Touristische Strategien sind darauf ausgerichtet, Gästen Wohlbefinden zu ermöglichen. Daher laufe... more Touristische Strategien sind darauf ausgerichtet, Gästen Wohlbefinden zu ermöglichen. Daher laufen viele konkrete Praktiken aktiv bereister Menschen auf Ekelvermeidung hinaus. Touristi-sche Räume müssen als «ekelfreie Zonen» eingerichtet werden. Ausgehend von Materialien, die die Lebenszusammenhänge Tiroler Privatvermieterinnen und Privatvermieter betreffen, lässt sich nicht nur das Zusammenspiel von tourismusinduzierten Veränderungsprozessen, lokalen Wissensordnungen und den je gültigen Definitionen von Abscheu und Ekel nachvollziehbar ma-chen. Bezugnahmen auf Ekel sind auch als performative Akte zu verstehen, die sowohl Ord-nungssysteme und Normen als auch ganz spezifische Wirklichkeiten und Wahrnehmungsmodi hervorbringen. Das Abjekte wurde im Folgenden gezielt dazu aufgegriffen, je komplexe, strate-gische Situationen und Orientierungspunkte sichtbar zu machen, entlang derer sich mitunter Sub-jektivierungsprozesse Bereister vollziehen. Zugänge und Vorbemerkungen – Kapriolen hin zum Abjektiven Gegenwärtig nächtigt ungefähr ein Fünftel aller Tirol-Touristinnen und-Tou-risten nicht in gewerblichen Beherbergungsbetrieben, sondern in privaten Unter-künften. Solche konnten sich im Zuge der massentouristischen Erschliessung des Alpenraums nach dem Zweiten Weltkrieg stark etablieren. Das seit 1959 gültige Tiroler Privatvermietungs-Gesetz 1 erlaubt es, bis zu zehn Betten zu vermieten. 2 Bei dieser Art von Beherbergung kommt es zu einem speziellen Nähe-Verhältnis zwischen Vermieterinnen und Vermietern und Gästen, Grenzen müssen ständig neu ausgehandelt werden. Dabei wird auch Bezug auf Wissensordnungen genom-men, 3 die auf unterschiedliche Art und Weise und auf ganz verschiedenen Ebenen mit dem Phänomen des Ekelns korrespondieren. Ein erstes Beispiel soll zeigen, wie unvermutet Ekelerfahrungen dabei ins Spiel kommen können: Die Vermiete-rin Sonja R. bietet seit über dreissig Jahren Urlaub am Bauernhof in einem Tiroler Seitental an. Im Interview gab sie eine Anekdote zum Besten und griff dabei auf das relativ verbreitete Erzählmotiv des sich irrenden Stadtkindes zurück. «Und einmal haben wir Gäste gehabt, die sind mit in den Stall gegangen, also Kinder, so ein grös-seres Kind, und dann hat der Mann gemolken und dann hat es gesagt: ‹Was? Die Milch kommt da heraus?› Es hat immer gemeint, die kommt von den Hörnern, jetzt trinkt sie keine mehr. [lacht] Na, ehrlich wahr!» 4 Das Kind ekelt sich offenbar vor den fleischigen Eutern der Kuh und es beschliesst deshalb, auf das Nahrungsmittel Milch zu verzichten. In ihrer Kürze enthält die Sequenz Elemente, die auf kulturelle Dimensionen von Abscheu und Ekel verweisen bzw. auf deren «kulturelle Modellierung», die Ursache für Werte und Normen, Handlungen und Symbole in jeweiligen Systemen ist. 5 Im «System»
Touristische Strategien sind darauf ausgerichtet, Gästen Wohlbefinden zu ermöglichen. Daher laufe... more Touristische Strategien sind darauf ausgerichtet, Gästen Wohlbefinden zu ermöglichen. Daher laufen viele konkrete Praktiken aktiv bereister Menschen auf Ekelvermeidung hinaus. Touristi-sche Räume müssen als «ekelfreie Zonen» eingerichtet werden. Ausgehend von Materialien, die die Lebenszusammenhänge Tiroler Privatvermieterinnen und Privatvermieter betreffen, lässt sich nicht nur das Zusammenspiel von tourismusinduzierten Veränderungsprozessen, lokalen Wissensordnungen und den je gültigen Definitionen von Abscheu und Ekel nachvollziehbar ma-chen. Bezugnahmen auf Ekel sind auch als performative Akte zu verstehen, die sowohl Ord-nungssysteme und Normen als auch ganz spezifische Wirklichkeiten und Wahrnehmungsmodi hervorbringen. Das Abjekte wurde im Folgenden gezielt dazu aufgegriffen, je komplexe, strate-gische Situationen und Orientierungspunkte sichtbar zu machen, entlang derer sich mitunter Sub-jektivierungsprozesse Bereister vollziehen. Zugänge und Vorbemerkungen – Kapriolen hin zum Abjektiven Gegenwärtig nächtigt ungefähr ein Fünftel aller Tirol-Touristinnen und-Tou-risten nicht in gewerblichen Beherbergungsbetrieben, sondern in privaten Unter-künften. Solche konnten sich im Zuge der massentouristischen Erschliessung des Alpenraums nach dem Zweiten Weltkrieg stark etablieren. Das seit 1959 gültige Tiroler Privatvermietungs-Gesetz 1 erlaubt es, bis zu zehn Betten zu vermieten. 2 Bei dieser Art von Beherbergung kommt es zu einem speziellen Nähe-Verhältnis zwischen Vermieterinnen und Vermietern und Gästen, Grenzen müssen ständig neu ausgehandelt werden. Dabei wird auch Bezug auf Wissensordnungen genom-men, 3 die auf unterschiedliche Art und Weise und auf ganz verschiedenen Ebenen mit dem Phänomen des Ekelns korrespondieren. Ein erstes Beispiel soll zeigen, wie unvermutet Ekelerfahrungen dabei ins Spiel kommen können: Die Vermiete-rin Sonja R. bietet seit über dreissig Jahren Urlaub am Bauernhof in einem Tiroler Seitental an. Im Interview gab sie eine Anekdote zum Besten und griff dabei auf das relativ verbreitete Erzählmotiv des sich irrenden Stadtkindes zurück. «Und einmal haben wir Gäste gehabt, die sind mit in den Stall gegangen, also Kinder, so ein grös-seres Kind, und dann hat der Mann gemolken und dann hat es gesagt: ‹Was? Die Milch kommt da heraus?› Es hat immer gemeint, die kommt von den Hörnern, jetzt trinkt sie keine mehr. [lacht] Na, ehrlich wahr!» 4 Das Kind ekelt sich offenbar vor den fleischigen Eutern der Kuh und es beschliesst deshalb, auf das Nahrungsmittel Milch zu verzichten. In ihrer Kürze enthält die Sequenz Elemente, die auf kulturelle Dimensionen von Abscheu und Ekel verweisen bzw. auf deren «kulturelle Modellierung», die Ursache für Werte und Normen, Handlungen und Symbole in jeweiligen Systemen ist. 5 Im «System»
Uploads
Papers by Martina Roethl
Other by Martina Roethl
Books by Martina Roethl