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Volker Roelcke
dass hohe Aktualität von Fragestellung und Methodik sowie ein wahrscheinlicher Nutzen für zukünftige Patientengenerationen nicht ausreichend sind, um
medizinische Forschung am Menschen ethisch akzeptabel zu machen.
Der Fall der Sulfonamid-Experimente wirft darüber hinaus die Frage auf,
ob für eine angemessene historische Rekonstruktion von biomedizinischer Forschung ein Begriff von Wissenschaftlichkeit bzw. Epistemologie sinnvoll sein
kann, der lediglich die theoretischen und methodischen Prinzipien und Rationalitäten der Wissensproduktion berücksichtigt, aber die ethischen und anthropologischen Prämissen sowie die konkreten sozialen und politischen Kontexte in der
Praxis der Wissensproduktion ignoriert. Eine mögliche Implikation wäre etwa,
wissenschaftliche Rationalität obligatorisch immer zusammen mit den dem wissenschaftlichen Handeln verbundenen anthropologischen Prämissen und Wertehierarchien in den Blick zu nehmen und zu analysieren.
Drittens zeigt der Fall der Sulfonamid-Experimente jedoch auch, dass historische Rekonstruktionen, welche die wissenschaftliche Rgionalität der historischen Akteure nicht (oder nicht ausreichend) in den Blick nehmen und sich
vorwiegend auf die jeweils historisch spezifische soziale, politische sowie moralische Dimension von medizinischem Handeln konzentrieren, dazu führen
können, die Nähe bzw. Parallelen zur heutigen Medizin — und damit wichtige
Ansatzpunkte für eine vom historischen Beispiel ausgehende aktuelle ethische
Reflexion — auszublenden.
Medizinhistorisches Journal 44 (2009) 61-93
© Franz Steiner Verlag, Stuttgart
MEDIZIN
HISTORISCHES
JOURNAL
Nils Kessel
Umstrittene Expertise. Der Beirat „Arzneimittelsicherheit" in der bundesdeutschen Arzneimittelregulierung 1.968-1976*
Controversial expertise. The "Scientific Advisory Committee for Drug Safety" and its role in drug regulation in the Federal Republic of Germany,
1968-1976
Summary: The article focuses on the "Scientific Advisory Committee for Drug Safety"
of the Federal Ministry of Health. Highlighting the role this committee played in West
Germany's policy on medicinal drugs, it shows how drug regulation during this period
shifted from expert committees to a larger public consisting of media, pressure groups of
alternative medicine and politicians.
Key words: drug regulation — Federal Republic of Germany — Scientific Advisory Committee — drug safety —1970s — alternative medicine — Hans Herken (1912-2003) — Menocil
A nschrift des V erfassers:
Prof. Dr. V olker Roelcke
Institut für Geschichte der Medizin
Universität Gießen
Jheringstrasse 6
D-35392 Gießen
E-Mail: volkerroekkeehistormed.uni-giessen.de
Zusammenfassung: Der Beitrag nimmt mit dem Beirat „Arzneimittelsicherheit" beim
Bundesministerium für Gesundheitswesen ein Wissenschaftlergremium in den Blick,
das in den späten 1960er und den frühen 1970er Jahren kurzzeitig großen Einfluss auf
die Arzneimittelpolitik in der BRD erhielt. Dabei wird exemplarisch gezeigt, wie sich
die Arzneimittelregulierung jener Jahre aus den Expertengremien hinaus in eine Öffentlichkeit aus Medien, alternativmedizinischen Lobbygruppen und Parlamentariern verlagerte.
Schlüsselwörter: Arzneimittelregulierung — Bundesrepublik Deutschland — Wissenschaftlicher Beirat — Arzneimittelsicherheit — 1970er Jahre — alternative Medizin — Hans
Herken (1912-2003) — Menoc il
* Für wertvolle Anregungen danke ich Nicholas Eschenbruch, Carolin Küppers, Petra Peckl,
Cay-Rüdiger Prüll und den anonymen Gutachtern des Medizinhistorischen Journals. Die Forschungen sind Teil des Freiburger DFG-Projekts „Methode, Zahl, Verbindlichkeit. Neue Allianzen und Verfahren in der Pharmakologie und Arzneimittelregulierung in Deutschland, 1930
– 1985" am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg i. Br. unter der Leitung von Cay-Rüdiger Präll.
62
Nils Kessel
Einleitung
In den letzten Jahren sind in den Tageszeitungen zahlreiche Aufsätze über nützliche und schädliche Wirkungen von Arzneimitteln erschienen, die bewiesen haben, dass sich die Öffentlichkeit aus nahe liegenden Gründen heute in weit größerem Umfange für pharmakologische Probleme interessiert, als es früher der Fall war. Ein Nachteil dieser Berichterstattung bestand
allerdings darin, dass sich allzu viele berufen fühlten hier mitzureden.'
Als im Jahr 1970 der Pharmakologe Hans Herken (1912-2003) die für ihn ambivalente Medialisierung von Arzneimitteln kommentierte, tat er dies nicht nur
in seiner Eigenschaft als westdeutscher Universitätsprofessor und renommierter
Wissenschaftler, sondern als leidgeprüftes Mitglied eines Gremiums, das bereits
im Laufe desselben Jahres immer wieder in die Kritik geraten war: Die Rede
ist vom wissenschaftlichen Beirat „Arzneimittelsicherheit", dessen Mitglieder
die arzneipolitischen Vorhaben des Bundesgesundheitsministeriums zwischen
1968 und 1976 stark beeinflussten und der im Zentrum des/1 vorliegenden Beitrags steht. Aus medizin- und wissenschaftshistorischer Sicht ist dieses Gremium von Universitätsprofessoren und Verbandsvertretern in zweierlei Hinsicht
interessant: Zum einen gewann – und verlor – der Beirat im Laufe seiner recht
kurzen Existenz grossen Einfluss auf die Arzneimittelpolitik in Deutschland, die
in jenen Jahren grundlegend verändert wurde. Zum anderen ermöglicht es die
im Bundesarchiv gelagerte akribische Dokumentation der Beiratsaktivitäten die
Strategien der einzelnen Akteure in einer Mikroperspektive differenziert auszuleuchten. Dabei wird untersucht, wie sich die Arzneimittelregulierung' entwickelte und wo sich die Kräfteverhältnisse zwischen den einzelnen Akteuren
derart verschoben, dass der eingangs zitierte Hans Herken nach Verabschiedung
des neuen Arzneimittelgesetzes im Jahr 1976 den Eindruck gewann, er und die
anderen Beiratsmitglieder hätten ihre Ziele nicht durchsetzen können.' Der Bei-
1 Herken (1970), S. 955.
2 Unter Regulierung wird sowohl das Setzen von gesetzlichen Rahmenbedingungen verstanden
als auch alle weiteren Versuche, die Innovation, Produktion, das Inverkehrbringen und den
Vertrieb von Arzneimitteln über Vorschriften für Prüfung, Zulassung und Nachmarktkontrolle
zu regeln. Hierbei können verschiedene behördliche und berufspolitische Institutionen beteiligt sein. Die Arzneimittelregulierung kennt dabei — neben dem gesetzlichen — verschiedene
Wege: Zum Beispiel können auch die Prüfung von Arzneimitteln, die Aufstellung von Empfehlungen und Richtlinien für Hersteller, Verkäufer, Werber und Anwender dazu gezählt werden. Da gerade in Deutschland die konkrete Umsetzung von Rahmenbedingungen im Arzneimittelbereich unter Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure durchgeführt wurde, verwende ich
in der Folge den Begriff der Arzneimittelregulierung in diesem ergebnisoffenen Sinne. Vgl.
hierzu ausführlich Hess (2007), Daemmrich (2004), Stapel (1987), Murswieck (1983).
3 „[...] der weit bessere ursprüngliche Regierungsentwurf wurde nachträglich unter Verkennung
oder Missachtung weltweit anerkannter therapeutischer Forschungsergebnisse in unbegreiflicher Weise deformiert, zum Nachteil der Arzneimittelsicherheit und damit auch zum Nachteil
Umstrittene Expertise
63
trag geht über die Darstellung des Beirats hinaus, in dem die Jahre 1968 bis 1976
als eine Zeit derSchwerpunktverlagerung von wissenschaftlichen Regierungskomitees zu einer Öffentlichkeit aus Medien, alternativmedizinischen pressure
groups und Parlamentariern beschrieben werden.'
Die „Skandaljahre" ab 1968
Weshalb aber kam Hans Herken zu seiner Einschätzung, dass sich die Öffentlichkeit für Arzneimittel interessierte? Und welche „nahe liegenden" Gründe,
die er dem Zeitgenossen nicht weiter ausführen musste, hatten zu dieser Aufmerksamkeit geführt? Betrachtet man die Jahrgänge 1968 und 1969 der großen
Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine – wie „Die Zeit", „Der Spiegel" oder
auch die „Bild-Zeitung" – dann muss man nicht lange suchen: Die Ereignisse um
die „Schlankheitspille" Menocil weckten neue Ängste vor Arzneimitteln – und
sie führten schließlich auch zur Gründung des Beirats „Arzneimittelsicherheit".
Schlagzeilen wie „Appetitzügler verursachen tödlichen Lungenhochdruck", aber
auch der seit 1968 stattfindende „Contergan-Prozess" (1968-1970) garantierten
dem Thema Arzneimittelsicherheit eine andauernde Aufmerksamkeit. Im Dezember 1968 fragte die Bild-Zeitung auf ihrer Titelseite: „Was muss in Deutschland eigentlich noch geschehen, damit unsere Frauen nicht mehr als Versuchskaninchen für neue Pillen missbraucht werden?"' Im Jahr sieben nach Contergan
schien nun erneut ein Arzneimittel' mit gefährlichen Nebenwirkungen in der Bundesrepublik auf dem Markt zu sein. Dabei war das Aminorex enthaltende Präparat Menocil 1965 ohne Probleme für den deutschen Markt registriert worden. Da
das deutsche Arzneimittelrecht auch nach der sogenannten „Contergan-Novelle" von 1964 keine Zulassung, sondern nur eine Registrierung beim Bundesgesundheitsamt (BGA) in Berlin vorsah, und die Unterlagen mit Prüfberichten von
einem Schweizer Arzt und einer deutschen Klinik versehen worden waren, bestanden formal keine Einwände.' Den Vorschlag der Beamten im BGA, das Prävon Patienten und Ärzten. In der Auseinandersetzung zwischen Politik und Sachverstand blieb
der Sachverstand völlig auf der Strecke." Zitiert nach Murswieck (1983), S. 301.
4 Vgl. anders Axel Murswieck (1983), S. 171, der „tendenziell eine prioritäre Orientierung auf
den Unbedenklichkeitsnachweis" konstatiert, und Arthur Daemmrich (2004), S. 4, der das
Konzept der "therapeutic culture" als Regulierung prägend vorschlägt. Dieses gewinnt allerdings vor allem im Vergleich mit den USA an Überzeugungskraft.
5 Der Skandal um die Schlankheitspille (1968).
6 Zu Contergan vgl. Kirk (1999).
7 Vgl. zum Arzneimittelbegriff die Diskussion bei Stapel (1987), S. 105-128.
8 Seit 1961 regelte ein eigenes Arzneimittelgesetz das Inverkehrbringen von Medikamenten in
der Bundesrepublik.
64
Nils Kessel
parat unter die Rezeptpflicht zu stellen, lehnte der Hersteller damals ab. Menocil
wurde ohne jede Auflage auf den Markt gebracht. Zwei Jahre später, im Sommer
1968, berichteten Ärzte auf einem Schweizer Kongress über das gehäufte Auftreten eines gefährlichen und eigentlich seltenen Lungenhochdrucksyndroms,
der primär vaskulären pulmonalen Hypertonie, die ihrer Meinung nach in Zusammenhang mit der Einnahme von Menocil stehen könnte. Ende August 1968
erging eine Warnung an die Schweizer Ärzte, im September erhielt das BGA
Besuch von einem Firmenvertreter, der über die Vorfälle berichtete. Während in
Österreich bereits Anfang September vor dem Präparat gewarnt wurde, dauerte
es in der Bundesrepublik bis zum 29. Oktober 1968, bis die Arzneimittelkommission und die Herstellerfirma ein warnendes Rundschreiben an die deutschen
Ärzte versandten. Einen Monat später schließlich nahm die Cilag-Chemie das
Präparat vom Markt, nachdem sich der Verdacht eines Zusammenhangs erhärtet hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere Hundert Menschen,
vor allem Frauen, an dem Lungenhochdrucksyndrom erkrankt, einige bereits gestorben.9 Die Presse griff dieses Thema auf und richtete ihre Kritik gegen das
Bundesgesundheitsministerium, das zu wenig zum Schutz der Patienten getan
habe. Innerhalb des Ministeriums sah man vor allem das BGA in der Verantwortung, da es versäumt hatte, trotz neuer Erkenntnisse im Spätsommer 1968, den
Beirat, der für die Empfehlungen für die Verschreibungspflicht zuständig war,
über die Entwicklung bei Menocil zu informieren?' Nicht nur die ausgebliebene
Reaktion des Bundesgesundheitsamtes bewies dem Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheitswesen", Ludwig von Manger-Koenig (1919-1983),
dass hier Regelungsbedarf bestand. Bei einer näheren Betrachtung der von der
Firma bei Markteinführung vorgelegten Unterlagen über die klinische Prüfung
hatten sich diese zudem als extrem dürftig und methodisch problematisch erwiesen. Dennoch war das Präparat ohne Einwände registriert worden.'" Auch die
9 Das der pharmazeutischen Industrie kritisch gegenüberstehende „Arznei-Telegramm" geht im
Rückblick von 850 Erkrankten aus. Die zeitgenössische Publikation, der „Unabhängige Arbeitskreis Arzneimittelpolitik Berlin" (UAAB), sprach Anfang 1969 von „200 Opfern". Eberhard Greiser nannte in „Die Zeit" für Ende September 1968 die Zahl von 17 diagnostizierten
Fällen, die Bild-Zeitung bezog sich auf vier Erkrankte, die eine Hannoveraner Ärztegruppe
diagnostiziert hatte. Vgl. Arznei-Telegramm (1996), o. S., darin auch die Zahl des UAAB;
Greiser (1968), S. 30; Der Skandal um die Schlankheitspille (1968), S. 1.
10 Bundesarchiv Koblenz (BArch) B 189/11559, Vermerk des Staatssekretärs über Menocil. Vgl.
auch Stapel (1987), S. 305-307. Hierbei handelte es sich um den Beirat nach § 35 Arzneimittelgesetz (AMG) 1961, der im Wesentlichen aus Pharmazeuten und Medizinern aus Universität,
Industrie und Standesvertretungen zusammengesetzt war.
11 Bundesministerium für Gesundheitswesen, seit dem Regierungswechsel 1969 Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG).
12 Dem Pharmakologen Franz Gross zufolge waren 90% der kritisch geprüften Veröffentlichungen weitgehend wertlos und nicht einmal 1% methodisch überzeugend durchgeführt worden; Stapel (1987), S. 318, Anm. 2.
Umstrittene Expertise
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Presse stellte nun die Frage, wie es möglich war, dass ein Präparat wie Menocil
so problemlos auf den Markt gekommen war. Ab Dezember 1968 sprachen einzelne Zeitungen von einem neuen Arzneimittelskandal. Die Journalisten waren
schnell auf die Artikel in den medizinischen Zeitschriften und die Warnungen
der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) gestoßen, zudem hatten Mediziner immer wieder gefordert, die Appetithemmer nur in sehr
eingeschränktem Maße zu verwenden und den zu laxen Umgang kritisiert. t3 Hier
stellte sich nun die Frage, wie die Untätigkeit der Behörden zu rechtfertigen war.
Vor allem die Bild-Zeitung kritisierte auf ihrer Titelseite die ihrer Meinung nach
unzureichende politische Tätigkeit und die Gefährdung der Verbraucher?' Die
Bundesgesundheitsministerin, Käte Strobel (1907-1996), und der Staatssekretär
im Ministerium, Ludwig von Manger-Koenig, traten die Flucht nach vorne an
und versprachen in der Presse nun umso schnelleres Handeln:
Bereits am Montag nächster Woche soll eine Kommission aus Wissenschaftlern zusammengesetzt werden, die sich mit den Arzneimitteln und der Arzneimittelgesetzgebung beschäftigen
soll. Solche Fälle wie Menocil dürfen nicht wieder vorkommen.15
Der Beirat „Arzneimittelsicherheit"'
Das Versprechen der Bundesgesundheitsministerin, zügig eine wissenschaftliche
Kommission zu berufen, bremste zunächst einmal die andauernde Kritik: Die
angekündigte Einrichtung des Beirats demonstrierte Aktivität, war vergleichsweise schnell umzusetzen und ließ wissenschaftlich fundierte Antworten auf die
Fragen der Arzneimittelsicherheit erwarten, weshalb die Arbeitsgruppe positiv
von der Presse aufgenommen wurde.'7
(Arzneimittel-)„Sicherheit" war denn auch ein zentraler Begriff für die Gesundheitspolitik in jenem Jahr 1968. Darunter wurde zuerst einmal verstanden,
dass Arzneimittel keine derart gravierenden Schäden mehr hervorrufen sollten,
wie dies in den Fällen Contergan und Menocil – wenn auch unterschiedlich stark
in Art und Umfang – geschehen war. Zugleich verband man damit im Ministeri13 Schröder u.a. (2003), S. 81.
14 Der Skandal um die Schlankheitspille (1968), S. 1; vgl. auch die Darstellung im Spiegel: Menocil (1968); vgl. die kritische Bewertung der Berichte bei Stapel (1987), S. 306-307.
15 Der Skandal um die Schlankheitspille (1968), S. 1.
16 Während im Jahr 1969 für die wissenschaftliche Arbeitsgruppe noch die Bezeichnungen „Sicherung der Arzneimittel", „Arzneimittelsicherheit" und „Sicherheit von Arzneimitteln" verwendet
wurden, hieß das Gremium ab Februar 1970 nur noch „Beirat ,Arzneimittelsicherheit"`.
17 BArch, B 189/11559, Niederschrift über den Verlauf der Sitzung der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe „Sicherung der Arzneimittel" am 20. März 1969 in Berlin, S. 3. Im Folgenden
werden alle Protokolle der Sitzungen der Arbeitsgruppe abgekürzt als „B A-S" + Datum.
66
Nils Kessel
um die Hoffnung, das unzureichende, aber nicht mehr in der Legislaturperiode
von 1966 bis 1969 reformierbare Arzneimittelgesetz von 1961 (AMG 1961) zu
umgehen und wieder Spielräume in der Arzneimittelpolitik zu gewinnen. Das
kurz vor Contergan in Kraft getretene Gesetz war mit den Ereignissen um das
Föten und Nerven schädigende Schlafmittel bereits überholt gewesen, galt es
doch als einseitig auf Wirtschaftsinteressen ausgerichtet. Auch die so genannte
„Contergan-Novelle" von 1964, die nun die Forderung nach „Unbedenklichkeit"
und die Frage der „Wirksamkeit" aufnahm, hatte in den Augen der meisten damit
befassten Wissenschaftler das Problem nicht gelöst. Tatsächlich bestand nach
dem defensiv formulierten Gesetz nur dann die Möglichkeit, ein Präparat von
behördlicher Seite zurückziehen zu lassen, wenn „Tatsachen" die Annahme einer Gefährdung der Allgemeinheit belegten (§ 42 AMG) beziehungsweise wenn
das betreffende Arzneimittel „bei bestimmungsgemäßem Gebrauch" eine über
den Einzelfall und über das von der medizinischen Wissenschaft zu definierende
„vertretbare Maß" hinausgehende schädliche Wirkung hatte 6). Da zudem die
Umsetzung des AMG in die Hoheit der Bundesländer fiel, blieb es diesen vorbehalten den Rückzug eines Präparates zu erzwingen, was allerdings höchst selten
geschah. Erschwert wurde die staatliche Arzneimittelregulierung in den 1960er
Jahren zudem durch die personelle und materielle Unterfinanzierung des BGA,
das mit dem AMG die Aufgabe erhalten hatte, alle auf dem Markt befindlichen
Arzneispezialitäten zu registrieren. Mit einer Zahl von wissenschaftlichen Mitarbeitern, die konsequent im niedrigen zweistelligen Bereich blieb, ließen sich
aber nicht Zehntausende von Spezialitäten in kurzer Zeit registrieren, geschweige denn die dafür eingereichten Unterlagen präzise und ausführlich studieren.
Da jährlich neue Arzneimittel zur Registrierung vorgelegt wurden, erhöhte sich
so die dabei anfallende durchschnittliche Wartezeit bis Ende des Jahrzehnts auf
eineinhalb Jahre. Fehlende Unterlagen, unzureichende Dokumentationen und
Mängel in Prüfung, Indikationsstellung und Information erschwerten zusätzlich
die Arbeit der Behörde.
Angesichts dieser Belastung des BGA versprach der ehrenamtlich zusammengesetzte Beirat, der Behörde neue Instrumente an die Hand zu geben, ohne aber
in den Registrierungsprozess einzugreifen. War der Beirat zuerst als reines Beratungsgremium für das BGA konzipiert, dessen Mitglieder „mit den zuständigen
Wissenschaftlern und Sachbearbeitern im Bundesgesundheitsamt Erfahrungen
und Einzelfragen, die sich aus dem Registrierverfahren von Arzneimitteln ergeben, von Zeit zu Zeit [diskutieren sollten]", so erhielt er schon bald ein vom Ministerium und den Beiratsmitgliedern verfasstes Arbeitsprogramm.' Es bestand
aus drei Aufgabenbereichen: Erstens sollten Empfehlungen zur ausreichenden
18 BArch, B 189/11559, Vermerk des Staatssekretärs vom 17.12.68.
Umstrittene Expertise
67
Prüfung von Arzneimitteln ausgearbeitet werden, um das Risiko erneuter Zwischenfälle zu senken. Zweitens war ein Alarmplan, der die Zuständigkeiten und
Abläufe regelte, auszuarbeiten. Drittens sollten Überlegungen zur Qualifikation
der Prüfer, zur Verbesserung der Registrierung und zur besseren Überwachung
von unerwünschten Wirkungen angestellt werden. Zwar bestand schon seit 1952
die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, die verstärkt seit den
Schädigungen durch Contergan in den Jahren 1957 bis 1961 Meldungen von
Ärzten über unerwünschte Wirkungen sammelte, allerdings blieb die Zahl der
Meldungen gering.' 9 Ohne bestehende Gremien zu ersetzen, hofften die Beamten des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Beirat Arzneimittelsicherheit
die Instrumente zu einer sichereren Arzneimittelpolitik in den Händen zu halten.
Wie diese auszusehen hatte, schien wohl 1969 selbst dem Referenten für Rechtsangelegenheiten des Arzneimittelwesens im BMJFG, Heinrich Hoffmann, nicht
ganz klar zu sein. 20 Dies mussten die 13 Wissenschaftler aus Pharmakologie, Toxikologie und Klinischer Pharmakologie, aus Pharmazie, medizinischer Statistik
sowie Innerer Medizin selbst herausfinden.
Zum Zeitpunkt seiner Einrichtung 1969 gehörte dem Beirat, damals noch
unter dem Namen „wissenschaftliche Arbeitsgruppe ,Sicherung der Arzneimittel"`, ein illustrer Kreis aus namhaften Pharmakologen und Klinikern an. Die in
ihm vertretenen Ordinarien hatten in ihren jeweiligen Fächern große Bedeutung
erlangt und in Teilen das Thema Arzneimittelsicherheit durch aktive Verbandsarbeit (Deutsche Pharmakologische Gesellschaft [DPhG], AkdÄ) bereits mit
diskutiert. Obwohl die Kriterien des Ministeriums zur Auswahl der Mitglieder
nicht gefunden werden konnten, scheinen langjährige Kontakte mit dem Gesundheitsministerium und die Vorschläge einzelner einflussreicher Mitglieder
wie des Pharmakologen Hans Herken (1912-2003), Ordinarius an der FU Berlin,
sehr wichtig gewesen zu sein. 21 Neben Herken gehörten weitere in ihrem Fach
wichtige Ordinarien dem Beirat an: Ludwig Lendle (1899-1969) aus Göttingen,
Gustav Kuschinsky (1904-1992) aus Mainz und Manfred Kiese (1910-1983) aus
München vertraten das Fach Pharmakologie. Als Lehrstuhlinhaber für Pharma19 BArch, B 189/11559, Vermerk Hoffmanns, betreffend die Sitzung der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe „Sicherung der Arzneimittel" am 6. Februar 1969.
20 Zu Hoffmann konnten keine Lebensdaten gefunden werden.
21 So standen Hans Herken und Ludwig Lendle als Vertreter der Deutschen Pharmakologischen
Gesellschaft bereits seit Beginn der sechziger Jahre in Kontakt mit dem Ministerium, ebenso
der Statistiker Koller. Außerdem fanden sich Mitglieder anderer Beiräte (1 33 AMG) auch in
dem zur Arzneimittelsicherheit wieder. Vgl. zum Beispiel die Notiz zu einem Beirat des BGA
in: BArch, B 189/11559, Vermerk des Staatssekretärs über Menocil. Die Beiratsmitglieder
waren vom Referat I B 3 und dem Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Ludwig von
Manger-Koenig, vorgeschlagen worden und von der Gesundheitsministerin Käte Strobel in
das Ehrenamt berufen worden.
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Nils Kessel
Umstrittene Expertise
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Vom Stufenplan zu den Arzneimittelprüfrichtlinien
kologie waren sie automatisch Mitglieder eines wichtigen Beratungsgremiums
der DPhG, nämlich der Arbeitsgemeinschaft planmäßiger Professoren. Diese
gab im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens immer im Namen der DPhG Stellungnahmen zu Arzneimittel betreffenden Fragen ab. 22 Herken und Lendle waren
zudem nicht nur in ihrer Fachgesellschaft DPhG Mitglieder in der Kommission
zur Arzneimittelsicherheit, sondern auch in der AkdÄ.
Ebenfalls ausgebildeter Pharmakologe war der Direktor der Bayer-Werke,
Rudolf Kopf (geb. 1921), der zugleich das Amt des Geschäftsführers des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wahrnahm. Als einer von
zwei Pharmazeuten kam der Vorsitzende der Hamburger Apothekerkammer
Werner Klie (geb. 1908) hinzu, der in den frühen sechziger Jahren als Interessenvertreter in Brüssel schon die Arzneimittelpolitik auf europäischer Ebene
beeinflusst hatte. 23 Sein Fachkollege im Beirat war der Berliner Ordinarius für
Pharmazeutische Chemie und Angewandte Pharmazie Gerhard Schenck (19041993). Mit ihm als Vorsitzendem der Deutschen Pharmazeuf‘schen Gesellschaft
(1966-69) und dem Direktor des Allgemeinen Krankenhauses Altona, Reinhard
Aschenbrenner (1906-2008) als Vorsitzendem der AkdÄ saßen zwei zentrale
Figuren der einschlägigen wissenschaftlichen Gremien im Beirat. Außer dem
Internisten Aschenbrenner vertraten der Tübinger Ordinarius Hans Erhard Bock
(1903-2004) und seine Kölner bzw. Berliner Kollegen Rudolf Groß (1917-2008)
und Günter Alexander Neuhaus (1922-1989) das Fach, wobei Bock als der bekannteste im Beirat vertretene Mediziner gelten konnte. Die Ordinarien Siegfried Koller (1908-1998) aus Mainz und Berthold Schneider (geb. 1932) aus
Hannover repräsentierten das Fach medizinische Statistik. Der später hinzugekommene Helmut Kewitz (geb. 1920) und Koller konnten für sich in Anspruch
nehmen, zu den „Gründervätern" ihrer Fächer – Klinische Pharmakologie beziehungsweise Medizinische Statistik – gezählt zu werden. Die einzigen Frauen, die
an den Sitzungen teilnahmen, waren die Gesundheitsministerinnen Käte Strobel
(1907-1996, Ministerin 1966-1972) und Katharina Focke (geb. 1922, Ministerin
1972-1976). Diese „Sozialstruktur" des Beirates blieb über die Jahre erhalten,
auch als einzelne Mitglieder ausschieden und durch neue ersetzt wurden.'
In den ersten Sitzungen der Arbeitsgruppe konzentrierten sich die Wissenschaftler auf die Erörterung konkreter Handlungsanleitungen in den Bereichen, in denen Defizite gesehen wurden. Zentral war hierbei 'die Erarbeitung des so genannten Alarmplanes, mit dem man im Gesundheitsministerium hoffte, weitere Fälle
wie den des Menocils im Frühstadium erkennen und begrenzen zu können. Nun
wurde erstmals das Vorgehen bei akuter Gefahr durch Medikamente beschrieben. Diese Maßnahme ging weit über das reine Berichts- und Warnsystem zur
Erfassung von Nebenwirkungen hinaus, das die AkdÄ bereithielt. Die Arbeiten
an dem bald auf Grund seiner Aufteilung in drei Gefährdungsstufen als „Stufenplan" bezeichneten Alarmplan waren von Anfang an von einer großen Unruhe geprägt. Neben den Schädigungen durch Menocil alarmierten immer wieder
Arzneimittelzwischenfälle die Wissenschaftler und die Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium. Der verantwortliche Referent für das Arzneimittelrecht
im BMJFG, Heinrich Hoffmann, forderte im Juni 1969, man solle Sofortmaßnahmen überlegen, damit Maßnahmen nachgewiesen werden können, „wenn etwas
wegen unzureichender Prüfung im BGA passier[e]" 25 Somit war der Alarmplan
nicht nur ein erster Schritt in Richtung einer effizienteren staatlichen Reaktion
auf Arzneimittelschäden. Zugleich erfüllte er den Zweck, die kurzfristig politisch nicht durchsetzbare Aufstockung der dünnen Personaldecke im Bundesgesundheitsamt zu verschleiern. Da man im Ministerium davon ausging, dass
täglich durchschnittlich sieben neue Arzneimittel auf den Markt kämen, sahen
die Verantwortlichen die nächsten Arzneimittelvorfälle auf Grund von mangelhafter Prüfung als quasi unvermeidlich an. 26 Durch den Druck eventueller neuer
Krisenfälle erhielten die Arbeiten am Alarmplan in kleinem Kreise Priorität. In
einer Besprechung am 18.11.69 einigten sich Reinhard Aschenbrenner (AkdÄ),
Rudolf Kopf (BPI), der hamburgische Apothekerverbandsvorsitzende Werner
Klie sowie die Regierungsräte Lewandowski und Danner auf einen Entwurf für
den so genannten „Stufenplan" und stellten diesen Anfang Dezember dem Beirat zur Verfügung, der diesem zustimmte. Der Entwurf sah drei Stufen vor, die
22 Vgl. hierzu die Aktendokumentation (Ordner 39A-E) zur Arbeitsgemeinschaft planmäßiger
Professoren im Archiv der Deutschen Gesellschaft für experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT), unter deren Dach die DPhG sich heute zusammen mit den
Gesellschaften für Toxikologie und klinische Pharmakologie befindet.
23 Der ausgebildete Jurist und Pharmazeut war Präsident des "Groupement pharmaceutique de la
Cornmunaut6 Europeenne" (Brüssel). Außerdem hatte er einen Lehrauftrag für Apothekengesetzgebung, Arzneimittelrecht und Geschichte der Pharmazie an der Universität Hamburg inne.
24 Im März 1971 kam der Giessener Hans J. Dengler (1925-1997) und im Mai der Inhaber des
ersten Lehrstuhls für Klinische Pharmakologie an der FU Berlin, Helmut Kewitz (*1920),
in den Beirat. Kewitz ersetzte den 1969 verstorbenen Lendle, Dengler wurde zusätzlich berufen. Beide Vorschläge stammten von Herken: BArch, B 189/11561, B A-S 28./29.10. und
03.12.1970, S. 13. Im November 1971 wurden Günther Vogel (*1922) von der Madaus AG
Köln und der Stuttgarter Homöopath Hans Ritter (1897-1988) berufen. 1972 folgte noch der
Pharmakologe Gustav Adolf Martini (*1916) aus Marburg.
25 BArch, B 189/11559, Besprechung bei Herrn Staatssekretär] am 2.7.69 betreffs Arzneimittelsicherheit, handschriftliche Notiz.
26 BArch, B 189/11559, Thaysen, Rein-Entwurf der Niederschrift über den Verlauf der Sitzung
der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe „Sicherung der Arzneimittel" am 11./12. Juni 1969 in
Bonn, S. 8.
70
N
ils Kessel
jeweils eine adäquate Reaktion auf den „Verdacht", den „verstärkten Verdacht"
und den „begründeten Verdacht" auf Gesundheitsschädigungen durch Arzneimittel ermöglichen sollten:27
Bei begründetem Verdacht einer Arzneimittelschädigung soll eine schnelle Benachrichtigung
der Beteiligten initiativ durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft erfolgen,
und zwar an die Ärzteschaft, Apothekerschaft und Presse. Parallel dazu erfolgt die Unterrichtung des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesgesundheitsamtes und der obersten
Landesgesundheitsbehörden."
Als Kriterien für einen begründeten Verdacht sollten die Schwere der Schädigung, deren Häufung sowie die fachliche Güte der Untersucher gelten.29
Dieser Entwurf des Beirats bildete schließlich die Grundlage für den Stufenplan,
der hier in seiner Fassung von 1971 abgedruckt ist:
[Stufenplan] Meldungen über Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen von Arzneimitteln
gehen bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft in Göttingen (Sammelstelle), beim Bundesgesundheitsamt, bei der zuständigen Landesbehördegfder bei den Herstellern
ein.
Stufe I: Bestimmte Meldungen legen den Verdacht auf eine gesundheitliche Schädigung nahe.
Maßnahmen: Ein Informationsaustausch zwischen Arzneimittelkommission, Bundesgesundheitsamt, zuständiger Landesbehörde und Hersteller ist aufzunehmen. Erforderlichenfalls weitere Beobachtung.
Stufe II: Die Ermittlungen oder weiteren Fallmeldungen ergeben einen verstärkten Verdacht
Maßnahmen: Die Arzneimittelkommission, der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, [einfache Unterstreichung mit Fragezeichen am Rand im Original, Bleistift] das Bundesgesundheitsamt und die zuständige Landesbehörde wirken bei der in dieser Phase vorzunehmenden systematischen Informationssammlung über Realität der Häufung der vermutlichen
Nebenwirkungen zusammen. Bleibt die Häufung fraglich, sind weitere Beobachtung und Unterrichtung der zuständigen Landesbehörde erforderlich.
Stufe III: Der Verdacht einer Gesundheitsschädigung ist begründet.
Maßnahmen: Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, das Bundesgesundheitsamt und der Hersteller unterrichten unter gegenseitiger Information die zuständige Landesbehörde, das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, die Bundesärztekammer,
die Bundesapothekerkammer und die Presse.
Dieser Plan hat das Ziel, die Maßnahmen der beteiligten Stellen zu koordinieren und den Informationsweg festzulegen. Es handelt sich in diesem Sinne um einen Modellfall; selbstverständlich
können einzelne Stufen dieses Planes übersprungen werden. Das Schema soll nicht starr gehandhabt werden und muss sich nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles richten.'
27 BArch, B 189/11561, Stufenplan in der Fassung vom 25.5.1971.
28 BArch, B 189/11559, Thaysen, Rein-Entwurf der Niederschrift über den Verlauf der Sitzung
der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe „Sicherung der Arzneimittel" am 11./12. Juni 1969 in
Bonn, S. 2.
29 Ebd., S. 3.
30 BArch, B 189/11635, Koordination von Maßnahmen und Informationsweg bei Verdacht auf
Arzneimittel-Nebenwirkungen. Stand vom 25.05.1971. In einer geänderten Fassung vom April
Umstrittene Expertise
71
Der Stufenplan lieferte dem BGA und dem BMJFG ein wichtiges Instrument
für den Umgang mit zukünftigen Arzneimittelschäden. Das Ministerium konnte darüber hinaus Aktivität gegenüber einer zunehmend kritischen Presse demonstrieren, die Arzneimittelthemen verstärkt Aufmerksamkeit widmete?' So
sehr er nach außen als Ergebnis wissenschaftlicher Expertise vermarktet wurde,
so sehr war der Stufenplan Resultat des Aushandlungsprozesses zwischen den
ohnehin bereits beteiligten Akteuren aus Arzneimittelkommission, Industrie und
Bundes- beziehungsweise Länderbehörden. In seiner Aussagekraft durch vage
Formulierungen eingeschränkt, zeugte er von dem Willen der bestehenden Regulierungsinstanzen, die ja auch im Beirat personell vertreten waren, ihr Gestaltungsmonopol bei Arzneimittelschäden zu bewahren und in jedem Einzelfall
die Interessen von pharmazeutischer Industrie, Behörden und Ärzteschaft neu
zu verhandeln. Die Arbeiten des Beirates in diesen Anfangsjahren geben daher
das Bild eines noch geschlossenen Regulierungssystems aus Experten wieder,
das zwar von Medien Druck erfuhr, dessen Expertise aber nicht in Frage gestellt
wurde.
Umso selbstsicherer gingen die Beiratsmitglieder deshalb an ihre zweite Aufgabe, die Entwicklung von Prüfvorschriften. Diese waren nötig geworden, weil
die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in ihren Bemühungen um die
Schaffung eines europäischen Binnenmarktes den Arzneimittelsektor bereits
seit Anfang der sechziger Jahre in den Blick genommen hatte und seit Mitte
des Jahrzehnts auf eine Vereinheitlichung der Zulassungsregelungen drängte.
Die Bundesrepublik hatte sich bei diesen Verhandlungen bisher zurückhaltend
verhalten, um sowohl den westdeutschen pharmazeutischen Großunternehmen
wie auch den kleinen und mittelständischen Arzneimittelherstellern weiterhin
eine günstige Stellung im internationalen Wettbewerb zu sichern. In einer ersten
EWG-Richtlinie von 1965 waren vor allem die Begrifflichkeiten und die Ansprüche an das Genehmigungsverfahren definiert worden. 32 Diese erste Richtlinie sollte durch eine zweite vervollständigt werden, die die Art und Weise der
vorzunehmenden Prüfungen auf Wirksamkeit und Unschädlichkeit vorschrieb.
Hier allerdings hatte die westdeutsche Delegation in Brüssel im Interesse der
1972 wurde der Stufenplan sprachlich stark entschärft und im Sinne der Hersteller verändert.
Vgl.: BArch, B 189/11563, Koordination von Maßnahmen und Informationsweg, Stand vom
19.04.1972. Diese Änderungen wurden von den Beiratsmitgliedern ohne Gegenstimme akzeptiert, wobei die wohl ausführliche Diskussion nicht im Einzelnen dokumentiert ist. Es hat
den Anschein, als sei die Erstellung eines weiteren Sofortmaßnahmenplanes, des so genannten
„Mob-Plans", ein Zugeständnis an die Beiratsmitglieder gewesen, denen die Fassung von 1972
zu defensiv formuliert war. BArch, B 189/11563, B A-S 19.04.1972, S. 2.
31 Vgl. Stapel (1987), S. 301-304.
32 Europäischer Rat (1965).
72
Nils Kessel
Umstrittene Expertise
73
in Deutschland sehr stark vertretenen Hersteller von alternativmedizinischen"
Arzneimitteln eine Einigung und dann deren Umsetzung in nationales Recht mit
dem Hinweis auf die Notwendigkeit der gleichzeitigen Schaffung eines gemeinsamen Marktes verzögert.34
Fünf Jahre nach der ersten Richtlinie lag nun dem Beirat im Jahr 1970 ein
Entwurf für eine EWG-Prüfrichtlinie auf dem Tisch. Die Beiratsmitglieder
standen jetzt vor der Aufgabe, einen Entwurf für eine nationale Richtlinie auf
Grundlage des europäischen Entwurfs vorzubereiten. Das daraufhin vorgelegte
Resultat stützte sich im Wesentlichen auf umfangreiche Vorarbeiten der einzelnen Fachgesellschaften, deren Vertreter sich nun im Beirat wieder trafen: Die
Richtlinien der Deutschen Pharmakologischen Gesellschaft (1962) bzw. der
Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (1965) halfen den zur Grundlage
gemachten Entwurf der Europäischen Kommission von 1970 zu ergänzen." Er
gliederte sich in zwei Teile, einen ersten über die pharmakologisch-toxikologische Wirkungsprüfung von Arzneimitteln, und einen zweien, der die klinische
Erprobung von Arzneimitteln zur Ermittlung der Wirksamkeit behandelte. Die
Prüfungsinstrumente und -methoden dienten dazu, quantifizierbare und standardisierbare Ergebnisse zu liefern. Für die pharmakologisch-toxikologische
Prüfung musste im (Tier-)Versuch nachgewiesen werden, dass , ein Präparat eine
– punktuell – messbare Wirkung entfaltete, also eine vom Tier auf den Menschen
übertragbare Kausalbeziehung zwischen Stoff und physiologischer Reaktion bestand. Dazu gehörten Untersuchungen über die „Wirkung" des Arzneimittels im
Körper (Pharmakodynamik) und über das Verhalten des Arzneimittels im Organismus (Pharmakokinetik). Die klinische Prüfung hatte drei Teile. Während in
Phase I die Wirkung der neuen Substanz an gesunden Probanden getestet wurde,
wobei erneut Tests der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik durchgeführt
wurden (Verträglichkeitsprüfung), folgten in Phase II kontrollierte therapeutische Studien an Patienten. Phase III war als therapeutischer Großversuch in
verschiedenen Kliniken konzipiert; hier wurde nun die Wirksamkeit des Präparates überprüft. Im kontrollierten klinischen Versuch (controlled clinical trial)
zur Wirksamkeitsprüfung musste das Erreichen des therapeutischen Ziels, zum
Beispiel Schmerzlinderung, für den Patienten dokumentiert werden."
Die in der Richtlinie formulierten Anforderungen an die Arzneimittelprüfung
spiegelten die von den Beiratsmitgliedern vertretenen Auffassungen über die Genese und Form wissenschaftlicher Erkenntnis und Methodik wider. Lediglich in
der Gewichtung der einzelnen Prüfungsabschnitte ließen sich Unterschiede feststellen. Eine Gruppe aus den Pharmakologen Herken, Kuschinsky, Kewitz, den
Internisten Neuhaus und Aschenbrenner sowie den Medizinstatistikern Koller
und Schneider wollte den Nachweis der Unschädlichkeit und auch der pharmakologischen Wirkung eines Arzneimittels im Tierversuch bewiesen wissen, bevor dieses eine weitere Prüfungsetappe erreichte. Damit wären homöopathische
Hochpotenzen schon zu diesem Zeitpunkt ausgesondert worden, wie Kuschinsky
in einem Diskussionspapier 1970 deutlich machte?' So sollten ausnahmslos alle
Arzneimitte138 , unabhängig davon ob alt oder neu, nach den beschriebenen Methoden auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit getestet werden und nur die auf
dem Markt verbleiben dürfen, die diese Prüfung bestanden. Die Vertreter dieser
Haltung waren von der Gültigkeit von im Tierversuch gewonnenen Ergebnissen
und der Aussagekraft statistischer Ergebnisse überzeugt. Da sie ihre naturwissenschaftlichen Prüfungsmethoden für absolut objektiv hielten, verlangten sie
diese für alle Präparate anzuwenden. Nur so konnte nach Meinung dieser .Wissenschaftler die Gleichbehandlung aller Therapieformen gewährleistet werden.
„Unbedenkliche", aber nach dieser Prüfung „nicht wirksame" Arzneimittel der
„besonderen Therapieformen" sollten den Status des Arzneimittels verlieren und
als Lebensmittel in Drogerien und anderswo verkauft werden können.39
Teilweise verlangten die Vertreter dieser Haltung, dass neue Arzneimittel
nicht nur auf Grundlage von vorgelegten Unterlagen, sondern in eigenen Te-
33 Gemeint sind die verschiedenen Zweige der Homöopathie, Phytotherapie und Anthroposophie.
34 So erklärte Heinrich Hoffmann: „Der Grund, warum diese Richtlinie noch nicht in innerstaatliches Recht überführt worden sei, sei ein wirtschaftspolitischer. Die Bundesrepublik Deutschland wolle erreichen, dass zugleich mit der Anpassung seines Arzneimittelrechts an die EWGRichtlinien gewährleistet werde, dass ein wirklich freier Arzneimittelmarkt entstehe." BArch,
B 189, 11559, BA-S 06.02.1969, S. 6.
35 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1970). Dieser Entwurf wurde in den folgenden Beiratssitzungen diskutiert, vgl. hierzu die Arbeitsfassungen in BArch, B 189/11559
und 11560. Vgl. Deutsche Pharmakologische Gesellschaft (1963); Deutsche Gesellschaft für
Innere Medizin (1965). Vgl. hierzu Murswieck (1983), S. 287. Die Richtlinie erhielt ihre Bedeutung als verbindliche Grundlage zu Art, Umfang und Durchführung der Prüfung von Arzneimitteln durch das BGA.
36 Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (1971), S. 2. Vgl. Stapel (1987),
S. 416-418.
37 BArch, B 189/11560, Schreiben Kuschinskys an v. Manger-Koenig vom 04.06.1970, darin:
„Vorschläge zur Diskussion für eine Verbesserung der Arzneimittelgesetzgebung".
38 Immerhin geschätzte 70.000 Präparate.
39 Vgl. hierzu das Zitat des Berliner Allergologen Herbert Herxheimer (1894-1985): „Wenn man
dem Bürger die Freiheit zugesteht, sich mit Nikotin oder Alkohol chronisch zu vergiften, so
muss man ihm auch das Recht geben, sich homöopathisch behandeln zu lassen und sich homöopathische oder phytotherapeutische Mittel zu verschaffen." Zitiert nach Spitta (1976),
S. 30. Naturwissenschaftlich geschulte Pharmakologen betonten den Risikocharakter einer jeden wirksamen Therapie. Deshalb wandten sich viele von ihnen gegen alternativmedizinische
Therapien mit dem Vorwurf der Wirkungslosigkeit bei essenziell wichtiger Pharmatherapie.
Sie verfochten vor allem Verbote gegen Präparate, die bei lebensbedrohlichen Situationen eingesetzt werden sollten.
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Nils Kessel
streihen vom BGA geprüft werden sollten. Dies hätte eine massive Personalaufstockung notwendig gemacht und galt als politisch nicht realistisch. Ziel dieser
Gruppe im Beirat war es mittels einer umfassenden, zeitlich anspruchsvollen
pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Prüfung die Wahrscheinlichkeit von Arzneimittelzwischenfällen und Langzeitschäden zu reduzieren. Sie
vertraten daher die Position, dass sich eine umfangreiche Vor- und Nachmarktkontrolle und ein effizientes Warnsystem notfalls auch gegen das ökonomische
Kalkül der Hersteller und gegen die Interessen von Konsumenten und Finanzpolitikern durchsetzen lassen müssten. Allerdings bestanden teilweise eklatante
Unterschiede in den angestrebten Regulierungsformen: Wenn auch alle Vertreter
dieser Richtung glaubten nur naturwissenschaftliche Evidenz könne langfristig
Arzneimittel sicherer machen und ihre Wirksamkeit belegen, so sah der zu dieser Gruppe gehörige Internist Aschenbrenner von der AkdÄ 40 eher eine durch
Verbände kontrollierte Arzneimittelregulierung als Idealziel an, während die
universitär verankerten Pharmakologen (Herken, Kuschiney und Kewitz), der
Kliniker Neuhaus und die Ordinarien der medizinischen Statistik (Koller und
Schneider) auf die Notwendigkeit des Ausbaus des BGA hinwiesen.
Demgegenüber machte der Vertreter des BPI im Beirat, Rudolf Kopf, auf die
Schwächen der Methodik aufmerksam, verteidigte aber nicht die „besonderen
Therapieformen". So wandte er sich gegen eine unterschiedslose Wirksamkeitsprüfung, indem er die Unterschiede in der Wirksamkeitsprüfung der einzelnen
Stoffgruppen problematisierte und auf die Schwierigkeit des Wirksamkeitsnachweises bei Psychopharmaka verwies. Er machte deutlich, dass es auch den Verfechtern einer standardisierten Testung noch nicht gelungen war, eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben, wie der Nachweis der Wirksamkeit bei
solch individuell höchst unterschiedlichen Krankheiten wie psychischen Erkrankungen statistisch erbracht werden könne, es also auf epistemologischer Ebene
immer noch eine Diskrepanz zwischen standardisiertem klinischem Versuch und
individuellem Heilerfolg gab. Diese Einwände dienten nicht zuletzt dazu, die
Aussagekraft umfangreicher, zeitaufwändiger und teurer Prüfverfahren zu relativieren und um Rücksicht für die Industrie zu werben, die besondere Vorbehalte
gegen die als sinnlos erachtete Prüfung alter, bekannter und „bewährter" Stoffe hegte. An Stelle des Ausbaus der Prüfauflagen durch staatliche Regulierung
sollte seiner Meinung nach eine engere Zusammenarbeit mit den Ärzten treten.
Durch deren intensivere Rückmeldung von Erfahrungen mit Medikamenten sollte die Arzneimittelsicherheit dezentral auf eine breite Basis gestellt werden.'
40 Vgl. den Standpunkt Aschenbrenners, BArch, B 189/11561, B A-S vom 25.03.1971, S. 9.
41 Kopf (1972).
Umstrittene Expertise
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Eine Gruppe um die Internisten Bock und Groß vertrat in Bezug auf die
pharmakologisch-toxikologische Prüfung eine zurückhaltende Position. Ihr
Schwerpunkt lag auf der klinischen Wirksamkeitsprüfung, in der Ärzte wie Bock
versuchten, eine zu starke Dominanz des von den Statistikern verfochtenen Doppelblindversuchs als Methode der Wahl zu verhindern. Sie hielten vielmehr die
Autonomie des Arztes in der Wahl der Mittel für unverzichtbar: Für die klinische
Prüfung erschien ihnen deshalb auch der individuelle Heilerfolg des Arztes ein
wichtiges Kriterium. Dabei spielte die pharmakologisch begründete Wirksamkeit
eine weniger zentrale Rolle, sondern vielmehr der „Therapieerfolg" als solcher
war bedeutsam, den letztlich wiederum nur der Arzt feststellen konnte. Somit
konnten auch die damals oft als Täuschung des Patienten verstandenen PlaceboPräparate zum Therapieerfolg führen, selbst wenn bei ihnen keine Wirksamkeit
nachgewiesen werden konnte.' Diese von den Ärzten vertretene Position wies
in ihrer gemäßigten Position gegenüber den „besonderen Therapieformen" zahlreiche Berührungspunkte mit diesen auf.
Obwohl die Beiratsmitglieder in der Bewertung der Prüfungsabschnitte
durchaus unterschiedliche Positionen vertraten, erschienen sie vor allem den Vertretern der „besonderen Therapieformen" als Bollwerk naturwissenschaftlicher
Orthodoxie. 43 Nicht zuletzt wegen der bekannten Vorbehalte einiger Beiratsmitglieder gegenüber den „besonderen Therapierichtungen" hatten deren Ärzte
und Verbandsvertreter die Arbeit des Beirats seit dessen Gründung aufmerksam
verfolgt. Schon früh hatten sie erkannt, dass mit der ab 1969 begonnenen Arbeit
des Beirats an einer nationalen Prüfrichtlinie auf Grundlage des bisher in Brüssel
verhinderten EWG-Entwurfs den alternativen Therapieformen Unbill von einer
Seite drohte, von der man sich bisher gut verstanden fühlte – dem Gesundheitsministerium.« Da die Alternativmedizin in der Bundesrepublik sowohl unter
Laien als auch Ärzten weit verbreitet war, hatten die Bundesregierungen, dabei
besonders Wirtschafts- bzw. Gesundheitsministerium, bisher immer wieder ihr
Interesse an einem Erhalt dieser Therapieformen betont.
Der Entwurf der neuen EWG-Richtlinie vom 11.02.1970 und die Arbeit des
Beirates an einer nationalen Richtlinie beunruhigten deshalb die Homöopathen,
42 Dies hat Stapel (1987), S. 396, herausgestellt. Unterstützt wurde diese Position außerhalb des
Beirates vor allem von der Bundesärztekammer (BÄK).
43 Die hier dargestellte polemische Opposition zwischen naturwissenschaftlicher Medizin und
alternativen „Heilmethoden" und ihren Präparaten stellte an sich kein neues Phänomen dar.
Schon seit dem 19. Jahrhundert wurde über die Wissenschaftlichkeit der Homöopathie diskutiert, wurden die jeweiligen Nachweismethoden in Zweifel gezogen. Einen sehr guten Überblick über den Gegensatz von „Homöopathie" und „Allopathie" bzw. von „Kurpfuscherei" und
„Schulmedizin" liefert Jütte (1996), S. 23-42.
44 Vgl. exemplarisch BArch, B 189/10518, Referat I B3, Vermerk vom 05.11.1963, S. 2. Weitere
Belege in BArch, B 189/10519-10521.
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Nils Kessel
Anthroposophen und Anhänger der Phytotherapeutika, schienen doch mit dem
Entwurf des Beirats nicht nur die jahrelange Einflussnahme in Brüssel sinnlos
geworden zu sein, sondern auch die Präparate der „besonderen Therapieformen"
in ihrer Existenz bedroht.45 Die Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln
war nämlich für die „besonderen Therapieformen" gefährlich, da die Beiratsmitglieder nicht nur eine simple Handlungsanleitung im Rahmen zukünftiger Registrierungen lieferten. Vielmehr beabsichtigte das Ministerium die Richtlinie quasi
paralegal als eine für das BGA verbindliche Vorschrift einzuführen und somit
die gesamte Regulierungspraxis zu verändern: Während das Arzneimittelgesetz
von 1961 das Inverkehrbringen erleichterte, indem es nur das Einreichen von
aussagekräftigen Unterlagen vorschrieb, zwang der Einsatz der Richtlinie über
die Prüfung von Arzneimitteln die Hersteller zum Befolgen eines aufwändigen
und teuren Prüfverfahrens, das bisher allenfalls die großen pharmazeutischen
Unternehmen standardmäßig durchgeführt hatten . 4 Der Widerstand von Seiten
des die großen Hersteller repräsentierenden Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) war deshalb gering, zumal dessen Geschäftsführer Rudolf
Kopf als Beiratsmitglied an der Diskussion der Richtlinie beteiligt war. Für eine
Vielzahl kleinerer Hersteller allerdings – und dazu zählten die meisten Firmen,
die Präparate der „besonderen Therapierichtungen" herstellten – bedeutete die
Richtlinie weitaus mehr als einen finanziellen Mehraufwand. Homöopathen, Anthroposophen und Anhänger der Phytotherapie fürchteten, dass ihre Präparate
am statistisch geführten Wirksamkeitsnachweis scheiterten, war ihrer Lehre zufolge doch jede Krankheit nur individuell versteh- und therapierbar. Die meisten
Homöopathen lehnten es zudem ab, die von ihnen verwendeten Potenzierungen
jenseits von D 12, vereinfacht gesprochen also Verdünnungen, überhaupt auf
eine pharmakologische Wirkung testen zu lassen. Sie wussten ebenso wie die der
Homöopathie feindlich gesonnenen Pharmakologen um Kuschinsky, dass dieser
Nachweis kaum geführt werden konnte.
45 Auch in Brüssel konnten Lobbyisten im Auftrag von alternativmedizinischen Verbänden und
Herstellern auf deutsche Unterstützung bei ihrem Versuch hoffen, die Umsetzung der ersten
EWG-Richtlinie in nationales Recht und das Erscheinen einer zweiten Richtlinie, die seit 1966
in Arbeit war, zu verzögern. Vgl. auch Anm. 34. Die Erste Richtlinie trug den Titel „Richtlinie
des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten
vom 26.01.1965".
46 Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (1971). Die BRD führte paralegal mit
der Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln vom 11. Juni 1971 bereits vor Inkrafttreten
der Europäischen Richtlinie, auf der die deutsche aber basierte, eine nationale Regelung ein.
Vgl. auch Stapel (1987), S. 313-318.
47 Phytotherapie wurde damals synonym zu „besondere Therapierichtungen" verwendet, zugleich
aber auch in der engeren Definition als Begriff für die Pflanzenheilkunde, die auf synthetisierte
Stoffe verzichtete. Eine seit den 1970er Jahren sich zunehmend durchsetzende Eigenbezeichnung war „Alternative Medizin". Vgl. hierzu auch Eschenbruch (2007).
Umstrittene Expertise
77
Während der folgenden Monate suchte der Bundesverband der Heilmittelindustrie – die Vertretung der homöopathischen und phytotherapeutischen Herstellerfirmen – in dieser Angelegenheit Kontakt mit dem Bundesgesundheitsministerium und zuständigen Politikern, um die Einführung der Richtlinie zu
verhindern und eine gesetzliche Regelung im alternativmedizinischen Interesse
zu beeinflussen. Auch die Bundesärztekammer wurde zu Gunsten der „Phytotherapeutika" aktiv und erhob Einwände gegen die Prüfrichtlinie, wie sie als
Entwurf an die Verbände übermittelt worden war:4
Zwischenzeitlich haben sich der Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren und andere
betroffene Arztgruppen an uns gewandt und uns erneut ihre Besorgnis über die vorgenannten
Richtlinien vorgetragen. Anlass zu dieser Sorge war eine Information, nach welcher der Beirat
„Arzneimittelsicherheit" Ihres Hauses auf seiner Sitzung Anfang Dezember 1970 in Berlin
es abgelehnt haben soll, den Besonderheiten der phytotherapeutischen Präparate in den vorliegenden Richtlinienentwürfen Rechnung zu tragen. Allenfalls wolle man, wie es heißt, eine
Übergangsfrist von 10 bis 15 Jahren zugestehen. Danach aber wären die betroffenen ärztlichen
Therapieformen mangels geeigneter Arzneispezialitäten zum Aussterben verurteilt.49
Die Angst, dass es sich bei einer Übergangslösung nur um eine Galgenfrist handeln könne, zeigt, dass die wenigsten Alternativmediziner daran glaubten, dass
ihre Therapeutika jemals naturwissenschaftlich positiv bewertbar seien. Dies
bedeutete zuallererst, dass der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit im
klinischen Versuch und bei den homöopathischen Präparaten auch der pharmakologisch-toxikologische Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit als
Vorschriften entfallen mussten. Um zumindest in diesem Sinne mitwirken zu
können, hatten fast alle Interessenverbände der „besonderen Therapierichtungen"
seit dem Entstehen des Beirats versucht, in ihm Sitz und Stimme zu erhalten.5°
Als diese Anfragen von Beginn an mit Verweis auf die Freiheit des Gesundheitsministeriums bei der Auswahl seiner Experten ausnahmslos abgelehnt wurden,
versuchten Interessenverbände, aber auch Gesundheitspolitiker der Fraktionen,
an die Protokolle oder Mitgliederlisten zu kommen. Auch hier verweigerten die
im Ministerium zuständigen Referenten jegliche Einsichtnahme." Es verwundert daher nicht, dass der Beirat von Anhängern der alternativen Therapieformen
immer mehr als Lobbyinstanz der „Schulmedizin" in Verruf gebracht wurde:52
48 BArch, B 189/11561, Schreiben Stockhausen an BMJFG vom 07.01.1971 betreffend die
Richtlinien für die pharmakologische und klinische Prüfung von Arzneimitteln, S. 1.
49 BArch, B 189/11561, Schreiben Stockhausen an BMJFG vom 07.01.1971 betreffend die
Richtlinien für die pharmakologische und klinische Prüfung von Arzneimitteln, S. 2.
50 Vgl. die Anfragen in BArch, B 189/11559-11561.
51 Vgl. exemplarisch die Bitte um Zusendung des Protokolls von MdB Kurt Spitzmüller, dem
Vertreter des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren (ZVÄNV), Hans Haferkamp
(1906-1982), und dem Anthroposophen Kienle, BArch, B 189/11563.
52 So auch Selg (2003), S. 427.
78
Nils Kessel
„Diese Beschlüsse erwecken den Eindruck, als wären Arzneispezialitäten erst
vom Arzneimittelgesetz erfunden worden und müssten jetzt unter die Obhut bestimmter Gruppen der medizinischen Wissenschaft genommen werden."'
Wessen Expertise?
Im Mai 1971 reagierte das Ministerium schließlich auf die andauernde Kritik
von Parlamentariern und alternativmedizinischen Verbandsvertretern an der Arbeit des Beirats. Den Vertretern der „Phytotherapeutika"" sollte in der kommenden Sitzung im November 1971 Gelegenheit gegeben werden, ihre Standpunkte
klarzumachen. Die Sommerpause nach der Veröffentlichung der Richtlinie über
die Prüfung von Arzneimitteln vom 11. Juni 1971 im Bundesanzeiger nutzten
die alternativmedizinischen Verbände, um über ihre Mitglieder, Pharmavertreter
und die mit ihnen sympathisierenden Ärzte erstmals die Allhänger ihrer Therapieformen in der gesamten Bundesrepublik zu mobilisieren": In diesen Monaten
erreichten mehr und mehr Briefe von besorgten Bürgerinnen und Bürgern das
Gesundheitsministerium, in denen heftig gegen die Einschränkung der „Therapiefreiheit" protestiert wurde." Vielleicht wegen der Heftigkeit der Proteste ging
das Gesundheitsministerium nach der Veröffentlichung der Richtlinie wieder
einige Schritte auf die Vertreter der „besonderen Therapieformen" zu: Im September 1971 bat Staatssekretär v. Manger-Koenig um Vorschläge für zwei neue
Mitglieder des Beirates, die „anderen Methoden gegenüber aufgeschlossen"
sein sollten. Der Homöopath Hans Ritter und der Pharmakologe Günther Vogel,
der bei der Firma Madaus in Köln angestellt war, wurden nun in das Gremium
aufgenommen. 57 Beide, Ritter und Vogel, galten zwar als „anderen Methoden
gegenüber aufgeschlossen", gehörten aber beide zugleich zu einem stark nach
naturwissenschaftlichen Maßstäben ausgerichteten Flügel der „besonderen Therapierichtungen".
53 BArch, B 189/11561, Schreiben Marcetus vom 20.01.1971, S. 1.
54 Gemeint waren hier alle Vertreter der „besonderen Therapierichtungen".
55 Ein Schwerpunkt lag auf der Hochburg Baden-Württemberg und der Region Stuttgart im Besonderen.
56 Eschenbruch (2006), S. 652.
57 Ritter, der von 1957 bis 1969 die Poliklinik des Robert-Bosch-Krankenhauses Stuttgart geleitet hatte, galt als Vertreter einer naturwissenschaftlich orientierten Homöopathie. Vgl. Eschenbruch (2007), S. 53. Günther Vogel war habilitierter Pharmakologe. Nach einer kurzen Lehrtätigkeit als Professor für Veterinärphysiologie an der Humboldt-Universität Berlin und für
Physiologie an der Universität Köln hatte er das Referat wissenschaftliche Sonderaufgaben des
pflanzliche Arzneimittel herstellenden Unternehmens Dr. Madaus & Co. übernommen.
Umstrittene Expertise
79
In der Sitzung des Beirats im November 1971, an der Ritter und Vogel zum
ersten Mal teilnahmen, fand auch die Anhörung der Vertreter der „Phytotherapeutika" statt: Der „Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte" (DZVhÄ),
der „Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren" (ZVÄNV), die „Deutsche Heilpraktikerschaft", das „Aktionskomitee für Therapie- und Verordnungsfreiheit", die „Internationale Gesellschaft für Homotoxikologie und antihomotoxische Therapie" und die „Arbeitsgemeinschaft anthroposophischer Ärzte"
waren dazu eingeladen worden. Bei der Anhörung wurden aber erneut die altbekannten Positionen ausgetauscht, ein Dialog kam nicht zustande: Das Protokoll
der Sitzung zeigte dabei zum einen deutlich, dass in der Frage der Wirksamkeit
der Phytotherapeutika keine Einigung zu erwarten war, und zum anderen, dass
die alternativmedizinischen Verbände höchst uneinig waren." Im Rückblick
wird deutlich, dass die Einführung der „Prüfrichtlinie" von 1971 für die alternativen Therapieformen wie ein Bruch in der bundesdeutschen Arzneimittelpolitik
gewirkt haben musste. Mit dem Beirat trat ein Gremium an die Fachöffentlichkeit, das an entscheidender Stelle begann, die Arzneimittelregulierung im Sinne
der naturwissenschaftlich orientierten, universitären Medizin voranzutreiben.
Die Weigerung des BMJFG, den Beirat zu einem Gremium aller Interessenorganisationen im Bereich der Arzneimittelpolitik werden zu lassen, bedeutete für
die Alternativmediziner, dass sie über eine einfache Anhörung im Beirat wie
Ende 1971 dort keinen Einfluss ausüben konnten. Das BGA und das Ministerium
schienen vor allem aus Sicht einer anthroposophisch orientierten Gruppe nicht
mehr empfänglich für die Interessen der „besonderen Therapieformen". Deshalb
verlagerten die anthroposophischen Aktivisten um Gerhard Kienle (1923-1983)
in Witten/Herdecke, Karl Buchleitner in Pforzheim und Dietrich Spitta (* 1926)
in Filderstadt ihr Engagement und bemühten sich um Sympathien für ihre Therapieformen bei Parlamentariern und in den Medien." Um die Bedeutung von
58 BArch, B 189/11561, B A-S 25.05.1971, S. 3. Im Vorfeld hatte es bereits Einsprüche der homöopathischen Verbände gegen die Einladung der Heilpraktiker gegeben. Vor allem zwischen
den traditionell ausgerichteten Homöopathen Hahnemannscher Prägung im DZVhÄ und den
anderen Gruppen bestanden große Differenzen, die den Gesetzgebungsprozess in Hinblick
auf die alternativmedizinischen Therapien stark prägte. Erstere gingen unter dem Vorsitzenden Georg Wünstel (1921-1992) ihren eigenen Weg. Wünstel erreichte dabei die Einführung
von Sonderregelungen für Arzneimittel im 1974 erschienenen zweiten Referentenentwurf, die
nach den „anerkannten Regeln der Homöopathie" hergestellt wurden. Mit dieser Bevorzugung
vertiefte er aber gleichzeitig einen Bruch mit den anderen Therapieformen, die sich nun umso
enger in neu gegründeten Verbänden wie dem „Aktionskomitee für Therapiefreiheit" und der
„ärztlichen Aktionsgemeinschaft für Therapiefreiheit" zusammenschlossen.
59 Als Neurologe am Gemeinschaftskrankenhaus Witten/Herdecke tätig, betrieb Kienle eine geschickt koordinierte intensive Lobbyarbeit bei Parlamentariern. Auf die Bedeutung des Modellcharakters des Gemeinschaftskrankenhauses hat Kienles Biograph Selg (2003), S. 475,
verwiesen. Kienle avancierte in den Folgejahren zu einem Vordenker der anthroposophischen
8o
Nils Kessel
Homöopathie und Anthroposophie für die bundesdeutsche Gesellschaft zu verdeutlichen, waren Kienle und Spitta gezwungen, die Diskussion um ein neues
Arzneimittelrecht von einer wissenschaftlichen Ebene, auf der unter Experten
über epistemologische und methodologische Fragen gestritten wurde, auf eine
soziale Ebene zu verlagern. Ihnen gelang es, die Arzneimittelregulierung als
Konfliktort des Bürger-Staat-Verhältnisses zu inszenieren: Glaubte man den Alternativmedizinern, betraf die vom Beirat inspirierte Arzneimittelgesetzgebung
jeden einzelnen Bürger in seinen Freiheitsrechten. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Wahl der Therapieform wie auch die Berufsfreiheit des Arztes und sogar die Freiheit der Wissenschaft hätten demnach auf dem
Spiel gestanden. Das Gleichheitsgebot wäre in Form der unterschiedslosen Behandlung der verschiedenen Therapieformen ebenfalls gefährdet gewesen.' Mit
rhetorischer Eleganz griff Kienle das Motiv vom Kampf Davids gegen Goliath
auf, in dem er den politisch scheinbar schwächeren, friedlichen Alternativmedizinern eine aggressiv auftretende Allianz aus missionarisclVeifernden Naturwissenschaftlern, technokratischen Bürokraten in-den Ministerien und in Brüssel
und der chemischen Großindustrie gegenüberstellte 6 1 Auch klassische Dichotomien wie „Mensch-Technik" und „Natur-Kultur", auf die im Laufe der Debatte zurückgegriffen wurde, waren als solche nicht neu. Sie führten auch nicht
zu einer Mobilisierung größerer Bevölkerungsschichten. Allerdings halfen sie,
Anhängerinnen und Anhänger alternativmedizinischer, vor allem anthroposophischer Gruppierungen, zu Protestaktionen zu motivieren und – bedingt durch
den geschickten Einsatz von Leserkommentaren und Briefen an die Parlamentarier – den Eindruck zu erwecken, dass es sich hierbei um eine größere Bewegung
handelte. Die Argumentation, die von Kienle und Spitta verfochten wurde, verdient besondere Beachtung. Sie erhält im Kontext eines „Wertewandels" Ende
der 1960er Jahre eine besondere Bedeutung: Wenn man annimmt, dass
eine allgemeine Verschiebung im Gefüge gesamtgesellschaftlich gültiger Normen von Pflichtund Akzeptanzwerten (Akzeptanz im Sinne der unhinterfragten Hinnahme des Vorfindlichen)
Medizin. Karl Buchleitner organisierte die „Aktion Volksgesundheit" [sic] und stand ebenfalls
an der Spitze der "Ärztlichen Aktionsgemeinschaft für Therapiefreiheit". Der Jurist Dietrich
Spitta war während der 1960er Jahre als Lobbyist für die anthroposophische Weleda AG tätig.
Er unterhielt enge Kontakte ins Bundesgesundheitsministerium.
60 Dies wird besonders deutlich in einer von dem Filderstadter Anwalt Dietrich Spitta mitverfassten Broschüre hervorgehoben, die die „Ärztliche Aktionsgemeinschaft für Therapiefreiheit"
Buchleitners herausgab. Die Broschüre enthielt unter anderem eine Unterschriftenliste von
prominenten Persönlichkeiten der Bundesrepublik. Zu den mehr als 100 Unterzeichnern gehörten Wissenschaftler, Politiker, Künstler und Industrielle wie Heinz Rühmann, Richard v.
Weizsäcker, Joseph Beuys, Annemarie und Heinrich Böll, Peter von Siemens, Ernst Klett, Carl
Orff und Erich Lexer. Vgl. auch die Aufzählung der bedrohten Freiheiten bei Stapel (1987),
S. 436. Vgl. auch Selg (2003), S. 492.
61 Selg (2003), S. 426.
Umstrittene Expertise
81
wie Arbeits- und Leistungsbereitschaft, Disziplin, Pünktlichkeit und Sparsamkeit, Gehorsam,
Unterordnung und Autorität, sowie von bürgerlichen Moralvorstellungen hin zu Selbstentfaltungswerten wie Selbstständigkeit und Mitbestimmung, Kritik, freiem Willen und individueller Autonomie, zu Selbstbestimmung statt festlegender äußererVerbindlichkeiten62
stattgefunden hat, dann wird deutlich, welche Relevanz vergleichsweise spezielle Fragen der Arzneimittelregulierung bekamen, sobald sie auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene diskutiert wurden. Tatsächlich ist davon auszugehen,
dass die Argumentation Kienles, Spittas und anderer nicht zuletzt deshalb auf
fruchtbaren Boden fiel, weil sie gut an zeitgenössische Diskurse um Chancen
und Risiken der Moderne, um Demokratisierung und Individualisierung anknüpfen konnten: Die beginnenden 1970er Jahre waren stärker als noch im Jahrzehnt
zuvor von einer in der Bevölkerung vorhandenen Technologieskepsis geprägt,
wie sie sich in der Abwendung von Großprojekten, einer zunehmenden Aufmerksamkeit gegenüber den Risiken der Kernkraft und in einem verstärkten Bewusstsein für Umweltschäden manifestierte.63
Einer solch allgemein um „Therapiefreiheit" kreisenden Debatte hatten die
„Gegner" Kienles im Beirat „Arzneimittelsicherheit" nur wenig entgegenzusetzen.' Das Gremium verlor mit einer breiten Debatte sukzessive an Autorität.
Denn nur in den eng begrenzten wissenschaftlichen Kontroversen der Fachleute
verfügten die Beiratsmitglieder über das Gewicht der von ihnen repräsentierten
Wissenschaft. Ging es hingegen um Freiheit im Sinne von bürgerlicher Autonomie gegenüber staatlichen Eingriffen, dann argumentierten die Mitglieder nicht
mehr als Experten, sondern als Diskutanten unter vielen anderen.
Hinzu kam eine andere Entwicklung: Nachdem der Beirat Stufenplan und
Richtlinien ausgearbeitet hatte, wandte sich das BMJFG 1971 der Formulierung
einer Novelle des Arzneimittelgesetzes zu. Hierfür waren in erster Linie nun die
juristisch ausgebildeten Referenten des BMJFG nötig, die einen Entwurf ausar
beiteten. In der Zwischenzeit sollte sich der Beirat einer neuen, anspruchsvollen
Aufgabe widmen, die ihn zugleich wieder stärker in Richtung der Grundlagenforschung zu Arzneimitteln ausrichtete und ihn von den Gesetzgebungsvorbereitungen teilweise entfernte. Für den Beirat bestand die Aufgabe, Empfehlungen
über die materielle Förderung von Projekten abzugeben, die in Bezug zur Arzneimittelsicherheit standen. Insgesamt hatte das BMJFG mehrere Millionen DM
zur Verfügung gestellt, die nun unter den einzelnen im Rahmen einer Ausschreibung eingereichten Anträgen verteilt werden sollten. Die bewilligten Projekte
hatten vor allem eines gemeinsam: sie alle entstammten der naturwissenschaft-
62 Rödder (2004), S. 29. Vgl. auch Görtemaker (1999), S. 622-623.
63 Zusammenfassend Rödder (2004), S. 8-10.
64 Vgl. Kienle (1971b), S. 255.
82
Nils Kessel
lich begründeten Medizin und waren fast ausschließlich an Universitäten angesiedelt. Auch Symposien wurden von den Forschungsmitteln bezahlt, darunter
eine von dem Heidelberger Pharmakologen Franz Gross (1913-1984) organisierte Arbeitstagung auf dem Gebiet der klinischen Pharmakologie. Allein für
die hierfür stattfindende Vorkonferenz stellte das Ministerium 45.000 DM zur
Verfügung.65 Diese Schwerpunktverschiebung von der Beratung des Ministeriums bei Maßnahmen der Arzneimittelsicherheit hin zur Forschung über Arzneimittelsicherheit brachte einzelnen von dem Förderprogramm selbst begünstigten
Beiratsmitgliedern Vorteile. Kewitz, Kuschinsky, Herken und andere konnten
so nun Forschungen finanzieren, die an ihren Instituten von ihren Mitarbeitern
durchgeführt wurden.
Den Beirat als Gremium aber schwächte diese Verlagerung. Zwar konnte der
Beirat noch während des Jahres 1971 die Entwürfe für eine Novelle des AMG
diskutieren und Änderungen einbringen, allerdings gelang es den Mitgliedern
nicht, ihr Gremium wie gewünscht weiter zu institutionalisiefen und somit seinen
Bestand langfristig zu sichern: In der März-Sitzung 1971 hatten die Beiratsmitglieder das BMJFG darum gebeten, eine hauptamtliche Geschäftsführung ihres
Gremiums zu finanzieren. Diese Geschäftsführung hätte zum einen die Anliegen
des Beirats organisieren, darüber hinaus aber auch die Geschäfte eines weiteren
Gremiums führen sollen, das die Beiratsmitglieder zu schaffen wünschten: Um
das BGA bei Fragen der Registrierung entsprechend der neu erarbeiteten Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln zu beraten, sollte ein Sachverständigenausschuss geschaffen werden, der jeweils „unabhängige" Sachverständige
zur Beratung benannte.66 Dieses komplexe Konstrukt hätte, wenn es wunschgemäß in der Novelle des Arzneimittelgesetzes verankert worden wäre, den Beirat
„Arzneimittelsicherheit" zu der zentralen Instanz in Fragen der Arzneimittelsicherheit in der Bundesrepublik werden lassen. Über die gemeinsame Geschäftsführung, die vom Beirat abhängig gewesen wäre, hätte der Beirat nicht nur die
Registrierung von neuen Arzneispezialitäten steuern können, sondern auch in allen staatsnahen Etappen der Arzneimittelregulierung intervenieren können: Über
die fortwährende Überarbeitung der Richtlinien wäre der Beirat quasi allein für
die Formulierung der Prüfungsstandards zuständig und somit für die Registrierung entscheidend gewesen. Durch die Betreuung des Stufenplanes und die Beratung des BGA bei Fällen von schweren Arzneimittelnebenwirkungen war der
Beirat in die Nachmarktkontrolle (post-market-surveillance) eingebunden und
65 Weitere Arbeitstagungen ab 1972 hätten mit je 180.000 DM zu Buche geschlagen, wobei unklar bleibt, ob die Finanzierung letztlich bewilligt wurde oder nicht. BArch, B 189/11561,
BA-S 25.05.1971, S. 5.
66 BArch, B 189/11561, BA-S 25.03.1971, S. 12, Entschließung des Beirates.
Umstrittene Expertise
83
hätte somit Einfluss in einem Bereich gewonnen, der bisher im Wesentlichen
von der AkdÄ und dem BGA reguliert worden war. 67 Das BMJFG-Forschungsprogramm „Arzneimittelsicherheit", dessen Mittel die Beiratsmitglieder durch
ihre Entscheidungen über die einzelnen Anträge inhaltlich steuerten, ermöglichte zudem die Beeinflussung der Forschung zu diesem Thema. Nachdem eine
Arbeitsgruppe, die aus den Beiratsmitgliedern Aschenbrenner, Kewitz, Neuhaus
und Schneider bestand, dann allerdings konkrete Vorschläge zur Konstituierung
der Geschäftsführung und des Sachverständigenausschusses vorbrachte und diese im Beirat diskutiert wurden, veränderte Staatssekretär von Manger-Koenig
den Entwurf, indem er für ein festes Beratungsgremium eintrat, das zum einen
das BGA bei der Registrierung beraten sollte und zum anderen die Geschäftsführungen beider Gremien nicht verschmolz. Tatsächlich erhielt auch der Beirat
keine hauptamtliche Geschäftsführung mehr.
Ein Gremium verliert Einfluss
Während also eine kleine Teilöffentlichkeit aus Vertretern der „besonderen
Therapierichtungen" lautstark durch medienwirksame Aktionen versuchte Aufmerksamkeit zu erhalten und so die staatliche Arzneimittelregulierung in der
BRD im eigenen Sinne zu beeinflussen, begann der Beirat sich zeitgleich von
der primär arzneipolitischen Seite, d.h. der Politikberatung und dem Erstellen
von Handlungsanweisungen wie der Richtlinie oder dem Stufenplan teilweise
ab- und der wissenschaftspolitischen Forschungsförderung zuzuwenden. Daran
änderte sich auch im Jahr 1972 nichts: Der Beirat blieb während des Jahres 1972
auf die AMG-Novelle konzentriert und beschäftigte sich sonst im Wesentlichen
mit dem Forschungsförderungsprogramm. Allerdings versuchte das BMJFG im
April 1972 die Novelle zu beschleunigen, als nach dem wider Erwarten gescheiterten Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt Ende des Monats
Neuwahlen wahrscheinlich wurden. Tatsächlich wurde der Novellentext noch
vor den Wahlen im November 1972 abschließend bearbeitet.
Mit der Konstituierung der zweiten Regierung Brandt kam es dann zu einem
Wechsel im Gesundheitsministerium: Käte Strobel übergab das Amt an Katharina Focke, die nur wenige Monate später, im Mai 1973, Hans-Georg Wolters
anstelle von Ludwig von Manger-Koenig als Staatssekretär berief. Dieser Wechsel scheint den Beirat weiter geschwächt zu haben. Infolge der Umstrukturierung wurde im BMJFG auch über die 1969 umschriebenen Aufgaben des Beirats
67 Herken war selbst Mitglied der AkdÄ, hatte nach eigener Aussage aber ein zwiespältiges Verhältnis zu dem Gremium.
84
Nils Kessel
„Arzneimittelsicherheit" nachgedacht, die mit der Formulierung von Stufenplan und Richtlinie als erfüllt gelten konnten. Hatte der Beirat unter Staatssekretär von Manger-Koenig weit über die ursprünglichen Fragestellungen hinaus Einfluss auf die Arzneimittelpolitik des BMJFG gehabt, so verlor er nun
unter Wolters genau in dem Moment an Einfluss, als eine Komplettreform des
Arzneimittelgesetzes angedacht wurde: Fortan sollte die „wertvolle Mitarbeit"
sich auf die Fortentwicklung der Prüfrichtlinie, die fachliche Begutachtung von
Forschungsvorhaben zur Arzneimittelsicherheit und die Anhörung bei besonders
schwerwiegenden Arzneimittelschäden erstrecken. Mit dem Ausscheiden von
Koller, Ritter und Schenck verlor der Beirat darüber hinaus Mitglieder, von denen nur Schenck durch den Ordinarius für Pharmazie der FU Berlin, Karl-Heinz
Frömming (geb. 1925), ersetzt wurde." Während die Vertreter der „besonderen
Therapieformen" sich auf eine intensive Lobbyarbeit eingestellt hatten und es
ihnen gelang, Parlamentarier für ihre Zwecke zu gewinnen, entglitt dem Beirat
zunehmend die Initiative.
Dies wurde besonders deutlich, als das BMJFG im April 1974 ein weiteres
Förderungsprogramm in Gang setzte. Nachdem die Forschungsförderung zur
Arzneimittelsicherheit bis dato entsprechend den Beiratsempfehlungen ausschließlich Projekte der naturwissenschaftlich fundierten Medizin unterstützt
hatte, stellte das Ministerium nun für Forschungen auf den Gebieten der Phytotherapie und Homöopathie für das Jahr 1974 noch 300.000 DM, für die beiden Folgejahre jeweils 600.000 DM zur Verfügung, die entsprechend eines von
Bernhard Schnieders (BGA) erstellten Programmkatalogs die pharmakologischtoxikologischen, chemisch-analytischen und klinischen Prüfungen der Präparategruppen finanzieren sollten. Ziel dieses eineinhalb Millionen teuren Programms
sollte – soweit eben möglich – die Erbringung des Wirksamkeitsnachweises unter Anwendung neu zu entwickelnder Methoden sein. Darüber hinaus beschrieb
das Programm alle Probleme des statistischen Nachweises von Wirkungen und
Wirksamkeit bei den Präparaten der „besonderen Therapieformen" als potenzielle Forschungsgegenstände, so zum Beispiel die Grenzwertbestimmung beim
so genannten Simile-Fall in der Homöopathie. 69 Die Beiratsmitglieder reagierten
reserviert: Während der Diskussion des Programms in der Beiratssitzung vom
10. Juni 1974 bezweifelten die Kritiker der „besonderen Therapieformen" entweder grundsätzlich den Sinn eines solchen Vorhabens (Kuschinsky) oder befürworteten das Programm, weil Schnieders Entwurf bereits alles angebe, „was
68 Zwar sollte der Beirat fortan zwei bis drei Mal pro Jahr zusammentreten und seine Mitglieder
immer für eine ganze Legislaturperiode berufen werden, allerdings erhielt das Gremium fortan
weniger Einfluss als noch zu Zeiten v. Manger-Koenigs.
69 Hierbei sollte versucht werden festzulegen, ab welcher Dosierung eine Simile-Wirkung – also
eine dem homöopathischen Ähnlichkeitsprinzip folgende Wirkung – festzustellen sei.
Umstrittene Expertise
85
später nicht funktionieren werde", so Reinhard Aschenbrenner. Differenzierter
als die versammelten Pharmakologen argumentierte der Mediziner Bock, der
auf das ehemalige Beiratsmitglied Ritter und die bestehenden Differenzen im
Lager der Homöopathen verwies. Letztlich befürwortete der Beirat, wenn auch
nicht unbedingt in Erwartung positiver Ergebnisse, das Programm. In jenem Jahr
1974 veränderten sich auch die Gesetzesplanungen zu Gunsten der „besonderen
Therapierichtungen". Während sowohl die Novelle des AMG von 1972 als auch
der erste Referentenentwurf zu einem komplett neuen AMG noch die vom Beirat
geforderten Prüfungsanforderungen übernommen hatten, kam im zweiten Referentenentwurf im Mai 1974 eine Ausnahmeklausel für homöopathische Einzelzubereitungen hinzu, die nur registriert, aber nicht zugelassen werden sollten.m
Herken und seine Mitstreiter im Beirat nahmen dies kritisch zur Kenntnis, allerdings erreichten sie keine Änderungen. Hierfür bieten sich zwei Erklärungen
an: Erstens hatten die Beiratsmitglieder durch den Weggang Ludwig von Manger-Koenigs denjenigen verloren, der das Gremium gegründet und mit vielen
seiner Mitglieder bereits seit langem in Kontakt gestanden hatte. Mit Wolters
sank also der Einfluss des Beirats auf die Arzneimittelgesetzgebung, eine Entwicklung, die noch verstärkt wurde durch den Wechsel der Aufgaben 1971.
Zweitens, und dies scheint mir ebenso wichtig, öffnete sich im Gesetzgebungsprozess der Rahmen der beteiligten Akteure. Die Beiratsmitglieder wurden
Sachverständige unter vielen, wobei sie ihren Ausgangsvorteil – privilegierten
Zugang zur Ministerialbürokratie, hohes Prestige – nicht zu nutzen wussten und
teilweise durch ungeschickte Argumentation das Bild eines arroganten Expertengremiums förderten. Wenn Hans Herken seinen Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität in Abgrenzung zu einer Laiengläubigkeit formulierte, die er
den Medien und der Bevölkerung vorwarf, und sich darüber beklagte, dass „Ein
Nachteil dieser Berichterstattung [...] allerdings darin [bestünde], dass sich allzu viele berufen fühlten, hier mitzureden", dann nahm er nicht wahr, dass die
Arzneimittelregulierung kein exklusiver Schauplatz für akademische Debatten
geblieben war, sondern dass die naturwissenschaftlichen Experten sich einer
– durch ihr Erfahrungswissen sich selbst legitimierenden – Teilöffentlichkeit
70 Nach zwei vorhergehenden Referentenentwürfen von 1973 und 1974 ging der endgültige
3. Gesetzesentwurf vom 7.1.75 an die Ausschüsse. Vgl. Stapel (1987), 337-338, und Willi
(2003), S. 66 und S. 75. Die Einführung der Sonderregelung für Homöopathika im 2. Entwurf
sahen die Beiratsmitglieder extrem kritisch. Exemplarisch hier Neuhaus (1973). Die Formulierung „anerkannte Regeln der Homöopathie" im zweiten Referentenentwurf zu einem AMG
von 1974 suggerierte einen Methodenkanon, den es de facto nicht gab. Vor allem Anthroposophen und der Bundesverband der Heilmittelindustrie (BVHI) wandten sich gegen diese
Formulierung, letztere weil die darin versammelten Firmen mit der Hahnemannschen Lehre
unvereinbare homöopathische Komplexmittel herstellten. Die Differenzen unter den alternativmedizinischen Therapieformen behandelt Eschenbruch (2007), S. 61-64.
86
Nils Kessel
in Form von pressure groups der Alternativmedizin stellen mussten, die willens war, an der Arzneimittelregulierung zu partizipieren." Zwar nahmen auch
Herken und andere Wissenschaftler an den Anhörungen im Parlament, die im
Fernsehen übertragen wurden, teil. Sie verweigerten sich auch nicht generell der
Diskussion. Allerdings machten sie ihre Standpunkte schwerpunktmäßig in den
wissenschaftlichen Fachzeitschriften wie dem „Deutschen Ärzteblatt", dem „Internist" und Apothekerzeitschriften publik und verzichteten vor allem auf eine
offensiv geführte Auseinandersetzung mit Kienle und den anderen Vertretern
der „besonderen Therapierichtungen". Durch ihre Weigerung, die Diskussion
um Wirksamkeit – jenseits ihrer Expertise – als gesellschaftlich relevante Frage
der „Therapiefreiheit" zu begreifen, gelang es einem geschickten Rhetoriker wie
Kienle schnell einen Gegensatz zwischen naturwissenschaftlicher Expertise und
den angeblichen Behandlungsgewohnheiten und -wünschen der Bevölkerung zu
konstruieren. Mit Sätzen wie Herkens sarkastischem Kommentar „Die Pharmakotherapie ist schließlich keine Psychotherapie" ließen sieh keine Sympathien
sammeln, die doch immer notwendiger wurden, je mehr die Debatte unter Beteiligung einer breiteren Öffentlichkeit ausgetragen und im Parlament von Politikern diskutiert wurde, die sich dem Anliegen der „Therapiefreiheit" gegenüber
offen zeigten.72
Nicht zuletzt die von einem paternalistischen Verständnis gegenüber den
„Laien" getragene Kritik an einem gestiegenen Arzneimittelverbrauch trug dazu
bei, Vorbehalte zu erzeugen. Aus Sicht eines Experten konnte der Arzneimittelkonsum nur mängelbehaftet und unvernünftig sein, letztlich konnte man aber
mit dieser Haltung keine gesellschaftliche Unterstützung gewinnen." Wie sehr
die Position der Beiratsmitglieder an Boden verlor, wird deutlich, wenn man
die letzte Phase des Gesetzgebungsprozesses zum AMG 1976 betrachtet. Die
Gesundheitspolitiker im Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit, unter anderem die Sozialdemokraten Rudolf Hauck (1924-2003) und Udo Fiebig
(*1935), die Christdemokraten Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
(1927-2008) und Hugo Hammans (*1927) sowie der Liberale Kurt Spitzmüller (*1921), standen einmütig auf der Seite des Kompromisses, der die Sonderstellung der „besonderen Therapierichtungen" zementierte. Vor allem Fiebig
schloss sich der Überzeugung an, dass hier tatsächlich der Staat zu stark in die
Autonomie der Bürger eingriff. 74 Die von allen Fraktionen getragene Verab71 Herken (1970), S. 955.
72 Ebd.
73 Wie Herken den Arzneimittelkonsum der Westdeutchen einschätzte, wird besonders deutlich
in: ebd., S. 955.
74 Zwei Anhörungen von Vertretern der Verbände, darunter auch der Beiratsmitglieder, im April
und Mai 1975 hatten den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses noch einmal die unter-
Umstrittene Expertise
87
schiedung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts 1976 (AMG
1976) im Deutschen Bundestag machte deutlich, wie zentral für die Abgeordneten der Aspekt der Therapiefreiheit war. 75 Der Jurist Horst Hasskarl, selbst
ein Anhänger des Wirksamkeitsnachweises, stellte in Bezug auf den Erfolg für
die alternativen Therapieformen eine „überraschend[e] Wendung" in der letzten
Gesetzgebungsphase fest: 76 Im §25 Abs. 2, S. 2, stand nun die Formulierung,
dass die Zulassung nur versagt werden könne, wenn „das Arzneimittel nicht nach
dem jeweiligen [Hervorhebung N.K.] Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis
ausreichend geprüft worden ist"" und die Zulassung nicht versagt werden könne, „weil therapeutische Ergebnisse nur in einer beschränkten Zahl von Fällen
erzielt worden sind." 78 Im selben Paragraphen war zudem festgelegt worden,
dass jede „Therapierichtung" künftig Zulassungskommissionen für ihre eigenen
Präparate haben würde.
Die meisten Beiratsmitglieder empfanden die neue Gesetzesregelung als unzureichend, beteiligten sich jedoch in den folgenden Jahren an deren Umsetzung, indem sie in neu hinzugekommenen Gremien, wie den für die einzelnen
Arzneimittelgruppen definierten Zulassungskommissionen mitarbeiteten Der
Beirat „Arzneimittelsicherheit" aber, den das Ministerium 1973 noch unbedingt
erhalten wollte, hatte man während der letzten parlamentarischen Beratungen
zum AMG 1976 zum letzten Mal einberufen. Da bereits fünf Mitglieder neue
Plätze in Zulassungskommissionen eingenommen hatten und der Staatssekretär
im BMJFG Hans-Georg Wolters auch keine bedeutenden neuen Aufgaben mehr
für den Beirat sah, wurde dieser 1978, dem Jahr als das neue AMG in Kraft trat,
aufgelöst.79
schiedlichen Positionen verdeutlicht. Vgl. die Protokolle hierzu in Parlamentsarchiv Berlin,
VII/485, A5 und A6.
75 Dietrich Spitta betonte im Gespräch mit dem Verfasser vom 17.01.2008, dass die Bundestagsabgeordneten „waschkörbeweise" Briefe von Bürgern erhielten, die die Berücksichtigung der
alternativmedizinischen Interessen im Gesetz forderten. Sowohl das Bundesgesundheitsministerium wie auch die Abgeordneten erhielten eine Vielzahl dieser Schreiben, vgl. Eschenbruch
(2006). Allerdings sind die im Parlamentsarchiv gelagerten Schreiben an die Abgeordneten
noch nicht einsehbar.
76 Hasskarl (1979), S. 20.
77 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976.
78 Ebd., §25, Abs. 2; vgl. auch die Einschätzung bei Hasskarl (1979), S. 19-20.
79 Dies geht aus einem von der Ministerin und dem Staatssekretär Wolters bestätigten Vermerk
des Referenten Kornfeld vom 31.01.1978 hervor. BArch, B 353/1503, Vermerk Kornfelds über
den Beirat „Arzneimittelsicherheit" vom 31.01.1978, S. 1.
88
Nils Kessel
Fazit
Am Beispiel des Beirats „Arzneimittelsicherheit" konnten verschiedene Entwicklungen der Zeitgeschichte der Medizin 80 während der Jahre 1968-1976 in
einer mikrohistorischen Perspektive untersucht werden. Die wesentlichen Ergebnisse sollen hier noch einmal zusammengefasst werden:
Mit dem Beirat „Arzneimittelsicherheit" stand ein Gremium im Zentrum des
Beitrages, das der Schauplatz aller wichtigen Debatten um Arzneimittel Ende der
1960er und zu Beginn der 1970er Jahre wurde. Die breite Themenstellung, deren
genauen Inhalt erst die Mitglieder des Beirats selbst definierten, seine Besetzung
mit ausgewiesenen Fachleuten und die enge Anbindung an das BMJFG gaben
dem Beirat großen Einfluss auf die Gestaltung der bundesdeutschen Arzneipolitik der siebziger Jahre. Es gelang dem Beirat zu Beginn seiner Tätigkeit, mit dem
Stufenplan ein Interventionsinstrument bei Verdacht auf Arzneimittelschäden zu
entwickeln, das die Untersuchung solcher Verdachtsfälle inexpertenrahmen beließ. Zur Formulierung der Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln wäre
es den Beiratsmitgliedern in Anlehnung an die EWG fast gelungen, die Arzneipolitik in der BRD vollständig auf die von ihnen geforderten Parameter „Unbedenklichkeit" und „Wirksamkeit" auszurichten. Dennoch konnten die im Beirat
versammelten Experten ihren Spielraum nur zu Anfang nutzen und verloren im
Laufe der Vorbereitungen eines neuen Arzneimittelgesetzes an Einfluss. Demgegenüber gelang es Vertretern der sogenannten „besonderen Therapierichtungen"
für ihre Präparate Ausnahmen von einer streng naturwissenschaftlichen Prüfung
auf „Unbedenklichkeit" und „Wirksamkeit" zu erreichen.
Der Versuch, die gesellschaftlich relevante Frage der Arzneimittelsicherheit
hinter verschlossenen Türen zu behandeln, scheiterte. In einer Zeit erhöhter bürgerschaftlicher Partizipation wirkte dieser Versuch wie eine Provokation. Der
Widerstand dagegen wurde in Form von (Leser-)Briefen, Bürgerinitiativen und
Unterschriftenaktionen artikuliert. 81 Arzneimittelregulierung wurde auf einer
grundsätzlicheren Ebene des Bürger-Staat-Verhältnisses diskutiert, wie es zeitspezifisch für die Wandlungsprozesse 82 der späten sechziger und frühen siebziger Jahre war. 83 Für die Geschichte der Arzneimittelregulierung ist abschließend
80 Vgl. hierzu Schlich (2007).
81 Vgl. zu den Partizipationsformen der frühen 1970er Jahre Görtemaker (1999), S. 628; gegen
das AMG 1976 sammelte die „Aktion Volksgesundheit" von Karl Buchleitner laut Schmidsberger (1976) mehr als 500.000 Unterschriften.
82 Herbert (2002).
83 In Abgrenzung zu Daemmrich (2004) lässt sich feststellen: Auch in der BRD erlebte die Arzneimittelregulierung eine „Politisierung", allerdings verliefen die Konfliktlinien in der BRD
zwischen anderen Gruppen und anderen Themenbereichen. In den USA ging es, vor allem in
den achtziger Jahren in Zusammenhang mit HIV/AIDS um die Frage des Zugangs zu Medika-
Umstrittene Expertise
89
festzuhalten, dass eine spezifische „Tendenzwende" der 1970er Jahre stärker als
bisher berücksichtigt werden muss. Trotz des Fortbestehens der Aushandlungskultur zwischen Verbänden und staatlichen Stellen versagte diese klassische
Form der Aushandlung von Gruppeninteressen."
Die öffentlich durch Artikel und Leserbriefe geführte Diskussion verlagerte
sich mit den Arbeiten am neuen Arzneimittelgesetz von der Arzneimittelsicherheit zum „medizinisch-therapeutischen Pluralismus". Von dieser Überlagerung
der Diskurse wurden die Vertreter naturwissenschaftlicher Expertise überrascht.
Sie reagierten nicht auf die gewachsene Bedeutung der Begriffe „Freiheit" und
„Pluralismus" im Diskurs der Alternativmediziner. 85 Die Alternativmediziner
konnten deshalb für sich beanspruchen, die Freiheit eines jeden Einzelnen zu
verteidigen. Dabei gelang es ihnen, das Bild eines ideologisch motivierten Feldzuges einer Koalition aus technokratischen Naturwissenschaftlern (Pharmakologen wie Herken und Kewitz), paternalistischen Ärzten (Kliniker wie Neuhaus)
und Gesundheitsbürokraten im Verbund mit der Pharmaindustrie zu zeichnen,
womit sie bereits existierende Vorurteile aufgriffen und bedienten. Die neuen
Partizipationsformen und die Kritik der traditionellen Autoritäten während der
Arzneimittelregulierung 1968-1976 kündeten letztlich die Erschütterungen an,
die in den späten 1970er und während der gesamten 1980er Jahre die Medizin in
Westdeutschland zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst zwingen sollten.
Auf sie wartete das Jahrzehnt der „Bittere[n] Pillen" und der „Nazi-Ärzte".86
menten, die sich im Zulassungsprozess befanden. Problematisiert wurden hier die Dauer des
Prüfverfahrens und die Rigidität der Prüfung. Dabei standen die Durchführung und die Einzelheiten der Methode im Vordergrund. Dahingegen wurde in Deutschland schnell die Methode
selbst in Frage gestellt.
84 Ebenso Murswieck (1983). Daher bilden, anders als Arthur Daemmrich vorgeschlagen hat, die
Jahre vom Conterganfall 1962 bis zum AMG 1976 meines Erachtens keine vierzehnjährige
Phase der Konsensbildung zwischen Gruppeninteressen. Vielmehr kann Menocil als erneuter
Anlass gesehen werden — gestützt auf den Machbarkeitsglauben der Zeit — das Problem der
Arzneimittelsicherheit endgültig auf wissenschaftlicher Grundlage zu lösen.
85 In weiteren Arbeiten zur Zeitgeschichte der Medizin müsste noch herausgearbeitet werden, ob
die Entstehung des „Wissenschaftspluralismus" eine auf die Medizin beschränkte Entwicklung
darstellt, die von der auf ärztlicher Erfahrung basierenden Tradition der medizinischen Fächer
begünstigt wurde, oder ob auch andere naturwissenschaftliche Fächer von einer Infragestellung ihrer Methodik derart betroffen waren.
86 So die Buchtitel Langbein (1983) und Lifton (1986).
90
Nils Kessel
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Archiv der Deutschen Gesellschaft für experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie Mainz (DGPT)
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Ordner 39 A-E (Arbeitsgemeinschaft ordentlicher Professoren - 1980)
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A nschrift des V erfassers:
Nils Kessel, M.A
Institut de Recherches Interdisciplinaires sur les Sciences et la
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Laboratoire d'Epistemologie des Sciences de la V ie et de la Sante
(LESVS)
DHV S, Facultd de Modeeine
Universitd Louis Pasteur
4 rue Kirschleger
F-67085 Strasbourg Cedex
Frankreich
E-Mail: nils.kesselenzedecine.u-strasbg fr