis zum Staatenbund. 8. Inwiefern spielen bei Migrationsprozessen Vorspiegelungen falscher Tatsachen, unhaltbare Versprechungen, Geschäftsinteressen, Propaganda oder sogar hybride Kriegsführung eine Rolle? 9. Stellt die Kritik an Abwehrmaßnahmen gegen Migration nicht den Versuch dar, im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr die Zielländer für ihre „unmenschlichen“ Abwehrmaßnahmen moralisch verantwortlich zu machen? Hier könnte man seitens der Zielländer durchaus eine etwas offensivere Argumentationsstrategie einschlagen. 10. Und schließlich: Können wir im Zeitalter der Atombombe die Frage nach der Notwendigkeit eines Staates überhaupt verneinen?17 Es ist hier nicht der passende Ort, um Antworten zu skizzieren. Aber vielleicht lassen diese Fragen deutlich werden, wie weit Donatella di Cesare sich von theoretischen Analysen entfernt hat, ohne die keine praktikablere Politik möglich ist. Stattdessen schlägt sie den Pfad des akademischen Aktivismus auf der schmalen Grundlage faktenferner Argumentation ein. Kurz: Sie hat den Irrweg von der Erkenntnis zum Bekenntnis eingeschlagen. Ich habe unter dem Buchtitel mehr erwartet. Aufklärung und Kritik 3/2024 Anmerkungen: 1 Vgl. dazu Vereinte Nationen (1948). 2 Vereinte Nationen (1951). Allerdings haben längst nicht alle Staaten dieses Abkommen ratifiziert. 3 Die Schengener Abkommen von 1985 und 1995 wurden als wichtige Wegmarken zu diesem Ziel angesehen. 4 Vgl. dazu Engel (2010). 5 Karl Jaspers, der mit Hannah Arendt in einem lebenslangen Austausch stand, fasste in seinem Aufsatz „Die Unzuverlässigkeit der Menschenrechte“ die Situation so zusammen: „Mit dem Ersten Weltkrieg geschah der Ruck: Die Erde ist vergeben.“ (Jaspers 1965/1983, S. 191) 6 Vgl. dazu Singer (1994). Er missversteht Armut in den Entwicklungsländern als Ergebnis unzureichender Verteilung – statt als Ergebnis behinderter Produktion. 7 Alle Seitenangaben ohne Nennung der Autorin beziehen sich in diesem Abschnitt auf di Cesare (2021). 8 Natürlich kennt auch di Cesare „politische Ursachen“ (S. 147). Aber sie verwechselt in ihrer Aufzählung Symptome (etwa Kapitalflucht) mit Ursachen. 9 Höffe (2009), S. 205; Weltbank (2008), Kap. 11. 10 Vgl. dazu einführend Stegbauer (2010). 11 Vgl. dazu unten, Frage 7 sowie Anm. 16. 12 Man vergleiche hierzu auch di Cesare (2020). 13 Man denke an die schon von Edmund Burke untersuchten Vorgänge nach der Französischen Revolution. 14 Dieses Zitat sucht man in di Cesares Buch, soweit ich sehe, vergeblich. Vgl. dazu auch Arendt (1986/2011), Kap. 9 („Der Niedergang des Nationalstaates und das Ende der Menschenrechte“). Auch dieser Titel hätte ja Anlass zum Nachdenken geben können. 15 Hannah Arendt wählte als Motto zum Vorwort der ersten Ausgabe ihres Totalitarismusbuches folgenden Satz aus Jaspers´ „Die geistige Situation der Zeit“ von 1931: „Weder dem Vergangenen anheimfallen noch dem Zukünftigen. Es kommt darauf an, ganz gegenwärtig zu sein.“ Vgl. Arendt (1951/1998), S. 11. 16 In Artikel 2 des Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen heißt es: „Jeder Flüchtling hat gegenüber dem Land, in dem er sich befindet, Pflichten, zu denen insbesondere der Verpflichtung Aufklärung und Kritik 3/2024 gehört, die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften sowie die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffenen Maßnahmen zu beachten.“ Immerhin – aber das dürfte nicht ausreichend sein, um die zunehmenden Integrationsprobleme im Rahmen eines Reziprozitätsmodells adäquat zu adressieren. 17 Vgl. dazu Aron (1964); Jaspers (1960). Literatur: Arendt, Hannah (1949): Es gibt nur ein einziges Menschenrecht. In: Die Wandlung, 4. Jg., Dezember 1949, S. 754-770. Arendt, Hannah (1951/1998): Vorwort zur ersten Auflage von The Origins of Totalitarianism. In: Über den Totalitarismus. Texte Hannah Arendts aus den Jahren 1951 und 1953. Dresden: Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, S. 10-14. Arendt, Hannah (1986/2011): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. München: Piper. 14. Auflage. Aron, Raymond (1964): Einführung in die Atomstrategie: Die atlantische Kontroverse. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Becker, Gary S. / Becker, Guity Nashat (1998): Die Ökonomik des Alltags. Tübingen: Mohr (Siebeck). di Cesare, Donatella (2020): Von der politischen Berufung der Philosophie. Berlin: Matthes & Seitz. di Cesare, Donatella (2021): Philosophie und Migration. Berlin: Matthes & Seitz. Engel, Gerhard (2010): Regeln, Ordnungen und Freiheit. Zur pädagogischen Relevanz von Thomas Hobbes’ Sozialphilosophie. In: Hansel, Toni (Hrsg.): Soft Skills. Alternative zur Fachlichkeit oder weiche Performance? Freiburg, Br.: Centaurus, S. 57-83. Höffe, Otfried (2009): Ist die Demokratie zukunftsfähig? Über moderne Politik. München: Beck. 237 Jaspers, Karl (1960): Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Politisches Bewusstsein in unserer Zeit. München: Piper. Jaspers, Karl (1965/1983): Die Unzuverlässigkeit der Menschenrechte. In: Ders., Wahrheit und Bewährung. Philosophieren für die Praxis. München: Piper, S. 188-209. McKenzie, Richard B. / Tullock, Gordon (1984): Homo oeconomicus. Ökonomische Dimensionen des Alltags. Frankfurt am Main: Campus. Zum Autor: Dr. Gerhard Engel, geb. 1951, ist Philosoph und Präsidiumsmitglied des Montessori-Landesverbandes NiedersachsenBremen sowie Mitherausgeber von Aufklärung & Kritik. Seine Arbeitsgebiete sind Humanismus, Evolutionärer Humanismus, Kulturphilosophie, Metaphilosophie, Politische Philosophie und Wirtschaftsethik. Ott, Konrad (2019): Zuwanderung und Moral. Ditzingen: Reclam. Singer, Peter (1994): Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart: Reclam. Stegbauer, Christian (2010): Reziprozität. Einführung in soziale Formen der Gegenseitigkeit. Wiesbaden: VS-Verlag. Vanberg, Viktor (1975): Die zwei Soziologien. Individualismus und Kollektivismus in der Sozialtheorie. Tübingen: Mohr (Siebeck). Vereinte Nationen (1948): Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948. https://www. ohchr.org/en/human-rights/universal-declaration/translations/german-deutsch? LangID =ger. Vereinte Nationen (1951): Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 und Vereinte Nationen (1967): Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967. https://www.unhcr.org/dach/wpcontent/uploads/sites/27/2017/03/Genfer_ Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_ Protokoll.pdf. Weltbank (Hrsg., 2008): Weltentwicklungsbericht 2008: Agrarwirtschaft für die Entwicklung. Düsseldorf: Droste. 238 Aufklärung und Kritik 3/2024