»Was könnet Ihr nicht, Jungfer?« frug Junker Hinrich, als ob er plötzlich einen Schalksstreich berge.
Da kam ein kläglich Lächeln auf des Mädchens Antlitz; sie hub das Huhn empor und sagte: »Der Ohm, da er mit dem Knecht früh in den Wald ging, hat es mir geschenkt; mein Vater verträgt anitzo nicht die rauhe Kost.«
– »Ist denn Dein Vater krank?«
»Er ist alt, Herr; das jüngsthin in der Nacht, Ihr wisset ja, er hat das nicht verwinden können.« Dann stand sie plötzlich, ihr Antlitz wie in Gluth getauchet, vor ihm: »Und zürnet nicht, Herr Junker; ich hätt’s Euch tausend Mal schon danken sollen!«
Sie hatte das Messer samt dem Thiere fahren lassen; doch Junker Hinrich hatte sich gebückt und beides aufgegriffen: »Vergeßt nur nicht auf Eures Vaters Süpplein, Jungfer!« sagte er.
Dann aber that das schöne Mädchen gleichzeitig mit dem Huhne einen lauten Schrei; denn ein Blutstrahl war emporgeschossen, gar ein paar Tropfen standen roth auf ihrer weißen Schürze. »Ihr habt es todt gemacht!« rief sie und sah bestürzt auf den noch zuckenden Vogel, den er jetzt nebst dem Messer auf den Steinsitz niederlegte.
»Ich wollt’s Dir abnehmen, Bärbe«, sprach er; »aber nun fürchtest Du Dich wieder vor mir, wie dazumal
Theodor Storm: Zur Chronik von Grieshuus. Berlin: Paetel, 1885 (2. Auflage), Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Zur_Chronik_von_Grieshuus_038.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)