[go: up one dir, main page]

Taurus-Abhörfall

abgehörtes Gespräch der Bundeswehr über den Marschflugkörper Taurus
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 3. März 2024 um 21:30 Uhr durch Rio65trio (Diskussion | Beiträge) (Abgehörte Telefonkonferenz: Entsprechend der gegebenen Quelle (Guardian)). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Taurus-Abhörfall betrifft ein Gespräch von ranghohen Offizieren der Bundeswehr im Februar 2024, bei dem Rahmenbedingungen einer möglichen Lieferung von deutschen Marschflugkörpern des Typs Taurus an die Ukraine zum Einsatz im Russisch-Ukrainischen Krieg besprochen wurden. Das Gespräch wurde, mutmaßlich durch Russland, abgehört und aufgezeichnet und Anfang März 2024 auf russischen Propaganda-Kanälen verbreitet.

Marschflugkörper Taurus KEPD-350 (2022)
Kertsch-Brücke (2019)

Abgehörte Telefonkonferenz

Das Gespräch wurde am 19. Februar 2024 anlässlich der Vorbereitung eines Briefings für den Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, zum Thema Taurus, im Zusammenhang mit einer möglichen Lieferung an die Ukraine aufgezeichnet. Gesprächsteilnehmer waren der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, der Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando Luftwaffe, Frank Gräfe, der aus einem Hotel in Singapur zugeschaltet war, und zwei Oberstleutnante aus dem Zentrum Luftoperationen und dem Taktischen Luftwaffengeschwader 33.[1][2][3][4]

Bei dem 38 Minuten langen Mitschnitt wurde über geheimhaltungsbedürftige Informationen mittels der nicht für diesen Geheimhaltungsgrad zugelassenen Videokonferenz-Software Webex des US-amerikanischen Anbieters Cisco gesprochen. Laut dem Portal heise.de können per Telefon zugeschaltete Gesprächsteilnehmer keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufbauen.[5]

Zu den mutmaßlich als Verschlusssache und Staatsgeheimnis zu betrachtenden Inhalten zählten Details zu Fähigkeiten des Flugkörpers wie Flughöhen, der Zeit zur Vorbereitung eines Einsatzes, Ausbildungsmöglichkeiten und -dauer von Soldaten der ukrainischen Streitkräfte an dem Waffensystem, die Montage des Taurus an ukrainischen Flugzeugen, die Zielprogrammierung der Taurus-Marschflugkörper, russische Munitionsdepots und die Kertsch-Brücke als mögliche Ziele, die Verlagerung der Zuarbeit bei der Zielprogrammierung auf das Rüstungsunternehmen MBDA Deutschland und die Tätigkeit von britischen und US-amerikanischen Personen in der Ukraine.[1][2][3][4]

Einige Details der Gesprächsinhalte widersprechen der Ende Februar 2024 angeführten Begründung des deutschen Bundeskanzlers, Olaf Scholz, er werde keine Taurus an die Ukraine liefern, weil dafür der Einsatz von deutschen Soldaten vor Ort zwingend erforderlich sei.[6]

Margarita Simonjan, die Chefin des russischen Auslandssenders RT, veröffentlichte am 1. März 2024 auf ihrem Telegram-Kanal die Aufzeichnung, die daraufhin auf anderen sozialen Medien weiter verbreitet wurde.[7]

Reaktionen

Deutschland

Die Bundesregierung bestätigte die Echtheit des Mitschnittes. Der deutsche Militär-Nachrichtendienst MAD prüft, wie schwer der Verstoß der Beteiligten gegen Regeln der militärischen Geheimhaltung sein könnte.[8][9] Bundeskanzler Olaf Scholz nannte den Vorgang „eine sehr ernste Angelegenheit“.[10] Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius rief zur besonnenen Reaktion auf. Es handele sich um einen hybriden Angriff Russlands zur Desinformation, und es gehe um die Spaltung der Unterstützer der Ukraine sowie „darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben“. Man dürfe Putin „nicht auf den Leim gehen“.[11][12]

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz (Grüne), sprach von einem „maximal gravierenden Vorgang“.[13] CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wollte am 3. März 2024 die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nicht ausschließen.[14][15]

Roderich Kiesewetter, stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (CDU) und Oberst a. D. der Bundeswehr, sagte: „Wir brauchen mehr Systeme, die gehärtete Schutzvorrichtungen haben. Da ist das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik genauso gefragt wie die Führungskräfte, die solche Videokonferenzen ansetzen.“ Er unterstütze den Vorschlag von CSU-Landesgruppenchef Dobrindt nach einem Untersuchungsausschuss. Auch ein Sonderermittler, der das Gesamtgefüge kläre, sei denkbar.[16]

Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl (SPD) sieht dringenden Handlungsbedarf, um Abhöraktionen zu verhindern. Alle Verantwortlichen auf allen Ebenen der Bundeswehr müssten umgehend in geschützter Kommunikation geschult werden. Man müsse mehr in Spionageabwehr investieren.[17]

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschuss des Bundestags (FDP), erklärte: „Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel.“[18]

Der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München sagte, es „läuft eine massive Desinformations- und Destabilisierungskampagne der Russischen Föderation gegen Deutschland“. Die Leaks seien „ein Höhepunkt“.[19]

Russland

Der ehemalige Präsident Russlands Dmitri Medwedew zitierte das Gedicht Töte ihn! von Konstantin Simonow aus dem Jahr 1942 und schrieb auf Telegram unter anderem: „Die ewigen Gegner, die Deutschen, sind wieder zu unseren Erzfeinden geworden“.[20]

Einzelnachweise

  1. a b Marco Seliger: Gegen alle Sicherheitsregeln: Russen hören Taurus-Gespräch deutscher Generale ab. In: Neue Zürcher Zeitung. 2. März 2024, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 2. März 2024]).
  2. a b Georg Ismar: Bundeswehr-Abhörfall: Eine verhängnisvolle Schalte. In: sueddeutsche.de. 2. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  3. a b Kerstin Münstermann: Debatte über Taurus-Lieferung: Zumindest Scholz’ Schweigen hat ein Ende. 26. Februar 2024, abgerufen am 2. März 2024.
  4. a b Bundeswehr-Abhörskandal: CDU-Experte bezeichnet Scholz als „Sicherheitsrisiko“ – und äußert Befürchtung. In: fr.de. 2. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  5. Nico Ernst: Bundeswehr wurde bei Diskussion über Taurus per WebEx abgehört. In: heise.de. 2. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  6. Bundeswehr abgehört: Union stellt Scholz' Glaubwürdigkeit infrage. In: tagesschau.de. 3. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  7. Germany to investigate Russia’s apparent interception of military talks on Ukraine. In: The Guardian. 3. März 2024, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 3. März 2024]).
  8. Focus-Online: Nach Abhörskandal hat die Bundeswehr eine brisante Vermutung. Abgerufen am 2. März 2024.
  9. tagesschau 20:00 Uhr, 02.03.2024. Abgerufen am 2. März 2024 (deutsch).
  10. Abhörskandal bei der Bundeswehr: Verteidigungsministerium betätigt Echtheit der Aufnahmen. 2. März 2024, abgerufen am 2. März 2024.
  11. mdr.de: Ukraine-News: Pistorius – Russische Spionage ist Teil von „Informationskrieg“. In: mdr.de. 3. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  12. Nail Akkoyun: Taurus-Abhör-Skandal bei der Bundeswehr: Pistorius warnt – „Putin nicht auf den Leim gehen“. In: merkur.de. 3. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  13. Von Notz: Taurus-Abhöraktion ist „maximal gravierender Vorgang“. In: ndr.de. Abgerufen am 3. März 2024.
  14. Taurus-Lieferung: Dobrindt bringt U-Ausschuss zu Abhörskandal ins Spiel. In: faz.net. 3. März 2024, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 3. März 2024]).
  15. Bundeswehr-Leak und Taurus-Debatte: CSU-Politiker Alexander Dobrindt bringt Untersuchungsausschuss ins Spiel. In: Der Spiegel. 2. März 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 2. März 2024]).
  16. Pistorius: Zunächst keine personelle Konsequenzen nach Abhörfall. In: tagesschau.de. 3. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  17. Konsequenzen aus Abhöraffäre – Wehrbeauftragte spricht von dringendem Handlungsbedarf. In: deutschlandfunk.de.
  18. Was über die Taurus-Abhöraffäre bekannt ist www.br.de, 2. März 2024
  19. Michael Maier: Bundeswehr-Leak: Was wissen die Russen noch? In: berliner-zeitung.de. 3. März 2024, abgerufen am 3. März 2024.
  20. „In doppelter Hinsicht befremdlich“: Bundeswehr-Abhörskandal veranlasst Opposition zu Drohung an Scholz. Merkur, 3. März 2024