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Meinung & Debatte
Das Festhalten an der Viersprachigkeit wird im Namen der Diversity als paternalistisch kritisiert.
A. BALZARINI / KEYSTONE
«Globisch» und die
Diversität des Denkens
In der Schweiz ist der Vormarsch des «Globisch» auf Kosten der
Mehrsprachigkeit offenkundig. Wo sind die Politiker, die sich
für die gelebte Mehrsprachigkeit unter den vier Landessprachen
einsetzen? Gastkommentar von Marco Baschera
Das Rennen um den Bau von alpinen Solaranlagen
ist eröffnet. Bereits ist von einer Bonanza die Rede,
die keiner verpassen will (so etwa auch in der NZZ
vom 23. November 2022). Diese Goldgräberstimmung wird durch das dringlich erklärte Bundesgesetz vom 1. Oktober 2022 angeheizt. Tatsächlich
locken Einmalvergütungen in der Höhe von bis zu
60 Prozent der Investitionskosten. Voraussetzung
dafür ist, dass die neuen Anlagen bis Ende 2025 zumindest teilweise in Betrieb sind.
Allerdings führt der neue Anbauwettlauf zu
milliardenschweren Belastungen für die gebundenen Stromkonsumenten. Hintergrund ist, dass sich
deren Gebühren nach den Gestehungskosten richten: Zusätzliche Aufwände auf der Produktionsseite werden an sie weitergereicht.
Solaranlagen auf Grossparkplätzen
Belastungen sind aber auch für die Landschaft zu
erwarten, da für sehr grosse Anlagen zwei grundsätzliche raumplanungsrechtliche Mechanismen
ausgeschaltet werden. Der erste Mechanismus ist
dabei die Pflicht zur Planung.
Bisher sind Anlagen, die sich mit einer gewissen Intensität auf den Raum auswirken, in die kantonalen Richtpläne aufzunehmen. Ziel dieser Planungspflicht ist es,dassAnlagestandorte nicht zufällig festgelegt werden. Stattdessen soll der Entscheid
am Ende eines strukturierten,koordinierten und begründeten Auswahlprozesses stehen – der mit anderen raumwirksamen Vorhaben koordiniert wird.
Der zweite Mechanismus besteht in der Vorgabe der sogenannten Standortgebundenheit. Sie
ist schon im Planungsprozess zu berücksichtigen
und erhält bei der nachfolgenden Baubewilligung
ihre volle Bedeutung: Die Anlage muss in besonderer Weise auf einen bestimmten Standort ausserhalb des Baugebiets angewiesen sein (oder aber –
gleichsam negativ – ein Standort im Baugebiet ist
für die fragliche Anlage ungeeignet).
Von der vier- zur vielsprachigen Schweiz ist es nur
ein kleiner Schritt. Ein Konsonant ändert, und
schon öffnet sich der auf vier Sprachen eingeschworene Bundesstaat aufs Schönste auf über hundert
andere Sprachen, die in ihm gesprochen werden. So
wollen es neuerdings namhafte Deutschschweizer
Kulturinstitutionen, die sich für die vielsprachige
Schweiz einsetzen. Diese Neuausrichtung steht im
Zeichen der «Diversity». So sagt Dragia Rajciˊ die
Gewinnerin des Schweizer Literaturpreises 2021,
in einem Video auf der Website von Pro Helvetia:
«Die Schweiz hat den Genügsamkeitsbonus, dass
sie schon vier Sprachen pflegen muss.» Angesichts
der Tatsache, dass rund ein Viertel der Schweizer
Bevölkerung eine andere Sprache spreche, müsse
sich die Schweiz auch gegenüber dieser öffnen. In
solchen Appellen scheint eine Kritik an einem als
paternalistisch empfundenen Festhalten an der
Schweizer Viersprachigkeit durch.
Bezogen auf Letztere ist Genügsamkeit ein
starker Begriff. Wer genügsam ist, ist oft auch anspruchslos, was leider auf die Schweizer Sprachenpolitik der letzten zwanzig Jahre zutrifft. Was dachten sich die Politiker und Politikerinnen, als sie 2004
in 14 Deutschschweizer Kantonen Englisch an der
Volksschule als erste Fremdsprache einführten?
Wussten sie nicht, dass mit der Privilegierung der
bei Jugendlichen an sich schon beliebten Sprache
die andern – namentlich Französisch – unter die
Räder kommen?
Wieso sollte ein in der Deutschschweiz lebender
Jugendlicher heutzutage noch Französisch oder Italienisch lernen? Die Erfahrung zeigt, dass auch sieben Jahre Französischunterricht oft nicht genügen,
um die Sprache nachher noch sprechen zu können.
Das globale Englisch («Globisch») scheint einfach
zu praktisch zu sein! Es wird in der Schweiz in zunehmendem Masse zur Lingua franca – und dies
nicht nur in wirtschaftlichen und universitären Kreisen. Auch in der Kultur setzt es sich immer mehr
als gemeinsame Sprache durch. Jedoch verbindet
es, oder trennt es?
Für viele Menschen ist das eine rhetorische
Frage, denn für sie ist Sprache ein Instrument, das
erlaubt, feststehende Inhalte mit anderen auszutauschen. Es soll gewährleisten, dass die Dinge weltweit beim Namen, dem einen englischen Namen,
benannt werden. Dadurch könne die Verschiedenheit der Sprachen umgangen werden.
Aber wie steht es um diese Abkürzung? Was
heisst zum Beispiel «Geist» auf Englisch? «Mind»
oder «spirit»? Und entspricht das geläufige «mind»
wirklich dem deutschen «Geist»? Meint das französische «esprit» nicht auch den witzigen Geistesblitz? Und wie steht es um den italienischen «spirito», das griechische «pneuma», das hebräische
«ruah» usw. ? Solche Unterschiede werden durch
den pragmatischen Ansatz der einen Universalsprache überdeckt, was zu einer geistlosen Eindimensionalität führen kann.
Es ist erstaunlich, wie sehr die Fragen rund um
die Biodiversität die Gemüter erhitzen, jene die
Diversität der Sprachen und des Denkens betreffenden jedoch kaum beachtet werden. Das «Globisch» gerinnt weltweit zu der Fremdsprache. Sie
soll den Zugang zum Fremden und zum andern
Bei den alpinen
Solaranlagen geht die
Planung flöten
Unsere Landschaften verdienen nicht nur Schutz, sie verlangen
auch bewusstes Gestalten. Das geht nur mit sorgfältiger
Raumplanung – und indem die Energiewende bestehende
Infrastruktur nutzt. Gastkommentar von Andreas Abegg,
Oliver Streiff und Renata Trajkova
Es geht also um ein Denken in Alternativen, um
eine räumliche Optimierung von Anlagen und den
damit verbundenen Belastungen. Die neue Regelung unterbindet die räumliche Optimierung bei
Grossanlagen (soweit die Regelung angesichts ihrer
legistischen Defizite überhaupt angewendet werden
wird). Der raschen Realisierung wird absolute Priorität eingeräumt, während andere verfassungsrechtliche Anliegen wie Raumplanung, Landschaftsschutz und Artenschutz ausgeschaltet werden.
Auf der Strecke bleibt damit insbesondere eine
Überlegung, die raumplanerisch entscheidend ist.
Nämlich, dass Landschafts- und Umweltbelastun-
gen reduziert werden können, wenn Anlagen an bereits beeinträchtigen Orten konzentriert werden.
Diese Überlegung gilt in besonderem Mass für
Solaranlagen. Sie können durchaus an bereits bestehenden Infrastrukturen platziert werden – etwa
auf Grossparkplätzen, an Staumauern, auf Stauräumen, in Materialabbaustätten oder Deponien.
Die Investitionskosten für solche Mehrfachnutzungen fallen zwar oft höher aus, und der Ertrag mag nicht so gut wie bei einer ungebundenen
Anlage sein. Die Landschafts- und Umweltbelastungen durch die Anlage können jedoch massgeblich verringert werden.
Dienstag, 17. Januar 2023
Das globale Englisch
scheint einfach zu praktisch
zu sein! Es wird in der
Schweiz in zunehmendem
Masse zur Lingua franca.
schlechthin ermöglichen. Der entscheidende
Unterschied zwischen der globalen Kommunikation scheinbar feststehender gleicher Inhalte und
dem dialogischen Interesse an Kultur und Sprache des andern wird eingeebnet, was nicht nur ein
sprachphilosophisches Problem ist, sondern auch
handfeste (staats)politische Konsequenzen hat.
Es ist ein Leichtes, Tendenzen auszumachen, die
in der Schweiz den Vormarsch des «Globisch» auf
Kosten der gelebten Mehrsprachigkeit dokumentieren. Ich denke etwa an die Beschriftung in den
Museen, die nur noch in der ortsüblichen Sprache
plus Englisch angeboten wird. Ebenso an die Tatsache, dass in Zürich Zehntausende von Expats
bestens ohne Deutschkenntnisse auskommen.
Zu erwähnen wäre auch eine neue Studie der
Universität Genf, die den bilingualen Immersionsunterricht vor allem an den Schweizer Gymnasien
untersucht. Die Resultate sind ernüchternd. 87
Prozent der Deutschschweizer Gymnasien bieten
diese beliebten Lehrgänge nur auf Englisch an. Die
Autoren der Studie warnen vor einer «schleichenden Anglisierung des Schweizer Bildungswesens».
Wo sind die Politiker, die nicht nur Anliegen ihrer
Sprachgemeinschaft vertreten, sondern sich für
eine gelebte Mehrsprachigkeit unter den vier Landessprachen einsetzen? Gäbe es sie in genügender
Zahl, würde die Änderung eines einzigen Konsonanten kein Problem darstellen.
Zum Glück gibt es private Organisationen wie
das Forum du bilinguisme und das Forum per l’italiano, die seit Jahren versuchen, Gegensteuer zu geben. Neuerdings tut sich der Kanton Zürich durch
ein Abkommen mit der Waadt hervor, das den Austausch von Lehrern und Schülern auf der Volksschulstufe fördert. Neu hinzugekommen sind inzwischen auch die Kantone Solothurn und Neuenburg.
Es bleibt zu hoffen, dass noch andere Kantone folgen werden.
Marco Baschera ist Literaturwissenschafter und Präsident
der Oertli-Stiftung.
Aus raumplanungsrechtlicher Perspektive können diese Überlegungen unter der «abgeleiteten
Standortgebundenheit» zusammengefasst werden.
Auch wenn die Gerichte dieser Figur bislang nur
zurückhaltend begegnen, sollte sie für die Mehrfachnutzung von Infrastrukturanlagen ausserhalb
und innerhalb des Baugebiets vermutet werden. Mit
der abgeleiteten Standortgebundenheit würde die
Frage nach der Grösse der geplanten Solaranlage
in den Hintergrund rücken; im Vordergrund stünde
dagegen die Nutzung bestehender Infrastrukturen.
Damit könnte dem Ausbau der Solarenergiegewinnung dort Vorschub geleistet werden, wo es
räumlich oft am sinnvollsten ist – ganz ohne neuen
Aktivismus in der Gesetzgebung. Eine raumplanungsrechtliche Analyse von bestehenden Anlagen zeigt, dass ein Planungsprozess in solchen Fällen in der Regel nicht erforderlich ist.
Planen ist internationale Pflicht
Die Landschaft ist das Ergebnis der Wechselwirkung von menschlichen und natürlichen Faktoren.
Daraus ergibt sich die Aufgabe, das menschliche
Einwirken auf die Landschaft bewusst zu gestalten.
Den Weg weist nicht zuletzt das von der Schweiz
bereits 2013 ratifizierte Europäische Landschaftsübereinkommen von Florenz.
Nach diesem Staatsvertrag sind wir dazu verpflichtet, die Landschaft nicht nur zu schützen und zu pflegen – also in ihrer gegenwärtigen Gestalt zu erhalten.
Es gilt auch, sie zu planen – und damit bewusst zu gestalten.Die Mehrfachnutzung von bestehenden Infrastrukturen bietet dabei die Chance, die Zielkonflikte
zwischen der Gewinnung erneuerbarer Energien und
dem Schutz der Landschaft zu minimieren.
Andreas Abegg, Oliver Streiff und Renata Trajkova forschen an der ZHAW School of Management and Law zum
Energie- und Raumplanungsrecht.