Dr. Gerhard Engel (Hildesheim)
„Philosophie der Migration“?
Kritische Anmerkungen zu Donatella di Cesares gleichnamigem Buch
1. Die Problemlage: Grenzen und Menschenrechte
Wie kann man politische Katastrophen wie
den Zweiten Weltkrieg und die millionenfache Ermordung europäischer Juden künftig vermeiden? In den Jahren nach 1945
bestand eine Antwort der internationalen
Gemeinschaft in der Gründung von Institutionen. Sie dienten zwei Zwecken. Zum
einen ging es um die Formulierung einer
Wertebasis, auf die man sich unter dem
Eindruck der Ereignisse vor 1945 einigen
wollte. Ausdruck dieser Bemühungen war
etwa die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948.1 Sie ist zum einen darauf angelegt, Ideale zu formulieren, an der sich nationale Gesetzgebungen sowie länderübergreifende politische
Projekte künftig orientieren sollen; zum anderen geht es auf der politischen Ebene
um die Förderung internationaler Kooperation zum gegenseitigen Vorteil. Das „Abkommen über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge“ vom 28. Juli 1951 („Genfer
Flüchtlingskonvention“) geht hier einen
Schritt weiter und formuliert einen Vertrag
über den Rechtsstatus von Flüchtlingen
in Form von juristischen Bestimmungen,
die nach Art nationaler Gesetzbücher formuliert sind. Staaten, die das Abkommen
ratifiziert haben, sind gehalten, diese Bestimmungen in ihrer nationalen Gesetzgebung und Rechtspraxis umzusetzen.2
Bereits die „Allgemeine Erklärung“ enthält,
wie man rückblickend sagen muss, gut gemeinte, aber schlecht durchdachte Festlegungen. Im Zeitverlauf haben sie sich
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nicht als geeignete Mittel erwiesen, die internationale Gemeinschaft zu befrieden
oder wenigstens die Folgen des überall
zunehmenden Staatsversagens zu dämpfen. Das geht beispielsweise aus Art. 13
Absatz 2 sowie aus Art. 14 Absatz 1 hervor. Dort lesen wir:
„Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich
seines eigenen, zu verlassen und in sein Land
zurückzukehren.“ Und: „Jeder hat das Recht, in
anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen
und zu genießen.“ (Vereinte Nationen 1948)
Der erste Satz fordert das Recht auf internationale Freizügigkeit. So, wie man in
nationalem Rahmen Fahrziele und Wohnorte frei wählen kann (also ohne vorher
staatlich Bevollmächtigte um Erlaubnis fragen zu müssen), soll das möglichst auch
weltweit gelten.3 Der zweite Satz ergänzt
diese Freizügigkeit durch eine Schutzzusage für politisch Verfolgte.
Wie steht es nun um dieses „Recht“?
Skeptiker könnten einwenden, dass hier
offenbar die moralische Empörung über
die Gräuel des Zweiten Weltkrieges über
die konzeptionelle Sorgfalt obsiegt habe.
Seit Thomas Hobbes wüssten wir schließlich, dass man „Rechte“ nicht einfach hat,
sondern sie in einem territorial abgegrenzten Rechtsraum, dem Nationalstaat, kollektiv definiert, einander zuweist, mit Pflichten verknüpft und durchsetzt.4 Immerhin
geht aus den genannten Artikeln auch eine
sehr weitreichende Pflicht hervor, nämlich
die, Migranten und Flüchtlinge in einem
nicht näher spezifizierten Ausmaß aufzunehmen. Die Vorstellung, ein Mensch habe
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auch in einem vorstaatlichen Zustand
„Rechte“, sei durch die Erfahrung nicht
gedeckt. Das hätten insbesondere die europäischen Juden erfahren müssen, die in
den Jahren ab 1933 in Europa (und Amerika!) nur allzu oft vor verschlossenen Türen gestanden hätten. Derartige Situationen, so die nach 1945 vorherrschende
Überzeugung, dürften sich nicht wiederholen. Schließlich habe der Mensch als
solcher Rechte (was immer dieser Ausdruck auch bedeuten mag), und nicht erst
als anerkannter Angehöriger eines Staates.
Hannah Arendt fasst diese Position später so zusammen:
„Entscheidend bleibt, dass diese Rechte und die
mit ihnen verbundene Menschenwürde auch dann
gültig und real bleiben müssten, wenn es nur einen einzigen Menschen auf der Welt gäbe; sie
sind unabhängig von der menschlichen Pluralität
und müssten auch dann gültig bleiben, wenn ein
Mensch aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen ist.“ (Arendt 1986/2011, S. 464)
Aber die bewusste Wahl des grammatikalischen Konjunktivs zeigt, dass es hier eben
um Wünsche, nicht um Tatsachen geht.
Sie selbst erkannte diese unauflöslichen
Spannungen zwischen moralischem Anspruch und der Rechtswirklichkeit schon
in einem höchst lesenswerten Aufsatz von
1949:
„... kein Paradox zeitgenössischer Politik ist von
einer bittereren Ironie erfüllt als die Diskrepanz
zwischen den Bemühungen wohlmeinender Idealisten, welche beharrlich Rechte als unabdingbare Menschenrechte hinstellen, deren sich nur die
Bürger der blühendsten und zivilisiertesten Länder erfreuen, und der Situation der Entrechteten
selbst, die sich ebenso beharrlich verschlechtert
hat, bis das Internierungslager, das vor dem Kriege doch nur eine ausnahmsweise realisierte Drohung für die Staatenlosen war, zur Routine-Lösung des Aufenthaltsproblems der displaced
persons geworden ist.“ (Arendt 1949, S. 755)
Aufklärung und Kritik 3/2024
Das sind fast schon prophetische Worte
– denn zur bitteren Ironie unserer heutigen Lage gehört es, dass nach geraumer
Zeit politischer Entschlussunfähigkeit bei
der Bewältigung der europäischen Flüchtlingsproblematik ebenfalls wieder Internierungslager eingerichtet werden (man denke an Albanien und Ruanda).
Zusammenfassend beurteilte Hannah
Arendt die Situation 1949 so:
„Beispiellos in der Geschichte ist nicht der Verlust der Heimat, wohl aber die Unmöglichkeit,
eine neue zu finden. Jählings gab es auf der Erde
keinen Platz mehr, wohin Wanderer gehen konnten, ohne den schärfsten Einschränkungen unterworfen zu sein, kein Land, das sie assimilierte, kein Territorium, auf dem sie eine eigene Gemeinschaft errichten konnten. Dabei hatte diese
Unmöglichkeit keineswegs ihren Grund in der
Übervölkerung; menschenleere Länder benahmen sich nicht anders als übervölkerte; es war
kein Raumproblem, sondern eine Frage politischer Organisation. Niemand hatte bemerkt,
dass das Menschengeschlecht, das man sich so
lange unter dem Bilde einer Familie von Nationen vorgestellt hatte, ein Stadium erreicht hatte,
wo jeder, der aus einer dieser geschlossenen politischen Gemeinschaften ausgeschlossen wurde,
sich p1ötzlich aus der gesamten »Familie der
Nationen« ausgeschlossen fand.“ (Arendt 1949,
S. 756f.) 5
Die Frage, die sich eine Philosophin der
Migration wie Donatella di Cesare stellen
muss, lautet also: Wie sollten wir uns politisch organisieren, wenn man diese und
schlimmere Folgen abwenden will?
2. Donatella di Cesares grenzen-lose
Solidaritätsmission
Die Autorin ist Professorin für Philosophie an der Universität La Sapienza in
Rom. Doch das charakterisiert sie nur unzureichend. Sie versteht sich gerade nicht
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als traditionelle Philosophin, die vielleicht
in der Tradition Kants über das Wesen
und die Grenzen der Hospitalität (Gastfreundschaft) nachsinnt oder in der Tradition Peter Singers alle Menschen zu sehr
umfangreichen „Hilfeleistungen“ für diejenigen verpflichten will, die auf der Welt
zu wenig „haben“.6 Sie versteht sich eher
als kompromisslose Aktivistin für die „universellen Menschenrechte“ (S. 17), 7 vor
allem für das ius migrandi, also das Recht
auf Migration, wie es aus den oben zitierten Artikeln der Allgemeinen Erklärung
hervorgeht. Im Nachwort zur deutschen
Ausgabe erläutert sie ihre Mission so:
„Wie ich dazulegen versucht habe, ist das ius
migrandi das Menschenrecht des neuen Jahrhunderts, das – von den Aktivisten der NGOs
und Vereine, internationalen Bewegungen und
einer immer besser informierten [sic!] und aufmerksameren öffentlichen Meinung [sic!] unterstützt – einen Kampf erfordern wird, der demjenigen für die Abschaffung der Sklaverei in nichts
nachsteht.“ (S. 305)
Die Philosophie „... gewährt dem Migranten bisher kein Bürgerrecht“ (S. 27). Er
bleibt „ungedacht“, er ist ein „Eindringling, der Schranken durchbricht, Grenzen
verwischt und große Verlegenheit hervorruft“:
„Wenn die Philosophen an der Schwelle zur
Moderne das Wort ergreifen, dann um das Besitzrecht zu begründen, die Aneignung der Erde
zu verteidigen und die Aufteilung der Welt in Nationalstaaten zu rechtfertigen.“ (S. 28f.)
In der gleichen radikalen Weise, so lese
ich di Cesare, wie die Proletarier nach Marx
die Besitzrechte der Kapitalisten in Frage
stellten, stellt der heutige Migrant die überkommenen Besitzrechte und die sie stützende Moral in den entwickelten Ländern
in Frage. „Die Philosophie hebt diese je234
denfalls nicht aus den Angeln.“ (29) Am
Beispiel von John Rawls versucht die Autorin zu zeigen, dass auch „der bekannteste Theoretiker der Gerechtigkeit“ das Problem des Migranten nicht löst, sondern
auflöst, weil es „in der liberalen Vorstellung eines wohlgeordneten Staatenuniversums“ gar nicht vorkommen könne und
der Philosophie daher (?) nur die Aufgabe zukomme, „die Migrationsbewegungen
zu verwalten und zu disziplinieren“ (S. 30).
Nun – John Rawls hat zumindest darin
recht, dass in seinem Sinne „wohlgeordnete“ Staaten niemanden disziplinieren
müssen, weil das Problem der Migration
in ihnen gar nicht erst auftaucht. Menschen
verlassen eigentlich nicht gern die ihnen
vertraute Umgebung: Immerhin bietet sie
ihnen Schutz, lässt sie ein zureichendes
Auskommen finden und gestattet das Verfolgen individueller Ziele. Tun sie es dennoch in großer Zahl, liegen die Ursachen
vor allem in den, wie Arendt sagen würde, besonderen Defiziten der „politischen
Organisation“ – nämlich in wirtschaftlicher
Unterentwicklung (Armut), in mangelnder
Domestizierung der politischen Gewalten
(Korruption und staatliche Willkür), in
mangelnder Bekämpfung von Kriminalität, in mangelnden Eigentumsrechten (darf
man behalten, was man erwirtschaftet hat,
oder muss man willkürliche Enteignungen
fürchten?) sowie in mangelnden staatlichen
Investitionen in Humankapital (Bildung
und Ausbildung).8
Diese kleine Mängelliste zeigt, was Politik
so alles anrichten kann. Damit wird aber
eine entwicklungspolitisch schon oft erfolgreich gewählte Alternative zu di Cesares Kampf um ein migrantisches Bürgerrecht auf einen „Platz“ in jedem Staat (S.
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289) erkennbar: der Kampf um das, was
in der Sozialwissenschaft „good governance“ genannt wird.9 Hier geht es darum, durch vorausschauende und nachhaltige Politik menschengemachte Migrationsbewegungen gar nicht erst zu erzeugen. Wir müssen Massenmigration also
nicht wie schlechtes Wetter einfach hinnehmen, sondern können den Finger auf
die systemischen Verantwortlichkeiten legen. Um ihre häufigen Anspielungen auf
Marxsche Denkschemata gegen sie zu
verwenden: Selbstverständlich kann die
Philosophie mithelfen, die Verhältnisse
zum Tanzen zu bringen – nichts lieber als
das! Aber dann bitte in eine erfolgversprechende Richtung. Die wird erkennbar,
wenn wir die Nicht-Fluchtursachen erforschen – also die Frage beantworten, warum Menschen nicht in großen Scharen
Europa verlassen (haben). Warum kann
das Nachkriegseuropa überhaupt eine bald
80-jährige Friedens- und Erfolgsgeschichte aufweisen, in der es zwar Migration gab,
aber eben (noch!) keine Massenmigration
erzeugenden Fehlentwicklungen? Aber
eine solche Forschungsstrategie würde
ihre Mission zum Scheitern bringen, noch
ehe sie richtig begonnen hat.
Gelegentlich blitzt aber auch bei di Cesare die Erkenntnis auf, dass wir soziale Stabilität fördern können, indem wir bei unseren Handlungen und bei der Einrichtung
von Institutionen auf Reziprozität achten.10 Sie zitiert aus dem Buch Deuteronomium, Kap. 24, 14-15: Ein Tagelöhner
müsse sich darauf verlassen können, dass
er am Ende des jeweiligen Tages auch korrekt und sofort (darum wird er ja Tagelöhner genannt) ausbezahlt wird; so gehört es sich auch gegenüber Fremden (der
von di Cesare so genannten „Gastschaft“,
Aufklärung und Kritik 3/2024
S. 323). Richtig. Tatsächlich ist es sogar
für unsere westlichen Gesellschaften ein
schlimmes Zeichen, dass in der Praxis
gegen diesen Gedanken immer wieder
ohne besondere Konsequenzen verstoßen
werden kann, weil einige Unternehmer
durch die Maschen einer nachlässigen
Staatskontrolle (!) schlüpfen können. Aber
dieses überragend wichtige Reziprozitätsgebot gilt natürlich auch für Migranten:
Was muss im Interesse sozialer Stabilität
von ihnen erwartet werden (dürfen)?11
Hart ins Gericht geht di Cesare mit Autoren, die grundsätzliche Bedenken gegen
die gegenwärtige Migrationspolitik erhoben haben. Peter Sloterdijk etwa wird dafür gerügt, dass er 2016 in einem Interview für das Magazin Cicero die „Notwendigkeit geschlossener Grenzen verteidigte“ (318) („Es gibt keine moralische
Pflicht zur Selbstzerstörung“). Und Konrad Ott habe es unternommen, „mit „zum
Teil haarsträubenden begrifflichen Unterscheidungen ... die politische Diskriminierung der Migranten moralisch zu legitimieren.“ (S. 140) Doch Ott schrieb sein Buch
für Menschen, „die sich ein Urteil ... erst
noch bilden wollen. Sie müssen allerdings
bereit sein, sich den irritierenden, verstörenden und bestürzenden Konsequenzen
beider Seiten auszusetzen.“ (Ott 2019, S.
10). Als Aktivistin hat man das aber offenbar nicht nötig.12
Am wenigsten überzeugt mich jedoch die
Behauptung, die Menschenrechte könnten eine Aufhebung nationaler Grenzen
unbeschadet überstehen. Die historische
Evidenz13 spricht eindeutig dagegen. Mehr
noch:
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„Der Verlust der nationalen Rechte hat nicht nur
in allen Fällen den Verlust der Menschenrechte
mit sich gebracht, sondern die Menschenrechte
haben auch, wie das Exempel des Staates Israel beweist, bisher nur durch Etablierung der nationalen Rechte wiederhergestellt werden können.“ (Arendt 1949, S. 762)14
Das Absterben des Staates dürfte also
noch etwas auf sich warten lassen.
3. Weiterführende Forschungsfragen
Wenn wir einer sowohl konzeptionellen als
auch politischen Lösung des Problems der
Massenmigration näherkommen wollen,
und zwar (um mit Karl Jaspers zu sprechen) auf der Höhe der Zeit,15 also unter
Einbeziehung dessen, was wir inzwischen
über den Menschen wissen, dann kann ich
nur nachdrücklich eine methodische Orientierung an einer individualistischen Akteursperspektive empfehlen. Sie wird seit
80 Jahren entwickelt (beginnend mit John
von Neumanns Arbeiten zur Spieltheorie),
sie ist seit 50 Jahren kanonisch geworden
(seit Viktor Vanbergs Arbeit über „Die
zwei Soziologien“ von 1975) und mit Arbeiten von McKenzie und Tullock (1984),
Gary Becker (1998) und anderen Ökonomen auch dem informationswilligen und
aufklärungsbereiten Laien zugänglich. Nur
aus dieser Perspektive werden wohl belastbare Antworten auf Fragen zugänglich
werden, die sich in der Migrationsdebatte
unabweisbar stellen:
1. Warum können Staaten nur durch territoriale Abgrenzung existieren?
2. Warum braucht es überhaupt Staaten?
3. Warum können Rechte nur in einem
politischen Verband gewährleistet werden,
der Kollektivgüter durch die Schaffung
von Positionsgütern bereitstellt?
4. Warum ist grenzen-lose Solidarität und
Friedfertigkeit völlig unwahrscheinlich?
236
5. Sind Eigentumsrechte funktional unerlässliche Stabilisatoren von Demokratie
und Wohlstand?
6. Welche Pflichten sind mit dem Recht
auf Migration seitens der Migranten verbunden?16
7. Welche Gegenleistungen können von
den Ankömmlingen erwartet werden? Immerhin kann mangelnde Reziprozität soziale Gemeinschaften zerstören – von der
Zweierbeziehung bis zum Staatenbund.
8. Inwiefern spielen bei Migrationsprozessen Vorspiegelungen falscher Tatsachen,
unhaltbare Versprechungen, Geschäftsinteressen, Propaganda oder sogar hybride
Kriegsführung eine Rolle?
9. Stellt die Kritik an Abwehrmaßnahmen
gegen Migration nicht den Versuch dar,
im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr die
Zielländer für ihre „unmenschlichen“ Abwehrmaßnahmen moralisch verantwortlich
zu machen? Hier könnte man seitens der
Zielländer durchaus eine etwas offensivere Argumentationsstrategie einschlagen.
10. Und schließlich: Können wir im Zeitalter der Atombombe die Frage nach der
Notwendigkeit eines Staates überhaupt
verneinen?17
Es ist hier nicht der passende Ort, um
Antworten zu skizzieren. Aber vielleicht
lassen diese Fragen deutlich werden, wie
weit Donatella di Cesare sich von theoretischen Analysen entfernt hat, ohne die
keine praktikablere Politik möglich ist.
Stattdessen schlägt sie den Pfad des akademischen Aktivismus auf der schmalen
Grundlage faktenferner Argumentation ein.
Kurz: Sie hat den Irrweg von der Erkenntnis zum Bekenntnis eingeschlagen.
Ich habe unter dem Buchtitel mehr erwartet.
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Anmerkungen:
1
Vgl. dazu Vereinte Nationen (1948).
2
Vereinte Nationen (1951). Allerdings haben längst
nicht alle Staaten dieses Abkommen ratifiziert.
3
Die Schengener Abkommen von 1985 und 1995
wurden als wichtige Wegmarken zu diesem Ziel angesehen.
4
Vgl. dazu Engel (2010).
5
Karl Jaspers, der mit Hannah Arendt in einem lebenslangen Austausch stand, fasste in seinem Aufsatz „Die Unzuverlässigkeit der Menschenrechte“
die Situation so zusammen: „Mit dem Ersten Weltkrieg geschah der Ruck: Die Erde ist vergeben.“
(Jaspers 1965/1983, S. 191)
6
Vgl. dazu Singer (1994). Er missversteht Armut in
den Entwicklungsländern als Ergebnis unzureichender Verteilung – statt als Ergebnis behinderter Produktion.
7
Alle Seitenangaben ohne Nennung der Autorin
beziehen sich in diesem Abschnitt auf di Cesare
(2021).
8
Natürlich kennt auch di Cesare „politische Ursachen“ (S. 147). Aber sie verwechselt in ihrer Aufzählung Symptome (etwa Kapitalflucht) mit Ursachen.
9
Höffe (2009), S. 205; Weltbank (2008), Kap.
11.
10
Vgl. dazu einführend Stegbauer (2010).
11
Vgl. dazu unten, Frage 7 sowie Anm. 16.
12
Man vergleiche hierzu auch di Cesare (2020).
13
Man denke an die schon von Edmund Burke
untersuchten Vorgänge nach der Französischen Revolution.
14
Dieses Zitat sucht man in di Cesares Buch, soweit ich sehe, vergeblich. Vgl. dazu auch Arendt
(1986/2011), Kap. 9 („Der Niedergang des Nationalstaates und das Ende der Menschenrechte“).
Auch dieser Titel hätte ja Anlass zum Nachdenken
geben können.
15
Hannah Arendt wählte als Motto zum Vorwort
der ersten Ausgabe ihres Totalitarismusbuches folgenden Satz aus Jaspers´ „Die geistige Situation der
Zeit“ von 1931: „Weder dem Vergangenen anheimfallen noch dem Zukünftigen. Es kommt darauf an,
ganz gegenwärtig zu sein.“ Vgl. Arendt (1951/1998),
S. 11.
16
In Artikel 2 des Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen heißt es: „Jeder Flüchtling
hat gegenüber dem Land, in dem er sich befindet,
Pflichten, zu denen insbesondere der Verpflichtung
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gehört, die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften sowie die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung getroffenen Maßnahmen zu beachten.“
Immerhin – aber das dürfte nicht ausreichend sein,
um die zunehmenden Integrationsprobleme im Rahmen eines Reziprozitätsmodells adäquat zu adressieren.
17
Vgl. dazu Aron (1964); Jaspers (1960).
Literatur:
Arendt, Hannah (1949): Es gibt nur ein einziges Menschenrecht. In: Die Wandlung, 4. Jg.,
Dezember 1949, S. 754-770.
Arendt, Hannah (1951/1998): Vorwort zur
ersten Auflage von The Origins of Totalitarianism. In: Über den Totalitarismus. Texte
Hannah Arendts aus den Jahren 1951 und
1953. Dresden: Hannah-Arendt-Institut für
Totalitarismusforschung, S. 10-14.
Arendt, Hannah (1986/2011): Elemente und
Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. München: Piper. 14. Auflage.
Aron, Raymond (1964): Einführung in die
Atomstrategie: Die atlantische Kontroverse. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Becker, Gary S. / Becker, Guity Nashat
(1998): Die Ökonomik des Alltags. Tübingen:
Mohr (Siebeck).
di Cesare, Donatella (2020): Von der politischen Berufung der Philosophie. Berlin:
Matthes & Seitz.
di Cesare, Donatella (2021): Philosophie und
Migration. Berlin: Matthes & Seitz.
Engel, Gerhard (2010): Regeln, Ordnungen
und Freiheit. Zur pädagogischen Relevanz von
Thomas Hobbes’ Sozialphilosophie. In: Hansel, Toni (Hrsg.): Soft Skills. Alternative zur
Fachlichkeit oder weiche Performance?
Freiburg, Br.: Centaurus, S. 57-83.
Höffe, Otfried (2009): Ist die Demokratie
zukunftsfähig? Über moderne Politik. München: Beck.
237
Jaspers, Karl (1960): Die Atombombe und die
Zukunft des Menschen. Politisches Bewusstsein in unserer Zeit. München: Piper.
Jaspers, Karl (1965/1983): Die Unzuverlässigkeit der Menschenrechte. In: Ders., Wahrheit und Bewährung. Philosophieren für die
Praxis. München: Piper, S. 188-209.
McKenzie, Richard B. / Tullock, Gordon
(1984): Homo oeconomicus. Ökonomische
Dimensionen des Alltags. Frankfurt am Main:
Campus.
Zum Autor:
Dr. Gerhard Engel, geb. 1951, ist Philosoph und Präsidiumsmitglied des Montessori-Landesverbandes NiedersachsenBremen sowie Mitherausgeber von Aufklärung & Kritik. Seine Arbeitsgebiete
sind Humanismus, Evolutionärer Humanismus, Kulturphilosophie, Metaphilosophie, Politische Philosophie und Wirtschaftsethik.
Ott, Konrad (2019): Zuwanderung und Moral. Ditzingen: Reclam.
Singer, Peter (1994): Praktische Ethik. Neuausgabe. Stuttgart: Reclam.
Stegbauer, Christian (2010): Reziprozität.
Einführung in soziale Formen der Gegenseitigkeit. Wiesbaden: VS-Verlag.
Vanberg, Viktor (1975): Die zwei Soziologien. Individualismus und Kollektivismus in
der Sozialtheorie. Tübingen: Mohr (Siebeck).
Vereinte Nationen (1948): Die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte. Resolution
217 A (III) vom 10.12.1948. https://www.
ohchr.org/en/human-rights/universal-declaration/translations/german-deutsch? LangID
=ger.
Vereinte Nationen (1951): Abkommen über
die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.
Juli 1951 und
Vereinte Nationen (1967): Protokoll über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967. https://www.unhcr.org/dach/wpcontent/uploads/sites/27/2017/03/Genfer_
Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_
Protokoll.pdf.
Weltbank (Hrsg., 2008): Weltentwicklungsbericht 2008: Agrarwirtschaft für die Entwicklung. Düsseldorf: Droste.
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Aufklärung und Kritik 3/2024