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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Dummerle
Untertitel: Aus einer jungen Ehe
aus: Illustriertes Sonntags-Blatt, Beilage zum Delmenhorster Kreisblatt. Nr. 13, S. 97–99
Herausgeber: Greiner & Pfeiffer in Stuttgart
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1916
Verlag:
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Erscheinungsort: Delmenhorst
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[97]
Dummerle.
Aus einer jungen Ehe. Von W. Kabel.
(Nachdruck verb.)

Genau einen Monat waren wir verheiratet, als ich zum erstenmal merkte, daß Mela irgendein Geheimnis vor mir hatte. – Früher als gewöhnlich kehrte ich eines Mittags aus der Fabrik heim, schloß möglichst geräuschlos den Vorflur auf und schlich an die Tür der Küche, wo ich mein Frauchen um diese Zeit, so kurz vor dem Essen, bestimmt anzutreffen hoffte. Um eine Köchin halten zu können, dazu langte es bei uns vorläufig noch nicht. – Doch so sehr ich auch meine Augen anstrengte, – hinter den Milchglasscheiben regte sich nichts. Kein Schatten huschte eilfertig vorüber, auch nicht das leiseste Klappern von Töpfen und Tellern war zu hören. Und diese geradezu beängstigende Stille herrschte nicht nur in der Küche, sondern auch in den übrigen Räumen der kleinen Wohnung.

Während ich noch ahnungslos lauschend dastand, drang mir plötzlich ein Geruch in die Nase, der verzweifelte Ähnlichkeit mit den beißenden Düften stark angebrannten Fleisches hatte und fraglos aus der Küche kam. – Kein Zweifel, Mela hatte noch irgendeine Besorgung in der Nähe zu erledigen und war gar nicht daheim. Daß mittlerweile das Essen verdarb – mein Frauchen hatte am Morgen von geschmorten Kalbsrippen gesprochen –, ahnte die Ärmste gar nicht, die auf ihrem Gange vielleicht auch länger aufgehalten worden sein mochte, als sie wohl erwartete. –

Ein wahres Glück also, daß ich heute so vorzeitig erschien und daher das Schlimmste noch verhüten konnte.

Ohne mich weiter in acht zu nehmen, riß ich die Küchentür auf, schob schleunigst den Kochtopf, aus dem die verdächtigen Gerüche aufstiegen, von der Gasflamme herunter und öffnete dann beide Fensterflügel. Als ich mich wieder umwandte, stand Mela, noch im Hauskleid, vor mir und starrte mich mit weiten Augen wie eine Erscheinung an.

„Fritz … du …?!“ In dem Tonfall dieser beiden Worte lag alles andere, nur nicht freudige Überraschung. Deutlich hörte ich eine gewisse Verlegenheit, eine schlecht verhehlte Angst heraus.

Die Begrüßung zwischen uns war daher auch einige Grade weniger zärtlich als sonst. Noch nie hatten Melas weiche Lippen so flüchtig auf den meinen geruht. Vielleicht hatte ich mein kleines Dummerle durch mein Einschleichen wirklich erschreckt, vielleicht lenkte auch der Duft des angebrannten Fleisches ihre Gedanken ab. Denn daß auch ihr feines Näschen das kleine Pech sofort gewittert hatte, merkte ich daran, wie sie argwöhnisch die Luft einsog, während ich sie noch zärtlich umschlungen hielt. Und kaum hatte ich sie freigegeben, als sie auch schon an den Herd eilte und den Schaden in Augenschein nahm.

„Fritz – gieße doch eine Tasse Wasser zu“, bat sie in auffälliger Hast, „und schiebe nachher den Topf wieder über die Flamme.“

Damit war sie schon wieder hinaus. Kopfschüttelnd blieb ich zurück. – Ich wußte nicht, was ich von ihrem Verhalten denken sollte. – Was konnte denn nur drinnen in den Zimmern ihre Aufmerksamkeit so ganz in Anspruch genommen haben, daß sie nicht einmal Zeit fand, hin und wieder nach meinen geliebten Schmorrippchen zu sehen …? – Und warum kommandierte sie mich jetzt hier zur Hilfeleistung …? Etwa um noch ein Weilchen drüben allein zu sein und das verbergen zu können, was ihr mehr am Herzen lag als die tadellose Zubereitung unseres bescheidenen Mahles …?

Ebenso schnell, als sie kamen, vertrieb ich aber auch diese törichten Gedanken. Mela war treu wie Gold. Das wußte ich. Wir beide hatten sechs lange Jahre trotz des Widerstandes unserer beiderseitigen Eltern aneinander festgehalten und in dieser Zeit [98] des Kämpfens um unser Glück das beste Fundament für eine spätere, wahrhaft harmonische Ehe in unseren Herzen errichtet: ein gegenseitiges, durch nichts zu erschütterndes Vertrauen, das in den kleinen Intrigen, die zum Zwecke unserer Trennung eingefädelt worden waren, längst die Feuerprobe bestanden hatte. – Ich schämte mich meiner Zweifelsucht daher ehrlich und hielt mich jetzt sogar länger als nötig in der Küche auf, um mich dadurch selbst ein wenig für mein lächerliches Mißtrauen zu bestrafen.

Nachher trat mir Mela mit solcher Harmlosigkeit und so fröhlich entgegen, daß ich meinem Leibgericht trotz des bitteren Beigeschmackes der Sauce mit größtem Appetit zusprach. Nur reichlicher hätte die Mahlzeit sein können. Offenbar hatte mein kleiner lieber Spitzbube die allzu stark – sagen wir schon „gebräunten“ Stücke vorher beiseite geschafft. –

Wochen vergingen. Aber seit jenen angebrannten Kalbsrippchen waltete ein steter, immer häufiger wiederkehrender Unstern über Melas Kochkünsten. Mit der Engelsgeduld und der schwer zu erschütternden Nachsicht des Jungvermählten nahm ich die Attacken auf meine Geschmacksnerven hin. Wenn’s nur dabei geblieben wäre …! Aber auch Melas sonstiges Verhalten wurde mir von Tag zu Tag rätselhafter. Sie, deren Plappermäulchen früher kaum einen Augenblick still stand, zeigte eine so verträumte Wortkargheit, daß ich sie täglich mehrmals sanft daran gemahnen mußte, mir wenigstens meine Fragen zu beantworten. Stets schien sie mit ihren Gedanken weit fort zu sein. Umsonst forschte ich mit den zärtlichsten, schmeichelndsten Worten nach der Ursache ihrer so auffälligen Geistesabwesenheit. Stets bekam ich dasselbe zu hören: „Wirklich, Schatz, du bildest dir das alles nur ein. Jeder leidet doch bisweilen unter Stimmungen, die uns sozusagen anfliegen, und in denen man stiller als gewöhnlich ist.“

Ich ließ mich jedoch nicht so leicht täuschen und begann Mela nun schärfer zu beobachten. Dabei stellte ich zunächst fest, daß sie regelmäßig am Mittelfinger der rechten Hand links von dem sauber gepflegten Nagel ein durch Tinte leicht geschwärztes Fleckchen hatte, wie man dies häufig bei Menschen findet, die viel schreiben und die Angewohnheit haben, den Federhalter ganz kurz zu fassen. Weiter merkte ich, daß wir in unserem Haushalt geradezu unheimlich viel Tinte verbrauchten. Ich selbst war daran schuldlos. Also mußte notwendig Mela den Inhalt der drei leeren Tintenfläschchen, die ich in den letzten sechs Wochen auf meinem Schreibtisch halb verborgen hinter dem Briefständer entdeckt hatte, seiner natürlichen Bestimmung zugeführt haben. Auch mein Vorrat an weißem Papier zeigte sich, als ich einmal eine Eingabe an eine Behörde aufsetzen mußte, bis auf einen winzigen Rest zusammengeschmolzen. Im Haushalt konnte Mela all die großen Bogen kaum verwandt haben. Wozu auch?

Mithin blieb nur eine Möglichkeit übrig, wenn man diese von mir eben erörterten Momente logisch zu einer Kombination vereinte: mein Dummerle beschäftigte sich mit irgendeiner längeren schriftlichen Arbeit, die an den vielen verdorbenen Speisen, an bei Zerstreutheit, den geschwärzten Fingern und dem enormen Tinten- und Papierverbrauch schuld war. – Aber was für ein Opus konnte das nur sein? Stellte sie vielleicht ein neues Kochbuch zusammen? Das war bei ihrer Kunstfertigkeit im Zubereiten billiger und schmackhafter Speisen eigentlich das Nächstliegende. Nun, ich würde schon dahinterkommen!

Eine recht unmännliche Neugierde hatte sich meiner bemächtigt, die mich dann dazu verführte, Mela eine regelrechte Falle zu stellen. Denn meine mühsam gesammelten Verdachtsgründe und die daraus hervorgegangenen Schlüsse mochte ich ihr nicht mitteilen, schon um sie nicht zu einer Notlüge zu verleiten.

Auf meiner Schreibtischplatte lag stets ein starker, großer Bogen rotes Löschpapier vor dem schweren Onyxschreibzeug. Ehrlich gestanden nur deswegen, weil ich einmal aus Unachtsamkeit in den grünen Tuchbezug der Platte mit der Zigarre ein schändliches Loch gebrannt hatte, das auf diese Weise den Blicken unserer Gäste entzogen werden sollte. Ein neuer Bezug hätte nämlich sechs Mark gekostet. Rotes Löschpapier gab’s aber schon für zehn Pfennig den Bogen.

Und diese zehn Pfennig opferte ich und vertauschte heimlich den bisherigen, von dunklen Flecken und Schriftspuren bereits über und über befleckten Bogen gegen einen ganz neuen. Um das Maß meiner Hinterlist noch voll zu machen, schloß ich dann auch meinen Onyxlöscher, der zu der Schreibtischgarnitur gehörte, in eine Mela nicht zugängliche Schublade ein. So wollte ich mein Frauchen zwingen, ihr Geschreibsel auf der zarten Fläche des neuen Löschblattes abzudrücken.

Als ich am nächsten Mittag nach Hause kam, benutzte ich die gute Gelegenheit, als Mela den Tisch im Nebenzimmer deckte, zur Prüfung des roten Löschpapiers. Ungefähr zwölf etwas ineinanderlaufende Reihen von Schriftzügen waren deutlich darauf zu sehen. Mein Taschenspiegel, den ich dicht hinter die einzelnen Zeilen hielt, und auf dessen Glas mir dann deutlich lesbar die Worte entgegenleuchteten, enträtselte mir schnell das ganze Geheimnis. Die Sätze, die Ich so zu entziffern vermochte, hatten anscheinend[1] gar keinen Zusammenhang, sagten aber trotzdem genug:

„… Kitty ging in diesen Wochen vor ihrer Hochzeit wie im Traum einher. Sie war seit jener …“

„… mußte aber doch Liebe sein, die sie empfand, denn sonst hätte sie ja jede Achtung …“

„… und mit dem verzweifelten Ringen eines Schwimmers, der dem Ertrinken nahe ist, versuchte John Brown Kitty zu …“

„… mit der Bitte, den beifolgenden Roman zu prüfen und mir baldigst Bescheid zukommen zu lassen. Rückporto füge ich …“

In der nächsten Minute stand ich schon Mela gegenüber, die soeben mit dem vollen Tablett aus der Küche kam.

„Mela,“ sagte ich dumpf, „versuche nicht weiter zu leugnen. Damals die Kalbsrippchen, inzwischen noch vieles andere und vorgestern die Koteletts mußten sich eine unrichtige Behandlung gefallen lassen, weil du … schriftstellerst!“

Das war fraglos recht zart ausgedrückt! Und dennoch – nur das jongleurartig fixe Zugreifen meiner Hände rettete unser Mittagessen vor einer allzu innigen Berührung mit dem neuen Teppich.

Mela war auf den nächsten Stuhl gesunken und weinte schon herzzerreißend, während ich noch das Servierbrett auf dem Eßtisch in Sicherheit brachte.

Ich ließ ihr ruhig Zeit, sich von dem ersten Schreck durch wahre Tränenströme zu erholen. Als nur noch vereinzelte Zähren die frischen Wangen netzten, geleitete ich sie mit sanfter Gewalt zu unserem lieben Sofaplätzchen, wo ich sie auf meine Knie zog und ihr Köpfchen an meine Brust bettete. Und dann beichtete sie …

Schon als Mädchen hatte sie, wovon sie mir freilich nie etwas zu sagen wagte, hin und wieder kleine Novellen geschrieben, – nur zu ihrem eigenen Vergnügen, da diese Art, ihre Phantasie spielen zu lassen, ihr Freude und Befriedigung gewährte. Dann war sie gleich in der ersten Zeit unserer Ehe so viel allein gewesen. Ich hatte mit einer kurzen Mittagspause von morgens bis abends in der Fabrik zu tun, und in unserem kleinen Haushalt gab es nur wenig Beschäftigung für sie. Und so war ihr der Gedanke gekommen, einmal auch eine größere schriftstellerische Arbeit zu beginnen.

„Erst sollte es wieder nur eine Novelle werden, Fritz“, gestand sie leise. „Aber sehr bald packte mich der Stoff derart, daß ich die verschiedenen Situationen und die Charaktere der Personen immer eingehender auszumalen begann. Oft vergaß ich alles um mich her, wenn ich in deinem Zimmer an dem Roman schrieb. Das waren die Vormittage, wo du dann halb verdorbenes Essen vorgesetzt bekamst.“ Bei dieser Stelle drängten sich abermals ein paar Tränen der Reue hervor.

„Heute habe ich nun den Roman beendet, Fritz“, fuhr sie zögernd fort und senkte den Kopf noch tiefer. „Und heute gebe ich dir auch das Versprechen, daß ich nie wieder die Feder anrühren und nie mehr meine Pflicht über dieser meiner harmlosen Leidenschaft vergessen werde, wenn … wenn ich das Glück habe, den Roman gedruckt zu sehen. Dies ist mein sehnlichster Wunsch, mein ganzer Ehrgeiz.“

Ich glaubte nicht recht gehört zu haben. – Mein Dummerle, mein kleiner, lustiger Spitzbube wollte das Geschreibsel also wirklich einer Redaktion anbieten, – oder womöglich noch einem Verleger …?! Das war ja mehr als Torheit, das war eine geradezu lächerliche Selbstüberschätzung …! Wer mir vor meiner Hochzeit gesagt hätte, daß ich meiner Mela noch einmal würde Blaustrumpf-Neigungen ausreden müssen, den hätte ich schön ausgelacht …! Und jetzt …, jetzt …?!

„Kind,“ begann ich daher ganz väterlich, „du wirst doch nicht im Ernst die Absicht haben, deinen sogenannten Roman irgendwo anbringen zu wollen. Weißt du auch, welche Schwierigkeiten sich diesem Vorhaben in den Weg stellen …?! Du als völlig unbekannte Autorin“ – ich brachte diese tönende Bezeichnung für mein Dummerle wirklich über die Lippen! – „wirst eine Unmenge Porto verschwenden und dies nur mit dem einen Erfolg, daß du deine Arbeit stets zurück erhältst – stets! Denke an die qualvollen Wochen der Erwartung, die du dir bereitest, wenn der Roman unterwegs ist. Du wirst deinen Frohsinn verlieren, wirst …“

Da unterbrach sie mich mit einem einzigen Wort.

„Seilmann …!“

Es klang wie zages Hoffen durch die zwei Silben, die den Namen meines besten Freundes bildeten.

Ich begriff sofort, welche Ideenverbindung Mela gerade auf Heinz Seilmann gebracht hatte. Bei ihm als dem Feuilleton-Redakteur der angesehensten Zeitung unserer großen Industriestadt dachte sie eben die zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Wünsche notwendige Unterstützung zu finden.

Umsonst versuchte ich ihr klarzumachen, daß Seilmann geradezu mit Arbeit überhäuft sei und man ihn schon deswegen mit solchen [99] Anliegen nicht belästigen dürfe. Sie ließ nicht locker, bat, schmeichelte und erreichte schließlich auch, daß wir beide einen regelrechten feierlichen Vertrag schlossen, der die Verpflichtung jedes von uns genau festlegte und dabei doch meine eigene Großmut und Opferfreudigkeit in das vorteilhafteste Licht setzte. –

Abends machte ich mich dann daran, Melas zweihundert Seiten starkes Opus durchzulesen. Ich bin nun der prosaischste Mensch, den es nur geben kann. Meinen einzigen Lesestoff bildeten seit Jahren ausschließlich technische Fachblätter und meine Zeitung. Um einen Roman auch nur einigermaßen beurteilen zu können, dazu fehlte mir so ziemlich alles. Trotzdem wollte ich wenigstens feststellen, ob mein Frauchen nicht gar zu törichtes Zeug zusammenfabuliert hatte. Von meiner Entscheidung sollte es dann abhängen, ob wir Seilmann ins Vertrauen ziehen oder ob … „Menschen abseits der Heerstraße“ einen wohl nur für Mela schmerzvollen Flammentod finden würden.

Meines Dummerle zierliche, übersichtliche Handschrift bereitete mir keine Schwierigkeiten. Ich kam also recht schnell vorwärts. Zunächst interessierte mich der Stoff herzlich wenig. Nur das eine merkte ich bald: Mela schrieb wirklich einen flüssigen, dabei scheinbar recht eigenartigen Stil. Manche Wendungen überraschten mich geradezu, nicht minder ihre Art, wie sie Naturschönheiten und Situationen plastisch darzustellen verstand. Doch bereits nach dem ersten Kapitel begann ich dann auch die Handlung mit größerer Aufmerksamkeit, bald sogar mit Spannung, zu verfolgen.

Es war fast zwölf Uhr geworden, als ich das Manuskript wieder in den blauen Deckel zurücklegte. Mein Frauchen, die bis dahin mäuschenstill bei ihrer Handarbeit[2] am Mitteltisch in meinem Arbeitszimmer gesessen hatte – sicherlich fiebernd vor Erwartung –, war jetzt mit wenigen Schritten an meiner Seite. Ich stand auf und schloß sie wortlos in meine Arme.

„Meinst du, daß er etwas taugt?“ fragte sie dann zaghaft.

„Nun, – bei einer kleinen Provinzzeitung wird Seilmann ihn wohl unterbringen“, erwiderte ich, ihr die heißen Wangen streichelnd. „Besonders, wenn wir noch das kleine Draufgeld zahlen“, setzte ich vorsichtig hinzu. Worauf Mela mir in überströmender Freude einen langen, langen Kuß gab.

***

Bereits am nächsten Tag machte ich mich dann mit dem sauber verschnürten Roman betitelt „Menschen abseits der Heerstraße“ auf den Weg zu Heinz Seilmann, nachdem ich mich durch telephonische Anfrage vergewissert hatte, daß ich den Freund auch auf seinem Redaktionsbureau antreffen würde.

Schweigend hörte Seilmann mir zu, als ich ihm die Entstehungsgeschichte des Romans mit allen Einzelheiten erzählte.

„Ich verlange nun insofern wohl nichts Unmögliches von dir,“ fuhr ich dann fort, „als ich der Redaktion des Provinzblättchens, der du durch deine Beziehungen vielleicht die Arbeit aufzwingst, noch hundert Mark für die Veröffentlichung des Romans bezahlen will, nur damit Mela sich gedruckt sieht und fortan ihrem Versprechen gemäß alle weiteren schriftstellerischen Versuche aufgibt. Es sind dies die hundert Mark, die ich mir zurückgelegt hatte, um meiner Frau davon zu ihrem Geburtstag eine Pelzgarnitur zu kaufen. Wie sehr Mela der Ehrgeiz plagt, ersiehst du schon daraus, daß sie auf die Garnitur sofort verzichtete, als ich ihr den Vorschlag machte, auf diese Weise die Drucklegung ihres Werkes durchzusetzen. Ich meine, für diesen Preis wird sich eine bescheidene Redaktion wohl bereit finden, den Roman anzunehmen.“

Gut, daß mein Dummerle die Antwort Seilmanns nicht hörte, sonst wären sie wohl für alle Zeiten geschiedene Leute gewesen.

„Wenn‘s nicht gerade allzu haarsträubender Unsinn ist, – sicher!“ sagte er gleichmütig. „Laß nur das Manuskript gleich hier. Bei Gelegenheit schaue ich mal hinein. Die hundert Mark schickst du mir, falls nötig, später zu.“

Da er wieder sehr beschäftigt schien, verabschiedete ich mich, nachdem ich ihn noch zu der kleinen Feier, die wir an Melas Geburtstag veranstalteten, eingeladen hatte. –

Seit der Roman nicht mehr im Hause war, hatte sich so manches bei uns geändert. Das tadellose Essen und Melas heitere Stimmung ließen mich schnell die kleine Verirrung meines im Grunde doch recht tüchtigen und wirtschaftlichen Frauchens vergessen. Von Seilmann hatten wir in den inzwischen verflossenen zwei Wochen nichts gehört. Da, kurz vor Melas Geburtstag, erhielt diese eine Postkarte von ihm mit der kurzen Mitteilung, daß er den Roman untergebracht habe und ich ihm daher die hundert Mark, wie vereinbart, einsenden möchte. Die liebe, törichte Verfasserin, die sich diesen Erfolg durch den Verzicht auf die langersehnte Pelzgarnitur erkauft hatte, strahlte vor Glück und trug höchsteigenhändig das Geld auf das nächste Postamt. Nie hätte ich gedacht, daß ein so unbezähmbarer, opferfreudiger Ehrgeiz in ihrem Herzen wohnte.

Wie ich dann am Geburtstage selbst mittags aus dem Dienst nach Hause kam, flog mir Mela im Korridor mit einem Jubelruf um den Hals.

„Du lieber, lieber Mann, du unglaublicher Verschwender …!“ rief sie mit vor Rührung tränenverschleierten Augen. „Und echt Skunks! Sie Garnitur muß ja eine Unmasse Geld gekostet haben!“

Ich bin überzeugt, daß ich in dem Augenblick wenig geistvoll dreinblickte. Melas Worte waren ja für mich lauter unlösbare Rätsel.

Jetzt erst sah ich, daß um ihre Schultern eine breite, dunkle Pelzstola lag und ihre Linke in einem kleinen Ungetüm von Muff steckte. Mein Gesichtsausdruck mußte meine Gedanken, meine Zweifel und Befürchtungen recht deutlich widerspiegeln. Denn Melas Arme sanken plötzlich matt herab. Und stockend fragte sie dann, mich ängstlich anblickend:

„Was hast du nur, Fritz? Du machst so ein …“

„… ja, ein Gesicht wie jemand, der diese Skunksgarnitur gar nicht gekauft hat; stimmt!“ meinte ich kleinlaut. Denn ihr diese Enttäuschung gerade heute bereiten zu müssen, fiel mir schwer.

„Aber … in dem Karton liegt doch eine auf deinen Namen ausgestellte quittierte Rechnung über dreihundert Mark“, stotterte sie. „Du willst mich wohl nur ein wenig zappeln lassen, du schlechter Mensch?!“ fügte sie dann hoffnungsfroher hinzu.

Ich schüttelte traurig den Kopf. „Dreihundert Mark …!! – Kind, wo sollte ich die wohl hergenommen haben! – Vielleicht führt hier in der Stadt ein zweiter meinen Namen. Nur so kann ich mir die Sache erklären.“

„Aber auf dem Karton steht doch unsere genaue Adresse. Komm, überzeuge dich selbst.“

Aber auch dadurch wurde ich um nichts klüger. Die Adresse stimmte, die Rechnung ebenso. Dagegen ließ sich nichts sagen.

„Nun, wir können ja auf sehr einfache Weise dahinter kommen“, meinte ich schließlich. „Ich telephoniere das Pelzgeschäft sofort an und bitte um Aufschluß über diese mysteriöse Geschichte.“

Diese Absicht sollte nie ausgeführt werden. Denn wie Mela nun auf das plötzliche Anschlagen der Flurglocke öffnen ging, hörte ich bis in mein Zimmer Seilmanns dröhnenden Baß, mit dem er „seiner lieben Frau Melanie“ herzlich gratulierte.

Kaum hatten wir uns dann begrüßt, als mein Freund schon mit einem schlecht unterdrückten Lächeln feierlich begann:

„Kinder – setzt euch, bitte! Ich habe euch nämlich eine Eröffnung zu machen, die euch vielleicht etwas aus dem Gleichgewicht bringen dürfte. – So, das ist brav. – Und nun, mein lieber Fritz, muß ich dich zunächst bitten, nie wieder dein Frauchen mit dem Kosenamen ‚Dummerle‘ zu benennen. Denn auf die Autorin eines Romans, der demnächst in unserer Zeitung erscheinen wird, und für dessen Erstabdruck wir unbesehen das übliche Honorar von sechzehnhundert Mark zahlen, paßt eine solche Titulatur, so lieb sie auch gemeint sein mag und so zärtlich sie auch aus deinem Munde klingt, auf keinen Fall.“

Seilmanns rundes Gesicht strahlte jetzt förmlich vor Übermut.

„Kinder, hört weiter … Die Pelzgarnitur habe ich auf eigene Verantwortung gekauft und zur Bezahlung die mir ahnungslos von euch eingeschickten hundert Mark mitverwandt. Die fehlenden zweihundert erlaubte ich mir auszulegen. Frau Melanie mag sie mir zurückgeben, wenn sie von unserer Kasse das Honorar erhalten hat – und das kann schon morgen nach Erledigung einiger kleiner Formalitäten geschehen. – Und nun, verehrteste Freundin, will ich meinem ersten Glückwunsch noch einen zweiten hinzufügen. Sie besitzen unbestritten ein starkes Talent. Ihre ‚Menschen abseits der Heerstraße‘ sind vollkommen druckreif. Ich selbst bin stolz darauf, diesen neuen Stern am literarischen Himmel entdeckt zu haben, dem ich mit diesem Handkuß meine Verehrung und Bewunderung, zugleich auch meinen aufrichtigsten Glückwünsch zu diesem ersten Erfolge ausspreche, dem noch recht viele weitere sich anreihen mögen.“ – – –

Dieser eine Geburtstag Melas wird mir unvergeßlich bleiben. Nicht etwa wegen der hohen Sektrechnung, die ich nachher zu bezahlen hatte, sondern weil ich, der Gatte des kleinen, lieben Dummerle, an jenem Tage der „Mann einer berühmten Frau“ wurde und wir seitdem viele, viele Köchinnen in lieblicher Abwechslung gehabt haben, von denen auch nicht eine meine Lieblingsgerichte so schmackhaft zuzubereiten verstand wie Mela, die jetzt nie mehr in die Küche kommt, dafür aber durch ihre literarische Tätigkeit reichlich ebensoviel verdient wie ich und trotzdem das geblieben ist, was sie mir war, – mein zärtliches, lustiges und glückliches … Dummerle.



Errata (Wikisource)

  1. Vorlage: anscheindend
  2. Vorlage: Handabreit