Kindstötung

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Eine Mutter tötet ihr Kind, Le Petit Journal 1908

Unter Kindstötung (auch Infantizid, von lat. infanticidium) versteht man die Tötung eines Kindes meist durch einen Elternteil. Die Tötung eines Neugeborenen wird als Neonatizid bezeichnet.

Resnick (1970) definiert Neonatizid als die Tötung eines Kindes innerhalb von 24 Stunden nach seiner Geburt, Infantizid als die Tötung eines Kindes im Alter von einem Tag bis zu einem Jahr und Filizid als die Tötung von Kindern über dem Alter von einem Jahr.[1]

Statistik und Motive

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Erhoben wurden 0,6 pro 100.000 Kinder unter 15 Jahren in Schweden (Somander & Rammer, 1991), bis zu 2,5 pro 100.000 Kinder unter 18 Jahren in den USA (Jason, Gilliland & Tyler, 1983) und 5 pro 100.000 Kinder in Finnland und Österreich.[2][3] Es wird angenommen, dass 2 bis 10 % der Fälle, die als plötzlicher Kindstod registriert werden, einem gewalttätigen Motiv unterliegen und in Wirklichkeit Kindstötungen sind (Emery, 1985).[4]

Zwischen zwei Drittel und drei Viertel der Kindstötungen werden durch die leiblichen Mütter verübt.[2][3][5][6][7] Laut einer Studie von Raič war in 18 % der Fälle der Vater der Täter.[8]

Resnick untersuchte 1969 131 gerichtliche Fälle, in denen Mütter ihre Kinder getötet hatten, anhand von Befragungen und teilte diese Fälle nach Motiven in fünf Kategorien ein (ausgenommen Neonatizid):

  • Altruistischer Filizid: Tötung in Kombination mit Suizid des Täters oder um das Kind vor realem oder imaginärem Leid zu bewahren (56 % der Fälle).
  • Akut psychotischer Filizid: Tötung unter dem Einfluss von psychotischen Symptomen, Epilepsie oder Delir (24 %).
  • Tötung eines ungewollten Kindes (11 %).
  • Unbeabsichtigter Filizid oder „fatal battered child syndrome“: unbeabsichtigte Tötung eines Kindes aufgrund körperlicher Misshandlung (7 %).
  • Rache am Ehepartner: Tötung des gemeinsamen Kindes, um dem Ehepartner Leid zuzufügen (2 %)

Später definierte Wilczynski (1997) folgende Motive unabhängig vom Geschlecht der Täter:

  • „retaliating killings“: Tötung des gemeinsamen Kindes, um sich am (Ex-)Partner zu rächen,
  • Eifersucht auf oder Ablehnung durch das Opfer, wobei meist der Vater der Täter ist,
  • ungewolltes Kind als häufigster Grund für Neonatizid,
  • übermäßige körperliche Bestrafung des Kindes bei Weinen oder Ungehorsam,
  • Altruismus: „mercy killing“ eines kranken oder geistig retardierten Kindes oder aufgrund einer Wochenbettdepression,
  • psychotischer Elternteil,
  • Münchhausen-Stellvertretersyndrom,
  • sexueller Missbrauch,
  • Vernachlässigung ohne Absicht, das Kind zu verletzen oder zu töten, sowie unbekannte Gründe.

Ältere Untersuchungen fokussierten hauptsächlich die Motive der Mütter, später, dass nach D’Orbans (1979) eine prozentuale Mehrzahl bei Männern zu der Gruppe „Eltern, die ihre Kinder misshandeln“ anteilig sind. Meist ging in diesen Fällen hierbei ein Stimulus des Kindes voraus (Weinen, Erbrechen, Weigerung zu essen etc.). Die aktuelle polizeiliche Kriminalstatistik geht von einem Hellfeld-Anteil von 43,5 % Täterinnen bei Kindesmisshandlung aus. Neonatizide werden dagegen von Vätern statistisch weniger begangen (Stanton & Simpson, 2002) und es ist nur ein Fall einer Verurteilung bekannt.[9]

Die offizielle Polizeiliche Kriminalstatistik in Deutschland weist eine Abnahme der registrierten Fälle von Kindstötungen auf. Im Jahr 2006 wurden 202 Kinder Opfer von Tötungsdelikten, 2000 waren es noch 293. In 37 Fällen handelte es sich dabei um Mord, in 55 Fällen um Totschlag und in zwölf Fällen um Körperverletzung mit Todesfolge.[10] Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, die für die Jahre 1997 bis 2006 Tötungen von Kindern unter sechs Jahren in Deutschland anhand von gerichtlich abgeschlossenen Fällen untersuchte, konnte über diese zehn Jahre insgesamt 535 Fälle einbeziehen. Die Zahlen zeigten für diese Zeit eine erhöhte Rate von Neugeborenentötungen in vier ostdeutschen Bundesländern, doch es konnte nicht mit Sicherheit darauf geschlossen werden, dass diese höheren Zahlen tatsächlich auf mehr Kindstötungen zurückgehen.[11] Die Langzeit-Untersuchung von Werner Johann Kleemann, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Leipzig, kam unterdessen zu dem Ergebnis, dass es keine Belege dafür gibt, dass Kinder im Osten Deutschlands häufiger an Misshandlung oder Vernachlässigung sterben als im Westen.[12]

2015 wurden in Deutschland 16 Kinder ermordet. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind in Deutschland ermordet wird, liegt pro Tag bei rund 1 zu 200.000.000.[13]

Kindstötungen in sogenannten Entwicklungsländern

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Insbesondere in Ländern, in denen außerehelicher Geschlechtsverkehr gesellschaftlich sanktioniert wird und/oder in denen keine medizinischen Verhütungsmethoden zur Verfügung stehen bzw. das Wissen darum gering ist, kommt es regelmäßig zu Kindestötungen. In Pakistan, einem Land, das von einer konservativ-islamischen Männergesellschaft dominiert wird, in dem Abtreibung und Ehebruch illegal und zum Teil mit der Todesstrafe bedroht sind, kommt es nichtsdestoweniger vielfach zu unerwünschten außerehelichen Schwangerschaften und Geburten. Nach Schätzungen der pakistanischen Edhi Foundation ereignen sich deswegen jedes Jahr etwa 1100 Tötungen von Neugeborenen. Die zum Teil grausam getöteten Säuglinge werden häufig einfach im Müll entsorgt.[14]

Seit der Antike kennt die Gesellschaft die Tötung des Nachwuchses in Zeiten der Not, des Hungers oder aus anderen Beweggründen. Große Philosophen wie Platon und Seneca befürworteten die verbreitete Sitte der Aussetzung bzw. aktiven Tötung „missgestalteter“ Neugeborener. Dagegen berichtete Tacitus, dass Juden es als Verbrechen ansehen, spätgeborene Kinder zu töten.[15] Und Flavius Josephus bezeugte im 1. Jahrhundert, dass es im Judentum verboten ist, Abtreibung zu verursachen.[16]

Im römischen Reich erstreckte sich die patria potestas des Familienoberhauptes auch auf Leben und Tod aller Familienangehörigen. Neugeborene mussten ihm zu Füßen gelegt werden und er entschied, ob das Kind aufgezogen wurde. Abgewiesene Kinder wurden allerdings oft nicht getötet, sondern ausgesetzt und konnten von jedermann als Sklaven aufgezogen werden. Dieses Recht wurde erst im Jahr 374 n. Chr. nach der zunehmenden Dominanz des Christentums, das jüdische Rechtskultur vermittelte, im Römischen Reich abgeschafft. Das Verbot musste mit drakonischen Strafen durchgesetzt werden.[17] Der tatsächliche Stellenwert des Tötungsrechts eines römischen Vaters über seine Töchter und Söhne ist in der Forschung aber umstritten. Tötungen heranwachsender oder erwachsener Kinder sind nur in 15 Fällen überliefert. Nahezu alle davon können aber zugleich oder vorrangig auf andere Rechtsgrundlagen zurückgeführt werden, so dass das ius vitae necisque möglicherweise keine reale Rechtsnorm war, sondern eine eher allegorisch zu verstehende Betonung der häuslichen Macht des Familienvaters.[18]

In der Kanalisation eines Badehauses im spätantiken Askalon wurden hunderte von Kinderskeletten gefunden. Die Knochen männlicher Neugeborener überwiegen deutlich, wie eine DNA-Analyse ergab. Man vermutet, dass das Badehaus auch als Bordell genutzt wurde und die Knochen den systematischen Infantizid männlicher Kinder anzeigen. Männliche Nachkommen konnten im Allgemeinen nicht in die beruflichen Fußstapfen der Mütter treten und diese somit entlasten. In der Umgebung der Ruinen von römischen Bordellen wurden wiederholt zahlreiche Baby-Skelette gefunden.[19][20][21]

Im Kaiserreich China wurden seit dem Altertum vor allem weibliche und missgestaltete Nachkommen getötet oder dem Tod überlassen, indem sie nach der Geburt ausgesetzt oder „nicht hochgehoben“ (buju 不舉) wurden. Zu solcher Geschlechtsselektion vermerkt die legistische Quelle Han Feizi (3. Jh. v. Chr.): 父母之於子也,產男則相賀,產女則殺之.⋯慮其後便, 計之長利也. „(Mit dem Verhalten von) Eltern gegenüber (ihren) Kindern (ist es so): Wird ihnen ein Junge geboren, dann gratulieren sie sich gegenseitig; wird ihnen ein Mädchen geboren, dann töten sie es. [… Dass es so ist, ist weil die Eltern] ihre spätere Bequemlichkeit im Sinn haben und für einen langfristigen Vorteil planen.“[22]

Im mittelalterlichen jüdisch-christlichen Europa waren die Gründe für eine Kindstötung vorwiegend Unehelichkeit des Kindes und die Armut der Eltern (Moseley, 1986), aber auch Fehlbildungen des Kindes.

Vom Mittelalter bis in die Neuzeit kam es nicht selten vor, dass Eltern ihr Kind töteten, aussetzten oder verkauften, da sie es nicht ernähren konnten. Vor diesem Hintergrund entstanden Geschichten wie die von Hänsel und Gretel. Zu dieser Zeit wurden in Europa Kindstötungen oft wie der Mord an Erwachsenen bestraft.

In Hungersnöten, zum Beispiel durch Missernten oder Kriege, gab es auch Fälle von kannibalistischen Kindstötungen, aber absichtliche Schlachtungen blieben stets die Ausnahme unter notgedrungener Leichenfledderei. Das intentionale Töten des eigenen oder fremden Nachwuchses zum Verzehr gilt in weiten Teilen der Welt allerdings seit jeher als einer der größten Tabubrüche und wurde daher immer wieder als Anschuldigung in Propaganda und Verfolgung zur Dehumanisierung anderer (bspw. „Hexen“ und Juden) verwendet sowie literarisch verarbeitet, zum Beispiel in Schneewittchen.

1516 erließen die Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung und die Gerichtsordnung Kaiser Karls V. neue Vorschriften, die als übliche Strafe für Kindsmörder Pfählen, lebendiges Begraben oder Auseinanderreißen des Körpers mit glühenden Zangen vorsahen. Sie sollten als Abschreckung dienen. Das Motiv bzw. die Umstände wurden bei diesem Tatstrafrecht (nur die Tat zählt, nicht die Ursachen oder das Motiv) nicht beachtet, weshalb die Strafen auch keine abschreckende Wirkung hatten.

Im 17. und 18. Jahrhundert stieg die Zahl der Morde vor allem an außerehelich geborenen Kindern an, da die Frauen den Pranger und die öffentliche Züchtigung fürchteten. Hinzu kamen Heiratsbeschränkungen,[23] durch die eine eheliche Geburt in vielen Fällen von vornherein unmöglich war. Angesichts des Anstiegs der Tötungen begann Mitte des 18. Jahrhunderts ein Umdenkprozess. Der Wandel in der medizinischen Ausbildung an den Universitäten und die schrittweise Einführung gerichtsmedizinischer Begutachtung in den verschiedenen Reichsterritorien führten zum Beginn einer „Psychiatrisierung“ der Tat. Allerdings wurde hier juristisch – bis noch vor wenigen Jahren – genau zwischen verheirateten und ledigen Täterinnen (§ 217) unterschieden. Letzteren wurde nach oft verheimlichter Schwangerschaft weiterhin rationales und somit egoistisches Handeln unterstellt, während Ehefrauen per se als geistig verwirrt galten. Ihnen drohte ja keine entehrende Strafe nach einer Entbindung. Aufgrund der Verbreitung von Kindsmord-Geschichten durch medizinische Fallsammlungen entstanden in der Folge auch literarische Texte zu diesem Thema. (zum Beispiel WagnersDie Kindermörderin“ (Drama) oder die Gretchentragödie aus GoethesFaust. Eine Tragödie“.)[24]

Ende des 18. Jahrhunderts wurden Todesstrafen für Kindsmorde seltener und 1813 wurde im Bayerischen Strafgesetzbuch eine Zuchthausstrafe dafür festgelegt (bis 1848 war in Wiederholungsfällen die Todesstrafe möglich).

In der Neuzeit fand das Motiv seinen literarischen Niederschlag in Werken wie Das Mädchen auf den Klippen.

Geschlecht der getöteten Kinder

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In fast allen Gesellschaften, in denen Kindstötung praktiziert wird, sind insbesondere weibliche Kinder betroffen (Femizid, vgl. Geschlechtsselektive Abtreibung). Die Tötung weiblicher Kinder tritt üblicherweise in patriarchalischen Kulturen auf, in denen es eine starke Präferenz für Männer und eine Entwertung von Frauen gibt.[25] Frauenfeindlichkeit sowie bestimmte ökonomische Aspekte werden als die zwei wichtigsten Gründe dafür angegeben, dass die Tötung weiblicher Kinder häufiger ist als die Tötung männlicher Kinder. Die meisten Religionen verurteilen Kindstötung, unabhängig vom Geschlecht, seit jeher.[26]

Deutschland (bis 1998)

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Bis zum 1. April 1998 gab es im deutschen Strafgesetzbuch mit § 217 alter Fassung[27] eine spezielle Norm im Rahmen der Tötungsdelikte, die zuletzt mit Kindestötung benannt war. Aufgehoben wurde sie mit dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1998. Dieser Tatbestand legte einen milderen Strafrahmen fest und stellte gegenüber anderen Tötungsdelikten eine Privilegierung dar. Damit verdrängte der damalige § 217 a. F. StGB den Totschlag bzw. Mord.

Der Tatbestand der Kindestötung umfasste die Tötung des nichtehelichen Kindes durch die Mutter während oder unmittelbar nach der Geburt. Die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe waren 3 Jahre, daher hatte das Delikt Verbrechenscharakter im Sinne von § 12 StGB. Die Höchststrafe betrug fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe. Minder schwere Fälle hatten einen Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren (bis 1953 (Bundesrepublik) bzw. 1968 (DDR) betrug die Strafe mindestens 2 Jahre).

Die Privilegierung ergab sich aus der psychischen Zwangslage der Mutter, ein Kind unter den Umständen der Nichtehelichkeit zu gebären oder geboren zu haben. Durch die gesellschaftliche Entwicklung, die inzwischen die Nichtehelichkeit (früher: Unehelichkeit) von Kindern als gewöhnlich akzeptiert, ist der Tatbestand obsolet geworden. Die psychische Zwangslage der Mutter aufgrund einer nichtehelichen Geburt kann heute aber zur Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags führen.

Die Privilegierung konnte nur der Mutter zugutekommen. Teilnehmer an ihrer Tat, also Gehilfen oder Anstifter, wurden (laut einer Präzedenzentscheidung des Reichsgerichts von 1940) wegen Teilnahme am § 211 StGB (Mord) oder § 212 StGB (Totschlag) bestraft (§ 50 a. F., ab 1975 § 28 und § 29 StGB).[28] (Ob diese Rechtsauffassung dem Gesetzeswortlaut gerecht wurde, muss hier offenbleiben.)

Für die Nichtehelichkeit eines Kindes waren hier nicht die zivilrechtlichen Vorschriften des Familienrechts maßgeblich, sondern die tatsächlichen Verhältnisse. Die Mutter durfte mit dem leiblichen Vater weder bei der Empfängnis noch zu Zeiten der Geburt in formell gültiger Ehe verheiratet sein. Die Tötung des zivilrechtlich als ehelich geltenden im Ehebruch gezeugten Kindes war also nur als Kindestötung strafbar.

Die Tötung musste mit Vorsatz während oder gleich nach der Geburt, also in der Zeit der andauernden Gemütserregung geschehen. Der Tatbestand konnte auch durch Unterlassen verwirklicht werden, zum Beispiel durch Unversorgtlassen des Neugeborenen.

In der DDR wurde die Tötung eines (ehelichen oder nichtehelichen) Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt ab 1968 nicht mehr nach o. g. Bestimmungen, sondern als Totschlag mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft (§ 113 Nr. 2 Strafgesetzbuch).

Deutschland (seit 1998)

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Seit 1998 ist Kindstötung nicht mehr gegenüber anderen Tötungsdelikten privilegiert. Der Strafrahmen hat sich daher nach oben erweitert. Entsprechende Taten werden oft als Totschlag beurteilt.[29][30] Nach dem Willen des Gesetzgebers ist der minder schwere Fall des Totschlags nach § 213 in Betracht zu ziehen: „Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr eheliches oder nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann durch die Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden“.[31] Wenn die Tat aus „krasser Selbstsucht“ erfolgt, kann sie aber auch als Mord eingestuft werden.[29]

Das Delikt der Tötung des Kindes bei der Geburt stellt nach § 79[32] des österreichischen Strafgesetzbuches (StGB) gegenüber dem Grunddelikt der vorsätzlichen Tötungsdelikte, dem Mord (§ 75 StGB), eine Privilegierung dar. Der Tatbestand liegt dann vor, wenn die Mutter das Kind während des Geburtsvorganges oder unmittelbar danach (sofern sie noch unter Einwirkung des Geburtsvorganges steht) tötet. Die Privilegierung kann nur der Mutter des Kindes zugutekommen (vgl. § 14 Abs. 2 StGB).

Eine Mutter, die ihr Kind während der Geburt oder solange sie unter dem Einfluss des Geburtsvorgangs steht, tötet, wird wegen Kindestötung nach Art. 116 Strafgesetzbuch bestraft.

  • Behnke Kinney, Anne, „Infant Abandonment in Early China“, Early China 18.1993:107–38.
  • Bejarano-Alomia, Pedro-Paul, Kindstötung, Kriminologische, rechtsgeschichtliche und rechtsvergleichende Überlegungen nach Abschaffung des § 217 StGB a.F. Dissertation FU Berlin, 2008.
  • Carl Burak, Michele Remington: Tod in der Wiege. Warum hat Michele Remington ihr Baby umgebracht? (= Heyne-Bücher 1, Heyne allgemeine Reihe. Nr. 9792). Heyne, München 1996, ISBN 3-453-09318-6 (Erlebnisbericht zur Kindstötung bei Wochenbettdepression).
  • Andrea Czelk: „Privilegierung“ und Vorurteil. Positionen der Bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung im Kaiserreich (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung. Bd. 3). Böhlau, Köln u. a. 2005, ISBN 3-412-17605-2 (Zugleich: Hannover, Universität, Dissertation, 2004).
  • Peter Dreier: Kindsmord im Deutschen Reich. Unter besonderer Berücksichtigung Bayerns im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Tectum, Marburg 2006, ISBN 3-8288-9111-X.
  • Hermann Kleist: Das Verbrechen der Kindestödtung. Karow, Dorpat 1862 (Dorpat, Universität, Dissertation, 1862), Digitalisat.
  • Frank Häßler, Renate Schepker, Detlef Schläfke (Hrsg.): Kindstod und Kindstötung. MWV Medizinisch-Wissenschaftliche Verlags-Gesellschaft, Berlin 2008, ISBN 978-3-939069-23-2.
  • Frank Häßler, Günther Häßler: Eine greuliche That. Zehn Kapitel über Kindstötungen in Mecklenburg-Vorpommern aus vier Jahrhunderten. MWV Medizinisch-Wissenschaftliche Verlags-Gesellschaft, Berlin 2009, ISBN 978-3-941468-00-9.
  • Georg Kleinfeller: Infanticidium. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IX,2, Stuttgart 1916, Sp. 1540.
  • Marijke Lichte: Deutschlands tote Kinder. Kindstötung als Folge von Gewalthandlung, sexuellem Missbrauch und Verwahrlosung. Eine historisch-soziologische Untersuchung zum Thema Infantizid. Schardt, Oldenburg 2007, ISBN 978-3-89841-315-2.
  • Maren Lorenz: Kriminelle Körper – Gestörte Gemüter. Die Normierung des Individuums in Gerichtsmedizin und Psychiatrie der Aufklärung. Hamburger Edition, Hamburg 1999, ISBN 3-930908-44-1, insbes. S. 134–188, (Zugleich: Saarbrücken, Universität, Dissertation, 1998).
  • Gerlinde Mauerer: Medeas Erbe. Kindsmord und Mutterideal (= Feministische Theorie. Bd. 43). Milena, Wien 2002, ISBN 3-85286-096-2.
  • Kerstin Michalik: Kindsmord. Sozial- und Rechtsgeschichte der Kindstötung im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert am Beispiel Preußen (= Reihe Geschichtswissenschaft. Bd. 42). Centaurus, Pfaffenweiler 1997, ISBN 3-8255-0117-5 (zugleich: Hamburg, Universität, Dissertation, 1995).
  • Kirsten Peters: Der Kindsmord als schöne Kunst betrachtet. Eine motivgeschichtliche Untersuchung der Literatur des 18. Jahrhunderts = Epistemata. Reihe: Literaturwissenschaft. (Bd. 350). Königshausen & Neumann, Würzburg 2001, ISBN 3-8260-1998-9 (Zugleich: Bochum, Universität, Dissertation, 2000).
  • Christiane Schlang: Tödlich verlaufende elterliche Gewalt. Psychiatrische Auswertung von Daten einer bundesweiten multizentrischen Studie (Berichtszeitraum 1985 bis 1989). Psychiatrie-Verlag, Bonn 2006, ISBN 3-88414-407-3 (Zugleich: Frankfurt am Main, Universität, Dissertation, 2005).
  • Katharina Schrader: Vorehelich, außerehelich, unehelich … wegen der großen Schande. Kindstötung im 17. und 18. Jahrhundert in den Hildesheimer Ämtern Marienburg, Ruthe, Steinbrück und Steuerwald. Gerstenberg, Hildesheim 2006, ISBN 3-8067-8528-7.
  • Judith Schuler: Infantizid. Biologische und soziale Aspekte. Eine Untersuchung anhand von Fallbeispielen aus Neuguinea (= Bremer Asien-Pazifik-Studien. Bd. 12 (recte: 11)). Lit, Münster u. a. 1993, ISBN 3-89473-522-8 (Zugleich: Göttingen Universität, Dissertation, 1992).
  • Miriam Weinschenk: § 217 StGB – Folgen des Wegfalls einer Norm (= Konstanzer Schriften zur Rechtswissenschaft. Bd. 207). Hartung-Gorre, Konstanz 2004, ISBN 3-89649-902-5 (Zugleich: Heidelberg, Universität, Dissertation, 2003).
  • Annegret Wiese: Mütter, die töten. Psychoanalytische Erkenntnis und forensische Wahrheit (= Neue kriminologische Studien. Bd. 11). Fink, München 1996, ISBN 3-7705-2849-2 (Zugleich: München, Universität, Dissertation, 1992).
Commons: Kindstötung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Kindstötung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Kindsmord – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Infantizid – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Kerstin Eichenmüller, Bruno Heindl, Veronika Steinkohl: Tötungshandlungen im familiären Umfeld. (PDF) 2007, archiviert vom Original am 27. September 2007; abgerufen am 22. Februar 2013 (Wiss. Untersuchung am Lehrstuhl für Psychologie der Universität Regensburg).
  2. a b Hanna Putkonen et al.: Filicide in Austria and Finland – A register-based study on all filicide cases in Austria and Finland 1995–2005. In: BMC Psychiatry. Band 9, 21. November 2009, S. 74, doi:10.1186/1471-244X-9-74, PMID 19930581, PMC 2784763 (freier Volltext).
  3. a b APA: Meiste Kindesmorde der westlichen Welt in Finnland. Kleine Zeitung, 11. Dezember 2011, archiviert vom Original am 17. August 2014; abgerufen am 11. Dezember 2011: „In Schweden beträgt der Anteil gerade etwas mehr als ein Zehntel davon. Aus der Untersuchung geht weiters hervor, dass am häufigsten Mütter mit psychischen Problemen zu Täterinnen werden. In 75 von 200 Fällen begingen die Verantwortlichen Selbstmord.“
  4. Plötzlicher Kindstod kann Tarnung für Gewalt sein. Ärzte Zeitung, 9. Februar 2007, abgerufen am 17. Dezember 2011: „In Deutschland sterben pro Jahr 400 bis 600 Säuglinge durch plötzlichen Kindstod SIDS (sudden infant death syndrome). Schätzungsweise ein Zehntel dieser Kinder sind jedoch tatsächlich Opfer von Misshandlungen oder Tötungen. Vor allem, wenn Kinder zuvor mehrfach in Kliniken waren, sollten Ärzte hellhörig werden.“
  5. BMFSFJ: Pressekonferenz: Zwischenbilanz ‚Frühe Hilfen‘. (Video) youtube.de, 27. November 2008, abgerufen am 25. September 2010 (Einstiegpunkt bei 50 Sekunden): „Wer sind die Täterinnen und Täter: Dann sind das in zwei Drittel der Fälle die leiblichen Mütter, in einem Drittel der Fälle entweder der leibliche Vater oder der neue Partner der Mutter.“
  6. Jens Blankennagel: Mütter töten ihre Kinder häufiger als Väter. Berliner Zeitung, 8. Mai 2007, abgerufen am 25. September 2010 (Interview mit Rudolf Egg, Kriminalpsychologe und Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden): „Das Bundeskriminalamt untersuchte damals (Anm. 1983) 1 650 vollendete Tötungsdelikte an Kindern. Die Ergebnisse überraschten viele: Nur in 80 Fällen war der Täter ein Fremder, 283 Fälle blieben unaufgeklärt. Aber in 1 030 Fällen töteten die Eltern – und noch verblüffender: nur 305 Mal waren es die Väter, aber 725 Mal die Mütter. Es ist anzunehmen, dass dies die Spitze des Eisbergs zeigt: Der Anteil der Frauen, die ihr Kind prügeln, dürfte ebenfalls hoch sein.“
  7. Dörmann, Uwe: Vollendete Tötungsdelikte an Kindern. Polizeiliche Sonderstatistik für die Zeit von 1968 bis 1982. S. 476–477. Hrsg.: Kriminalistik, 37. Jg. Verlag für kriminalistische Fachliteratur, 1983.
  8. Diana Raič: Die Tötung von Kindern durch die eigenen Eltern: Soziobiographische, motivationale und strafrechtliche Aspekte. Shaker Verlag, Aachen 1997, ISBN 978-3-8265-2707-4 (Zugleich: Bonn, Univ., Diss., 1995).
  9. Claudia Klier: Verbrechen, die die Welt schockierten – Die Babymörderin. youtube.de, 2011, abgerufen am 16. Dezember 2011: „Es gibt weltweit keinen Fall, bei einem Neonatizid, wo der Mann verurteilt worden ist.“
  10. FAZ: Weniger Kindstötungen in Deutschland (Memento vom 25. Februar 2015 im Internet Archive)
  11. Theresia Höynck, Mira Behnsen, Ulrike Zähringer: Tötungsdelikte an Kindern unter 6 Jahren in Deutschland. Eine kriminologische Untersuchung anhand von Strafverfahrensakten (1997–2006). Springer VS, Wiesbaden 2015, S. 337.
  12. FAZ: Immer mehr Eltern sind erziehungsunfähig
  13. Früher war alles schlechter: Morde an Kindern. In: Der Spiegel. Nr. 12, 2017, ISSN 0038-7452, S. 64.
  14. Imtiaz Ahmad: Illegitimate newborns murdered and discarded. Deutsche Welle, 22. April 2014, abgerufen am 4. Januar 2015.
  15. Tacitus, Historiae 5,5.
  16. Flavius Josephus, Gegen Apion 2,24.
  17. Hannes Stein: Unser Engel bewahrt uns vor dem Kindermord, Die Welt, 22. Februar 2013
  18. John Curran: Ius vitae necisque: the politics of killing children. (pdf) In: Journal of Ancient History 2018; 6(1). 19. Juni 2018, S. 111–135, abgerufen am 15. Juni 2021 (englisch).
  19. The Mystery of 97 Dead Roman Babies, YouTube-Video
  20. Jennifer Viegas: Infanticide Common in Roman Empire. Discovery News, 5. Mai 2011, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 26. Oktober 2015; abgerufen am 22. Dezember 2013 (englisch).
  21. Killing babies. The Times Literary Supplement, 30. Juli 2010, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. Dezember 2013; abgerufen am 22. Dezember 2013 (englisch).
  22. Vgl. Behnke Kinney 1993:123-4.
  23. Michael Soyka: Wenn Frauen töten: psychiatrische Annäherung an das Phänomen weiblicher Gewalt, Schattauer Verlag, 2005, ISBN 978-3-7945-2346-7 S. 80
  24. Maren Lorenz: „Kriminelle Körper – Gestörte Gemüter. Die Normierung des Individuums in Gerichtsmedizin und Psychiatrie der Aufklärung.“ Hamburger Edition, Hamburg, 1999 (zugl. Diss., Universität Saarbrücken 1998) (Insbes. S. 134–188)
  25. Global Women’s Issues and Knowledge 3. In: Routledge International Encyclopedia of Women. Routledge, 2000, S. 1139, abgerufen am 17. Dezember 2011 (englisch).
  26. Female infanticide. BBC ethics, 2006, abgerufen am 17. Dezember 2011 (englisch).
  27. § 217 StGB. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. In: lexetius.com. Thomas Fuchs, abgerufen am 10. Juli 2023., Fassung 1. Januar 1975 bis 1. April 1998.
  28. Vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 19. Februar 1940 RGSt 74, 84 – Badewannenfall: RG, 19. Februar 1940 – 3 D 69/40 = RGSt 74, 84; Tenor: „Wer zu einer Tat nach dem § 217 StGB. hilft, kann nur wegen Beihilfe zum Mord oder zum Totschlage verurteilt werden. Bei ihm ist aber zu prüfen, ob der Haupttäter mit Überlegung gehandelt hat oder nicht, obwohl diese Unterscheidung für den Tatbestand des § 217 StGB. selbst rechtlich unerheblich ist.“ Die Überlegung war damals das, was heute Mordmerkmale sind.
  29. a b BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 - 4 StR 352/08, Zitat: „Dass der Täter auch eigene Interessen verfolgt, ist zwar der Regelfall der vorsätzlichen Tötung eines Anderen und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne Weiteres die Qualifikation der Tat als Mord. Deshalb wird auch nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. durch das 6. StrRG (vgl. dazu BTDrucks 13/8587 S. 34) in den Fällen der Kindstötung die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08). Anders verhält es sich jedoch, wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht geprägt ist. So liegt es hier.“
  30. Zum Beispiel BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08, Zitat: „Jedenfalls liegt ein die Revision begründender Rechtsfehler nicht darin, dass das Landgericht der von Angst, Ratlosigkeit, Verzweiflung geprägten psychischen Verfassung der Angeklagten, zu der die körperliche Erschöpfung nach der Geburt hinzukam, ein solches Gewicht beigemessen hat, dass deswegen die Mordqualifikation zu verneinen war.“.
  31. BT-Drs. 13/8587 S. 34.
  32. § 79 StGB. In: RIS. Bundeskanzleramt Österreich, 1. Januar 2016, abgerufen am 2. September 2018.