Während seines Redens war der Wildmeister, der etwas zu melden haben mochte, in das Gemach getreten und, seiner Zeit gewärtig, an der Thür gestanden. Aber schon vorher hatte sich, was wohl um solche Zeit geduldet wurde, ein Schwesterenkelkind der alten Matten, ein braunes zehnjähriges Dirnlein, in ihrem Sonntagsstaat hereingeschlichen. Wie mit Aug’ und Ohren horchend, war sie zu Anfang still gestanden, dann aber, ein Fingerlein an den Lippen, immer näher zu dem jungen Herrn hingeschlichen. Als aber dieser seine Rede kaum geschlossen hatte, wies sie mit ausgestreckter Hand auf einen Spiegel gegenüber, woraus des Knaben Bildniß mit seinem Goldgeringel wiederschien. »Guck!« raunte sie ihm zu, »da ist er!« und zupfte ihn an seinem Ärmel.
Aber der Knabe wollte sich nicht stören lassen. »Wer denn? Was willst du, Abel?«
Da streckete die Dirne sich zu ihm auf: »König Enzio!« rief sie laut, und rannte mit purpurrothem Angesicht zur Thür hinaus.
Der Oberst lachte; der alte Wildmeister aber war rasch ein paar Schritte vorgetreten, und, die Hand nach dem Haupt des Knaben streckend, rief er hastig: »Gott nehme ihn in seinen Schutz!«
Der Oberst wandte sich in seinem Stuhle: »Das thue er in seiner Gnade!« sprach er; »aber was hat Er, Wildmeister?«
Theodor Storm: Zur Chronik von Grieshuus. Berlin: Paetel, 1885 (2. Auflage), Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Zur_Chronik_von_Grieshuus_103.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)