Ende, Michael - Jim Knopf Und Lukas Der Lokomotivfuehrer
Ende, Michael - Jim Knopf Und Lukas Der Lokomotivfuehrer
Ende, Michael - Jim Knopf Und Lukas Der Lokomotivfuehrer
Erstes Kapitel,
in dem die Geschichte anf�ngt
Man sieht also, das Land war ziemlich voll. Es pa�te nicht mehr
viel hinein.
Wichtig ist vielleicht noch, da� man sich sehr vorsehen mu�te,
die Landesgrenzen nicht zu �berschreiten, weil man dann
sofort nasse F��e bekam. Das Land war n�mlich eine Insel.
Diese Insel lag mitten im weiten, endlosen Ozean, und die
gro�en und kleinen Wellen rauschten Tag und Nacht an den
Landesgrenzen. Manchmal allerdings war das Meer auch still
und glatt, so da� nachts der Mond und tags die Sonne sich darin
spiegelten. Das war jedesmal besonders sch�n und feierlich,
und Lukas der Lokomotivf�hrer setzte sich dann immer an den
Strand und freute sich.
Au�er Lukas und Emma gab es auf Lummerland noch ein paar
Leute. Da war zum Beispiel der K�nig, der �ber das Land
regierte und in dem Schlo� zwischen den beiden Gipfeln
wohnte. Er hie� Alfons der Viertel-vor-Zw�lfte, weil er um
Viertel vor zw�lf geboren worden war. Er war ein ziemlich
guter Herrscher. Jedenfalls konnte niemand etwas Nachteili-
ges von ihm sagen, weil man eigentlich �berhaupt nichts von
ihm sagen konnte. Meistens sa� er mit seiner Krone auf dem
Kopf in einem Schlafrock aus rotem Samt und mit schottisch
karierten Pantoffeln an den F��en in seinem Schlo� und
telefonierte. Zu diesem Zweck hatte er ein gro�es, goldenes
Telefon.
K�nig Alfons der Viertel-vor-Zw�lfte hatte zwei Untertanen -
wenn man einmal von Lukas absieht, der eigentlich kein
Untertan war, sondern Lokomotivf�hrer.
Der eine Untertan war ein Mann namens Herr �rmel. Herr
�rmel ging meistens mit einem steifen Hut auf dem Kopf und
einem zusammengeklappten Regenschirm unter dem Arm
spazieren. Er wohnte in dem ganz gew�hnlichen Haus und
hatte keinen bestimmten Beruf. Er ging nur spazieren und war
eben da. Er war haupts�chlich Untertan und wurde regiert.
Manchmal klappte er den Schirm auch auf, meistens wenn es
regnete. Mehr ist von Herrn �rmel nicht zu erz�hlen.
Der andere Untertan war eine Frau, und zwar eine ganz
besonders nette. Sie war rund und dick, wenn auch nicht ganz
so dick wie Emma, die Lokomotive. Sie hatte rote Apfelb�ck-
chen und hie� Frau Waas, mit zwei 'a'. Wahrscheinlich war einer
ihrer Vorfahren mal schwerh�rig gewesen, und da hatten ihn
die Leute einfach so genannt, wie er immer gefragt hatte, wenn
er etwas nicht verstand. Und dabei war es dann geblieben.
Frau Waas wohnte in dem Haus mit dem Kaufladen, wo man
alles besorgen konnte, was man so braucht: Kaugummi, Zei-
tungen, Schuhb�nder, Milch, Schuheinlagen, Butter, Spinat,
Laubs�gen, Zucker, Salz, Taschenlampenbatterien, Bleistift-
spitzer, Portemonnaies in Form von kleinen Lederhosen,
Liebesperlen, Reiseandenken, Alleskleber - kurz: alles.
Reiseandenken wurden allerdings fast nie gekauft, weil keine
Reisenden nach Lummerland kamen. Nur Herr �rmel kaufte
hin und wieder eines, mehr aus Gef�lligkeit und weil es so billig
war, nicht weil er es wirklich brauchte. Au�erdem schwatzte er
gern ein bi�chen mit Frau Waas.
Ach, �brigens, um es nicht zu vergessen: Den K�nig konnte
man nur an Feiertagen sehen, weil er die meiste Zeit regieren
mu�te. Aber an Feiertagen trat er genau um Viertel vor zw�lf
ans Fenster und winkte freundlich mit der Hand. Dann jubel-
ten seine Untertanen und warfen ihre H�te in die Luft, und
Lukas lie� Emma fr�hlich pfeifen. Nachher gab es f�r alle
Vanilleeis und an besonders hohen Feiertagen Erdbeereis. Das
Eis bestellte der K�nig bei Frau Waas, die eine Meisterin im
Eismachen war.
Es war ein friedliches Leben auf Lummerland, bis eines Tages
- ja, und damit beginnt nun unsere eigentliche Geschichte.
Zweites Kapitel,
in dem ein geheimnisvolles Paket ankommt
[BILD illu04.jpg]
Der K�nig las die Adresse, dann zog er seine Brille hervor und
las die Adresse zum zweitenmal. Da sich aber dadurch nichts
�nderte, sch�ttelte er ratlos den Kopf und sprach zu seinen
Untertanen:
"F�rwahr, es ist mir einfach unerkl�rlich, aber hier steht es
schwarz auf wei�."
"Was denn?" fragte Lukas.
Der K�nig, der ganz verwirrt war, setzte von neuem seine
Brille auf und sagte:
"Also h�rt, meine Untertanen, wie die Adresse lautet!"
Und er las sie vor, so gut es eben ging.
"Eine kuriose Adresse!" meinte Herr �rmel, als der K�nig
fertig gelesen hatte.
"Ja", rief der Brieftr�ger entr�stet, "man kann sie kaum
entziffern, so viele Fehler sind darin. So etwas ist �u�erst
unangenehm f�r uns Postboten. Wenn man blo� w��te, wer
das geschrieben hat!"
Der K�nig drehte das Paket um und suchte nach dem Ab-
sender.
"Hier steht nur eine gro�e 13", sagte er und blickte ratlos den
Brieftr�ger und seine Untertanen an.
"Sehr sonderbar!" lie� sich wieder Herr �rmel vernehmen.
"Nun denn", sagte der K�nig entschlossen, "sonderbar oder
nicht, XUmmrLanT kann doch nur Lummerland hei�en! Es
bleibt uns also nichts anderes �brig, jemand von uns mu� Frau
Malzaan oder so �hnlich sein."
Und befriedigt nahm er seine Brille wieder ab und tupfte sich
mit seinem seidenen Taschentuch die Schwei�perlen von der
Stirn.
"Ja, aber" rief Frau Waas, "es gibt doch auf unserer ganzen
Insel keine dritte Etage."
"Das ist allerdings richtig", sagte der K�nig.
"Und eine alte Stra�e haben wir auch nicht", meinte Herr
�rmel.
"Auch das ist leider richtig", seufzte der K�nig bek�mmert.
"Und eine Nummer 133 haben wir schon gar nicht", f�gte
Lukas hinzu und schob seine Schirmm�tze ins Genick. "Ich
m��te das doch wissen, denn schlie�lich komme ich ja ziemlich
viel auf der Insel herum."
"Eigenartig!" murmelte der K�nig und sch�ttelte versonnen
den Kopf. Und alle Untertanen sch�ttelten die K�pfe und
murmelten: "Eigenartig!"
"Es k�nnte ja auch einfach ein Irrtum sein", meinte Lukas
nach einer Weile. Aber der K�nig antwortete:
"Vielleicht ist es ein Irrtum, vielleicht ist es aber auch kein
Irrtum. Wenn es kein Irrtum ist, dann habe ich ja noch einen
Untertan! Einen Untertan, von dem ich gar nichts wei�! Das ist
sehr, sehr aufregend!"
Und er lief an sein Telefon und telefonierte vor Aufregung drei
Stunden lang ohne Unterbrechung.
Inzwischen beschlossen die Untertanen und der Brieftr�ger,
die ganze Insel mit Lukas zusammen noch einmal gr�ndlich
abzusuchen. Sie stiegen auf die Lokomotive Emma und fuhren
los, und bei jeder Haltestelle pfiff Emma laut, die Passagiere
stiegen ab und riefen nach allen Richtungen:
"Frau Maaaaaalzaaaaan! Hier ist ein Pakeeeeet f�r Sie!"
Aber niemand meldete sich.
"Na gut", sagte der Brieftr�ger endlich, "ich habe jetzt keine
Zeit mehr weiterzusuchen, weil ich noch mehr Post austragen
mu�. Ich lasse Ihnen das Paket einfach mal da. Vielleicht
finden Sie Frau Malzaan oder so �hnlich doch noch. Ich
komme dann n�chste Woche wieder vorbei, und wenn sich
niemand gemeldet hat, nehme ich das Paket wieder mit."
Damit sprang er auf sein Postschiff und fuhr davon.
Was sollte nun mit dem Paket geschehen?
Die Untertanen und Lukas berieten lange hin und her. Dann
erschien der K�nig wieder am Fenster und sagte, er habe
inzwischen nachgedacht und telefoniert und sei zu folgendem
Entschlu� gelangt: Frau Malzaan oder so �hnlich sei ohne
Zweifel eine Frau. Die einzige Frau auf Lummerland aber sei,
soweit ihm bekannt w�re, Frau Waas. Also w�re das Paket
vielleicht f�r sie. Jedenfalls g�be er ihr hiermit die k�nigliche
Erlaubnis, das Paket zu �ffnen, dann w�rde man ja wohl bald
klarer sehen.
Die Untertanen fanden diese Anordnung des K�nigs weise,
und Frau Waas ging sofort ans Aufmachen.
Sie kn�pfte die Schnur auf und faltete das Packpapier ausein-
ander. Da wurde eine gro�e Schachtel sichtbar, die rundherum
Luftl�cher hatte wie eine Maik�ferschachtel. Frau Waas �ffne-
te die Schachtel und fand darin eine etwas kleinere Schachtel.
Die war ebenfalls mit Luftl�chern versehen und gut gepolstert
mit Stroh und Holzwolle. Offenbar war etwas Zerbrechliches
darin, vielleicht Glas oder ein Radio. Aber wozu dann die
Luftl�cher? Schnell hob Frau Waas den Deckel auf und fand
darin - wieder eine Schachtel mit Luftl�chern, die war unge-
f�hr so gro� wie ein Schuhkarton. Frau Waas �ffnete sie, und
da lag in der Schachtel - ein kleines schwarzes Baby! Es schaute
alle Umstehenden mit gro�en gl�nzenden Augen an und schien
ziemlich froh zu sein, da� es aus dem ungem�tlichen Karton
herauskam.
"Ein Baby!" riefen alle �berrascht, "ein schwarzes Baby!"
"Das d�rfte vermutlich ein kleiner Neger sein", bemerkte Herr
�rmel und machte ein sehr gescheites Gesicht.
"F�rwahr", sprach der K�nig und setzte seine Brille auf, "das
ist erstaunlich, sehr erstaunlich!"
Und er nahm seine Brille wieder ab.
Lukas hatte bis jetzt noch nichts gesagt, aber seine Miene hatte
sich zusehends verd�stert.
"So eine Gemeinheit ist mir in meinem ganzen Leben noch
nicht vorgekommen!" polterte er nun los. "So ein kleines
Kerlchen in einen Karton zu packen! Was da alles h�tte
passieren k�nnen, wenn wir nicht aufgemacht h�tten! Na,
wenn ich den Burschen, der das gemacht hat, jemals erwische,
der bekommt von mir eine Tracht Pr�gel, an die er sich sein
Lebtag erinnern wird, so wahr ich Lukas der Lokomotivf�hrer
bin!"
Als das Baby h�rte, wie Lukas vor sich hin grollte, begann es zu
weinen. Es war ja noch viel zu klein, um irgend etwas zu
verstehen, und glaubte, es w�rde ausgeschimpft. Au�erdem
war es auch erschrocken vor dem gro�en schwarzen Gesicht
von Lukas, denn es wu�te ja noch nicht, da� es selber auch ein
schwarzes Gesicht hatte.
Frau Waas nahm das Kind schnell auf den Arm und tr�stete es.
Und Lukas stand dabei und machte ein ganz bek�mmertes
Gesicht, weil er doch das Baby gar nicht hatte erschrecken
wollen.
Frau Waas war unbeschreiblich gl�cklich, denn sie hatte sich
schon immer ein Kind gew�nscht, f�r das sie abends kleine
Jacken und Hosen n�hen konnte. Sie schneiderte n�mlich f�r
ihr Leben gern. Und da� das Baby schwarz war, fand sie ganz
besonders nett, weil das zu rosa Stoff so h�bsch aussah, und
Rosa war ihre Lieblingsfarbe.
"Wie soll es denn hei�en?" fragte der K�nig pl�tzlich. "Das
Kind mu� doch einen Namen haben."
Das war richtig, also begannen alle, angestrengt zu �berlegen.
Endlich sagte Lukas:
"Ich w�rde es Jim nennen, denn es wird ein Junge werden."
Dann wandte er sich zu dem Baby und sagte mit einer ganz
vorsichtigen Stimme, um es nicht wieder zu erschrecken:
"Na, Jim, wollen wir Freunde sein?"
Da streckte das Baby seine kleine schwarze Hand mit den rosa
Handballen nach ihm aus, und Lukas ergriff sie behutsam mit
seiner gro�en schwarzen Hand und sagte:
"Hallo, Jim!"
Und Jim lachte.
Von diesem Tag an waren sie Freunde.
Auch sp�ter, als Jim schon gr��er war, kam es zuweilen vor,
da� Frau Waas pl�tzlich ernst wurde, die H�nde in den Scho�
legte und Jim kummervoll ansah. Dann ging ihr durch den
Kopf, wer wohl die wirkliche Mutter von Jim sein mochte...
"Ich werde ihm wohl bald einmal die Wahrheit sagen m�ssen",
seufzte sie, wenn sie dem K�nig oder Herrn �rmel oder Lukas
ihr Herz aussch�ttete. Dann nickten die anderen meistens
ernst und fanden auch, da� sie es tun sollte. Aber Frau Waas
schob es immer wieder hinaus.
Freilich ahnte sie da noch nicht, da� der Tag nicht mehr fern
war, an dem Jim alles erfahren w�rde, allerdings nicht von
Frau Waas, sondern auf eine ganz andere und sehr seltsame
Art.
Nun hatte Lummerland also einen K�nig, einen Lokomotiv-
f�hrer, eine Lokomotive und zweiein viertel Untertanen, denn
Jim war nat�rlich vorl�ufig viel zu klein, um schon als ganzer
Untertan gerechnet zu werden.
Aber im Lauf der Jahre wuchs er heran und wurde ein richtiger
Junge, der Streiche machte, Herrn �rmel �rgerte und sich
nicht besonders gerne waschen mochte - eben wie alle kleinen
Buben. Das Waschen fand er besonders �berfl�ssig, weil er ja
sowieso schwarz war, und man gar nicht sehen konnte, ob sein
Hals sauber war oder nicht. Aber Frau Waas lie� das nicht
gelten, und Jim sah es schlie�lich auch ein.
Frau Waas war sehr stolz auf ihn, obgleich sie sich best�ndig
wegen irgend etwas Sorgen um ihn machte - eben wie alle
M�tter. Sie machte sich auch dann Sorgen, wenn eigentlich gar
kein Grund dazu da war. Oder nur ein ganz kleiner Grund, wie
zum Beispiel der, da� Jim die Zahnpasta lieber aufa�, statt sich
damit die Z�hne zu putzen. Er fand n�mlich, da� sie gut
schmeckte.
Andererseits machte Jim sich nat�rlich auch oft sehr n�tzlich.
Zum Beispiel bediente er im Kaufladen, wenn der K�nig oder
Lukas oder Herr �rmel etwas kaufen wollten und Frau Waas
gerade keine Zeit hatte.
Jims bester Freund war und blieb Lukas der Lokomotivf�hrer.
Sie verstanden sich ohne viele Worte, schon allein deshalb,
weil Lukas ja ebenfalls fast ganz schwarz war. Oft fuhr Jim auf
der Emma mit, und Lukas zeigte und erkl�rte ihm alles.
Manchmal durfte Jim unter Lukas' Aufsicht sogar schon ein
St�ck weit selbst fahren.
Jims gr��ter Wunsch war n�mlich, sp�ter auch Lokomotivf�h-
rer zu werden, weil dieser Beruf so gut zu seiner Haut pa�te.
Aber dazu brauchte er erst einmal eine eigene Lokomotive.
Drittes Kapitel,
in dem beinahe ein trauriger Entschlu� gefa�t wird, mit dem
Jim nicht einverstanden ist.
Die Jahre vergingen, und Jim Knopf war nun schon fast ein
halber Untertan. In einem anderen Land h�tte er sicher bereits
auf einer Schulbank sitzen m�ssen, um lesen, schreiben und
rechnen zu lernen, aber in Lummerland gab es keine Schule.
Und weil es keine Schule gab, fiel es einfach niemand ein, da�
der Junge alt genug war, um lesen, schreiben und rechnen zu
lernen. Jim selbst machte sich nat�rlich dar�ber keine Gedan-
ken und lebte fr�hlich in den Tag hinein.
Jeden Monat einmal wurde er von Frau Waas gemessen. Er
mu�te sich barfu� an den T�rpfosten der kleinen K�che
stellen, und Frau Waas kontrollierte mit einem Buch, das sie
ihm auf den Kopf legte, wieviel er wieder gewachsen war.
Dann machte sie einen Bleistiftstrich an den T�rpfosten, und
jedesmal war der Strich ein kleines St�ckchen h�her.
Frau Waas freute sich sehr �ber Jims Gr��erwerden. Aber
jemand andrer machte sich schwere Sorgen dar�ber: der
K�nig, der das Land regieren mu�te und der die Verantwor-
tung f�r das Wohl seiner Untertanen trug.
Eines Abends rief er Lukas den Lokomotivf�hrer zu sich in
seinen Palast zwischen den beiden Gipfeln. Lukas trat ein,
nahm seine M�tze ab und seine Pfeife aus dem Mund und sagte
h�flich:
"Guten Abend, Herr K�nig!"
"Guten Abend, mein lieber Lukas der Lokomotivf�hrer",
erwiderte der K�nig, der neben seinem goldenen Telefon sa�,
und wies mit der Hand auf einen leeren Stuhl, "bitte, nimm
doch Platz!"
Lukas setzte sich hin.
"Nun denn", begann der K�nig und r�usperte sich ein paarmal,
"f�rwahr, lieber Lukas, ich wei� nicht recht, wie ich es dir
sagen soll. Aber ich hoffe, da� du es trotzdem verstehen
wirst."
Lukas antwortete nichts. Das bedr�ckte Aussehen des K�nigs
hatte ihn stutzig gemacht.
Der K�nig r�usperte sich noch einmal, blickte Lukas mit
ratlosen und bek�mmerten Augen an und begann von
neuem:
"Du warst doch immer ein verst�ndiger Mann, Lukas."
"Worum dreht sich's denn?" fragte Lukas vorsichtig.
Der K�nig nahm seine Krone ab, hauchte darauf und putzte sie
mit dem �rmel seines Schlafrockes blank. Er tat das, um Zeit
zu gewinnen, denn er war sichtlich verwirrt. Dann setzte er die
Krone mit einem entschlossenen Ruck wieder auf seinen Kopf,
r�usperte sich noch einmal und sagte:
"Mein lieber Lukas, ich habe lange nachgedacht, aber endlich
bin ich zu dem Ergebnis gekommen, da� es nicht anders geht.
Wir m�ssen es tun."
"Was m�ssen wir tun, Majest�t?" fragte Lukas.
"Habe ich das nicht eben gesagt?" murmelte der K�nig ent-
t�uscht. "Ich dachte schon, ich h�tte es eben gesagt."
"Nein", antwortete Lukas, "Sie haben nur gesagt, da� wir
etwas tun m�ssen."
Der K�nig blickte versonnen vor sich hin. Nach einer Weile
sch�ttelte er verwundert den Kopf und sagte:
"Seltsam, ich h�tte wetten k�nnen, da� ich eben gesagt habe,
wir m��ten die alte Emma abschaffen."
Lukas dachte, er h�tte nicht recht geh�rt, darum fragte er:
"Was m�ssen wir Emma?"
"Abschaffen", antwortete der K�nig und nickte ernst. "Es
mu� nat�rlich nicht sofort sein, aber doch so bald wie m�glich.
Ich wei� wohl, es ist f�r uns alle ein schwerer Entschlu�, uns
von Emma zu trennen. Aber wir m�ssen es tun."
"Niemals, Majest�t!" sagte Lukas entschlossen. "Und au�er-
dem: wieso �berhaupt?"
"Sieh mal", meinte der K�nig beg�tigend, "Lummerland ist
ein kleines Land; ein ganz au�erordentlich kleines Land sogar
im Vergleich zu anderen L�ndern wie Deutschland oder Afrika
oder China. F�r einen K�nig, eine Lokomotive, einen Loko-
motivf�hrer und zwei Untertanen reicht es gerade. Aber wenn
nun noch ein Untertan dazukommt..."
"Es ist aber doch nur ein halber!" warf Lukas ein.
"O gewi�, gewi�", gab der K�nig kummervoll zu, "aber wie
lange noch? Er wird von Tag zu Tag gr��er. Ich mu� an die
Zukunft unseres Landes denken, daf�r bin ich der K�nig. Es
wird gar nicht mehr lange dauern, dann ist Jim Knopf ein
ganzer Untertan. Und dann will er sich doch ein eigenes Haus
bauen. Nun sage mir bitte, wo sollen wir noch ein Haus
hinstellen? Es ist doch �berhaupt kein Platz mehr da, weil jede
freie Stelle voller Gleise ist. Wir m�ssen uns einschr�nken. Es
hilft nichts."
"Verflixt!" brummte Lukas und kratzte sich hinter dem Ohr.
"Siehst du", fuhr der K�nig eifrig fort, "unser Land leidet jetzt
einfach an �berbev�lkerung. Fast alle L�nder der Welt leiden
daran, aber Lummerland besonders. Ich mache mir schreckli-
che Sorgen. Was sollen wir tun?"
"Ja, ich wei� es auch nicht", sagte Lukas.
"Entweder m�ssen wir Emma, die Lokomotive, abschaffen,
oder einer von uns mu� auswandern, sobald Jim Knopf ein
ganzer Untertan ist. Du bist doch Jims Freund, lieber Lukas.
Willst du, da� der Junge von Lummerland weggehen mu�,
sobald er gro� geworden ist?"
"Nein", sagte Lukas traurig, "das sehe ich schon ein."
Und nach einer kleinen Weile f�gte er hinzu: "Aber von Emma
kann ich mich auch nicht trennen. Was ist denn ein Lokomotiv-
f�hrer ohne eine Lokomotive?"
"Nun denn", meinte der K�nig, "denke einmal dar�ber nach.
Ich wei�, da� du ein vern�nftiger Mann bist. Du hast ja noch
etwas Zeit, dich zu entscheiden. Aber ein Entschlu� mu�
gefa�t werden."
Und er gab Lukas die Hand, zum Zeichen, da� die Audienz
beendet war.
Lukas erhob sich, setzte seine M�tze auf und verlie� mit
gesenktem Kopf den Palast. Der K�nig sank seufzend in seinen
Sessel zur�ck und wischte sich mit seinem seidenen Taschen-
tuch den Schwei� von der Stirn. Das Gespr�ch hatte ihn sehr
angegriffen.
Emma holte tief Luft und wollte eben wieder losheulen, als
pl�tzlich eine helle Stimme fragte:
"Was is' los?"
Es war Jim Knopf, der auf Lukas gewartet hatte und dabei
schlie�lich im Kohlentender eingeschlafen war. Als Lukas
angefangen hatte, mit Emma zu reden, war er aufgewacht und
hatte, ohne es zu wollen, alles mit angeh�rt.
"Hallo, Jim!" rief Lukas �berrascht. "Das war eigentlich nicht
f�r dich bestimmt. Aber meinetwegen, warum sollst du's nicht
wissen? Ja, Emma und ich, wir beide gehen weg. F�r immer.
Es mu� wohl sein."
"Wegen mir?" fragte Jim erschrocken.
"Wenn man es bei Licht betrachtet", sagte Lukas, "dann hat
der K�nig nicht so unrecht. Lummerland ist einfach zu klein f�r
uns alle."
"Und wann wollt ihr fort?" stammelte Jim.
"Am besten ist es, den Abschied nicht lange hinauszuziehen,
wenn es schon einmal sein mu�", antwortete Lukas ernst. "Ich
denke, wir fahren gleich heute nacht."
Jim �berlegte eine Weile. Dann sagte er pl�tzlich ent-
schlossen:
"Ich fahr'mit."
"Aber Jim!" rief Lukas. "Das geht auf gar keinen Fall. Was
w�rde Frau Waas dazu sagen? Sie w�rde es niemals er-
lauben."
"Am besten fragen wir sie erst gar nicht", entgegnete Jim
bestimmt. "Ich werd' ihr einen Brief auf den K�chentisch
legen, in dem ich ihr alles erkl�re. Wenn sie wei�, da� ich mit
dir gefahren bin, dann wird sie sich schon keine zu gro�en
Sorgen machen."
"Das glaub' ich aber doch", sagte Lukas und machte ein
bedenkliches Gesicht. "Au�erdem kannst du doch gar nicht
schreiben."
"Ich werd' eben einen Brief zeichnen", erkl�rte Jim.
Aber Lukas sch�ttelte ernst den Kopf. "Nein, mein Junge, ich
kann dich nicht mitnehmen. Es ist sehr nett von dir, und ich
w�rde es auch gerne tun. Aber es geht nicht. Du bist schlie�lich
noch ein ziemlich kleiner Junge, und du w�rdest uns nur..."
Er hielt inne, weil Jim ihm pl�tzlich sein Gesicht zuwandte,
und dieses Gesicht war sehr entschlossen und sehr ungl�ck-
lich.
"Lukas", sagte Jim leise, "warum redest du solche Sachen? Du
w�rdest schon sehen, wie gut ihr mich gebrauchen k�nntet."
"Na ja", antwortete Lukas ein wenig verlegen, "nat�rlich, du
bist ja ein brauchbarer kleiner Bursche, und in manchen Lagen
ist es sogar von Vorteil, wenn man klein ist. Das ist schon
richtig ..."
Er z�ndete seine Pfeife an und paffte eine Weile schweigend
vor sich hin. Er war schon nahe daran, zuzustimmen; aber er
wollte den Jungen pr�fen. Darum begann er wieder:
"Denk doch mal nach, Jim! Emma soll ja gerade weg, damit du
in Zukunft gen�gend Platz hast. Wenn du jetzt gehst, dann
k�nnte Emma ja ruhig bleiben. Und ich auch."
"Nein", sagte Jim mit trotzigem Gesicht, "ich werde doch
meinen besten Freund nicht verlassen. Entweder wir bleiben
alle drei hier, oder wir gehen alle drei weg. Hier bleiben
k�nnen wir nicht. Dann gehn wir eben - alle drei."
Lukas l�chelte.
"Das ist wirklich nett von dir, alter Jim", sagte er und legte
seinem Freund die Hand auf die Schulter. "Ich f�rchte nur, das
wird dem K�nig gar nicht recht sein. So hat er sich das sicher
nicht vorgestellt."
"Das is' mir gleich", erkl�rte Jim. "Ich fahr' jedenfalls mit
dir."
Lukas �berlegte wieder eine ganze Weile und h�llte sich in den
Rauch seiner Pfeife. Das tat er immer, wenn er ger�hrt war. Er
wollte nicht, da� jemand es sehen sollte, aber Jim kannte
ihn.
"Gut!" kam schlie�lich Lukas' Stimme aus der Rauchwolke.
"Ich erwarte dich also um Mitternacht hier."
"In Ordnung", antwortete Jim.
Sie gaben sich die Hand, und Jim war schon im Weggehen, als
Lukas ihn noch einmal zur�ckrief.
"Jim Knopf", sagte Lukas, und es klang beinahe feierlich, "du
bist wirklich der feinste kleine Kerl, den ich in meinem Leben
gesehen habe."
Damit drehte er sich um und ging schnell davon. Jim schaute
ihm gedankenvoll nach, dann lief auch er nach Hause. Lukas'
Worte klangen noch in seinem Ohr, und zugleich mu�te er an
Frau Waas denken, die immer so gut und lieb zu ihm gewesen
war.
Und ihm war ganz gl�cklich und elend zugleich zumut.
Viertes Kapitel,
in welchem ein h�chst sonderbares Schiff in See sticht und
Lukas erkennt, da� er sich auf Jim Knopf verlassen kann
[BILD illu06.jpg]
Das hie�: Ich bin mit Lukas dem Lokomotivf�hrer auf Emma
weggefahren.
Und dann zeichnete er noch schnell darunter:
F�nftes Kapitel
in dem die Seereise beendet wird und Jim durchsichtige
B�ume sieht
Nach kurzer Zeit hatten sie eine breite Stra�e erreicht, auf der
sie bequem und schnell dahinrollen konnten. Selbstverst�nd-
lich h�teten sie sich, �ber eine der kleinen Br�cken aus
Porzellan zu fahren, weil Porzellan, wie jeder wei�, sehr
zerbrechlich ist und es nicht besonders gut vertr�gt, wenn man
mit einer Lokomotive dr�ber f�hrt.
Und es war ihr Gl�ck, da� sie nicht nach rechts oder links
abbogen, denn die Stra�e f�hrte direkt nach Fing, der Haupt-
stadt von Mandala.
Erst fuhren sie nur immer auf den Horizont zu, �ber dem sich
das rot und wei� gestreifte Gebirge erhob. Aber ungef�hr nach
f�nfeinhalb Stunden Fahrt erblickte Jim, der auf das Dach der
Lokomotive geklettert war, um Ausschau zu halten, in der
Ferne etwas, was aussah wie Tausende und aber Tausende von
gro�en Zelten. Alle diese Zelte gl�nzten in der Sonne wie
Metall.
Jim rief zu Lukas hinunter, was er gesehen hatte, und Lukas
antwortete: "Das sind die goldenen D�cher von Fing. Wir sind
also auf dem richtigen Weg."
Und nach einer weiteren halben Stunde hatten sie die Stadt
erreicht.
Sechstes Kapitel
in welchem ein dicker gelber Kopf Schwierigkeiten macht
Siebentes Kapitel
in dem Emma Karussell spielen soll und die beiden Freunde ein
Kindeskind kennenlernen
Den ganzen Tag �ber waren die beiden Freunde in der Stadt
umhergeschlendert. Die Sonne hatte sich dem Horizont zuge-
neigt, und im Abendrot begannen die goldenen D�cher zu
gl�nzen.
In den G��chen, wo es schon d�mmerig wurde, entz�ndeten
die Mandalanier ihre Lampions, die in allen Farben leuchte-
ten. Sie trugen sie an langen Angelruten vor sich her, die
gro�en Mandalanier gro�e Lampions, die kleinen kleine. Und
die allerkleinsten sahen aus wie bunte Gl�hw�rmchen.
�ber all den Wundern hatten die beiden Freunde ganz verges-
sen, da� sie au�er den paar Meeresfr�chten zum Fr�hst�ck
nichts mehr gegessen hatten.
"Das ist ja allerhand!" sagte Lukas lachend. "Da mu� sofort
etwas unternommen werden. Wir gehen jetzt in ein Gasthaus
und bestellen uns ein Abendessen, das sich sehen lassen
kann."
"In Ordnung", stimmte Jim zu. "Hast du mandalanisches
Geld?"
"Verflixt!" antwortete Lukas und kratzte sich hinter dem Ohr.
"Daran hab' ich nicht gedacht. Aber Geld oder nicht Geld, zu
essen mu� der Mensch was haben. La� mich mal nach-
denken!"
Er dachte also nach, und Jim sah ihm erwartungsvoll dabei zu.
pl�tzlich rief Lukas: "Ich hab's! Wenn wir kein Geld haben,
m�ssen wir eben welches verdienen."
"Famos", sagte Jim, "aber wie machen wir das so schnell?"
"Ganz einfach!" antwortete Lukas. Wir gehen jetzt zu unserer
alten Emma zur�ck und geben bekannt, da� jeder, der zehn Li
bezahlt, eine Runde um den gro�en Schlo�platz mitfahren
darf."
Sie gingen rasch zu dem gro�en Platz vor dem kaiserlichen
Palast zur�ck, wo noch immer eine gro�e Menschenmenge in
respektvollem Abstand um die Lokomotive herumstand und
sie angaffte. Nur da� sie jetzt alle Lampions trugen.
Lukas und Jim bahnten sich einen Weg duch das Gedr�nge und
stiegen auf das Dach ihrer Lokomotive.
Ein erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge.
"Achtung, Achtung!" rief Lukas laut. "Sehr verehrte Damen
und Herren! Wir sind mit unserer Lokomotive von sehr weit
hergekommen und werden wahrscheinlich bald wieder abrei-
sen. Ben�tzen Sie die einmalige Gelegenheit! Machen Sie eine
kleine Fahrt mit uns! Es kostet ausnahmsweise nur zehn Li.
Nicht mehr als zehn Li f�r eine Fahrt um diesen gro�en
Platz!"
Durch die Menge ging ein Murmeln und Fl�stern, aber nie-
mand r�hrte sich vom Fleck.
Lukas begann noch einmal:
"Kommen Sie ruhig n�her, meine Herrschaften! Die Lokomo-
tive ist ganz ungef�hrlich! Nur keine Angst! Nur hereinspa-
ziert, verehrtes Publikum!"
Die Menge blickte and�chtig zu Lukas und Jim empor, aber
keiner trat vor.
"Verflixt und zugen�ht!" raunte Lukas Jim zu. "Sie trauen sich
nicht. Versuch du's mal!"
Jim holte Luft und rief, so laut er konnte:
"Liebe Kinder und Kindeskinder! Ich kann euch nur raten:
Fahrt mit! Es ist das Lustigste, was man sich �berhaupt denken
kann - sogar sch�ner als Karussellfahren! Achtung, Achtung!
In wenigen Minuten beginnen wir! Bitte einsteigen! Es kostet
heute nur zehn Li pro Person! Nur zehn Li!"
Aber niemand r�hrte sich.
"Es kommt keiner", fl�sterte Jim entt�uscht.
"Vielleicht fahren wir erst mal eine Runde allein", meinte
Lukas. "M�glich, da� sie dann Lust bekommen."
Also kletterten sie vom Dach hinunter und fuhren los. Aber
der Erfolg war leider ganz anders, als sie erwartet hatten. Die
Leute rannten erschrocken davon, und schlie�lich war der
ganze Platz v�llig menschenleer.
"Es hat keinen Zweck", seufzte Jim, als sie wieder hielten.
"Da m�ssen wir uns eben was Besseres ausdenken", brummte
Lukas vor sich hin.
Sie stiegen von der Lokomotive herunter und begannen nach-
zudenken, aber sie wurden dauernd durch das Knurren ihrer
M�gen gest�rt. Endlich meinte Jim kl�glich:
"Ich glaub', wir finden nichts. Wenn wir nur irgend jemand von
hier kennen w�rden. Ein Mandalanier k�nnte uns sicher einen
guten Rat geben."
"Aber gern!" piepste da pl�tzlich ein zartes Stimmchen.
"Wenn ich euch behilflich sein kann?"
Lukas und Jim blickten erstaunt vor sich nieder und sahen zu
ihren F��en ein winziges Kerlchen, ungef�hr so gro� wie eine
Hand. Offenbar war das ein Kindeskind. Sein Kopf war nicht
gr��er als ein Tischtennisball. Das Kerlchen nahm seinen
kleinen, runden Hut und machte h�flich eine tiefe Verbeu-
gung, so da� sein Z�pfchen in die H�he stand.
"Ich m�cht' nur wissen", meinte Jim manchmal nachdenklich,
"wo wir eigentlich hinfahren."
"Mein Name, ihr ehrenwerten Fremdlinge", sagte er, "ist Fing
Pong. Ich stehe ganz zu euren Diensten."
Lukas nahm die Pfeife aus dem Mund und verbeugte sich
ebenfalls mit ernster Miene. "Mein Name ist Lukas der
Lokomotivf�hrer."
Und nun verbeugte sich auch Jim und sagte: "Ich hei�e Jim
Knopf."
Darauf verbeugte sich wieder der kleine Fing Pong und
zwitscherte: "Ich habe den Klagegesang eurer erhabenen
M�gen vernommen. Es wird mir eine Ehre sein, euch zu
bewirten. Bitte, wartet hier einen Augenblick!"
Und er rannte mit winzig kleinen Schritten auf den Palast zu, so
schnell, da� es aussah, als ob er auf R�derchen f�hre.
Als er in der niedersinkenden Dunkelheit verschwunden war,
schauten sich die beiden Freunde verdutzt an.
"Jetzt bin ich aber gespannt, wie es weitergeht", sagte Jim.
"Warten wir's ab", sagte Lukas und klopfte seine Pfeife aus.
Als Ping Pong zur�ckkam, schwankte er unter einer sonderba-
ren Last, die er auf dem Kopf trug. Es war ein kleines
Lacktischchen, nicht gr��er als ein Tablett. Das stellte er auf
den Boden neben die Lokomotive. Dann legte er ein paar
Kissen, klein wie Briefmarken, um das Tischchen herum.
"Bitte, nehmt Platz!" sagte er mit einer einladenden Handbe-
wegung.
Die beiden Freunde setzten sich so gut es ging auf die Kissen
nieder. Es war zwar ein bi�chen schwierig, aber sie wollten
schlie�lich nicht unh�flich sein.
Ping Pong rannte noch einmal davon und kam zur�ck mit
einem ganz kleinen, wundersch�nen Lampion, auf den ein
freundlich lachendes Gesicht gemalt war. Das St�ckchen, an
dem der Lampion hing, steckte er zwischen die Speichen eines
Lokomotivrades. Nun hatten die beiden Freunde eine h�bsche
Tischbeleuchtung. Es war n�mlich inzwischen ganz dunkel
geworden, und der Mond war noch nicht aufgegangen.
"So!" piepste Fing Pong und �berblickte befriedigt sein Werk.
"Und was darf ich den ehrenwerten Fremdlingen nun zu essen
bringen?"
"Ja", meinte Lukas ein wenig ratlos, "was gibt's denn?"
Der kleine Gastgeber begann eifrig aufzuz�hlen: "Vielleicht
hundertj�hrige Eier auf einem zarten Salat aus Eichh�rnchen-
ohren? Oder m�chtet ihr lieber gezuckerte Regenw�rmer in
saurer Sahne? Sehr gut ist auch Baumrindenp�ree mit geras-
pelten Pferdehufen �berstreut. Oder h�ttet ihr gern gesottene
Wespennester mit Schlangenhaut in Essig und �l? Wie w�re es
mit Ameisenkl��chen auf k�stlichem Schneckenschleim? Sehr
empfehlenswert sind auch ger�stete Libelleneier in Honig oder
zarte Seidenraupen mit weichgekochten Igelstacheln. Viel-
leicht zieht ihr aber knusprige Heuschreckenbeine mit einem
Salat aus pikanten Maik�ferf�hlern vor?"
"Lieber Fing Pong", sagte Lukas, der mit Jim einen best�rzten
Blick gewechselt hatte, "das sind sicher alles gro�e Leckereien.
Aber wir sind erst ganz kurz in Mandala und m�ssen uns
zun�chst einmal an eure Kost gew�hnen. Gibt es denn nicht
vielleicht etwas ganz Einfaches?"
"Oh, doch!" rief Ping Pong eifrig. "Zum Beispiel panierte
Pferde�pfel in Elefanten-Sahne."
"Ach nein", sagte Jim, "so was meinen wir nicht. Gibt's denn
nicht irgendwas Vern�nftiges?"
"Irgendwas Vern�nftiges?" fragte Ping Pong ratlos. Doch
dann hellte sich sein Gesicht auf. "Ich verstehe!" rief er. "Zum
Beispiel M�useschw�nze und Froschlaichpudding. Das ist das
Vern�nftigste, was ich kenne." Jim sch�ttelte sich.
"Nein", sagte er, "das meine ich auch nicht! Ich meine zum
Beispiel einfach ein gro�es Butterbrot."
"Ein was?" fragte Fing Pong.
"Ein Butterbrot", wiederholte Jim.
"Nein, das kenne ich gar nicht", sagte Fing Pong verwirrt.
"Oder Bratkartoffeln mit Spiegelei", schlug Lukas vor.
"Nein", antwortete Fing Pong, "davon habe ich nie etwas
geh�rt."
"Oder ein St�ck Schweizerk�se", fuhr Lukas fort, und dabei
lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
Aber jetzt sch�ttelte sich der kleine Fing Pong und schaute die
beiden Freunde ganz entsetzt an.
"Verzeiht, ehrenwerte Fremdlinge, da� ich mich sch�ttle",
piepste er, "K�se ist doch verschimmelte Milch! W�rdet ihr so
etwas wirklich essen m�gen?"
"Ach ja", riefen die beiden Freunde wie aus einem Munde,
"das w�rden wir!"
Eine Weile �berlegten sie noch hin und her. Pl�tzlich schnippte
Lukas der Lokomotivf�hrer mit dem Finger und sagte:
"Leute, ich hab's! Wir sind doch hier in Mandala, und in
Mandala gibt's doch Reis."
"Reis?" fragte Phig Pong. "Ganz gew�hnlichen Reis?"
"Ja", erwiderte Lukas.
"Oh, jetzt wei� ich etwas!" rief Fing Pong gl�cklich. "Ihr
bekommt eine kaiserliche Reisplatte. Sofort, sogleich, ich
eile!" Er wollte schon davonrennen, aber Lukas hielt ihn am
Armelchen zur�ck.
"Aber bitte, Fing Pong", sagte er, "keine K�fer oder gebratene
Schuhb�nder dazwischen, wenn's geht."
Fing Pong versprach es und verschwand in der Dunkelheit. Als
er zur�ckkam, trug er ein paar Sch�lchen, kaum gr��er als
Fingerh�te, und stellte sie auf den Tisch.
Die beiden Freunde wechselten einen Blick und dachten bei
sich, ob das nicht vielleicht ein bi�chen wenig w�re f�r zwei
hungrige Lokomotivf�hrer. Aber sie sagten nat�rlich nichts,
denn sie waren ja zu Gast.
Doch Fing Pong rannte sofort wieder davon, brachte weitere
Sch�sselchen und verschwand aufs neue. Schlie�lich stand das
ganze Tischchen voll, aus allen N�pfchen duftete es ganz
unbeschreiblich appetitlich. Vor jedem der beiden Freunde
lagen zwei St�bchen, die aussahen wie d�nne Bleistifte.
"Ich m�cht' wissen", fl�sterte Jim Lukas zu, "wozu diese
St�bchen da sind."
Fing Pong, der die Worte geh�rt hatte, erkl�rte:
"Diese St�bchen, ehrenwerter Knopftr�ger, sind das Besteck.
Man i�t mit ihnen."
"Aha!" murmelte Jim besorgt.
"Na sch�n", meinte Lukas. "Versuchen wir's mal. Guten
Appetit!"
Sie versuchten es also. Aber jedesmal, wenn sie m�hsam ein
Reiskorn auf einem St�bchen balancierten, fiel es herunter,
ehe sie es in den Mund bekommen konnten. Das war wirklich
recht unangenehm, denn sie wurden beide immer hungriger,
und das Essen duftete so unbeschreiblich verf�hrerisch.
Fing Pong war nat�rlich viel zu h�flich, um �ber die Unge-
schicklichkeit der beiden Fremden auch nur zu l�cheln. Aber
schlie�lich mu�ten Jim und Lukas selber lachen, und da
stimmte auch Fing Pong ein.
"Entschuldige, Fing Pong", sagte Lukas, "aber wir essen doch
lieber ohne diese St�bchen. Sonst verhungern wir noch."
Und dann a�en sie einfach so aus den Sch�lchen, die ja ohnehin
nur so gro� waren wie Teel�ffel.
In jedem Sch�lchen befand sich anders zubereiteter Reis, und
einer schmeckte immer besser als der andere. Es gab roten
Reis, gr�nen Reis und schwarzen Reis, s��en Reis, scharfen
Reis und gesalzenen Reis, Reisbrei, Reisauflauf und Puffreis,
blauen Reis, kandierten Reis und vergoldeten Reis. Sie a�en
und a�en.
"Sag mal, Fing Pong", frage Lukas nach einer Weile, "warum
i�t du eigentlich nicht mit?"
"Oh, nein!" antwortete Fing Pong mit wichtiger Miene, "f�r
Kinder in meinem Alter ist dieses Essen nicht bek�mmlich.
Wir sollen lieber fl�ssige Nahrung zu uns nehmen."
"Wieso?" meinte Jim mit vollem Mund. "Wie alt bist du
denn?"
"Ich bin genau 368 Tage alt", antwortete Fing Pong stolz.
"Aber ich habe schon vier Z�hne."
Das war ja nun wirklich recht unglaublich, da� Fing Pong erst
ein Jahr und drei Tage sein sollte! Um das zu verstehen, mu�
man folgendes wissen:
Die Mandalanier sind ein sehr, sehr kluges Volk. Sie sind sogar
eines der kl�gsten V�lker der Erde. Sie sind auch ein sehr altes
Volk. Es hat sie schon gegeben, als es die meisten anderen
V�lker noch nicht gab. Daher kommt es, da� bereits die
winzigsten Kinder ihre W�sche selbst waschen k�nnen. Mit
einem Jahr sind sie schon so gescheit, da� sie herumlaufen und
ganz erwachsen reden k�nnen. Mit zwei Jahren k�nnen sie
lesen und schreiben. Mit drei Jahren rechnen, sie die schwer-
sten Rechenaufgaben aus, die bei uns h�chstens ein Professor
bew�ltigen kann. Das f�llt aber in Mandala nicht weiter auf,
weil eben alle Kinder so gescheit sind.
So ist es zu erkl�ren, da� der kleine Fing Pong sich schon so
gew�hlt ausdr�cken konnte und auf sich selbst achtgab wie
seine eigene Mutter. Aber im �brigen war er noch genauso ein
S�ugling wie alle anderen Babys der Welt in seinem Alter.
Zum Beispiel mu�te er statt H�schen noch Windeln tragen.
Die Enden der Windeln waren auf seinem Hinterteil zu einer
gro�en Schleife zusammengebunden.
Nur sein Verstand war eben schon sehr erwachsen.
Achtes Kapitel
in dem Lukas und Jim geheimnisvolle Inschriften entdecken
Neuntes Kapitel
in dem ein Zirkus auftritt und jemand b�se Pl�ne
gegen Jim und Lukas schmiedet
Zehntes Kapitel
in dem Lukas und Jim in gro�e Gefahr geraten
Dort sahen Jim und Lukas viele T�ren, alle f�nf Meter eine. Es
waren unz�hlige T�ren, denn jeder Seitengang hatte wieder
Seiteng�nge, und alle waren so lang, da� es schien, als n�hmen
sie �berhaupt kein Ende.
"Dies, ehrenwerte Fremdlinge", erkl�rte der Hauptmann ge-
d�mpft, "ist das kaiserliche Amt. Wenn Sie geruhen wollen,
mir zu folgen, dann werde ich Sie zu dem erlauchten Herrn
Oberbonzen Pi Pa Po bringen."
"Eigentlich", brummte Lukas, "wollen wir lieber zum Kaiser
und nicht zu Herrn Pi Pa Po."
"Der erlauchte Herr Oberbonze wird Sie gewi� zum erhabe-
nen Kaiser geleiten", erwiderte der Hauptmann und verzog
sein Gesicht zu einem h�flichen Grinsen.
Sie marschierten also eine ganze Weile kreuz und quer durch
die vielen G�nge, bis sie endlich vor einer T�r stehen-
blieben.
"Hier ist es", raunte der Hauptmann ehrf�rchtig.
Lukas klopfte unbek�mmert an und trat mit Jim ein. Die
Soldaten blieben drau�en im Gang stehen.
In dem Zimmer sa�en drei sehr dicke Bonzen auf erh�hten
St�hlen. Der Bonze in der Mitte hatte einen besonders hohen
Stuhl und trug ein goldenes Gewand. Das war Herr Pi Pa Po.
Alle drei hielten seidene F�cher in den H�nden, mit denen sie
sich Luft zuf�chelten. Vor jedem Bonzen hockte auf dem
Boden ein Schreiber mit Tusche, Pinsel und Papier, denn in
Mandala schreibt man mit dem Pinsel.
"Guten Morgen, meine Herren!" sagte Lukas freundlich und
tippte mit dem Finger an seine M�tze. "Sind Sie Herr Pi Pa Po,
der Oberbonze? Wir m�chten n�mlich gern zum Kaiser."
"Guten Morgen!" erwiderte der Oberbonze l�chelnd. "Zum
Kaiser werden Sie wohl erst sp�ter kommen."
"Vielleicht", f�gte der zweite Bonze hinzu und schielte zum
Oberbonzen hinauf.
"Es ist nicht ganz ausgeschlossen", lie� sich der dritte Bonze
vernehmen. Und alle drei nickten einander zu, und die Schrei-
ber kicherten beif�llig, beugten sich �ber ihre Papiere und
schrieben die geistreichen Worte der Bonzen auf, um sie der
Nachwelt zu erhalten.
"Erlauben Sie zun�chst g�tigst einige Fragen," sagte der
Oberbonze. "Wer sind Sie beide?"
"Und woher kommen Sie eigentlich?" wollte der zweite Bonze
wissen.
"Und was wollen Sie hier?" erkundigte sich der dritte.
"Ich bin Lukas der Lokomotivf�hrer, und das hier ist mein
Freund Jim Knopf", sagte Lukas. "Wir kommen aus Lummer-
land und wollen zum Kaiser von Mandala, um ihm mitzuteilen,
da� wir seine Tochter aus der Drachenstadt befreien
werden."
"Sehr lobenswert!" meinte der Oberbonze l�chelnd. "Aber das
kann jeder sagen."
"Haben Sie Beweise?" fragte der zweite Bonze.
"Oder eine Erlaubnis?" setzte der dritte hinzu. Und wieder
kicherten die Schreiber beif�llig und schrieben alles f�r die
Nachwelt auf, und die Bonzen f�chelten sich und nickten
einander l�chelnd zu.
"H�ren Sie mal, meine Herren Bonzen!" sagte Lukas, schob
seine M�tze ins Genick und nahm die Pfeife aus dem Mund.
"Was wollen Sie eigentlich? Sie sollten sich lieber nicht so
aufblasen. Ich glaube n�mlich, der Kaiser wird ziemlich �rger-
lich sein, wenn er h�rt, wie Sie sich hier wichtig machen."
"Das", entgegnete der Oberbonze l�chelnd, "wird er wahr-
scheinlich niemals erfahren."
"Ohne uns", erkl�rte der zweite Bonze selbstgef�llig, "k�nnen
die ehrenwerten Fremdlinge �berhaupt nicht zum Kaiser ge-
langen."
"Und wir lassen Sie erst zu ihm, wenn wir alles genau gepr�ft
haben", vollendete der dritte. Und wieder nickten die Bonzen
sich l�chelnd zu, und die Schreiber schrieben es auf und
kicherten beif�llig.
"Also gut!" sagte Lukas seufzend. "Aber beeilen Sie sich bitte
etwas mit dem Pr�fen. Wir haben n�mlich noch nicht gefr�h-
st�ckt."
"Sagen Sie, Herr Lukas", begann der Oberbonze, "haben Sie
einen Ausweis?"
"Nein", antwortete Lukas.
Die Bonzen zogen die Augenbrauen hoch und blickten einan-
der bedeutungsvoll an.
"Ohne Ausweis", sagte der zweite Bonze, "haben Sie ja nicht
einmal einen Beweis, da� Sie vorhanden sind."
"Ohne Ausweis", erg�nzte der dritte, "gibt es Sie gar nicht,
amtlich gesehen! Also k�nnen Sie auch nicht zum Kaiser
gehen. Denn ein Mensch, den es nicht gibt, kann ja nirgendwo
hingehen. Das ist logisch."
Und die Bonzen nickten einander zu, und die Schreiber
kicherten und schrieben es f�r die Nachwelt auf.
"Aber wir stehen doch hier!" bemerkte jetzt Jim. "Also gibt's
uns doch."
"Das kann jeder sagen", erwiderte der Oberbonze l�chelnd.
"Das ist noch lange kein Beweis", sagte der zweite Bonze.
"Jedenfalls nicht amtlich gesehen", f�gte der dritte hinzu.
"Wir k�nnen Ihnen h�chstens einen vorl�ufigen Ausweis
ausstellen", schlug der Oberbonze herablassend vor. "Das ist
aber wirklich alles, was wir f�r Sie tun k�nnen."
"Gut", sagte Lukas, "k�nnen wir damit zum Kaiser?"
"Nein", sagte der zweite Bonze. "Zum Kaiser k�nnen Sie
damit nat�rlich nicht."
"Was k�nnen wir denn damit?" erkundigte sich Lukas.
"Gar nichts", sagte der dritte Bonze l�chelnd.
Und wieder f�chelten sich die drei Bonzen und nickten einan-
der zu, und die Schreiber kicherten beif�llig und schrieben die
geistreichen Worte ihrer Vorgesetzten auf.
"Jetzt will ich euch mal was sagen, meine Herren Bonzen",
sagte Lukas langsam. "Wenn ihr uns jetzt nicht sofort zum
Kaiser bringt, dann werden wir euch schon beweisen, da� es
uns gibt. Auch amtlich gesehen!" Dabei lie� er sie ein wenig
seine gro�e schwarze Faust sehen, und auch Jim zeigte seine
kleine schwarze Faust.
"H�ten Sie Ihre Zunge!" zischte der Oberbonze mit t�cki-
schem L�cheln. "Das ist Bonzenbeleidigung! Daf�r k�nnte ich
euch beide sofort in den Kerker werfen lassen."
"Na, das ist doch die H�he!" rief Lukas, der nun wirklich
langsam anfing, die Geduld zu verlieren. "Ihr wollt uns wohl
absichtlich nicht zum Kaiser lassen, wie?"
"Nein", erwiderte der Oberbonze.
"Niemals!" riefen nun auch die Schreiber und schielten zu den
Bonzen hinauf.
"Und warum nicht?" fragte Lukas.
"Weil ihr Spione seid", antwortete der Oberbonze und l�chelte
triumphierend. "Ihr seid verhaftet!"
"So!'"sagte Lukas mit gef�hrlicher Ruhe. "Ihr glaubt wohl, ihr
k�nnt uns zum Narren halten, ihr dicken, dummen Bonzen?
Aber da seid ihr bei uns an die Falschen geraten."
Damit ging er zuerst auf die Schreiber zu, nahm ihnen die
Pinsel aus der Hand und schlug sie ihnen um die Ohren. Die
Schreiber fielen sofort um und begannen, j�mmerlich zu
schreien.
Dann packte Lukas, ohne dabei die Pfeife aus dem Mund zu
nehmen, Herrn Pi Pa Po, hob ihn hoch, drehte ihn in der Luft
um und steckte ihn mit dem Kopf zuunterst in einen Papier-
korb. Der Oberbonze schrie und heulte vor Wut und zappelte
mit den Beinen, aber er konnte sich nicht befreien. Er sa� zu
fest.
Darauf ergriff Lukas mit jeder Hand einen der beiden anderen
Bonzen am Kragen, stie� mit dem Fu� das Fenster auf und
hielt sie am ausgestreckten Arm hinaus. Die beiden Bonzen
jammerten, wagten aber nicht zu zappeln, weil sie Angst
hatten, Lukas w�rde sie fallen lassen. Und an dieser Stelle ging
es gerade ziemlich tief hinunter. Sie hingen also ganz still und
blickten mit blassen Gesichtern in die Tiefe.
"Na?" knurrte Lukas, die Pfeife zwischen den Z�hnen, "wie
gef�llt euch das?" Dabei sch�ttelte er die beiden ein bi�chen,
worauf sie anfingen, mit den Z�hnen zu klappern. "F�hrt ihr
uns jetzt sofort zum Kaiser oder nicht?"
"Ja, ja!" wimmerten die beiden Bonzen.
Lukas holte sie wieder herein und stellte sie auf ihre zitternden
Beine.
Doch in diesem Augenblick erschien die Palastwache in der
T�r. Das Geschrei des Oberbonzen hatte sie alarmiert. Alle
drei�ig Mann dr�ngten sich in das Zimmer und gingen mit
gezogenen S�beln auf Lukas und Jim los. Schnell sprangen die
beiden in eine Ecke des Zimmers, um R�ckendeckung zu
haben. Jim stellte sich hinter Lukas, der die Schwerthiebe mit
Stuhlbeinen abfing und das Tischchen eines Schreibers als
Schild ben�tzte. Aber er mu�te bald ein anderes Tischchen
und ein anderes Stuhlbein nehmen, weil die ersten von den
Schwertern zerhauen waren. Jim reichte sie ihm schnell hin.
Aber es war vorauszusehen, da� die Freunde nicht allzulang
w�rden Widerstand leisten k�nnen, weil ja im ganzen nur drei
Tischchen und drei St�hle da waren. Bald mu�te der Vorrat zu
Ende sein, und was dann?
Da der Kampf ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm,
bemerkte weder Lukas noch Jim das erschrockene Gesicht-
chen, das pl�tzlich in der offenen T�r auftauchte. Ungef�hr
eine Handbreit �ber dem Boden lugte es f�r einen Augenblick
hinter dem T�rrahmen vor und verschwand sofort wieder.
Es war Fing Pong!
Er hatte bis in den Vormittag hinein geschlafen, weil er gestern
so ungew�hnlich sp�t ins Bett gekommen war. Darum hatte er
seine neuen Freunde nicht mehr bei der Lokomotive angetrof-
fen. Die Leute erz�hlten ihm, da� die Palastwache die beiden
Lokomotivf�hrer abgeholt h�tte. Als er das h�rte, stieg eine
bange Ahnung in Fing Pong auf. Er lief durch alle G�nge des
kaiserlichen Amtes, bis er von weitem den L�rm des Kampfes
vernahm, ihm nachging und die offene T�r sah. Mit einem
Blick hatte er die Gef�hrlichkeit der Lage erkannt. Hier
konnte nur noch einer helfen: Der erhabene Kaiser selbst! Wie
ein Wiesel rannte Fing Pong durch die G�nge, die Treppen
hinauf, durch S�le und Gem�cher. Manchmal mu�te er zwi-
schen Posten hindurch, die ihn mit gekreuzten Hellebarden
aufzuhalten versuchten, doch er schl�pfte einfach darunter
durch. Er legte sich in die Kurven, rutschte auf dem blanken
Marmorboden aus und verlor kostbare Sekunden. Doch
schnell hatte er sich wieder aufgerappelt und jagte, kleine
Staubw�lkchen hinter sich lassend, weiter. Jetzt h�pfte er eilig
eine breite Marmortreppe hinauf und lief auf einem endlosen
Teppich entlang. Er rannte und rannte und rannte ...
"Und wir lassen sie erst zu ihm, wenn wir alles
genau gepr�ft haben..."
Nun war er nur noch zwei Vorzimmer weit von dem Thronsaal
des Kaisers entfernt. Jetzt nur noch eines. Da waren schon die
gro�en Fl�gelt�ren des Saales ... aber - o Schreck! - diese
T�ren wurden eben langsam von zwei Dienern geschlossen. Im
allerletzten Augenblick witschte Fing Pong noch durch einen
schmalen Spalt, und nun war er im Thronsaal. Mit leisem
Donner fiel hinter ihm die T�r ins Schlo�.
Der Thronsaal war riesengro�, und ganz am Ende sah Fing
Pong den erhabenen Kaiser auf seinem Thron aus Silber und
Diamanten sitzen unter einem Baldachin aus hellblauer Seide.
Neben dem Thron stand auf einem Tischchen ein mit Brillan-
ten besetztes Telefon.
In einem weiten Halbkreis waren die M�chtigen des Reiches,
die F�rsten und die Mandarine und die K�mmerer und die
Edlen und die weisen M�nner und die Sterndeuter und die
gro�en Maler und Dichter Mandalas versammelt. Sie alle zog
der Kaiser in wichtigen Dingen der Regierung zu Rate. Auch
Musiker waren da mit gl�sernen Geigen und silbernen Fl�ten
und einem mandalanischen Klavier, das �ber und �ber mit
Perlen verziert war.
Eben begannen die Musiker, eine feierliche Melodie zu spie-
len. Es war ganz still in dem gro�en Saal, und alle lauschten
and�chtig. Aber Fing Pong konnte unm�glich warten, bis die
Musik zu Ende war, da Konzerte in Mandala noch viel l�nger
dauern als sonst irgendwo auf der Welt.
Er dr�ngte sich durch die Menge der W�rdentr�ger, und als er
noch ungef�hr zwanzig Meter von dem Thron entfernt war,
warf er sich auf den Bauch nieder - denn so mu�te man in
Mandala den Kaiser begr��en - und rutschte in einem Riesen-
schwung bis vor die silbernen Stufen.
Unter den W�rdentr�gern entstand Unruhe. Die Musikanten
brachen ab, denn sie waren aus dem Takt gekommen, und ein
zorniges Gemurmel erhob sich.
Der Kaiser von Mandala, ein gro�er, sehr alter Mann mit
einem schneewei�en d�nnen Bart, der bis auf den Boden
herabhing, blickte verwundert, aber nicht unfreundlich, auf
den winzigen Fing Pong zu seinen F��en.
"Was willst du, Kleiner?" fragte er langsam. "Warum st�rst du
mein Konzert?"
Er sprach mit leiser Stimme, aber diese Stimme hatte einen
Klang, der bis in den letzten Winkel des gro�en Thronsaales zu
vernehmen war.
Fing Pong schnappte nach Luft.
"Jipp ..." stie� er hervor, .Lukf ... Lokomoff ... Geff ...
Gefahr!"
"Sprich langsam, mein Kleiner!" gebot der Kaiser milde. "Was
gibt es? La� dir nur Zeit!"
"Sie wollen doch Li Si retten!" keuchte Fing Pong.
Der Kaiser sprang auf.
"Wer?" rief er, "wo sind sie?"
"Im Amt!" schrie Fing Pong. "Bei Herrn Pi Pa Po!.. . Schnell!
".. Pal ... Palastwache!"
"Was ist mit der Palastwache?" fragte der Kaiser aufgeregt.
"... wollen sie t�ten!" japste Fing Pong.
Nun brach eine ungeheure Aufregung los. Alles rannte zur
T�r. Die Musiker lie�en ihre Instrumente im Stich und rannten
mit. Allen voran lief der Kaiser, befl�gelt von der Hoffnung,
da� seine Tochter gerettet werden k�nnte. Hinter ihm eilte der
Schw�rm der W�rdentr�ger, in deren Mitte sich der kleine
Fing Pong befand. Er hatte M�he, in all der Aufregung nicht
totgetrampelt zu werden, denn niemand achtete mehr auf
ihn.
Elftes Kapitel
in dem Jim Knopf auf unerwartete Weise sein Geheimnis erf�hrt
Mit dem Zug der W�rdentr�ger hinter sich, gingen der Kaiser,
Lukas und Jim durch die G�nge des Palastes langsam zum
Thronsaal zur�ck.
"Da sind Sie aber gerade noch zur rechten Zeit gekommen,
Majest�t!" sagte Lukas zum Kaiser, w�hrend sie die breite
Marmortreppe emporstiegen. "Das h�tte b�se enden k�nnen.
Woher wu�ten Sie eigentlich von uns?"
"Durch einen winzigen Burschen, der pl�tzlich hereingest�rzt
kam", antwortete der Kaiser. "Ich wei� nicht, wer es war, aber
er schien ein sehr entschlossener und kluger kleiner Kerl zu
sein."
"Fing Pong!" riefen Lukas und Jim wie aus einem Mund.
"Er is' ein Kindeskind des Oberhofkochs, der so einen um-
st�ndlichen Namen hat", f�gte Jim hinzu.
"Herr Schu Fu Lu Pi Plu?" fragte der Kaiser l�chelnd.
"Ja richtig!" sagte Jim. "Aber wo steckt denn Ping Pong?"
Niemand wu�te es, und alle begannen zu suchen.
Endlich fand man das winzige Kerlchen. Es hatte sich in das
Ende eines Seidenvorhanges gewickelt und schlief. F�r einen
S�ugling in seinem Alter war die Rettungstat eine ganz unge-
w�hnliche Anstrengung gewesen. Und als er gesehen hatte,
da� die beiden sich in Sicherheit befanden, da war er sofort
beruhigt in tiefen Schlaf gesunken.
Der Kaiser selbst b�ckte sich zu ihm nieder, hob ihn auf und
trug ihn vorsichtig hinauf in seine Gem�cher. Dort legte er ihn
in sein eigenes kaiserliches Himmelbett. Ger�hrt betrachteten
Lukas und Jim ihren winzigen Lebensretter, dessen leises
Schnarchen sich anh�rte wie das Zirpen einer Grille.
"Ich werde ihn kaiserlich belohnen", sagte der Kaiser leise.
"Und was den Oberbonzen Pi Pa Po betrifft, so m�gt ihr
beruhigt sein. Er und seine Genossen werden ihrer Bestrafung
nicht entrinnen.
Von nun an ging es den beiden Freunden nat�rlich sehr gut. Sie
wurden mit allen erdenklichen Ehren �bersch�ttet. Und wer
immer ihnen begegnete, der verneigte sich bis zum Boden vor
ihnen.
Den ganzen Vormittag �ber herrschte in der kaiserlichen
Bibliothek die gr��te Aufregung. Die Bibliothek bestand aus
siebenmillionendreihundertundneunundachtzigtausendf�nf-
hundertundzwei B�chern. S�mtliche gelehrten M�nner Man-
dalas waren damit besch�ftigt, alle diese B�cher in h�chster
Eile durchzulesen. Sie hatten n�mlich den Auftrag, schnell-
stens herauszufinden, was die Bewohner der Insel Lummer-
land am liebsten zu Mittag essen und wie man es kocht.
Schlie�lich fanden sie es auch und schickten Nachrichten in die
kaiserliche K�che zu Herrn Schu Fu Lu Pi Plu und seinen
einunddrei�ig Kindern und Kindeskindern, die auch alle K�-
che waren, einer immer kleiner als der andere. Und Herr Schu
Fu Lu Pi Plu kochte an diesem Tag das Essen eigenh�ndig. Er
und seine zahlreiche Familie hatten nat�rlich inzwischen l�ngst
erfahren, was geschehen war, und nun platzten sie alle fast vor
Stolz �ber Ping Pong, das j�ngste Familienmitglied, und waren
v�llig durcheinander vor Aufregung.
Als das Essen fertig war, setzte sich Herr Schu Fu Lu Pi Plu
seine allergr��te Kochm�tze auf, die so gro� war wie ein
Federbett. Und dann trug er pers�nlich das Essen in den
kaiserlichen Speisesaal.
Den beiden Freunden - Fing Pong schlief noch - schmeckte es
so gro�artig wie niemals zuvor in ihrem Leben, das Erdbeereis
von Frau Waas vielleicht ausgenommen. Sie lobten Herrn Schu
Fu Lu Pi Plus Kunst geb�hrend, und der Oberhofkoch wurde
ganz rot vor Freude, und sein runder Kopf gl�nzte wie eine
Tomate. �brigens gab es diesmal auch richtige Gabeln, L�ffel
und Messer zum Essen. Das hatten die gelehrten M�nner
n�mlich ebenfalls in ihren B�chern gelesen und hatten dem
Kaiserlichen Hofsilberschmied den Auftrag gegeben, ganz
schnell Bestecke zu liefern.
Nach der Mahlzeit spazierte der Kaiser mit den beiden Freun-
den auf eine gro�e Terrasse hinaus. Von hier aus konnte man
die ganze Stadt mit ihren tausend goldenen D�chern �ber-
blicken.
Sie setzten sich unter einen gro�en Sonnenschirm und plauder-
ten erst eine Weile �ber dies und das. Dann lief Jim hinunter
und holte aus der Lokomotive das Mensch-�rgere-dich-nicht-
Spiel. Beide Freunde erkl�rten dem Kaiser von Mandala die
Regeln, und dann spielten sie miteinander. Der Kaiser war
zwar sehr eifrig bei der Sache, aber er verlor oft, und dar�ber
freute er sich au�erordentlich. Er dachte n�mlich im stillen:
Wenn diese Fremden so viel Gl�ck haben, dann gelingt es
ihnen vielleicht wirklich, meine kleine Li Si zu befreien!
Sp�ter erschien auch Fing Pong, der endlich ausgeschlafen
hatte. Und dann gab es nach lummerl�ndischem Rezept Kakao
und Kuchen, und Fing Pong und der Kaiser, die so etwas nicht
kannten, versuchten beides und fanden, da� es ausgezeichnet
schmeckte.
"Wann wollt ihr nach der Drachenstadt aufbrechen, meine
Freunde?" fragte der Kaiser, als sie fertig waren.
"Sobald wie m�glich", antwortete Lukas. "Wir m��ten nur
erst mal feststellen, was es mit dieser Drachenstadt eigentlich
auf sich hat, wo sie liegt, wie man hinkommt und noch so
verschiedenes."
Der Kaiser nickte.
"Heute abend, meine Freunde", versprach er, "werdet ihr alles
erfahren, was in Mandala �ber diese Stadt bekannt ist."
Dann f�hrten der Kaiser und Fing Pong die beiden Freunde in
den Garten des kaiserlichen Palastes, um ihnen bis zum Abend
die Zeit zu vertreiben. Sie zeigten ihnen alle Sehensw�rdigkei-
ten, zum Beispiel die wunderbaren mandalanischen Wasser-
spiele und Springbrunnen. Herrliche Pfauen stolzierten umher
mit Schweifen wie aus gr�nem und violettem Gold; blaue
Hirsche mit silbernen Geweihen kamen zutraulich heran; sie
waren so zahm, da� man auf ihnen reiten konnte; es gab auch
mandalanische Einh�rner, deren Fell wie fl�ssiges Mondlicht
gl�nzte, Purpurb�ffel mit langem, welligem Haar, wei�e Ele-
fanten mit diamantenbesetzten Sto�z�hnen, kleine Seiden�ff-
chen mit lustigen Gesichtern und tausend andere Seltsam-
keiten.
Abends a�en sie gemeinsam auf der Terrasse, und als es dunkel
wurde, gingen sie in den Thronsaal zur�ck. Hier waren inzwi-
schen gro�e Vorbereitungen getroffen worden.
Tausend kleine Ampeln aus bunten Edelsteinen erleuchteten
den riesigen Raum. Die einundzwanzig gelehrtesten M�nner
Mandalas waren versammelt und warteten auf Jim und Lukas.
Sie hatten Papierrollen und B�cher mitgebracht, aus denen
man alles, was �ber die Drachenstadt bekannt war, ersehen
konnte.
Endlich war der Tender voll Kohlen und Emmas Kessel voll
Wasser.
"So!" sagte Lukas zufrieden. "Sch�nen Dank! Und jetzt gehen
wir schlafen."
"Wollt ihr denn nicht im Palast �bernachten?" fragte der
Kaiser verwundert.
Aber Lukas und Jim meinten, sie wollten lieber in ihrer
Lokomotive schlafen. Da sei es sehr gem�tlich, und sie w�ren
das jetzt schon so gew�hnt.
Also verabschiedeten sich alle voneinander und w�nschten
sich gute Nacht. Der Kaiser, der Oberhofkoch und Fing Pong
versprachen, sie wollten am n�chsten Morgen ganz fr�h wie-
derkommen, um den Freunden Lebewohl zu sagen. Dann
trennten sie sich.
Lukas und Jim stiegen in das F�hrerh�uschen ihrer Lokomoti-
ve, Fing Pong und der Oberhofkoch gingen in die K�che, und
der Kaiser verschwand in seinem Palast.
Bald darauf schliefen alle.
Zw�lftes Kapitel
in dem die Fahrt ins Ungewisse beginnt und die beiden Freunde
die "Krone der Welt" sehen
Aber wenden wir uns nun wieder unseren beiden Freunden zu,
die mit Volldampf durch die Schlucht dahinbrausten.
Der Weg war l�nger, als Lukas gesch�tzt hatte. Als sie
ungef�hr die Mitte des Tales erreicht hatten, blickte Jim
zuf�llig einmal zur�ck. Und was er da sah, war wahrhaftig dazu
angetan, auch dem mutigsten Mann einen eiskalten Schrecken
einzujagen!
Wenn sie noch immer am Eingang der Schlucht gestanden
h�tten, dann w�ren sie jetzt schon unter einer unbeschreibli-
chen Last von Felsentr�mmern begraben gewesen. Von beiden
Seiten waren dort hinten die Bergw�nde zusammengest�rzt.
Jirn sah, wie links und rechts die Felsw�nde zersplitterten, als
w�rden sie gesprengt, wie die himmelhohen Berggipfel ins
Wanken gerieten, in sich zusammenbrachen und das "Tal der
D�mmerung" mit ihren Tr�mmern f�llten. In Windeseile kam
das Unheil hinter der Lokomotive her.
Jim schrie auf und ri� Lukas am �rmel. Lukas drehte sich um
und erfa�te mit einem Blick das drohende Verh�ngnis. Ohne
sich eine Sekunde zu besinnen, warf er einen kleinen roten
Hebel herum, auf dem stand:
Nothebel! Nur in �u�erster Gefahr ben�tzen!
Er hatte diesen Hebel seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht,
und es war sehr ungewi�, ob die gute alte Emma solch einer
Anstrengung noch gewachsen war. Aber es blieb keine
Wahl.
Emma sp�rte das Signal und stie� einen gellenden Pfiff aus, der
hei�en sollte: Ich habe verstanden! Und dann stieg der Zeiger
auf dem Geschwindigkeitsmesser am Schaltbrett, stieg weiter
und weiter, stieg �ber den roten Strich hinaus, bei dem
H�chstgeschwindigkeit
stand, stieg noch weiter bis dorthin, wo gar nichts mehr stand,
und dann zersprang der Geschwindigkeitsmesser in tausend
St�cke. -
Wie es ihnen gelang, wu�ten Jim und Lukas sp�ter selber nicht
mehr, aber sie brachten es fertig, dem Untergang zu entrinnen.
Wie eine Kanonenkugel scho� die Lokomotive aus dem Ende
der Schlucht heraus, gerade in dem Augenblick, als hoch �ber
ihnen die letzten Berggipfel ineinanderst�rzten.
Lukas legte den roten Hebel zur�ck. Emma rollte langsamer,
und dann gab es pl�tzlich einen Ruck. Die Lokomotive lie�
allen Dampf ab und blieb einfach stehen. Sie schnaufte nicht
und gab �berhaupt kein Lebenszeichen mehr von sich.
Lukas und Jim stiegen aus, nahmen das Wachs aus den Ohren
und blickten zur�ck.
Hinter ihnen lag das Gebirge "Die Krone der Welt", und an
Stelle der Schlucht, durch die sie gekommen waren, erhob sich
meilenhoch eine rote Staubwolke.
Dort war einmal das "Tal der D�mmerung" gewesen.
Vierzehntes Kapitel
in dem Lukas erkennen mu�, da� er ohne seinen kleinen Freund
Jim verloren w�re
F�nfzehntes Kapitel
in dem die Reisenden in eine sonderbare Traumgegend geraten
und eine verh�ngnisvolle Spur entdecken
Sechzehntes Kapitel
in dem Jim Knopf eine wesentliche Erfahrung macht
Als sie eine Weile unterwegs waren und die Sonne sich
anschickte, hinter dem Horizont zu versinken, fiel Jirn etwas
Merkw�rdiges auf. Bisher waren die Geier ihnen best�ndig
hoch oben in der Luft gefolgt, aber nun drehten pl�tzlich alle
zugleich um und flogen davon.
Sie schienen es sogar besonders eilig zu haben. Jim teilte Lukas
seine Beobachtung mit.
"Vielleicht haben sie's endlich aufgegeben", knurrte Lukas
zufrieden.
Doch in diesem Augenblick stie� Emma pl�tzlich einen gellen-
den Pfiff aus, der wie ein Entsetzensschrei klang, und zugleich
machte sie ganz von selbst kehrt und raste wie verr�ckt
davon.
Lukas griff nach der Bremse und brachte Emma zum Stehen.
Sie hielt zitternd und schnaufte, sto�weise keuchend.
"Nanu, Emma!" rief Lukas. "Was sind denn das f�r neumodi-
sche Sitten?"
Jim wollte etwas sagen, als er zuf�llig nach hinten hinausblick-
te, und da blieb ihm das Wort im Halse stecken.
"Da!" konnte er nur noch fl�stern.
Lukas fuhr herum. Und was er nun drau�en sah, das �bertraf
einfach alles, was ihm jemals vor Augen gekommen war.
Am Horizont stand ein Riese von so ungeheurer Gr��e, da�
selbst das himmelhohe Gebirge "Die Krone der Welt" neben
ihm wie ein Haufen Streichholzschachteln gewirkt h�tte. Of-
fenbar war er ein sehr alter Riese, denn er hatte einen langen
wei�en Bart, der ihm bis auf die Knie herabhing und merkw�r-
digerweise zu einem dicken Zopf geflochten war. Wahrschein-
lich, weil es auf diese Weise einfacher war, den Bart in
Ordnung zu halten. Man kann sich ja vorstellen, wie m�hsam
es sein mu�, einen solchen Urwald jeden Tag zu k�mmen! Auf
dem Kopf trug der Riese einen alten Strohhut. Wo in aller Welt
mochte es nur so riesige Strohhalme geben? Der gewaltige
Leib steckte in einem alten, langen Hemd, das freilich gr��er
war als die allergr��ten Schiffssegel.
"Oh!" stie� Jim hervor, "das ist keine Fata! Schnell fort,
Lukas! Vielleicht hat er uns noch nicht gesehen."
"Immer mit der Ruhe!" erwiderte Lukas und paffte kleine
W�lkchen. Dabei beobachtete er den Riesen scharf. "Ich
finde", stellte er fest, "au�er seiner Gr��e sieht der Riese ganz
manierlich aus."
"W... w... was?" stotterte Jim entsetzt.
"Nun ja", meinte Lukas ruhig, "blo� weil er so gro� ist,
braucht er doch noch lange kein Ungeheuer zu sein."
"Ja, aber ... ", stammelte Jim, "wenn er aber doch eins is'?"
Jetzt streckte der Riese sehns�chtig die Hand aus. Dann lie� er
sie hoffnungslos wieder sinken, und ein tiefer Seufzer schien
seine Brust zu heben. Zu h�ren war allerdings seltsamerweise
nichts. Es blieb ganz still.
"Wenn er uns was tun wollte", sagte Lukas, die Pfeife zwischen
den Z�hnen, "dann h�tte er das l�ngst gekonnt. Er scheint
gutartig zu sein. M�chte blo� wissen, warum er nicht n�her
kommt. Ob er sich am Ende vor uns f�rchtet?"
"Oh, Lukas!" st�hnte Jim, dem vor Angst die Z�hne zu
klappern anfingen, "jetzt is' es aus mit uns!"
"Glaub' ich nicht", erwiderte Lukas. "Vielleicht kann uns der
Riese sogar sagen, wie wir aus der verflixten W�ste heraus-
kommen!"
Jim verschlug es die Rede. Er wu�te nicht mehr, was er denken
sollte.
Pl�tzlich hob der Riese beide H�nde, faltete sie und rief mit
einem ganz d�nnen armseligen Stimmchen:
"Bitte, bitte, ihr Fremden, lauft nicht fort! Ich will euch gewi�
nichts tun!"
Bei seiner Gr��e h�tte die Stimme eigentlich wie ein Donner-
wetter klingen m�ssen. Das war aber keineswegs der Fall. Was
konnte das f�r einen Grund haben?
"Mir scheint", brummte Lukas, "das ist ein ganz harmloser
Riese. Er kommt mir sogar sehr nett vor. Nur mit seiner
Stimme ist irgendwas nicht in Ordnung."
"Vielleicht verstellt er sich!" rief Jim voller Angst. "Er will uns
wahrscheinlich fangen und einkochen. Ich hab' mal von so
einem Riesen geh�rt. Bestimmt, Lukas!"
"Du traust ihm nicht, blo�, weil er so m�chtig gro� ist",
antwortete Lukas. "Aber das ist kein Grund. Daf�r kann er
schlie�lich nichts."
Jetzt lie� sich der Riese am Horizont auf die Knie nieder und
rief mit flehentlich gefalteten H�nden:
"Ach bitte, bitte, glaubt mir doch! Ich will euch nichts tun, ich
will nur mit euch reden. Ich bin so allein, so schrecklich allein!"
Wieder klang die Stimme seltsam kl�glich und d�nn.
"Der arme Kerl kann einem ja leid tun", sagte Lukas. "Ich
werd' ihm mal winken, damit er merkt, da� wir nichts B�ses im
Sinn haben."
Mit Entsetzen beobachtete Jim, wie Lukas sich aus dem
Fenster beugte, h�flich die M�tze zog und mit seinem Taschen-
tuch winkte. Jetzt w�rde das Unheil gleich �ber sie hereinbre-
chen! Der Riese erhob sich langsam. Er schien unschl�ssig und
ganz verwirrt.
"Hei�t das", rief er mit seinem d�rftigen Stimmchen, "ich darf
n�her treten?"
"Jawohl!" schrie Lukas durch die hohle Hand und winkte
freundlich mit dem Taschentuch.
Der Riese machte vorsichtig einen Schritt auf die Lokomotive
zu. Dann hielt er inne und wartete.
"Er glaubt uns nicht", knurrte Lukas.
Kurz entschlossen stieg er aus und ging dem Riesen winkend
entgegen.
Jim verschwamm vor Entsetzen alles vor den Augen. Vielleicht
hatte Lukas einen Sonnenstich bekommen?
Aber wie auch immer, Jim konnte seinen Freund Lukas
unm�glich allein in eine solche Gefahr hineinlaufen lassen.
Also stieg er ebenfalls aus und rannte hinter Lukas her, obwohl
ihm dabei die Knie zitterten.
"Warte doch, Lukas!" keuchte er. "Ich komm' mit!"
"Na, siehst du!" sagte Lukas und schlug ihm freundschaftlich
auf die Schulter. "Das ist schon viel besser! Angst taugt
n�mlich nichts. Wenn man Angst hat, sieht meistens alles viel
schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist."
Als der Riese sah, wie der Mann und der kleine Junge aus der
Lokomotive ausstiegen und winkend auf ihn zukamen, wurde
ihm klar, da� er wirklich unbesorgt sein durfte. Sein ungl�ckli-
ches Gesicht hellte sich auf.
"Also, Freunde", rief er mit seiner d�nnen Stimme, "dann
komme ich jetzt!"
Und damit setzte er sich in Bewegung und schritt auf Jim und
Lukas zu. Aber was nun geschah, war so erstaunlich, da� Jim
Mund und Nase aufsperrte und Lukas an seiner Pfeife zu
ziehen verga�.
Der Riese kam Schritt f�r Schritt n�her, und bei jedem Schritt
wurde er ein St�ckchen kleiner. Als er etwa noch hundert
Meter entfernt war, schien er nicht mehr viel gr��er zu sein als
ein hoher Kirchturm. Nach weiteren f�nfzig Metern hatte er
nur noch die H�he eines Hauses. Und als er schlie�lich bei
Emma anlangte, war er genauso gro� wie Lukas der Lokomo-
tivf�hrer. Er war sogar fast einen halben Kopf kleiner. Vor den
beiden staunenden Freunden stand ein magerer alter Mann mit
einem feinen und g�tigen Gesicht.
"Guten Tag!" sagte er und nahm seinen Strohhut ab. "Ich wei�
gar nicht, wie ich euch danken soll, da� ihr nicht vor mir
weggelaufen seid. Seit vielen Jahren schon sehne ich mich
danach, da� einmal jemand so viel Mut aufbringen w�rde.
Aber niemand hat mich bis jetzt n�herkommen lassen. Dabei
sehe ich doch nur von ferne so schrecklich gro� aus. Ach,
�brigens - ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen: Mein
Name ist T�r T�r. Mit Vornamen hei�e ich T�r und mit
Nachnamen auch T�r."
"Guten Tag, Herr T�r T�r", antwortete Lukas h�flich und
nahm seine M�tze ab, "mein Name ist Lukas der Lokomotiv-
f�hrer." Er lie� sich seine Verwunderung kein bi�chen anmer-
ken und tat, als sei die sonderbare Begegnung ganz selbstver-
st�ndlich. Lukas war eben wirklich ein Mann, der wu�te, was
sich geh�rt!
Nun raffte sich auch Jim auf, der Herrn T�r T�r noch immer
mit offenem Mund angestarrt hatte und sagte: "Ich hei�e Jim
Knopf."
"Ich freue mich wirklich ungemein", sagte Herr T�r T�r,
diesmal zu Jim gewendet. "Vor allem dar�ber, da� ein so
junger Mann wie Sie, mein lieber Herr Knopf, schon so
au�ergew�hnlich beherzt ist. Sie haben mir einen bedeutenden
Dienst erwiesen."
"Oh ... ach ... ich ... eigentlich ... ", stotterte Jim und
err�tete unter seiner schwarzen Haut bis an beide Ohren. Er
sch�mte sich pl�tzlich ganz gewaltig, denn in Wahrheit war er
ja durchaus nicht mutig gewesen. Und im stillen nahm er sich
vor, nie wieder vor irgend etwas oder irgendwem Angst zu
haben, bevor er ihn oder es nicht aus der N�he betrachtet
h�tte. Man konnte ja nie wissen, ob es nicht so �hnlich war wie
mit Herrn T�r T�r. Er gab sich in Gedanken selbst das
Ehrenwort, immer daran zu denken.
"Wissen Sie", sagte Herr T�r T�r jetzt wieder zu Lukas, "in
Wirklichkeit bin ich n�mlich gar kein Riese. Ich bin nur ein
Scheinriese. Aber das ist eben das Ungl�ck. Deshalb bin ich so
einsam."
"Das m�ssen Sie uns n�her erkl�ren, Herr T�r T�r", entgegne-
te Lukas. "Sie sind n�mlich der erste Scheinriese, dem wir
begegnen, m�ssen Sie wissen."
"Ich will es Ihnen gern erkl�ren, so gut ich kann", versicherte
Herr T�r T�r. "Aber nicht hier. Darf ich mir erlauben, meine
Herren, Sie in meine bescheidene H�tte zu Gast zu laden?"
"Wohnen Sie denn hier?" fragte Lukas erstaunt. "Mitten in der
W�ste?"
"Allerdings", antwortete Herr T�r T�r l�chelnd, "ich wohne
mitten im ,Ende der Welt'. N�mlich bei der Oase."
"Was is' eine Oase?" fragte Jim vorsichtig. Er bef�rchtete
schon wieder irgendeine �berraschung.
"Oase", erkl�rte Herr T�r T�r, "nennt man eine Quelle oder
eine andere Wasserstelle in der W�ste. Ich werde Sie hin-
f�hren."
Aber Lukas wollte lieber mit Emma fahren. Schon damit
Emma bei der Gelegenheit neues Wasser tanken konnte. Es
dauerte jedoch eine ganze Weile, bis Lukas und Jim den
�ngstlichen Scheinriesen davon �berzeugt hatten, da� es ganz
ungef�hrlich sei, mit einer Lokomotive zu fahren. Schlie�lich
stiegen alle drei auf und dampften los.
Siebzehntes Kapitel
in dem der Scheinriese seine Eigenart erkl�rt und sich dankbar
erweist
Herrn T�r Turs Oase bestand aus einem klaren, kleinen Teich,
in dessen Mitte eine Quelle wie ein Springbrunnen pl�tscherte.
Rundherum wuchs frisches saftiges Gr�n, und mehrere Pal-
men und Obstb�ume hoben ihre Wipfel in den W�stenhimmel.
Unter diesen B�umen lag ein niedriges, blitzsauberes, wei�es
H�uschen mit gr�nen Fensterl�den. In einem kleinen Garten
vor der Haust�r zog der Scheinriese sogar Blumen und Ge-
m�se.
Lukas, Jim und Herr T�r T�r setzten sich in der Stube um den
runden Holztisch und a�en zu Abend. Es gab verschiedene
leckere Gem�sesorten und zum Nachtisch einen herrlichen
Obstsalat.
Herr T�r T�r war n�mlich Vegetarier. So nennt man Leute, die
niemals Fleisch essen. Herr T�r T�r war ein gro�er Tierfreund,
und deshalb mochte er keine Tiere t�ten und aufessen. Da� die
Tiere trotzdem vor ihm flohen, weil er eben ein Scheinriese
war, das stimmte ihn oft sehr traurig.
W�hrend die drei friedlich um den Tisch sa�en, stand die alte
Emma drau�en neben dem Springbrunnen. Lukas hatte die
Kuppel hinter ihrem Schornstein aufgeklappt, und nun lie� sie
behaglich das frische Wasser in ihren Kessel hineinpl�tschern.
Sie war ziemlich durstig von der gro�en Hitze des Tages.
Nach dem Essen z�ndete sich Lukas seine Pfeife an, lehnte sich
zur�ck und sagte:
"Danke f�r die gute Mahlzeit, Herr T�r T�r. Aber nun bin ich
gespannt auf Ihre Geschichte."
"Ja", dr�ngte Jim, "erz�hlen Sie doch bitte!"
"Nun", meinte Herr T�r T�r, "da ist eigentlich nicht viel zu
erz�hlen. Eine Menge Menschen haben doch irgendwelche
besonderen Eigenschaften. Herr Knopf zum Beispiel hat eine
schwarze Haut. So ist er von Natur aus, und dabei ist weiter
nichts Seltsames, nicht wahr? Warum soll man nicht schwarz
sein? Aber so denken leider die meisten Leute nicht. Wenn sie
selber zum Beispiel wei� sind, dann sind sie �berzeugt, nur ihre
Farbe w�re richtig, und haben etwas dagegen, wenn jemand
schwarz ist. So unvern�nftig sind die Menschen bedauerlicher-
weise oft."
"Und dabei", warf Jim ein, "is' es doch manchmal sehr
praktisch, eine schwarze Haut zu haben, zum Beispiel f�r
Lokomotivf�hrer."
Herr T�r T�r nickte ernst und fuhr fort:
"Sehen Sie, meine Freunde: Wenn einer von Ihnen jetzt
aufst�nde und wegginge, w�rde er doch immer kleiner und.
kleiner werden, bis er am Horizont schlie�lich nur noch wie ein
Punkt auss�he. Wenn er dann wieder zur�ckk�me, w�rde er
langsam immer gr��er werden, bis er zuletzt in seiner wirkli-
chen Gr��e vor uns st�nde. Sie werden aber zugeben, da� der
Betreffende dabei in Wirklichkeit immer gleich gro� bleibt. Es
scheint nur so, als ob er erst immer kleiner und dann wieder
gr��er w�rde."
"Richtig!" sagte Lukas.
"Nun", erkl�rte Herr T�r T�r, "bei mir ist das einfach umge-
kehrt. Das ist alles. Je weiter ich entfernt bin, desto gr��er sehe
ich aus. Und je n�her ich komme, desto mehr erkennt man
meine wirkliche Gestalt."
"Sie meinen", fragte Lukas, "Sie werden gar nicht wirklich
kleiner, wenn Sie n�her kommen? Und Sie sind auch nicht
wirklich so riesengro�, wenn Sie weit entfernt sind, sondern es
sieht nur so aus?"
"Sehr richtig", antwortete Herr T�r T�r. "Deshalb sagte ich:
ich bin ein Scheinriese. Genauso, wie man die anderen Men-
schen Scheinzwerge nennen k�nnte, weil sie ja von weitem wie
Zwerge aussehen, obwohl sie es gar nicht sind."
"Das ist wirklich sehr interessant", murmelte Lukas und paffte
nachdenklich ein paar kunstvolle Rauchringe. "Aber sagen
Sie, Herr T�r T�r, wie ist denn das gekommen? Oder waren
Sie schon immer so, auch als Kind?"
"Ich war schon immer so", sagte Herr T�r T�r bek�mmert.
"Und ich kann nichts daf�r. In meiner Kinderzeit war diese
Eigenschaft noch nicht so stark ausgepr�gt, nur ungef�hr halb
so stark wie jetzt. Trotzdem hatte ich niemals Spielkameraden,
weil sich alle vor mir f�rchteten. Sie k�nnen sich vielleicht
vorstellen, wie traurig ich war. Ich bin n�mlich ein sehr
friedlicher und geselliger Mensch. Aber wo ich auch auftauch-
te, lief alles entsetzt weg."
"Und warum wohnen Sie jetzt hier in der W�ste ,Das Ende der
Welt'?" erkundigte sich Jim teilnahmsvoll. Der feine alte
Mann tat ihm richtig leid.
"Das kam so", erkl�rte Herr T�r T�r. "Ich bin in Laripur
geboren. Das ist eine gro�e Insel im Norden von Feuerland.
Meine Eltern waren die einzigen Menschen, die keine Angst
vor mir empfanden. Es waren �berhaupt sehr liebe Eltern. Als
sie gestorben waren, beschlo� ich auszuwandern. Ich wollte ein
Land suchen, wo die Leute keine Angst vor mir h�tten. Ich bin
durch die ganze Welt gezogen, aber es war �berall das gleiche.
Da bin ich zuletzt in diese W�ste gegangen, damit niemand
mehr durch mich erschreckt w�rde. Sie beide, meine Freunde,
sind seit meinen Eltern die ersten Menschen, die sich nicht
vor mir f�rchten. Ich habe mich unbeschreiblich danach ge-
sehnt, einmal noch, ehe ich sterbe, mit jemandem reden zu
k�nnen.
Sie beide haben mir diesen Wunsch erf�llt. Nun werde ich
immer, wenn ich mich einsam f�hle, an Sie denken, und es wird
mir ein gro�er Trost sein, da� ich irgendwo in der Welt
Freunde habe. Zum Dank daf�r m�chte ich gern etwas f�r Sie
tun."
Lukas dachte eine Weile schweigend �ber das Geh�rte nach.
Auch Jim war tief in Gedanken versunken. Er h�tte Herrn T�r
T�r gerne irgend etwas Hilfreiches gesagt, aber es fiel ihm
nichts Passendes ein.
Endlich unterbrach Lukas die Stille:
"Wenn Sie wollen, Herr T�r T�r, dann k�nnen Sie uns
tats�chlich einen wichtigen Dienst erweisen."
Und dann erz�hlte er, woher sie kamen, und da� sie auf dem
Wege in die Drachenstadt seien, um die Prinzessin Li Si zu
befreien und Jim Knopfs Geheimnis auf die Spur zu
kommen.
Als Lukas fertig war, blickte Herr T�r T�r die beiden Freunde
voller Hochachtung an und meinte:
"Sie sind wirklich zwei sehr mutige M�nner. Ich zweifle nicht,
da� Ihnen die Rettung der Prinzessin gelingen wird, obgleich
es gewi� sehr gef�hrlich ist, in die Drachenstadt einzu-
dringen."
"K�nnen Sie uns vielleicht den Weg dorthin beschreiben?"
fragte Lukas.
"Das w�re zu unsicher", antwortete Herr T�r T�r. "Ich werde
Sie am besten selbst aus der W�ste hinausbegleiten. Allerdings
kann ich nur bis zur Region der �Schwarzen Felsen' mitkom-
men. Von dort aus m�ssen Sie allein weiterfinden."
Er �berlegte ein paar Augenblicke, dann fuhr er fort:
"Da ist aber noch eine Schwierigkeit. Ich lebe nun zwar schon
so viele Jahre hier und kenne die W�ste wie meine eigene
Tasche, aber tags�ber w�rde sogar ich mich rettungslos verir-
ren. Die Fata Morgana ist in den letzten Jahren immer
schlimmer geworden."
"Da haben wir ja m�chtiges Gl�ck gehabt, da� wir Sie getrof-
fen haben, Herr T�r T�r", warf Lukas ein.
"O ja!" erwiderte Herr T�r T�r ernst und runzelte die Stirn.
"Allein w�ren Sie aus dieser W�ste nie wieder herausgekom-
men. Morgen oder sp�testens �bermorgen h�tten die Geier Sie
ganz sicher verspeist."
Jim schauderte.
"Also fahren wir gleich ab", schlug Lukas vor. "Der Mond ist
auch schon aufgegangen."
Herr T�r T�r machte schnell noch Brote zurecht und f�llte die
goldene Thermosflasche des Kaisers von Mandala mit neuem
Tee. Dann gingen alle drei hinaus zu der Lokomotive.
Ehe sie abfuhren, wollte Jim gerne noch einmal die sonderbare
Riesen-Eigenschaft von Herrn T�r T�r sehen, und Herr T�r
T�r erkl�rte sich bereit, sie vorzuf�hren.
Der Mond schien so hell und klar, da� man fast so gut sehen
konnte wie bei Tage. Jim und Lukas blieben neben Emma
stehen, und Herr T�r T�r ging ein St�ck weit in die W�ste
hinein. Die beiden Freunde konnten beobachten, wie er immer
gr��er wurde, je weiter er sich von ihnen entfernte. Als er
wieder zur�ckkam, wurde er kleiner und kleiner, bis er schlie�-
lich wieder in ganz normaler Gr��e vor ihnen stand.
Dann blieb Lukas allein stehen, und Jim ging mit Herrn T�r
T�r weg, um zu sehen, ob er wirklich nur scheinbar gr��er
wurde. Als sie ein St�ck von Lukas entfernt waren, drehten sie
sich um, und Jim rief:
"Was siehst du, Lukas?"
Lukas antwortete:
"Du bist jetzt nur noch so gro� wie mein kleiner Finger, und
Herr T�r T�r ist so lang wie ein Telegrafenniast."
Dabei konnte Jim leicht feststellen, da� Herr T�r T�r, neben
dem er ja stand, wirklich nicht gewachsen war, sondern immer
noch genauso aussah wie vorher.
Und zuletzt blieb Jim neben Emma stehen, und Lukas ging mit
Herrn T�r T�r ein St�ck weit fort. Nun konnte Jim beobach-
ten, wie Lukas immer kleiner wurde und Herr T�r T�r immer
gr��er. Als die beiden zur�ckgekommen waren, sagte Jim
befriedigt:
"Ja, Herr T�r T�r, Sie sind wirklich ein Scheinriese!"
"Daran besteht kein Zweifel", best�tigte Lukas. "Und nun
fahren wir ab, Leute."
Sie stiegen alle drei in das F�hrerh�uschen, schl�ssen die
T�ren und fuhren in die W�ste hinein. Die Dampfw�lkchen
aus dem Schornstein der guten dicken Emma stiegen in den
Nachthimmel empor, immer h�her und h�her, und zergingen
endlich ganz hoch droben, wo leuchtend der gro�e silberne
Mond stand.
Achtzehntes Kapitel
in dem die Reisenden von dem Scheinriesen Abschied nehmen
und vor dem "Mund des Todes" nicht mehr weiterk�nnen
Die W�ste war flach wie ein Nudelbrett und sah nach allen
Seiten ganz gleich aus. Aber Herr T�r T�r war keinen Augen-
blick unsicher, in welcher Richtung sie fahren mu�ten. Und so
dauerte es noch nicht einmal drei Stunden, da hatten sie schon
die n�rdliche Grenze der W�ste "Das Ende der Welt" er-
reicht.
Die Landschaft lag im hellen Schein des Mondes, aber dort, wo
der Rand der W�ste war, h�rte pl�tzlich alles auf. Es war nichts
mehr da, kein Boden, kein Himmel. Einfach gar nichts. Von
weitem sah das aus wie eine riesige kohlpechrabenschwarze
Finsternis, die vom W�stensaum aufstieg bis in den Himmel
hinein.
"Merkw�rdig!" sagte Lukas. "Was ist das?"
"Das ist die Region der ,Schwarzen Felsen'", erkl�rte Herr T�r
T�r.
Sie fuhren ganz dicht bis dahin, wo das Dunkel begann. Lukas
hielt Emma an, und sie stiegen aus.
"Die Stadt der Drachen", fing Herr T�r T�r an zu erkl�ren,
"liegt irgendwo im ,Land der tausend Vulkane'. Das ist eine
gewaltige Hochebene, die mit Tausenden von gro�en und
kleinen feuerspeienden Bergen bedeckt ist. Wo die Stadt der
Drachen genau liegt, wei� ich leider auch nicht. Aber das
werden Sie schon herausbekommen."
"Gut", meinte Lukas. "Aber was ist dieses Schwarze hier?"
"M�ssen wir da vielleicht durch?" fragte Jim.
"Das wird sich nicht vermeiden lassen", antwortete Herr T�r
T�r. "Sehen Sie, meine Freunde, es ist so: Das ,Land der
tausend Vulkane' ist, wie ich schon sagte, eine Hochebene und
liegt siebenhundert Meter h�her als ,Das Ende der Welt'. Der
einzige Weg, der dort hinauf f�hrt, geht hier durch die Region
der ,Schwarzen Felsen'."
"Hier?" fragte Jim verwundert. "Ich seh' aber gar keinen
Weg."
"Nein", sagte Herr T�r T�r ernst. "Man kann ihn auch nicht
sehen. Das ist eben das Geheimnis der ,Schwarzen Felsen'. Sie
sind n�mlich so vollkommen schwarz, da� alle Helligkeit
aufgeschluckt wird. Es ist einfach kein Licht zum Sehen mehr
da. Nur an besonders strahlenden Sonnentagen bleibt ein ganz
kleiner Schimmer �brig. Dann kann man oben am Himmel
einen schwachen violetten Fleck erkennen. Das ist die Sonne.
Aber sonst gibt es hier nur tiefes Dunkel."
"Aber wenn nichts zu sehen ist", fragte Lukas bedenklich, "wie
kann man denn da den Weg finden?"
"Die Stra�e f�hrt von hier ganz schnurgerade hinauf", erkl�rte
Herr T�r T�r. "Sie ist ungef�hr hundert Meilen lang. Wenn
Sie immer ganz genau geradeaus fahren, kann nichts pas-
sieren.
Aber Sie d�rfen auf keinen Fall von der Richtung abkommen!
Links und rechts g�hnen n�mlich tiefe, schreckliche Abgr�nde
neben dem Weg, in die Sie unfehlbar hinunterst�rzen
w�rden."
"Sch�ne Aussichten!" knurrte Lukas und kratzte sich hinter
dem Ohr. Jim murmelte erschrocken "o jemine" vor sich
hin.
"An der h�chsten Stelle", fuhr Herr T�r T�r fort, "f�hrt die
Stra�e durch ein gro�es Felsentor. Es hei�t ,Der Mund des
Todes'. Dort ist es am allerdunkelsten, und selbst an einem
strahlendhellen Sonnentag herrscht dort eine ganz undurch-
dringliche Finsternis. Sie werden den ,Mund des Todes' sofort
an einem f�rchterlichen Heulen und St�hnen erkennen."
"Warum heult er denn?" fragte Jim, dem recht unbehaglich
wurde.
"Das macht der Wind, der st�ndig durch dieses Felsentor
weht", antwortete Herr T�r T�r. "Ich rate Ihnen �brigens, die
T�ren der Lokomotive fest geschlossen zu halten. Da in dieser
Region ewige Nacht herrscht, ist der Wind so kalt, da� ein
Wassertropfen zu Eis gefriert, ehe er auf dem Boden an-
kommt. Sie d�rfen auch die Lokomotive nicht verlassen. Um
keinen Preis! Sie w�rden sofort vor K�lte erstarren."
"Danke f�r die guten Ratschl�ge!" sagte Lukas. "Ich denke,
wir warten mit der Abfahrt lieber bis Sonnenaufgang. Wenn's
auch noch so wenig Licht gibt, besser als gar nichts ist es immer
noch. Was meinst du, Jim?"
"Ich glaub' auch", erwiderte Jim.
"Dann ist es wohl das beste, ich verabschiede mich jetzt",
meinte Herr T�r T�r. "Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich
wei�, meine Freunde. Und ich m�chte lieber nach Hause
kommen, ehe es Tag wird. Sie wissen ja, wegen der Fata
Morgana."
Sie sch�ttelten sich die H�nde und sagten sich Lebewohl, und
Herr T�r T�r bat, wenn die beiden Freunde wieder einmal in
die W�ste "Das Ende der Welt" k�men, dann sollten sie ihn
doch ja besuchen. Jim und Lukas versprachen es. Und dann
machte sich der Scheinriese auf den Heimweg nach seiner
Oase.
Die Freunde sahen ihm nach. Seine Gestalt wurde mit jedem
Schritt gr��er und immer gr��er, bis er schlie�lich wieder
riesenhaft am fernen Horizont stand. Dort drehte er sich noch
einmal um und winkte, und Jim und Lukas winkten zur�ck.
Dann schritt Herr T�r T�r weiter und wurde noch gr��er, aber
auch undeutlicher, bis seine ungeheure Gestalt zuletzt am
n�chtlichen Himmel verschwamm.
"Ein netter Mensch!" sagte Lukas und paffte heftig. "Kann
einem wirklich leid tun."
"Ja", meinte Jim gedankenvoll. "Schade, da� er so allein sein
mu�."
Und dann gingen sie schlafen, um f�r die Fahrt durch die
Region der "Schwarzen Felsen" Kr�fte zu sammeln.
Neunzehntes Kapitel
in dem Lukas und Jim einen kleinen Vulkan reparieren und
Emma ein anderes Gesicht bekommt
Zwanzigstes Kapitel
in dem Emma von einem reinrassigen Drachen zum Abend-
bummel eingeladen wird
! Achtung !
Der Eintritt ist
nicht reinrassigen Drachen
bei Todesstrafe
verboten
Einundzwanzigstes Kapitel
in dem Jim und Lukas eine Schule in "Kummerland" kennen-
lernen
ALTE STRASSE
FRAU MAHLZAHN
GEF�LLIGST 3MAL KLOPFEN
BESUCH UNERW�NSCHT
Zweiundzwanzigstes Kapitel
in dem die Reisenden unter die Erde geraten und wundervolle
Dinge sehen
Dreiundzwanzigstes Kapitel
in dem die Prinzessin von Mandala ihre Geschichte erz�hlt und
Jim sich ganz pl�tzlich �ber sie �rgern mu�
Ich habe das �brigens ganz allein gedichtet, und es war ziemlich
schwer auf Li Si einen passenden Reim zu finden. W�hrend ich
so ging und sang, merkte ich pl�tzlich, da� der Strand gar nicht
mehr so sch�n sandig war, sondern da� ich schon seit einer
ganzen Weile am Rand einer Felsenk�ste entlanglief, die steil
ins Meer abfiel. Mir war gar nicht mehr ganz wohl, aber das
wollte ich vor mir selber nicht zugeben. Ich ging also immer
weiter. Auf einmal sah ich drau�en auf dem Meer ein Segel-
schiff auftauchen, das in rasend schneller Fahrt n�her kam,
direkt auf die Stelle der K�ste zu, wo ich stand. Es hatte
blutrote Segel, und auf dem gr��ten war mit schwarzer Farbe
eine riesige 13 aufgemalt."
Hier �berlief ein Schauer Li Si, und sie schwieg einen Augen-
blick.
"Jetzt wird's interessant!" brummte Lukas und wechselte einen
bedeutungsvollen Blick mit Jim. "Erz�hle weiter!"
"Das Schiff legte direkt vor mir an der K�ste an", fuhr die
Prinzessin, die noch in der Erinnerung etwas bla� geworden
war, fort. "Ich war so erschrocken, da� ich wie angewurzelt
stehen blieb. �brigens war das Schiff so gro�, da� seine
Seitenwand noch ein ganzes St�ck h�her war als die Felsenk�-
ste, auf der ich stand. Und nun sprang ein gro�er Mann zu mir
herunter, der unbeschreiblich erschreckend aussah. Er hatte
einen ganz sonderbaren Hut auf dem Kopf, auf dem ein
Totensch�del mit zwei gekreuzten Knochen gemalt war. Er
trug eine bunte Jacke und Pluderhosen und hohe Stulpenstie-
fel. Und in seinem G�rtel steckten viele Dolche und Messer
und Pistolen. Unter seiner gro�en Hakennase hing ein langer
schwarzer Schnurrbart, der bis auf den G�rtel herunter reich-
te. Er hatte auch gro�e goldene Ohrringe, und seine Augen
waren klein und standen so eng beieinander, da� es aussah, als
ob er immer schielen w�rde.
Als er mich sah, rief er: "Ha, ein kleines M�dchen! Das ist ein
pr�chtiger Fang!'
Er hatte eine ganz rauhe, tiefe Stimme, und ich wollte schnell
davonrennen, aber er packte mich an meinen Z�pfen und
lachte. Dabei sah man seine Z�hne, die gro� und gelb waren
wie bei einem Pferd. Er sagte: 'Du kommst uns gerade recht,
du kleine Kr�te!' Ich schrie und wehrte mich, aber jetzt war
nat�rlich niemand da, der mir helfen konnte. Der gro�e Mann
hob mich hoch und warf mich - hopp! - auf das Schiff hinauf.
W�hrend ich durch die Luft flog, dachte ich noch: ,Wenn ich
doch nur nicht ... ' und wollte eigentlich fertig denken:
'weggelaufen w�re!' Aber dazu kam ich nicht mehr, weil ich
n�mlich im selben Moment oben auf dem Schiffsdeck von
einem anderen Mann aufgefangen wurde, der dem vorigen so
ganz und gar bis aufs letzte Haar gleich sah, da� ich im ersten
Augenblick meinte, es w�re derselbe. Aber das war ja nicht gut
m�glich. Als ich nun auf die Planken des Verdecks niederge-
stellt wurde und mich umschauen konnte, sah ich, da� auf dem
Schiff noch eine ganze Menge M�nner waren, die alle einander
so zum Verwechseln �hnlich sahen wie ein Ei dem anderen.
Zuerst steckten mich die Seer�uber in einen K�fig. Es war so
eine Art gro�es Vogelbauer, das an einem dicken Haken am
Mastbaum aufgeh�ngt war. Jetzt war auf einmal mein ganzer
Mut von vorher verschwunden, und ich weinte so, da� meine
Spielsch�rze ganz na� wurde, und ich bat die M�nner, mich
doch wieder frei zu lassen. Aber die Kerle k�mmerten sich
�berhaupt nicht mehr um mich. Das Schiff segelte in Windesei-
le davon, und bald war die K�ste verschwunden und weit und
breit nur noch Wasser.
So verging der erste Tag. Am Abend kam einer der Burschen
und steckte mir ein paar Scheiben trockenes Brot zwischen die
Gitterst�be. Auch einen kleinen Krug mit Trinkwasser schob
er in meinen K�fig. Aber ich hatte keinen Hunger und r�hrte
das Brot nicht an. Nur von dem Wasser nippte ich ein wenig,
denn von der hei�en Sonne und dem vielen Weinen war ich
sehr durstig geworden.
Als es dunkel zu werden anfing, z�ndeten die Seer�uber einige
Laternen an, dann rollten sie ein gro�es Fa� in die Mitte des
Verdecks und setzten sich im Kreis darum herum. Jeder hatte
einen gro�en Humpen und f�llte ihn an dem Fa�, und dann
fingen sie an zu trinken und mit gr�hlender Stimme w�ste
Lieder zu singen. Eines davon habe ich sogar behalten, weil sie
es immer und immer wieder sangen. Wahrscheinlich war es ihr
Lieblingslied. Es ging so:
Vierundzwanzigstes Kapitel
in dem Emma eine seltene Auszeichnung bekommt und die
Reisenden ausgiebig und ganz verschieden fr�hst�cken
Es dauerte nicht lang, da hatten Lukas und Jim mit Hilfe der
Kinder die Lokomotive an Land gezogen. Auch der Drache
kroch aufs Ufer und blieb vor Ersch�pfung wie tot liegen. Es
war ihm anzusehen, da� ihm vorderhand die Lust vergangen
war, sich schlecht zu benehmen.
Etwa eine halbe Stunde sp�ter hatten Lukas und Jim Emma
wieder landflott gemacht. Die kalfaterten T�ren waren vom
Pech befreit, der Kessel war wieder voll Wasser, und darunter
prasselte ein lustiges Feuer.
Alle waren so eifrig bei der Arbeit, da� keiner von den
Reisenden den mandalanischen Landgendarm bemerkte, der
auf einem hochr�drigen Fahrrad in einiger Entfernung die
Landstra�e entlangkam. Als er die Gruppe der Reisenden
bemerkte, hielt er an und �berlegte, ob es sich vielleicht um
irgendwelche gef�hrlichen ausl�ndischen Truppen handeln
k�nne. Nachdem er aber festgestellt hatte, da� es fast nur
Kinder waren, lie� er diese Vermutung fallen und fuhr etwas
n�her heran. Als er jedoch um das letzte Geb�sch herum
einbog, w�re er um ein Haar auf den Schwanz des Drachen
gefahren. Zu Tode erschrocken ri� er sein Rad herum und
jagte davon, als ob hundert Teufel hinter ihm her w�ren. Mit
heraush�ngender Zunge erreichte er die Hauptstadt und mel-
dete seinem Vorgesetzten, was er gesehen hatte.
"Mann" rief der, "das ist die gr��te Gl�cksnachricht, die
�berhaupt m�glich ist! Daf�r wird Sie der Kaiser mindestens
zum Generalgendarm ernennen, Sie Gl�ckspilz!"
"Wiewiewieso?" stotterte der Gendarm.
"Ja, wissen Sie denn wirklich nicht, was Sie da gesehen
haben?" schrie der Vorgesetzte in h�chster Aufregung. "Daf�r
gibt es doch nur eine Erkl�rung: Es sind die beiden ehrenwer-
ten Lokomotivf�hrer mit ihrer Lokomotive. Und wenn sie
tats�chlich den Drachen mitgebracht haben, dann mu� auch
unsere Prinzessin Li Si bei ihnen sein. Wir m�ssen sofort dem
Kaiser Meldung machen!"
Und die beiden Gendarmen rannten zum kaiserlichen Palast.
Allerdings nicht ohne die Neuigkeit unterwegs durch alle
Gassen zu schreien.
Es ist einfach nicht zu beschreiben, was f�r eine Aufregung in
der Hauptstadt auf diese Nachricht hin entstand. Wie ein
Lauffeuer flog die Botschaft von Mund zu Mund, und in
k�rzester Zeit wu�te jedermann in Fing, bis herab zum winzig-
sten Kindeskind, was f�r ein �beraus freudiges Ereignis noch
diesen Morgen bevorstand. Und da auch nicht einer in der
ganzen Stadt war, der nicht auf irgendeine Weise mithelfen
wollte, den Empfang der Heimkehrer so festlich wie m�glich
zu gestalten, waren in k�rzester Zeit alle Stra�en, durch die die
Lokomotive auf ihrem Weg zum Palast kommen mu�te, mit
Blumen, B�ndern, Fahnen, Luftschlangen und Transparenten
geschm�ckt. Und zu beiden Seiten der Stra�en stand die
Menschenmenge dicht gedr�ngt und wartete auf den Einzug
der ehrenwerten Helden.
Und schlie�lich kamen sie. Schon lange ehe sie zu sehen waren,
h�rte man viele Stra�en weit die brausenden Hochrufe aus
hunderttausend Kehlen. Emma mu�te langsam fahren, denn
der angekettete Drache war so schwach, da� er sich nur noch
m�hsam und Schritt f�r Schritt hinter ihr herschleppen konnte.
Im F�hrerh�uschen standen Lukas und Jim und winkten aus
den Fenstern nach links und rechts. Auf dem Dach sa�en die
Kinder, und in ihrer Mitte stand Li Si, die kleine Prinzessin. Sie
war zeitweilig kaum noch zu sehen in den Wolken von Blumen,
die die Mandalanier aus allen Fenstern der vielst�ckigen
H�user andauernd �ber die Ank�mmlinge aussch�tteten, und
die anderen, die die Stra�en s�umten, winkten mit Papierf�hn-
chen und warfen ihre runden H�te in die Luft und schrieen
"Hoch!" und "Bravo!" und "Vivat!" und was man eben bei
solchen Gelegenheiten in Mandala sonst noch so schreit.
�brigens konnte man noch den ganzen Tag lang in allen
Kaufl�den alles umsonst bekommen, was man nur haben
wollte. Denn niemand hatte an diesem Freudentag Lust, Geld
zu verdienen. Jeder wollte jedem Geschenke machen. So sind
die Mandalanier eben, wenn sie sehr gl�cklich sind.
Hinter dem Drachen - nat�rlich in respektvollem Abstand -
bildete sich ein Zug von singenden und lachenden Mandalaniern,
die so ausgelassen tanzten, da� ihre Z�pfe wie Propeller
kreiselten. Und je n�her die Lokomotive dem kaiserlichen
Palast kam, desto l�nger wurde dieser Festzug.
Der Platz vor dem Palast war gedr�ngt voll von jubelnden
Leuten. Und als Emma schlie�lich vor den neunundneunzig
Silberstufen anhielt, sprangen oben die Fl�gel der gro�en
Ebenholzt�re auf, und der Kaiser kam mit wehendem Gewand
die Treppe heruntergeeilt. Hinter ihm sah man Ping Pong, der
sich an einem Zipfel des kaiserlichen Mantels festhielt, um
mitzukommen.
"Li Si!" rief der Kaiser, "meine liebe, kleine Li Si!"
"Vater!" rief Li Si, sprang einfach von dem Dach der Lokomo-
tive herunter, und der Kaiser fing sie in seinen Armen auf und
dr�ckte sie an sich und k��te sie immer wieder. Alle Mandala-
nier auf dem Platz waren ger�hrt und schneuzten sich und
wischten sich die Augen vor Ergriffenheit.
Inzwischen begr��ten Lukas und Jim den kleinen Fing Pong
und bewunderten den winzig kleinen goldenen Schlafrock, den
er jetzt anhatte. Ping Pong erkl�rte ihnen, da� er mittlerweile
anstelle des abgesetzten Herrn Pi Pa Po zum Oberbonzen
ernannt worden sei, und die beiden Freunde gratulierten ihm
herzlich.
Als der Kaiser schlie�lich mit der Begr��ung seiner Tochter
fertig war, wandte er sich Lukas und Jim zu und umarmte sie
beide. Er konnte vor Freude kaum sprechen. Dann sch�ttelte
er all den anderen Kindern die H�nde und sagte:
"Jetzt kommt erst einmal herein, meine Lieben, und st�rkt
euch mit einem guten Fr�hst�ck. Ihr seid doch gewi� sehr
hungrig und m�de. Jeder von euch darf sich w�nschen, was er
am liebsten mag."
Schon wollte er sich umdrehen, um seine G�ste in den Palast zu
f�hren, da zupfte ihn Ping Pong am �rmel, fl�sterte ihm etwas
zu und zeigte unauff�llig mit dem Daumen auf Emma.
"Richtig!" rief der Kaiser best�rzt, "wie konnte ich das nur
vergessen!"
Er winkte nach der Ebenholzt�r hinauf. Jetzt erschienen dort
zwei Leibw�chter. Der eine trug einen gro�en Stern aus purem
Gold in den H�nden, der so gro� war wie ein Suppenteller. Der
andere hielt wie eine Schleppe eine riesengro�e Schleife, die an
dem Stern befestigt war. Es war blaue Seide, auf der mit
silbernen Buchstaben gestickt stand:
[BILD]
F�nfundzwanzigstes Kapitel
in dem Frau Mahlzahn sich verabschiedet und ein Brief aus
Lummerland ankommt
Es war gegen Mittag, als Lukas und Jim durch heftiges Pochen
an die T�r aus dem Schlaf geweckt wurden.
"Macht auf! Macht auf! Es ist sehr wichtig!" h�rten sie ein
piepsendes Stimmchen rufen.
"Das is' Fing Pong", sagte Jim, kletterte aus der 1. Etage
herunter und �ffnete die T�r.
Herein scho� der winzige Oberbonze, ganz au�er Atem, und
zwitscherte: "Verzeiht, ihr erhabenen Freunde, wenn ich eure
Ruhe so unsanft unterbreche, aber ich soll einen sch�nen Gru�
vom Drachen ausrichten, und ihr sollt doch so freundlich sein
und sofort zu ihm kommen, es w�re dringend."
"Nanu!" brummte Lukas, etwas ungehalten. "Was soll denn
das bedeuten? Er soll sich gef�lligst gedulden."
"Er sagte", schnatterte Fing Pong, "er m�sse sich von euch
verabschieden, aber er wolle euch vorher noch etwas mittei-
len." "Verabschieden?" fragte Lukas verdutzt. "Was f�llt denn
dem ein?"
"Ich glaube, es ist ernst", meinte Fing Pong mit besorgter
Miene. "Er macht so einen sonderbaren Eindruck, als ob er...
als ob er ..."
"Als ob er was?" forschte Lukas. "Sprich nur zu Ende."
"Ich wei� nicht recht", stie� der kleine Oberbonze hervor. "Ich
glaube, er stirbt."
"Er stirbt?" rief Lukas und wechselte einen best�rzten Blick
mit Jim. Das hatten sie nat�rlich, trotz allem, wieder nicht
gewollt. "Na, das w�re eine sch�ne Geschichte!"
Rasch schl�pften sie in ihre Schuhe und folgten Fing Pong eilig
in den Garten des Palastes. Sie fanden den Drachen in einem
gro�en, halb verfallenen Pavillon, der vor Jahren als Stall f�r
die kaiserlichen wei�en Elefanten gedient hatte. Hier lag er
hinter dicken Gitterst�ben, hatte den Kopf auf die Tatzen
gelegt und hielt die Augen geschlossen, als ob er schliefe.
Fing Pong hielt sich vorsichtig im Hintergrund, w�hrend Lukas
und Jim nahe an die Gitterst�be herantraten.
"Na, was gibt's denn?" fragte Lukas. Seine Stimme klang
unwillk�rlich ein wenig freundlicher, als er beabsichtigt
hatte.
Der Drache antwortete nicht, r�hrte sich auch nicht, statt
dessen geschah etwas sehr Merkw�rdiges. Es war n�mlich, als
liefe pl�tzlich von der Spitze der Schnauze �ber den ganzen
riesigen Leib bis zum Schwanzende ein goldener Schimmer.
"Hast du das gesehen?" fl�sterte Lukas, und Jim antwortete
ebenso leise: "Ja, was kann er nur haben?"
Jetzt �ffnete der Drache langsam seine kleinen Augen, die
aber nicht mehr wie fr�her t�ckisch funkelten, sondern nur
noch sehr, sehr m�de aussahen.
"Danke, da� ihr gekommen seid", murmelte der Drache mit
schwacher Stimme. "Verzeiht, aber ich kann nicht mehr lauter
sprechen. Ich bin so schrecklich m�de - so schrecklich
m�de ..."
"H�r mal, er schnarrt und zischt gar nicht mehr", fl�sterte Jim.
Lukas nickte. Dann fragte er laut:
"Sagen Sie, Frau Mahlzahn, Sie werden doch nicht sterben?"
"Nein", antwortete der Drache, und es war, als ob f�r eine
Sekunde ein L�cheln �ber sein h��liches Gesicht huschte. "Es
geht mir ganz gut, macht euch keine Sorgen um mich. Ich habe
euch nur rufen lassen, um mich bei euch zu bedanken ..."
"Wof�r denn?" fragte Lukas, zum erstenmal genauso verbl�fft
wie Jim, der vor Staunen wieder mal kugelrunde Augen
bekam.
"Daf�r, da� ihr mich �berwunden habt, ohne mich zu t�ten.
Wer einen Drachen �berwinden kann, ohne ihn umzubringen,
der hilft ihm, sich zu verwandeln. Niemand, der b�se ist, ist
dabei besonders gl�cklich, m��t ihr wissen. Und wir Drachen
sind eigentlich nur so b�se, damit jemand kommt und uns
besiegt. Leider werden wir allerdings dabei meistens umge-
bracht. Aber wenn das nicht der Fall ist, so wie bei euch und
mir, dann geschieht etwas sehr Wunderbares ..."
Der Drache schlo� die Augen und schwieg eine Weile, und
wieder lief dieser merkw�rdige goldene Schimmer �ber seinen
Leib. Lukas und Jim warteten stumm, bis er seine Augen
wieder �ffnete und mit noch matterer Stimme fortfuhr:
"Wir Drachen wissen sehr viel. Aber solange wir nicht �ber-
wunden worden sind, fangen wir damit nur Arges an. Wir
suchen uns jemand, den wir mit unserem Wissen qu�len
k�nnen - so wie ich zum Beispiel die Kinder. Ihr habt es ja
gesehen. Wenn wir aber verwandelt sind, dann hei�en wir
'Goldener Drache der Weisheit', und man kann uns alles
fragen, wir wissen alle Geheimnisse und l�sen alle R�tsel.
Aber das kommt alle tausend Jahre nur einmal vor, weil eben
die meisten von uns get�tet werden, ehe es zur Verwandlung
kommt."
Wieder schwieg der Drache, und zum drittenmal huschte der
goldene Schimmer �ber ihn hin. Aber diesmal war es, als
bliebe eine winzige Spur des Goldes an seinen Schuppen
h�ngen, nur so viel wie der Hauch von Glanz, den man an den
Fingern beh�lt, wenn man einen Schmetterling ber�hrt hat. Es
dauerte ziemlich lange, bis er wieder seine Augen aufschlug
und kaum noch h�rbar weitersprach:
"Das Wasser des Gelben Flusses, in dem ich geschwommen
bin, hat mein Feuer ausgel�scht. Jetzt bin ich sterbensm�de.
Wenn der goldene Schimmer das n�chste Mal �ber mich gehen
wird, werde ich in einen tiefen Schlaf versinken, und es wird
aussehen, als w�re ich tot. Aber ich werde nicht sterben. Ich
werde ein ganzes Jahr lang reglos liegen. Bitte, sorgt daf�r, da�
mich niemand ber�hrt in dieser Zeit. Nach einem Jahr, von
dieser Stunde an, werde ich aufwachen und ein 'Goldener
Drache der Weisheit' sein. Dann kommt zu mir, und ich werde
euch alle Fragen beantworten. Denn ihr beide seid meine
Herren, und was ihr mir befehlt, werde ich tun. Um euch aber
meine Dankbarkeit zu beweisen, m�chte ich euch schon jetzt
einen Gefallen tun. Ein wenig von meiner zuk�nftigen Weis-
heit habe ich n�mlich schon, wie ihr an dem goldenen Schim-
mer sehen k�nnt, der an mir h�ngengeblieben ist. Wenn ihr
also etwas wissen wollt, dann fragt mich. Aber eilt euch, es
bleibt wenig Zeit."
Lukas kratzte sich hinter dem Ohr. Jim zupfte ihn am �rmel
und fl�sterte ihm zu: "Lummerland!"
Lukas verstand sofort und fragte:
"Emma, die Lokomotive, Jim Knopf und ich, wir sind alle drei
von Lummerland fortgegangen, weil f�r einen von uns kein
Platz mehr war. Was sollen wir tun, damit wir wieder zur�ck
k�nnen, ohne da� es zu eng wird. Lummerland ist n�mlich nur
sehr klein."
Eine ganze Weile sagte der Drache nichts, und Jim f�rchtete
schon, er sei eingeschlafen. Aber schlie�lich kam die nur noch
gehauchte Antwort:
"Stecht morgen genau bei Sonnenaufgang in Richtung Lum-
merland in See. Am zweiten Tag eurer Heimreise werdet ihr
um zw�lf Uhr mittags auf dem Punkt 321 Grad 21 Minuten l
Sekunde westlicher L�nge und 123 Grad 23 Minuten und 3
Sekunden n�rdlicher Breite einer schwimmenden Insel begeg-
nen. Ihr d�rft euch aber nicht versp�ten, sonst treibt sie vorbei,
und ihr findet sie nicht mehr. Diese Art von Inseln ist sehr
selten. Nehmt euch auch ein paar Zweige von Korallenb�umen
mit, die vom Meeresgrund emporwachsen, und werft sie neben
Lummerland ins Wasser, genau dort, wo ihr die schwimmende
Insel verankert. Aus den Korallenzweigen werden B�ume
wachsen, die die Insel von unten st�tzen, und bis Jim ein ganzer
Untertan sein wird, ist daraus ein festes Eiland geworden,
ebenso haltbar und sicher wie Lummerland ... verge�t
nicht ..."
"Bitte!" rief Jim, der sah, da� der Drache die Augen schlo�,
"woher haben mich die Dreizehn geraubt, eh' sie mich in das
Postpaket gesteckt haben?"
"Ich ... kann nicht...", fl�sterte der Drache. "Verzeiht...
das ... ist eine... lange... Geschichte... aber... jetzt..."
Er verstummte, und zum letztenmal lief der goldene Schimmer
�ber seine Schuppen.
"Lebt .... wohl ... lebt ... wohl", hauchte er kaum noch
vernehmbar.
Dann sank er auf die Seite.
Es sah tats�chlich ganz so aus, als w�re er gestorben. Nur, da�
der Goldglanz sich verst�rkt hatte.
"Da ist nichts mehr zu machen", sagte Lukas ged�mpft. "Wir
m�ssen bis n�chstes Jahr warten. Aber der Rat, den er uns
gegeben hat, ist nicht schlecht. Vorausgesetzt, da� die Ge-
schichte mit der schwimmenden Insel stimmt."
"Was sich gerade mit dieser bisher so unerfreulichen Person
ereignet hat", bemerkte Fing Pong, der inzwischen seine
Furcht �berwunden hatte und zu den beiden Freunden getre-
ten war, "ist h�chst r�tselhaft und geheimnisvoll. Wenn es euch
recht ist, so wollen wir zum erhabenen Kaiser gehen und ihm
davon berichten."
Damit raffte er seinen winzigen goldenen Schlafrock zusam-
men und schritt eilig davon. Lukas und Jim folgten ihm ...
Lukas ri� den Umschlag auf, und seine dicken Finger zitterten
ein wenig, als er das Papier auseinanderfaltete. Es waren drei
Bl�tter. Er las vor, was auf dem ersten stand:
"Lieber Lukas der Lokomotivf�hrer! Lieber Jim Knopf!
Durch euren Brief wissen wir ja nun Gott sei Dank endlich, wo
ihr seid. Glaubt mir, als wir merkten, da� ihr nicht mehr hier
wart, trauerte das ganze Volk von Lummerland, das hei�t,
soviel vom Volk eben noch da war. Auch ich selbst trauerte
ganz erheblich. Alle Fahnen auf meinem Schlo� tragen seither
Trauerflor. Es ist sehr still und einsam geworden auf unserer
kleinen Insel. Niemand pfeift mehr zweistimmig in den Tun-
nels, wie Lukas und Emma es taten, und niemand rutscht
mehr von dem gro�en Gipfel herunter wie Jim Knopf. Wenn
ich an Sonn- und Feiertagen um Viertel vor zw�lf ans Fenster
trete, ist kein Jubel mehr zu h�ren. Meine restlichen Unterta-
nen stehen so traurig da, da� es mir das Herz bricht. Das gute
Erdbeereis von Frau Waas will keinem von uns mehr
schmecken.
Das hatte ich nat�rlich nicht beabsichtigt, als ich damals
anordnete, die dicke alte Emma abzuschaffen. Ich habe inzwi-
schen eingesehen, da� diese Ma�nahme f�r uns alle keine
befriedigende L�sung darstellt.
Darum bitte ich euch nun alle drei, zur�ckzukehren, so bald ihr
k�nnt. Wir sind euch bestimmt nicht b�se und hoffen nur, da�
auch ihr uns nicht mehr b�se seid. Ich wei� mir zwar noch
immer keinen Rat, was einmal werden soll, wenn Jim Knopf
gr��er wird und eine eigene Lokomotive und ein eigenes
Eisenbahngleis braucht, aber wir werden schon irgendeinen
anderen Ausweg finden. Also kommt bald!
Mit besonders huldvoller Gnade schreibt dies
K�nig Alfons der Viertel-vor-Zw�lfte."
"Lukas!" stammelte Jim, dessen Augen gr��er und gr��er
geworden waren, "das bedeutet doch..."
"Augenblick!" sagte Lukas, "es geht noch weiter."
Er faltete das zweite Papier auseinander und las:
"Mein lieber kleiner Jim! Lieber Lukas!
Wir sind alle furchtbar traurig und wissen gar nicht mehr, was
wir anfangen sollen ohne euch. Ach Jim, warum hast du mir
denn nichts davon gesagt, da� du unbedingt fortfahren woll-
test. Ich h�tte es schlie�lich schon verstanden. Und ich h�tte
dir wenigstens ein paar warme Sachen zum Anziehen mitgege-
ben und ein paar Taschent�cher, weil du sie doch immer so
schnell schmutzig machst. Vielleicht mu� du jetzt frieren, und
am Ende erk�ltest du dich noch. Ich mache mir schreckliche
Sorgen um dich. Ist das auch nicht zu gef�hrlich, in die
Drachenstadt zu fahren? Gib nur sch�n acht auf dich, da� dir
nichts passiert, und sei immer recht brav, mein kleiner Jim.
Und wasch dir auch immer sch�n den Hals und die Ohren,
h�rst du? Ich wei� ja nicht, was Drachen eigentlich f�r Leute
sind, aber sei auf jeden Fall stets h�flich. Und wenn ihr die
Prinzessin nach Hause gebracht habt, dann komm schnell zu
deiner Frau Waas.
PS: Lieber Lukas! Nun hat Jim also erfahren, da� ich nicht
seine wirkliche Mutter bin. Vielleicht ist es ja Frau Mahlzahn,
an die damals das Paket adressiert war. Ich bin sehr traurig,
aber andererseits freue ich mich f�r meinen kleinen Jim, wenn
er jetzt seine richtige Mama findet. Ich hoffe nur, sie ist nicht
allzu b�se auf mich, weil ich ihn bei mir behalten habe. Bitten
Sie doch Frau Mahlzahn, da� der Junge nach Lummerland zu
Besuch kommen darf, damit ich ihn nochmal sehen kann. Oder
vielleicht hat sie Lust mit herzukommen? Dann w�rde ich sie
auch kennenlernen, das w�re das allerbeste. Und nicht wahr,
Sie sorgen schon daf�r, da� Jim sich nicht in Gefahr begibt? Er
ist so ein leichtsinniger kleiner Bub. Herzliche Gr��e!
Frau Waas."
Lukas faltete nachdenklich das Blatt zusammen. Jim hatte
Tr�nen in den Augen. Ach ja, das war Frau Waas, wie sie leibte
und lebte, so lieb und gut!
Nun las Lukas auch noch den dritten Brief vor:
"Sehr gesch�tzter Herr Lokomotivf�hrer! Mein lieber Jim
Knopf!
Hiermit schlie�e ich mich der Bitte Seiner Majest�t und
unserer allseits verehrten Frau Waas auf das innigste an. Ich
komme mir nahezu �berfl�ssig vor, seit Jim mir keine Streiche
mehr spielt. Und Sie, Herr Lokomotivf�hrer, sind ein Mann,
dessen Rat und Tat niemand in ganz Lummerland entbehren
kann. Meine Wasserleitung tropft, und ich vermag sie nicht in
Ordnung zu bringen. Kehren Sie doch freundlichst beide
umgehend zur�ck!
Mit vorz�glicher Hochachtung! Ihr sehr geehrter Herr
�rmel!"
Jim mu�te wieder lachen und wischte sich die Tr�ne ab, die ihm
�ber die schwarze Backe gelaufen war. Dann fragte er:
"Jetzt k�nnten wir doch eigentlich morgen fr�h losfahren?"
Lukas schmunzelte:
"Fragt sich nur noch, womit. Mu� unsere gute dicke Emma
wieder mal herhalten, oder k�nnten wir ein Schiff bekommen,
Majest�t?"
"Ich schlage vor, wir fahren auf meinem Staatsschiff", erwider-
te der Kaiser.
"Wir?" fragte Lukas �berrascht. "Haben Sie ,wir' gesagt?"
"Nat�rlich", erwiderte der Kaiser, "Sie beide, meine Tochter
Li Si und ich selbst. Ich m�chte n�mlich gerne Frau Waas
kennenlernen, die mir eine sehr liebe und achtenswerte Frau
zu sein scheint. Au�erdem mu� ich doch auch K�nig Alfons
den Viertel-vor-Zw�lften besuchen, da unsere beiden L�nder
ja vermutlich in absehbarer Zeit diplomatische Beziehungen
ankn�pfen werden."
Dabei blickte er l�chelnd auf Jim.
"Donnerwetter!" rief Lukas lachend, "das wird ja ein tolles
Gedr�nge auf Lummerland geben. Unsere Insel ist n�mlich
wirklich sehr klein, Majest�t."
Dann wandte er sich an Fing Pong und erkundigte sich:
"K�nnen wir morgen fr�h in See stechen?"
"Wenn ich sogleich meine Befehle erteile", piepste der Ober-
bonze, "dann ist das Staatsschiff bis morgen fr�h bereit."
"Famos", antwortete Lukas, "dann erteile doch bitte gleich
deine Befehle!"
Fing Pong h�pfte in die H�he und rannte davon. F�r einen so
winzigen Oberbonzen war das alles ja eigentlich ein bi�chen
viel, aber daf�r war er nun eine Respektsperson in Mandala
und durfte einen goldenen Schlafrock tragen. W�rden bringen
eben B�rden, wie schon ein altes mandalanisches Sprichwort
sagt.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
in dem die Kinder Abschied nehmen und eine schwimmende
Insel eingefangen wird
PUNG GING
So hie� ja der Kaiser von Mandala. Also war das wohl das
Staatsschiff, das am n�chsten Morgen nach Lummerland in See
stechen sollte.
Als die Sonne untergegangen war, begann pl�tzlich ein sanfter,
aber anhaltender Wind vom Lande her zu wehen. Der Kapit�n
des Kinder schiff es, ein lustiger alter Seeb�r mit einer runden,
roten Nase, kam von seinem Schiff herunter und meldete, da�
alles zur Abfahrt bereit sei.
Der Kaiser rief seine kleinen G�ste zusammen und sagte:
"Meine lieben Freunde und Freundinnen! Mit Bedauern ver-
nehme ich, da� die Stunde der Trennung geschlagen hat. Es
war eine gro�e Freude f�r mich, euch alle kennenzulernen. Ich
w�nschte, wir k�nnten noch eine Weile zusammenbleiben,
aber ihr wollt in eure fernen Heimatl�nder, und das ist
durchaus verst�ndlich, wenn man bedenkt, wie lange ihr schon
von zu Hause fort seid. Gr��t eure Eltern, Verwandten und
Freunde von mir und schreibt bald, ob ihr gut angekommen
seid. Und wenn ihr Lust habt, dann besucht mich doch bald
einmal wieder. Vielleicht in den n�chsten gro�en Ferien, ja?
Ihr seid jederzeit herzlich willkommene G�ste. Und was die
dreizehn Piraten betrifft, die euch geraubt haben, so k�nnt ihr
ganz beruhigt sein. Sie werden ihrer gerechten Strafe nicht
entrinnen. Ich werde in n�chster Zeit ein Kriegsschiff ausr�-
sten, das sie gefangen nehmen wird. Und nun lebt wohl, meine
Lieben!"
Danach ergriff Lukas das Wort.
"Tja, Leute", sagte er und paffte heftig, "ich kann nicht viele
Worte machen. Tut mir leid, da� wir uns schon wieder trennen
m�ssen, aber es ist ja nicht f�r immer -"
"Bestimmt nicht!" rief der kleine Indianerjunge dazwischen.
"Schreibt Jim und mir auch mal eine Ansichtspostkarte, damit
wir sehen, wie es bei euch zu Hause ist. Und wenn ihr uns
besuchen wollt, dann kommt nur nach Lummerland. Wir
freuen uns. Und jetzt also gute Fahrt und auf baldiges Wieder-
sehen!"
Nun gab es ein allgemeines H�ndesch�tteln und Abschiedneh-
men, und jedes Kind bedankte sich noch einmal bei Jim und
Lukas, und nat�rlich auch bei der guten dicken Emma, f�r die
Rettung und beim Kaiser von Mandala f�r seine Freundlich-
keit. Dann gingen die Kinder unter F�hrung des Kapit�ns an
Deck ihres Schiffes. Als alle oben an der Reling standen,
begann im Hafen ein ungeheures Feuerwerk. Das war eine
�berraschung, die der kleine Fing Pong sich ausgedacht hatte.
Die Raketen stiegen meilenhoch in den Nachthimmel und
spr�hten und leuchteten in den m�rchenhaftesten Farben.
Dazu spielte eine mandalanische Musikkapelle ein Abschieds-
lied. Und die Wellen des Meeres rauschten wunderbar dazu.
Dann wurde der Anker gelichtet und das Schiff setzte sich
langsam und majest�tisch in Bewegung. Alle riefen "Auf
Wiedersehen!" und winkten. Jeder war ger�hrt und hatte
Tr�nen in den Augen. Am meisten heulte nat�rlich Emma,
obgleich sie wie gew�hnlich nicht ganz verstand, was eigentlich
los war. Sie hatte eben ein sehr zartes Gem�t und war ganz
erheblich ger�hrt, einfach so.
Langsam glitt das Schiff auf das n�chtliche Meer hinaus und
entschwand den Blicken der Zur�ckbleibenden. Jetzt lag der
Hafen pl�tzlich ganz still und verlassen da.
"Es scheint mir das beste", schlug der Kaiser vor, "wenn wir
heute nacht schon an Bord unseres Schiffes schlafen. Es sticht
morgen noch vor Tagesgrauen in See, und wenn wir jetzt schon
an Bord gehen, dann brauchen wir nicht so fr�h aufzustehen.
Beim Fr�hst�ck sind wir schon weit drau�en auf dem Meer."
Die beiden Freunde und die kleine Prinzessin waren nat�rlich
sofort einverstanden.
"Dann wollen wir jetzt von Fing Pong, meinem Oberbonzen,
Abschied nehmen", meinte der Kaiser.
"Ja, f�hrt er denn nicht mit?" fragte Jim.
"Das geht leider nicht", antwortete der Kaiser. "Jemand mu�
mich doch w�hrend meiner Abwesenheit vertreten. Fing Pong
ist der Richtige dazu. Er ist zwar noch sehr klein, aber schon
sehr f�hig, wie ihr gesehen habt. Au�erdem nehme ich nicht
an, da� sich w�hrend meiner Reise hier sehr viel ereignen wird.
Fing Pong kann ja ein anderes Mal nach Lummerland fahren,
diesmal soll er f�r mich regieren."
Aber der winzige Oberbonze war nirgends zu entdecken. Sie
suchten den ganzen Hafen nach ihm ab, und schlie�lich fanden
sie ihn. Er sa� in einer der kleinen Kutschen und war, von den
ungeheuren Anstrengungen des Tages ersch�pft, fest einge-
schlafen.
"H�re, Fing Pong", sagte der Kaiser sanft.
Der Oberbonze fuhr auf, rieb sich die Augen und fragte etwas
weinerlich:
"Ja - bitte - ist etwas nicht in Ordnung?"
"Es tut mir leid, da� ich dich wecken mu�", fuhr der Kaiser
l�chelnd fort. "Wir m�chten uns nur von dir verabschieden. Du
wirst mich w�hrend meiner Abwesenheit vertreten. Ich wei�,
da� ich mich auf dich verlassen kann."
Fing Pong verneigte sich tief vor dem Kaiser und der kleinen
Prinzessin. Dabei fiel er vor lauter Verschlafenheit beinahe
um. Jim konnte ihn gerade noch halten. Er sch�ttelte ihm die
winzige Hand und sagte:
"Besuch uns auch bald mal, Ping Pong!"
"Und gr��e Herrn Schu Fu Lu Pi Plu von uns!" f�gte Lukas
hinzu.
"Sehr gern", murmelte Ping Pong, dem die Augen schon
wieder zufielen. "Gewi� werde ich das tun - ich werde alles tun
- alles - sobald meine Pflichten - oh, ihr ehrenwerten Lokomo-
tivf�hrer - lebt �ber alle Ma�en wohl - und - und - und -"
Dabei g�hnte er und piepste: "Entschuldigt bitte, aber ihr wi�t
ja, ein S�ugling in meinem Alter ..."
Damit war er eingeschlafen, und sein leises Schnarchen h�rte
sich an wie das Zirpen einer Grille.
Als die beiden Freunde mit Li Si und dem Kaiser auf ihr Schiff
gingen, fragte Lukas:
"Meinen Sie, da� Ping Pong den Regierungsgesch�ften ge-
wachsen ist?"
Der Kaiser nickte l�chelnd:
"Ich habe alles vorbereitet. Es kann nichts passieren. Es soll
eine Auszeichnung f�r den kleinen Oberbonzen sein, weil er so
t�chtig war."
Dann schauten sie noch nach, ob Emma, die die Matrosen
inzwischen auf das Schiff transportiert hatten, auch gut unter-
gebracht war. Sie stand auf dem Hinterdeck und war mit Seilen
fest angebunden, damit sie nicht herunterrollen konnte, wenn
das Schiff auf den Wellen schaukelte. Sie schlief auch schon
und schnaufte leise und regelm��ig vor sich hin.
Es war alles in bester Ordnung.
Also w�nschten die beiden Freunde dem Kaiser und Li Si eine
gute Nacht, dann gingen sie alle in ihre Kaj�ten und legten sich
schlafen.
Als sie am n�chsten Morgen erwachten, schwamm das Schiff
schon weit drau�en auf dem Meer. Es war strahlendes Wetter.
Ein kr�ftiger, anhaltender Wind bl�hte die riesigen Segel.
Wenn es so blieb, dann w�rde die R�ckfahrt nach Lummerland
nicht einmal halb so lange dauern wie damals die Reise auf der
Emma nach Mandala.
Nach dem Fr�hst�ck, das sie mit dem Kaiser und der kleinen
Prinzessin gemeinsam einnahmen, gingen Jim und Lukas zum
Kapit�n auf die Kommandobr�cke hinauf und erkl�rten ihm
die Sache mit der schwimmenden Insel, die ihnen am zweiten
Tag p�nktlich um zw�lf Uhr mittags bei 321 Grad 21 Minuten
und l Sekunde westlicher L�nge und 123 Grad 23 Minuten und
3 Sekunden n�rdlicher Breite begegnen sollte.
Der Kapit�n, dessen Gesicht so von Wind und Wetter gegerbt
war, da� die Haut aussah wie ein alter lederner Handschuh,
sperrte vor Staunen Mund und Nase auf.
"Da soll mich doch gleich ein betrunkener Haifisch bei�en!"
brummte er. "Ich fahre jetzt schon ein halbes Jahrhundert zur
See, aber eine schwimmende Insel hab' ich noch nie gesehen.
Woher wi�t ihr denn so genau, da� morgen mittag gerade dort
eine vorbeikommt?"
Die beiden Freunde sagten es ihm. Der Kapit�n kniff ein Auge
zu und knurrte: "Ihr wollt mich wohl verulken?"
Aber Jim und Lukas versicherten, da� es ihr voller Ernst sei.
"Na", sagte der Kapit�n schlie�lich und kratzte sich hinter dem
Ohr, "wir werden ja sehen. Wir kommen n�mlich sowieso
morgen mittag genau �ber den Punkt, den ihr angegeben habt.
Falls das Wetter so bleibt."
Die beiden Freunde stiegen wieder zum Kaiser und der kleinen
Prinzessin hinunter. Dann setzten sie sich an eine windge-
sch�tzte Stelle auf das Vorderdeck und spielten zu viert
Mensch-�rgere-dich-nicht. Li Si kannte das Spiel noch nicht,
und Jim erkl�rte es ihr. Und nachdem sie es zweimal gespielt
hatten, konnte sie es schon besser als die drei anderen und
gewann in einem fort. Jim w�re es lieber gewesen, wenn sie sich
ein wenig ungeschickt angestellt h�tte. Dann h�tte er ihr helfen
k�nnen. Aber so war sie es, die ihm gute Ratschl�ge gab und
die Gescheitere war. Das war ihm nat�rlich nicht besonders
angenehm.
Als sie dann sp�ter beim Mittagessen sa�en, erkundigte sich
der Kaiser:
"Sagt einmal, Jim und Li Si, wann soll denn eigentlich eure
Verlobung gefeiert werden?"
Die kleine Prinzessin wurde ein wenig rot und sagte mit ihrer
Vogelstimme: "Das mu� Jim bestimmen."
"Ja", sagte Jim, "ich wei� auch nicht. Ich richt' mich ganz nach
dir, Li Si."
Aber sie schlug die Augen nieder und sch�ttelte den Kopf.
"Nein, du mu�t es sagen."
"Also", erkl�rte Jim nach kurzem Nachdenken, "dann feiern
wir die Verlobung, wenn wir in Lummerland sind."
Damit waren alle einverstanden. Und der Kaiser meinte: "Die
Hochzeit k�nnt ihr dann sp�ter feiern, wenn ihr gro� genug
seid."
"Ja", sagte die kleine Prinzessin, "wenn Jim lesen und schrei-
ben kann."
"Ich will aber nicht solche Sachen lernen!" rief Jim.
"Doch, bitte, Jim!" bat Li Si. "Du mu�t lesen, schreiben und
rechnen lernen! Tu es f�r mich!"
"Warum?" fragte Jim. "Du kannst es doch selbst, wozu soll ich
es denn auch noch lernen?"
Die kleine Prinzessin senkte ihr K�pfchen und sagte leise und
stockend: "Jim, ich kann doch nicht - es ist n�mlich - es geht
doch nicht - also, ich m�chte eben, da� mein Br�utigam nicht
nur mutiger ist als ich, er soll auch viel kl�ger sein, damit ich ihn
bewundern kann."
"So", sagte Jim und machte ein verstocktes Gesicht.
"Also ich finde", brummte Lukas beg�tigend, "wir sollten uns
dar�ber jetzt nicht streiten. Vielleicht will Jim selber eines
Tages lesen und schreiben lernen, und dann wird er's auch tun.
Und wenn er nicht will, ist es auch gut. Wir sollten ihm das
ruhig selbst �berlassen, meine ich."
Danach wurde �ber diese Sache nicht weiter gesprochen, aber
Jim mu�te doch noch ab und zu an das denken, was die kleine
Prinzessin zuletzt gesagt hatte.
Es war am n�chsten Tag kurz vor Zw�lf Uhr mittags, und die
vier sa�en gerade beim Essen, als pl�tzlich der Matrose hoch
oben im Mastkorb durch die hohle Hand herunterrief:
"Laaaaaand in Sicht!"
Alle sprangen auf und rannten nach vorne zum Bug, um
Ausschau zu halten. Jim, der ein St�ckchen in die Takelage
hinaufgeklettert war, sah es als erster.
"Eine Insel!" schrie er aufgeregt. "Da - eine ganz kleine
Insel!"
Und als sie n�her kamen, sahen auch die anderen das kleine
Eiland, das anmutig durch die Wellen dahintrieb.
"He!" rief Lukas zum Kapit�n hinauf, "was sagen Sie jetzt?"
"Ich will mich von einem erk�lteten Walro� platt walzen
lassen!" antwortete der Kapit�n. "Wenn ich's nicht selber
s�he, w�rde ich's nicht glauben. Wie fangen wir das Ding denn
ein?"
"Habt Ihr vielleicht zuf�llig ein gro�es Fischernetz an Bord?"
fragte Lukas.
"Haben wir!" rief der Kapit�n zur�ck. Er gab den Matrosen
Befehl, die Netze auszulegen. Das geschah, w�hrend das Schiff
in einem gro�en Kreis um das Eiland herumfuhr. Das letzte
Ende lie�en sie nicht ins Wasser, sondern machten es auf Deck
fest. Und als sie schlie�lich an ihren Ausgangspunkt zur�ckge-
kehrt waren, holten sie auch den Anfang des Netzes wieder
ein, und nun lag das schwimmende Eiland wie in einer gro�en
Schlinge im Schlepptau des Segelschiffes. Die Matrosen zogen
es nahe heran, damit man es genau betrachten konnte.
Der Drache hatte wirklich ein Lob daf�r verdient, da� er den
Freunden gerade diese Insel angegeben hatte. Eine bessere
gab es wohl auf der ganzen Welt nicht.
Sie war zwar noch etwas kleiner als Lummerland, aber beinahe
noch h�bscher. Drei gr�ne Rasenterrassen, auf denen ver-
schiedene B�ume standen, erhoben sich stufenweise. Unter
den B�umen waren �brigens drei durchsichtige, wie sie in
Mandala wuchsen.
Dar�ber freute sich die kleine Prinzessin besonders. Um die
Insel herum lief ein flacher Sandstrand, der ganz famos zum
Baden geeignet war. Und auf der obersten Terrasse entsprang
ein kleiner Bach und rauschte in mehreren Wasserf�llen bis ins
Meer hernieder. Nat�rlich gab es auch eine Menge wunder-
sch�ner Blumen und bunter V�gel, die in den Zweigen der
B�ume ihre Nester gebaut hatten.
"Wie gef�llt dir die Insel, Li Si?" fragte Jim.
Und sie waren sich einig dar�ber, da� sie beide bald wieder eine gro�e
Fahrt ins Ungewisse unternehmen w�rden.
"O Jim, sie ist einfach wundervoll!" sagte die kleine Prinzessin
begeistert.
"Is' sie nicht vielleicht ein bi�chen klein?" erkundigte sich Jim.
"Ich mein', im Verh�ltnis zu Mandala."
"O nein!" rief die Prinzessin. "Ich finde ein kleines Land viel
h�bscher als ein gro�es. Besonders wenn es eine Insel ist."
"Dann is' ja alles in Ordnung", meinte Jim zufrieden.
"Man k�nnte ein paar sch�ne Tunnels bauen", stellte Lukas
fest. "Quer durch die Terrassen durch. Was meinst du, Jim? Es
soll ja deine Insel werden."
"Tunnel?" sagte Jim nachdenklich. "Das w�r' famos. Aber ich
hab' ja noch nicht einmal eine Lokomotive."
"Willst du denn immer noch Lokomotivf�hrer werden?" fragte
Lukas.
"Freilich", antwortete Jim ernsthaft. "Was denn sonst?"
"Hm", brummte Lukas und zwinkerte mit einem Auge. "Viel-
leicht habe ich schon was f�r dich in Aussicht."
"Eine Lokomotive?" rief Jim aufgeregt.
Aber Lukas wollte noch nichts N�heres sagen, so sehr Jim auch
bat und bettelte. "Wart ab, bis wir nach Lummerland kom-
men", mehr war aus ihm nicht herauszubringen.
"Hast du �brigens schon einen Namen f�r die neue Insel, Jim?"
mischte sich schlie�lich der Kaiser ins Gespr�ch. "Wie wirst du
sie taufen?"
Jim �berlegte eine Weile, dann schlug er vor: "Wie w�r's mit
Neu-Lummerland? "
Damit waren alle einverstanden, und so blieb es gleich dabei.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
in dem Verlobung gefeiert wird und dieses Buch mit einer
freudigen �berraschung endet
Die neue Insel war inzwischen von den Matrosen mit Anker-
ketten und Stahltrossen so dicht neben Lummerland festge-
macht worden, da� man mit einem Schritt hin�berspringen
konnte. Nat�rlich hatten sie auch nicht vergessen, was Lukas
ihnen aufgetragen hatte, n�mlich an der Stelle, wo jetzt das
kleine Eiland lag, vorher einige �ste von Korallenb�umen im
Meer zu versenken, wie es der Drache angeraten hatte. In ein
paar Jahren, wenn die B�ume bis an die Meeresoberfl�che
gewachsen waren, w�rde die neue Insel ebenso fest gegr�ndet
sein wie Lummerland.
Unter Jims F�hrung betrat die Gesellschaft den neuen Grund
und Boden und ging ein wenig darauf spazieren. Sehr viel Platz
war nat�rlich nicht da, aber der wenige, der da war, war daf�r
besonders h�bsch.
"Das ist die L�sung des Problems!" rief K�nig Alfons der
Viertel-vor-Zw�lfte in einem fort. "Wer h�tte aber auch an so
etwas gedacht! Nun brauche ich mir keine Sorgen mehr zu
machen! Zum erstenmal seit langer Zeit werde ich wieder in
Frieden schlafen k�nnen."
Und als Jim verk�ndete, da� er die Insel Neu-Lummerland
getauft habe, da kannte die Freude des K�nigs keine Grenzen
mehr. Mit vor Stolz ger�tetem Gesicht erkl�rte er: "Ich werde
mich in Zukunft, K�nig der Vereinigten Staaten von Lummer-
land und Neu-Lummerland' nennen!"
W�hrend sie wieder in das Haus von Frau Waas zur�ckgingen,
nahm K�nig Alfons den Kaiser von Mandala etwas beiseite
und schlug ihm vor, eine Telefonleitung zwischen Ping, der
Hauptstadt von Mandala, und Lummerland zu legen. Der
Kaiser fand diese Idee ausgezeichnet, weil sie dann auch
sp�ter, so oft sie wollten, miteinander sprechen konnten. Er
ging also zum Kapit�n des Staatsschiffes und erteilte ihm den
Auftrag, nach Mandala zu fahren und bei der R�ckkehr nach
Lummerland unterwegs ein langes Telefonkabel durch das
Meer zu legen. Das Schiff stach sofort in See, und der Kaiser
ging in die K�che von Frau Waas, wo die anderen inzwischen
um Jim und Lukas sa�en und gespannt zuh�rten, wie die
beiden von ihren Abenteuern berichteten. Sie erz�hlten alles
ganz ausf�hrlich, von der n�chtlichen Abreise auf der kalfater-
ten Emma angefangen bis zu ihrer R�ckkehr.
Immer wenn es besonders gef�hrlich und aufregend zuging,
dann wurde Frau Waas ganz bla� und murmelte nur:
"Ach du lieber Himmel!" oder "Du meine G�te!"
Solche Angst stand sie noch nachtr�glich um ihren kleinen Jim
aus. Der einzige Trost war f�r sie, da� der Junge ja gesund und
munter vor ihr sa� und da� also alles am Ende gut ausgehen
m�sse.
Etwa eine Woche sp�ter kam das Schiff zur�ck, und die
Matrosen hatten richtig das viele tausend Meilen lange Kabel
unterwegs ins Meer versenkt. Das eine Ende war an dem
diamantenbesetzten Telefon im Thronsaal des kaiserlichen
Palastes angeschlossen, und das andere wurde jetzt an dem
goldenen Telefon von K�nig Alfons dem Viertel-vor-Zw�lften
befestigt. Dann telefonierte der Kaiser zur Probe erst einmal
mit Fing Pong, ob auch alles in Mandala in Ordnung w�re. Ja,
es war alles in Ordnung.
Man war �bereingekommen, da� in vier Wochen die Verlo-
bung der Prinzessin Li Si mit Jim Knopf gefeiert werden sollte.
Und w�hrend der ganzen Zeit n�hte und arbeitete Frau Waas
abends an einer �berraschung f�r die beiden Kinder. Schnei-
dern war ja ihre besondere Leidenschaft.
Der Kaiser und Li Si wohnten w�hrend dieser vier Wochen mit
dem K�nig zusammen in dem Schlo� zwischen den beiden
Gipfeln. Das war nat�rlich etwas eng, aber sie schr�nkten sich
gerne ein, denn auf Lummerland war es einfach gar zu sch�n.
Nicht einmal das Schl��chen aus himmelblauem Porzellan, das
die kleine Prinzessin in den gro�en Ferien zu bewohnen
pflegte, konnte sich mit dieser Insel vergleichen.
Eines Tages war es soweit, die vier Wochen waren um. Der Tag
der Verlobung war gekommen. Als erstes bekamen die beiden
Kinder die �berraschungen, die Frau Waas f�r sie vorbereitet
hatte.
F�r Jim hatte sie einen himmelblauen Lokomotivf�hreranzug
geschneidert, genauso einen wie Lukas hatte, blo� kleiner.
Und nat�rlich war auch eine richtige Schirmm�tze dabei. F�r
die kleine Prinzessin hatte sie ein wundersch�nes kleines
Brautkleid gen�ht, mit einem Schleier und einer langen seide-
nen Schleppe. Nat�rlich zogen die beiden ihre neuen Sachen
sofort an.
Dann schenkte Li Si Jim zur Verlobung eine Tabakspfeife, so
eine wie Lukas hatte, blo� viel neuer und auch nicht so gro�.
Und Jim schenkte Li Si ein kleines, zierliches Rubbelbrett zum
W�schewaschen. Die kleine Prinzessin freute sich riesig, denn
so etwas hatte sie nat�rlich bisher nie in die Hand nehmen
d�rfen, wegen ihres hohen Standes, obwohl sie wie alle
Mandalanier f�r das W�schewaschen begeistert war.
Und schlie�lich gaben sie sich einen Ku�, und K�nig Alfons
der Viertel-vor-Zw�lfte erkl�rte im Namen der Vereinigten
Staaten von Lummerland und Neu-Lummerland, da� sie nun
verlobt seien. Die Untertanen warfen ihre H�te in die Luft,
und auch der Kaiser von Mandala schrie mit allen zusammen
aus Leibeskr�ften: "Das Brautpaar, es lebe hoch! hoch!
hoch!"
Und die Matrosen auf dem kaiserlichen Staatsschiff entz�nde-
ten einen gro�en B�ller, den sie eigens mitgebracht hatten,
und sch�ssen Salut und winkten und schrien Vivat, w�hrend
Jim und Li Si sich bei den H�nden nahmen und feierlich auf den
beiden Inseln herumzogen.
Das Fest ging den ganzen Tag fort. Nachmittags rief Fing Pong
an, um dem Verlobungspaar zu gratulieren. Alle waren ver-
gn�gt und ausgelassen. Nur Lukas schien noch auf irgend etwas
zu warten.
Als es Abend geworden war und die Dunkelheit hereinbrach,
wurden auf Lummerland und Neu-Lummerland Hunderte von
Lampions aufgeh�ngt. Und dann ging der Mond auf, und da
das Meer an diesem Abend ganz still und glatt war, spiegelten
sich all die bunten Lichter im Wasser. Ein unvergleichlicher
Anblick, wie sich denken l��t.
Frau Waas hatte sich f�r diesen Anla� ganz besondere M�he
gegeben und nicht nur Vanilleeis und Erdbeereis, sondern
auch Schokoladeneis gemacht. Und jeder mu�te zugeben, da�
es das beste Eis war, das er je gegessen hatte. Sogar der
Kapit�n, der doch weit auf der Welt herumgekommen war.
Und das wollte schon etwas hei�en.
Jim war gerade ein wenig an den Strand gegangen, um von hier
aus in aller Ruhe die Lichterpracht zu betrachten. Er stand
ganz versunken in den m�rchenhaften Anblick, da f�hlte er
pl�tzlich eine Hand, die sich auf seine Schulter legte. Er drehte
sich um. Es war Lukas, der ihm mit dem Finger winkte.
"Komm mal mit, Jim", raunte er geheimnisvoll.
"Was is'" fragte Jim.
"Du wolltest doch immer eine Lokomotive haben, alter Junge.
Den passenden Anzug hast du ja schon", antwortete Lukas
schmunzelnd.
Jims Herz begann zu klopften.
"Eine Lokomotive?" fragte er, und seine Augen wurden
gr��er und gr��er. "Eine richtige Lokomotive?"
Lukas legte den Finger an die Lippen und zwinkerte Jim
verhei�ungsvoll zu. Dann nahm er ihn an der Hand und f�hrte
ihn zu der kleinen Bahnstation, wo Emma stand und schnaufte.
"H�rst du was?" fragte er.
Jim lauschte. Er h�rte nur das Schnaufen von Emma. Aber da
- t�uschte er sich nicht? Da war doch noch ein anderes, ganz
leises kurzes Zischen zu h�ren? Und jetzt klang es wie ein
leiser, hoher, kleiner Pfiff.
Jim blickte Lukas mit gro�en, fragenden Augen an. Lukas
nickte l�chelnd, f�hrte ihn zu Emmas Kohlentender und lie�
ihn hineinblicken.
Da sa� eine ganz kleine Lokomotive und schaute Jim mit
gro�en, dummen Babyaugen an. Sie schnaufte emsig vor sich
hin und stie� winzigkleine Rauch W�lkchen aus. Es schien
�brigens eine sehr gute kleine Babylokomotive zu sein, denn
sie versuchte schon sehr tapfer, sich auf ihren R�derchen zu
halten und zu Jim hinzurollen, wobei sie allerdings immer
wieder umfiel. Aber das beeintr�chtigte ihre gute Laune
durchaus nicht.
Jim streichelte die Kleine.
"Ist das Emmas Kind?" fragte er leise.
Er war tief ger�hrt.
"Ja," sagte Lukas, ."ich wu�te schon seit einer ganzen Weile,
da� sie eines kriegen w�rde. Aber ich habe dir nichts davon
gesagt, um dich zu �berraschen."
"Soll ich sie bekommen?" fragte Jim ganz atemlos vor
Gl�ck.
"Wer denn sonst?" antwortete Lukas und paffte. "Mu�t sie
eben gut pflegen. Sie wird bald gr��er werden. In ein paar
Jahren ist sie so gro� wie Emma. - Wie soll sie denn hei�en?"
Jim nahm sie auf den Arm und streichelte sie. Nach einigem
Nachdenken sagte er:
"Wie f�ndest du Molly?"
"Das ist ein guter Lokomotivenname", antwortete Lukas
nickend. "Aber leg sie jetzt wieder zur�ck. Vorl�ufig mu� sie
noch bei Emma bleiben."
Jim setzte Molly wieder in den Tender und ging mit Lukas zu
den anderen zur�ck und erz�hlte ihnen, was er bekommen
hatte, und nat�rlich wollten alle die kleine Lokomotive sehen.
Jim f�hrte sie hin und zeigte sie ihnen, und sie wurde allerseits
geb�hrend bewundert. Die kleine Molly merkte davon aller-
dings nichts, denn sie war inzwischen friedlich eingeschlafen
und nuckelte vor sich hin.
Ein paar Tage sp�ter fuhren der Kaiser und die kleine Prinzes-
sin nach Mandala zur�ck, denn Li Si sollte nat�rlich vorerst
noch bei ihrem Vater bleiben. Auch wollte die kleine Prinzes-
sin gern wieder in eine Schule gehen - in eine richtige,
nat�rlich, nicht in eine drachenhafte. Und so etwas gab es ja
auf Lummerland nicht. Aber die beiden Kinder konnten sich
so oft besuchen, wie sie Lust hatten, denn das Staatsschiff
segelte von nun an oft zwischen Lummerland und Mandala hin
und her. Au�erdem durften sie nat�rlich auch das Telefon
ben�tzen, wenn K�nig Alfons der Viertel-vor-Zw�lfte es nicht
gerade brauchte. Er brauchte es allerdings die meiste Zeit, weil
er ja nun diplomatische Beziehungen zum Kaiser von Mandala
hatte.
Auf Lummerland kehrte das alte friedliche Leben wieder ein.
Herr �rmel ging mit seinem steifen Hut auf dem Kopf und dem
Regenschirm unter dem Arm spazieren. Er war haupts�chlich
Untertan und wurde regiert. Er war eben nur so da. Genau wie
fr�her.
Lukas fuhr mit Emma �ber das kurvenreiche Gleis von einem
Ende der Insel zum anderen. Und manchmal pfiffen sie
zweistimmig, was sich sehr h�bsch anh�rte, besonders in den
Tunnels, weil es da hallte.
Jim war nat�rlich meistens mit der Pflege seiner kleinen Molly
besch�ftigt und hatte kaum noch Zeit, Herrn �rmel zu �rgern
oder von einem der Gipfel herunterzurutschen. Er wurde eben
langsam erwachsen.
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