«So schlecht geht es mit den Deutsch».1 Edvard Munchs deutschsprachige Briefe
«Immer mochte ich so viel erzahlen – und immer ärgret [sic] mich mein unmoglich Deutsch» – so Edvard Munch in einem undatierten Briefentwurf an Elisabeth Förster-Nietzsche (MM N 2653). Das Selbstbekenntnis ist bezeichnend für die mehr als 1500 Briefe und Briefentwürfe, die von Munch in deutscher Sprache erhalten sind.
Wieviele – vernichtete – Vorstufen ihnen vorausgingen, lässt sich nur erahnen; auszugehen ist von einer mindestens ähnlich hohen Anzahl, da «[...] ich 10 Briefe zerrisse für ein fertigen» (MM N 2770), «der Fehler wegen» (MM N 2766). Vom Unmut über das eigene Unvermögen in der fremden Sprache legen Munchs deutschsprachige Briefe an Galeristen, Museumsleiter und Ausstellungskuratoren, Drucker und Lithographen, Sammler und nicht zuletzt Freunde und Weggefährten in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder beredtes Zeugnis ab. Wo der sprachliche Ausdruck bereits im privaten Briefwechsel – zumindest laut Selbstauskunft – zur mühevollen Prozedur gerät, bedeutet dem Künstler erst recht die Geschäftskorrespondenz eine mühsame, zeitraubende, gleichwohl notwendige Qual. So sind diese Briefe nicht zuletzt auch A portrait of the artist as a business man, der sich trotz aller Last und Verzagtheit als geschäftstüchtiges Ein-Mann-Unternehmen erweist (ein Sekretär wird gelegentlich herbeigesehnt – MM N 2747), das aus der norwegischen Heimat wie von unterwegs, während längerer Reisen und Kuraufenthalte, den deutschsprachigen Kunstmarkt bedient, Ausstellungen bestückt, mit Druckern verhandelt, Leihgaben koordiniert.
Im Schriftbild variabel, oft flüchtig, mitunter voller Korrekturen und Einschübe, mehrdeutig bis zur Unlesbarkeit und – sei es der Unkenntnis oder der Nachlässigkeit geschuldet – grammatikalisch nachlässig und weder korrekter Verb-Beugung, Pluralendung, korrekten bestimmten Artikeln, Umlautspunkten oder, bis auf Gedankenstriche, gar einer wiewohl geratenen Zeichensetzung Sorge tragend,2 reicht der stilistische Duktus der Briefe vom formellen Geschäftsdeutsch bis zur poetischen, metaphernreichen Sprache etwa eines an den Freund Frederick Delius oder die Geliebte Eva Mudocci gerichteten Textes. Stilistisch flüssig, gewandt und reich im Wortschatz erscheinen beide Textformen bei Munch – im Gegensatz zur kritischen Selbstdiagnose des «unmoglich Deutsch». «Es wird mir immer eine grozse Freude sein daran zu denken das die vier Gemälden so lange in München auf diese ehrvolle Weise gezeigt sind», schreibt Munch etwa in stilistisch einwandfreiem, formellem Schrift-Deutsch (MM N 2636), dessen gängige Redewendungen, Floskeln und Terminologie er eloquent meistert. «Liebe und hochverehrte gnadige Frau!» (MM N 2766), «Ich danke Ihnen fur Ihre freundliche Mitheilung... Mit grözster Hochachtung» (MM N 2534), «Ich bestatige mit bestem Danke das Empfang von 6000 kr...» (MM N 2359), «Inzwischen empfehle ich mich hochachtungsvoll» (MM N 2643) – es ist kein mündlich inspiriertes Deutsch, das wir hier lesen, sondern eine gut entwickelte, gehobene Schriftsprache, der sich Munch, mitunter durchaus nach dem Baukastenprinzip, bedient. Läßt sich die Beherrschung einer Sprache u.a. an der Beherrschung vielfältiger Rede-, Sprech- und Schreibzusammenhänge messen, so erweist sich Munch als Briefeschreiber trotz aller grammatikalischen und orthographischen Widrigkeiten, die ihm das Deutsche bis zum Schluß bereitet, als Meister aller Klassen, der seinen Sprachstil dem jeweiligen Adressaten anzupassen vermag. Von kraftvoller Umgangssprache zeugen die persönlichen Briefe: «Donnerwetter dasz ist eine tolle Geschichte», schreibt er an Karl Wieck (MM N 2544), und an den Maler und Freund Albert Kollmann: «Die Schweine haben mich nicht umbringen konnen – jedensfalls» (MM N 3144). Ebenfalls aus dem gesprochenen Deutsch übernimmt er immer wieder Wendungen wie «kriegte» (anstatt «bekam»), «giebts (anstatt «gibt es»)», «was» (anstatt «etwas») oder «riesig gern». In hohem Maß poetisch sind die Briefe an Künstlerfreunde wie Delius und Kollmann. «Erzahlen Sie mir ein Bischen aus der Stadt mit die tausende Menschenstrahlen (MM N 3175) [...] Die feindliche Geister sind nicht mehr in der Luft – die kriegen Körper und drohen mich – aber alles geht gut», heißt es da etwa (MM N 3176). Der britischen Geliebten Eva Mudocci schreibt der Norweger in der für beide fremden Sprache Deutsch: «Liebe Eva! Ich glaube unsere Seelen offnen sich fur einander – wir konnen noch naher kommen und in der Dunkelheit einkucken – wir sind wahr gegeneinander» (MM N 2367). «Einmal werde ich mein kranke Seele in Dein Musik mir baden – es wird mich wohl thun» (MM N 2382).3 Bilderreichtum und Ausdrucksstärke zeugen hier von einem Sprachvermögen, das sich von mangelnder Orthographie und Grammatik nicht ausbremsen läßt.
Das ursächlich norwegische sprachliche Denken überwindet Munch jedoch auch in späten Jahren nicht – oder will es nicht überwinden. Munch, der auch außerhalb des deutschsprachigen Umfelds kontinuierlich Deutsch schreibt und liest – so bezieht er auch zurück in Norwegen mehrere deutsche Tageszeitungen und Fachzeitschriften im Abonnement4 –, bleibt zumindest im schriftlichen Ausdruck seiner Muttersprache verhaftet. Kasusendungen, Verbdeklinationen und Redewendungen werden nicht bloß entlehnt, sondern oftmals geradewegs aus dem Norwegischen übernommen: Von «Maleren», «Kunstleren», «Verlegeren» und «Besitzeren» ist da die Rede, von einer «Skitse» und einem «Ramme» (Rahmen); Munch «nimmt eine Bestimmung» (= norw. ta en avgjørelse), ist «stark schadet» (= norw. sterkt skadet), sein Geld «streckt» nicht (= norw. strekke: reichen), sein «Humor ist nicht sehr gut» (= norw. humor: Laune), er «argret» sich (= norw. ergre: ärgern), er hat «Umkosten» (= norw. omkostninger: Unkosten), eine Sache «wird sich ordnen» (= norw. ordne seg: regeln, in Ordnung kommen); er «leste» (= norw. leste: las), «denkte» (= norw. tenkte: dachte) und hat «aufgeklingelt» (= norw. ringe på: klingeln/anrufen). Für rein deutschsprachige Leser hilfreich ist es daher, Munchs Briefe gerade dort, wo sie besonders fehlerhaft erscheinen, vor diesem Hintergrund der für Munch typischen «Norwegisierung» des Deutschen zu lesen5; wer über Kenntnisse in einer skandinavischen Sprache verfügt, wird sie umso leichter identifizieren. Ähnliches gilt für den Satzbau, bei dem Munch oft den norwegischen Regeln folgt: «Ich habe so viel zu thun das es ist ganz unmoglich» (MM N 3214) («Jeg har så mye å gjøre at det er helt umulig»). Dabei handelt es sich um die klassische Schwierigkeit deutscher Fremdsprachler, das Verb (hier: ist) – anders als in den meisten europäischen Sprachen – an das Satzende zu stellen. Die Ähnlichkeit der beiden germanischen Sprachen Deutsch und Norwegisch verführt Munch zur Nachlässigkeit in der genauen Bestimmung; nur selten führt diese zur Sinnentstellung, nur selten schleichen sich rein norwegische Wörter (jeg = ich, jo = ja, og = und, bil = Auto) in den Text ein.
«Ich bin ja ein sehr schlechte Briefschreiber und besonders in fremder Sprachen» (MM N 2550) – «Ich lerne nie Deutsch zu schreiben» (MM N 2359) – der Unmut über die eigene, als mangelhaft empfundene Sprachkunstfertigkeit begleitet den Briefeschreiber Edvard Munch bis ins hohe Alter. Diesem Unmut, vielleicht aber auch dem mangelnden Ehrgeiz, es besser zu machen, zugrunde liegen mag auch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Medium Brief an sich – kann man doch, so Munch, «in ein Brief nur theilweisz sich geben» (MM N 2380). Dem gegenüber stehen über 1500 briefliche Dokumente, verfasst über eine Spanne von rund 50 Jahren in einer zwar grammatikalisch und orthographisch fehlerhaften, indessen höchst bilderreichen, ausdrucksstarken, ganz eigenen Sprache. Wer sich auf sie einläßt, erhält Einblick in ein poetisches Textuniversum, in dem Sprache, auch die fremde, Teil des künstlerischen Ausdrucks sein kann.
2 Siehe hierzu wie auch zum deutschen Spracherwerb Munchs ausführlich Janss, Christian: Edvard Munchs tyske brev, in: eMunch – tekst og bilde. Ausstellungskatalog, Munchmuseet, Oslo 2011 (norwegisch)
3 Zu den Briefen an Eva Mudocci siehe auch Haugsland, Åshild: „...dette kaos af breve jeg har samlet på...“, in: eMunch – tekst og bilde. Ausstellungskatalog, Munchmuseet, Oslo 2011 (norwegisch)
4 In seinen Briefen nennt er u.a. das Berliner Tageblatt und die Zeitschriften Kunst & Künstler, Kunst der Gegenwart und Zukunft.
5 Ähnlich verfährt Munch im Französischen. Siehe hierzu Solberg, Henninge M.: Edvard Munch og det franske språket, in: eMunch – tekst og bilde. Ausstellungskatalog, Munchmuseet, Oslo 2011 (norwegisch)