Junker bitten wollte, daß er den Ruhestörer schieße, überfiel es mich wie eine Scham; denn er achtete das Mädchen schier gering und schien von ihrem Treiben nichts zu merken. So sprach ich nur: »Die alte Matten kann davor nicht schlafen, Rolf!«
Da war er gleich bereit; und Abends, wo der Himmel, wie gestern, mit allen Sternen leuchtete, schlichen wir miteinander auf dem Gartensteige, der Knabe die gespannte Flinte in der Hand. Mir war, ich weiß es nicht, weshalb, beklommen, so daß ich aufschrak, als plötzlich der mißfällige Schrei des Kauzes aus dem Dornbaum scholl; Rolf aber trat behutsam näher; ein Schuß krachte und ich hörete, wie der getroffene Vogel durch die Zweige fiel. Doch im selben Augenblicke wurde die Gangthür aus dem Hause aufgerissen; und ich sah wohl, daß es Abel war, denn so gleich einem Vogel konnte hier keine Andre fliegen, auch schimmerte ihr graues Kleidchen in der Abendhelle; ich sah es, sie hatte die Hände des Junkers ergriffen und küßte sie wohl zu hundert Malen.
Er schien sie erst nicht zu erkennen; dann aber rief er: »Bist du toll? Ich will nicht Deine Küsse; der Schuß war nicht für Dich!« Und da das heftige Kind nicht alsogleich von ihm abließ, stieß er sie voll Zorn zurück, daß sie stolperte und mit einem Wehschrei ihr Antlitz auf den Boden schlug.
Rolf war im Augenblicke bei ihr, um sie aufzuheben:
Theodor Storm: Zur Chronik von Grieshuus. Berlin: Paetel, 1885 (2. Auflage), Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Zur_Chronik_von_Grieshuus_113.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)